The power of now

Ich spazierte zum See und kam von der anderen Seite her, eigentlich um André aus dem Weg zu gehen, aber er sass ausgerechnet heute an dieser Uferseite. Er redete wieder ohne Unterlass.

Mir geht es heute nicht besonders. Ich soll am 18. September nochmal ins Krankenhaus. Ich habe mit der Aerztin telefoniert. Meine Blutwerte sind nicht in Ordnung. Da war ich zur Operation schon im Krankenhaus und es war alles andere als angenehm. Und jetzt soll ich nochmal hin. Keine rosigen Aussichten…

Ich habe nie Zeit gehabt, um mich zu amuesieren oder auf Feste zu gehen wie die anderen Leute. Ich habe immer gearbeitet. Ich habe mein Haus gebaut und meine Tochter grossgezogen, habe gemalt und geschrieben. Ich habe bestimmt 2000 Zeichnungen.

Erst jetzt habe ich Zeit, jetzt. Eigentlich wollte ich schon ganz woanders sein, in einer anderen Region, aber die Erkrankung kam mir dazwischen. Und dabei war ich vorher nie bei einem Arzt, war nie krank.”

Dann fing er an, von seinen Nachbarn zu erzaehlen.

Die Frau hat sich noch gar nicht richtig von ihrem Freund getrennt; sie leben noch zusammen und schon hat sie den naechsten, mit dem sie ausgeht und der sie zuhause abholt. Das kann man doch nicht machen. Ihr alter Freund leidet doch darunter.”

Ich kann mir kein Urteil ueber andere erlauben. Vielleicht braucht sie den Neuen, um ueber die Trennung hinwegzukommen. Klar, dass es nicht ideal ist…”

Die Frauen sind fuer mich auf dem falschen Weg. Sie folgen den Maennern nach, die den falschen Weg gegangen sind.”

Dann wurde es wieder allgemeiner:

Der Mensch ist die Summe der Entscheidungen, die er getroffen hat. Denn durch die Entscheidungen entscheidet sich, wie es weitergeht. Es gibt so viele Loser, Trinker und Schizophrene ueberall hier. Zum Glueck bin ich keiner von denen…”

Ich dachte spaeter darueber nach und mir wurde klar, dass mir die Loser und Schizophrenen fast lieber sind als er, denn sie sind da mit ihrem Herz und Schmerz. Er hingegen scheint gar nicht wirklich da zu sein. Es ist, als haette er gar kein Herz. Aber er analysiert jede menschliche Regung anderer bis ins kleinste Detail. Ist perfekter Beobachter und tut alles sowieso viel besser als alle anderen.

 Am nachmittag fuhr ich zum mir empfohlenen Automechaniker. Er war gerade am Reparieren eines Autos. Ich machte fuer ihn und seinen Klienten einen Getreidekaffee. Dann kochte ich eine Ratatouille, um sie ihm zu geben dafuer, dass er nachschaut, ob ich mit Oel fahren kann oder nicht. Entgegen vielen Stimmen, die behaupteten, ich koenne direkt ohne Probleme mit Oel fahren mit meinem Dieselmotor, meinten andere kuerzlich, ich solle Pierre fragen. Er wisse ganz genau bescheid.

Er schaute sich die Einspritzpumpe an und meinte enttaeuscht:

Tut mir leid. Du kannst nicht mit Oel fahren. Keine Chance. Dir geht sonst der Motor kaputt. Ich habe schon andere Leute erlebt, die einfach mit Oel gefahren sind und nach einem Monat hatten sie Probleme und kamen zu mir. Du braeuchtest eine andere Einspritzpumpe, aber das lohnt sich fuer dich nicht. Nachdem, was du erzaehlt hast, faehrst du auf der einen Seite nicht genug und auf der anderen bist du zu viel unterwegs, da wird es mit dem Auffinden von Altoel zu schwierig. Uebrigens: Ich bin kein normaler Automechaniker”, sagte er und holte ein Pendel aus der Tasche. “Nicht viele Mechaniker arbeiten mit einem Pendel. Bei der Frau, die vorhin vorbeikam sagte das Pendel, ich solle ihr nicht helfen. Bei dir sagte es ‘ja’.”

 Ich reichte ihm die Ratatouille und einen Tomatensalat.

Willst du nicht mit mir zusammen essen heute abend?”

« O.k., ich mache nur noch einen kleinen Spaziergang. « 

Ich lief bis ins naechste Dorf und kam mit zwei schweren Taschen gedumpstertem Zeug wieder.

Komm doch rein”.

Es war sehr sauber in seinem Holzhaus und aufgeraeumt. Ganz anders als in anderen Junggesellenhaushalten.

Was fuer eine Freude, dass sich so unverhofft dieser Abend mit dir ergibt.”

Ja, erstaunlich. Das haette ich auch nicht gedacht. Ein Freund aus meinem Dorf hat mir zuerst von dir erzaehlt. Hat mir gezeigt wo sein Automechaniker ist.”

Ich begann, Daniel zu beschreiben.

Ich kenne ihn. Er ist einer von drei Leuten, die mir bekannt sind, die aus Indien zurueckkamen und nicht mehr waren wie vorher. Einer drei Jahre, einer 15 Jahre und einer 18 Jahre.”

Bei ihm sind es 18 Jahre. »

Ich halte es gar nicht fuer so gut, in die Ferne zu reisen. Kennst du die Geschichte?

Da kam ein Globetrotter in ein Dorf und fragte:

‚Und wie sind die Leute hier?‘

Da fragten die Leute zurueck:

‚Wie sind die Leute da wo du herkommst?‘

‚Sehr nett‘, antwortete er.

‚Siehst du, hier auch‘, sagten die Leute.

Da kam am naechsten Tag ein neuer Globetrotter und fragte:

‚Wie sind die Leute hier?‘

‚Da fragte man ihn zurueck:

‚Wie sind die Leute, da wo du herkommst?‘

‚Schrecklich.‘

‚Siehst du, hier sind sie genauso wie da wo du herkommst‘.”

Ich schaute auf ein Foto an der Wand.

Das ist ein indischer Meister. Er hat sich in sechs Monaten verwirklicht.”

Er stand ploetzlich auf, ging hinter mich und massierte mir das Genick.

Wo du so schwer bepackt warst…”

Dann blies er mir mit einem heftigen Atemzug an verschiedene Stellen auf dem Ruecken und auf mein Herzchakra. Danach war ich erstmal platt. Mir war, als waere ich in einen vollkommen anderen Bewusstseinszustand eingetaucht. Ich musste mich erstmal hinlegen. In diesem Zustand hatte ich gar keine Lust zu Rauchen und als ich nach dem Essen aus Gewohnheit doch eine Zigarette ansteckte, hatte ich ein dermassen starkes Stechen in der Brust, dass ich das Rauchen lieber sein liess.

Manche benutzen die Sachen auch gegen sich”, war sein Kommentar.

Man tut gut daran, Mitgefuehl mit diesen Leuten zu haben, denn es gibt von ihnen eine ganze Menge,” entgegnete ich.

Wir assen Ratatouille mit Kartoffeln und zum Schluss bot ich ihm noch Yoghurts zum Dessert an.

Nein, danke. Ich esse kaum noch Milchprodukte.”

Nach einer Pause sagte er:

Du kannst die Nacht hier stehenbleiben, kein Problem.”

Oh, fein.”

 So blieb ich die Nacht bei ihm auf dem Parkplatz.

Am naechsten Tag schien die Sonne und um die Mittagszeit wurde es im Bus ziemlich warm. Ich waere gerne zu ihm ins Haus gegangen, aber er wollte sich ausruhen und aus Respekt fuhr ich lieber mit dem Fahrrad ins naechste Dorf.

Als ich zurueckkam, erzaehlte er mir eine Geschichte:

Ich habe von den Tieren viel gelernt. Einmal war ich Hirte und Hunde hatten zwei kleine Laemmer angefallen und die Beine aufgefressen. Da holte ich ein Messer und sprach mit dem Lamm, dass ich es nicht gerne toeten wuerde, aber dass es sehr leiden wuerde, wenn es am Leben blieb. Ich legte das Messer neben das Lamm und – es legte seine Kopf selbst darauf. Erstaunlich, nicht? Ich weiss nicht, ob wir Menschen dazu faehig waeren. “

Es wird gerade ausgesondert bei den Menschen”, sagte er zum Abschied, “die meisten Menschen tun, als waeren sie froehlich, doch innerlich haben sie Angst.”

 Am Abend kam ich am See vorbei, wo ein paar Leute zusammen sassen. Sie lebten auch in einem Campingbus. Der Aelteste von ihnen sagte zu mir:

Vergiss die Vergangenheit. Lebe den Moment. Vergiss alles, was passiert ist. Es ist nicht zufaellig, dass wir hier sind. Und hoer einfach auf zu Denken. Wenn du denkst, kreierst du dir deine Zukunft.”

Er stand auf und holte ein Buch aus seinem Bus: Eckhart Tolles ‚The power of now‘, zu deutsch ‘Jetzt – Die Kraft der Gegenwart’.

Das ist, was ich gerade lese.”

Ich kenne es vom Titel her, habe es aber noch nicht gelesen.”

Es ist echt gut. Geh in den Bus und lies, was dort steht. Schreibe es auf und haenge es dir ueberall in deinen Bus.”

Ich schaute nach. Es stand dort:

Liebe & Dankbarkeit

Dankbarkeit & Anerkennung in unserem Herzen

das ist unser Terrain

 

Hare Krishna

Liebe Freunde,

nach ewiglanger kreativer Pause habe ich mich dazu entschlossen, mal wieder nicht nur fuer mich allein oder die Schublade zu schreiben, sondern fuer Euch… So ganz wie frueher

Den gestrigen Tag verbrachte ich am See und wie immer dort tat ich nichts ausser Reden. Erst mit André, der wie so oft von der Alchemie erzaehlte, dann mit Leuten, mit denen ich schliesslich zu abend ass. Eine Frau war Deutsche.

“Ich bin in Frankreich aufgewachsen, habe dann 15 Jahre in Deutschland gelebt und bin jetzt wieder zurueckgekommen.”

“Dann leben Deine Eltern noch hier…”

“Nein, meine Mutter wohnt in Deutschland und mein Vater blieb hier, ist jedoch gestorben und so leben wir in dem Haus, das wir geerbt haben.”

Ihr Freund kam aus Nicaragua.

“In Nicaragua gibt es total verschiedene Welten.: die Welt der Indios, die ohne Geld leben und bei denen man mit Geld nichts machen kann; die Welt der spanischen Eroberer auf der einen Seite des Landes und die der englischen gewalttaetigen Eroberer auf der anderen Seite. Bei beiden stirbt man Hungers, wenn man kein Geld hat.

Ich war ein Strassenkind bis mich eine reiche spanische Familie adoptiert hat. Nicaragua blickt auf 500 Jahre Revolution und Buergerkrieg zurueck. Ich bin die letzte Generation der Rebellen. Die gefaehrlichsten Menschen in Nicaragua sind derzeit die Intellektuellen. Sie haben alles Wissen studiert und jeder hat sich jetzt eine eigene Welt zurechtgelegt.”

Er ging noch naeher darauf ein, aber sein Franzoesisch war nicht so gut, dass ich alles verstand, was er sagte.

Heute auf dem Markt schaute ich in ein Buch ueber die Wicca-Religion. Es war dort klar gesagt, dass sich die Anhaenger des Wicca-Kultes vom Teufel distanzieren, da dieser eine Erfindung der Christen sei, die ihren gehoernten Fruchtbarkeitsgott Pan zu ihrem Teufel gemacht haben.

Ich probierte an einem Stand mit Second-hand-Klamotten eine lilane Nepalihose mit tuerkisgruenem Rock darueber an, die mir die Besitzerin schenkte, weil der Reissverschluss kaputt war. Meine Freude war gross.

Dann traf ich Isolde, die mir einen gruenen Stein gab. Ein Typ mit sonnegebleichten Rastaloeckchen kam vorbei und lud uns zu einer Feier am naechsten Mittwochabend ein. Er gab Isolde einen Flyer mit dem Angebot eines Workshops in Teppichweben.

“Letztes Jahr habe ich zwei Tage an seinem Workshop teilgenommen und an jedem Tag einen Teppich gemacht. Er hat alle Farben an Stoffen. Er bekommt sie von einer Recyclingfabrik. Sie suchen ihm schon die entsprechenden Stoffe raus, die fuer ihn interessant sind. Er zeigt auch, wie man aus einem Fensterrahmen einen Webrahmen herstellen kann.”

Schliesslich lief mir François ueber den Weg, der mich nun zum zweiten Mal zum Bhajan-Singen zu sich einlud. Diesmal ging ich mit. Es waren noch ein paar Maenner und Frauen bei ihm versammelt, die mich freudig begruessten. Es tat gut, bei ihnen zu sein, auch wenn ich erstmal nicht mitsang. Ich dekorierte lieber die Kommode mit Krishnabildern mit dem Schmuck, der auf ihr rumlag bevor ich den Garten mit seinen Bananenstauden und sonstigen tropischen Pflanzen bestaunte.

Doch dann hoerte ich doch ein wenig den Teachings zu.

“Selbst der zutiefst Gefallene kann wieder zum Herrn zurueckkehren”, hiess es da. Klang gut.

Nachher fasste ich meinen Eindruck zusammen: “Alles, was du vorgelesen hast, scheint wahr zu sein. Ich glaube, Christus war auch eine Inkarnation von Krishna. Chris-tus, Krish-na…”

“ Christus und Krishna waren zusammen in einer Inkarnation.”

“Wie Jesus sagte: ‘Der Vater und ich sind eins’. Aber ich dachte immer, Brahma sei der Schoepfer und Krishna sei von ihm geschaffen worden.”

“Nein. Krishna ist der hoechste Gott. Brahma ist der Schoepfer unseres Universums, aber er wurde selbst erschaffen.”

“Und wir sind wie die Funken eines Feuers, die sich vom Feuer entfernen. Doch das Ziel unseres Daseins ist, wieder zurueck zum Feuer zu finden, zu unserem Ursprung – zu Gott,” warf ein anderer Devotee ein. “Und Krishna ist vor etwa 500 Jahren in Indien wieder auf die Erde gekommen und hat uns einen spirituellen Weg gezeigt, wie wir wieder zurueckfinden koennen: indem wir die tausend Namen Gottes rezitieren durch das singen des Mantras Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare. Hast du schon die BhagavadGītā gelesen?“

„Ja, vor ein paar Jahren. Ich habe alles gelesen, aber nichts verstanden. Nur, dass man kaempfen muss.“

„Nein, das ist nicht richtig. Beim Bakhti-Yoga geht es darum, sich hinzugeben, um devotion. Bei anderen Wegen wie dem Hatha-Yoga geht es darum, sich selbst zu finden. Und du brauchst einen Meister. Swami Prabhupada ist einer. Er hat die vedischen Schriften fuer uns Westler ins Englische uebersetzt und die Bewegung des Krishna Bewusstseins gegruendet.“

Er zeigte mir dessen Foto aus dem Buch. Als wir assen erklaerte mir mein Nachbar:

“Wir haben fuenf Regeln: Wir essen kein Fleisch und keinen Fisch; wir nehmen keine berauschenden Drogen zu uns, auch keinen Tee oder Kaffee, wir praktizieren Sexualitaet nur innerhalb der Ehe, wir spielen keine Gluecksspiele und wir treiben keinen Wettkampfsport, weil es nicht unser Ziel ist, miteinander zu konkurrieren. Cannabis konsumieren wir nicht, weil es uns in einer noch groesseren Illusion leben laesst, in der wir eh schon sind.”

“Und wir kochen ohne Zwiebeln und Knoblauch”, schob François hinterher, “weil sie zu sehr anregen.”

Ich erwachte am naechsten Morgen mit einem unglaublich starken, nicht enden wollenden Juckreiz rund um den Bauch und an den Beinen. Zum Glueck sah ich Manuel in der Naehe und ging zu ihm, um ihm mein Leid zu klagen.

“Du, wir gehen gleich mal mit den Leuten reden, die hier wohnen. Ich raeume nur noch meine Sachen zurueck ins Auto.”

Die erste Person, die wir trafen und die er kannte meinte gleich: “Das habe ich auch und ganz viele Leute hier haben das. Das kommt, wenn man in derNatur ist. Es ist ein uebles Tier und heisst Augusta. Wenn man sich kratzt, dann geht es noch tiefer unter die Haut und breitet sich weiter aus. Es ist an allen Stellen, die warm sind: an den Ellenbogen, am Bauch, unter den Achseln… Aber es ist nicht schlimm. Nach ein paar Tagen hoert es auf. Man kann nur eine juckreizstillende Salbe benutzen und sich zur Vorbeugung mit Lavendeloel einreiben. Ich tue auch ein paar Tropfen davon ins Bett.”

Manuel ging mit mir zusammen in die Apotheke, um uns zu versichern und wir wurden besteatigt. Am Ende lud ich ihn zur Ratatouille ein, die ich noch vom Vortag uebrig hatte und er schenkte mir zwei Flaschen Olivenoel!

“Ich hoere, was die Leute mir sagen. Und du sagtest letzt, fast das einzige, was du zum Essen kaufst ist Oel…”

Ich nahm es gleich fuer den Salat, denn mein altes Oel war fast alle.

Am Abend entdeckte ich in der Gîte (eine franzoesische Art von Pension) die Dusche, von der mir jemand erzaehlt hatte und nutzte die Gelegenheit, da gerade keiner da war, meine Haare zu waschen. Bloss hatten sich drei alte Campingbusse auf das Grundstueck der Gîte gestellt und genau in dem Augenblick, in dem ich ging, kam einer mit einer Taschenlampe angelaufen. Mir sackte das Herz in die Hose und raschen Schrittes verliess ich das Terrain.

error

Hat Dir der Inhalt gefallen? Teile ihn gerne :)

RSS
Follow by Email
YouTube
Instagram
Telegram
WhatsApp