Ein Malheur nach dem andern

Es war herrliches Wetter und so fuhr ich mit dem Fahrrad zur Quelle, von der mir Chris  erzaehlt hatte.

« Es gibt eine Madonna-Statue dort und eine Kapelle. Das Wasser kann Wunder wirken. Mir ist, als ich dort Wasser geholt habe, Jesus erschienen. »

Da ich mit dem Fahrrad nicht viel Wasser mitnehmen konnte, aber eine grossen Bedarf an Quellwasser hatte, fuhr ich am naechsten Tag gleich mit meinem Bus hin, um eventuell dort zu uebernachten, aber als ich fast all meine Flaschen gefuellt hatte und die Nacht hereinbrach, wurde es mir unheimlich. Ich fuhr lieber auf einen anderen Parkplatz nicht weit davon entfernt.

Beim naechsten Markt schaute ich am Stand von den Hare Krishna vorbei.

« Es hat mich sehr beeindruckt, als ich letzte Woche bei Euch war. Ich habe die Woche sogar aufgehoert zu Rauchen. »

« Ich habe damals zu Trinken aufgehoert, als ich Krishna kennengelernt habe. Ich habe vorher viel getrunken. »

« Aber du rauchst noch… »

« Wir wollen ja keine Gurus werden. Wir leben auch noch mit der Materie. Aber es gibt Krishna-Anhaenger, die von einem auf den anderen Tag ihre Frau und ihre Familie verlassen und ohne alles losziehen. Ich habe auch mehrmals auf der Strasse gelebt.»

« Ich war letzte Woche nicht so sehr offen, aber es hat mir so gut gefallen, dass ich gerne mehr lesen wuerde. »

« Es gibt hier zum Einstieg diese Buecher von Swami Prabhupada : eines mit Vortraegen zu allen moeglichen Themen unserer Zeit, eines ueber Inkarnation… »

« Ach ja, das mit den Vortraegen interessiert mich. Das ueber Reinkarnation weniger.»

Ich nahm es mit, gluecklich, was Neues zum Lesen zu haben.

Mit ein paar Leuten sprach ich ueber den Englaender, der ich letzt kennengelernt hatte. Er war eine zu aussergewoehnliche Figur, als dass man seine Bekanntschaft verschweigen konnte.

« Sein Nachbar meinte, er selbst sei verrueckt, aber als er Jack kennenlernte, merkte er, der ist ja zehn Mal schlimmer ! » hoerte ich von einem und Isolde brachte zum Thema : « Ich rede schon gar nicht mehr mit ihm. Er redet viel zu viel ! »

Sie kam nach dem Markt noch mit mir zu dem kleinen See, an dem ich stand. Wir setzten uns auf die Wiese. Ich zeigte ihr meinen Ausdruck vom Vagabundenblog, aber wie ich richtig vermutet hatte, war es fuer sie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die adaequate Lektuere.

« Hier habe ich noch ein Buch von Marko Pogacnik: ueber die dreifaeltige Goettin. Ich habe letzt darin gelesen. Es ist aeusserst interessant.“

Ich drueckte es ihr in die Hand.

„Ja, ich habe auch eins ueber Landschaftsgeomantie. Das gefaellt mir sehr.“

„Er hat ziemlich viel geschrieben. Ich habe ihn mal bei einem Festival erlebt. Er ist hervorragend.»

 Ich traf Manuel noch kurz vor seiner Abreise.

« Es wird Zeit, dass ich nach Hause fahre. Doch dort werde ich nicht so viele nette Leute um mich haben wie hier. »

« Du wirst hier fehlen. Du bist doch schon Teil von dem Ganzen.»

« Das sagen die anderen Leute auch. Viele meinen, ich soll doch hierherziehen. Es war echt schoen, dich immer wieder zu treffen. »

« Fuer mich auch. »

Wir verabschiedeten uns.

 Ich fuhr in die naechste Stadt, die einen Schrotthaendler fuer Autoteile hatte, denn mein Fahrerrueckspiegel war vor geraumer Zeit kaputtgegangen. Aber es gab keinen Ersatz.

« Fuer Busse habe ich gar nichts », sagte er lapidar.

Den schoensten Platz der Stadt am Fluss fand ich mit einem Eisengitter versperrt. Letztes Jahr war ich an dieser paradiesischen Idylle Baden gegangen. Ich fand zwar einen schmalen Pfad, der zum Fluss herunter fuehrte, aber hier war es laengst nicht so schoen wie ein Stueck weiter. Die Toiletten am Parkplatz waren geschlossen und das Vereinscafé ebenso, das mir ein Freund empfohlen hatte. Dafuer prangte folgender Spruch an der Wand:

Es sind nicht die Leute, die Boeses tun, die die Welt zerstoeren,

sondern diejenigen, die zuschauen und nichts tun

Ich wollte in die Bibliothek gehen, um wie letztes Jahr kostenlos im Internet zu surfen.

„Sie muessen eingeschriebener Leser sein“, erfuhr ich vom Bibliothekspersonal. „Wir haben ein neues Softwareprogramm. Laut neuestem Gesetz duerfen in Frankreich in oeffentlichen Einrichtungen nur noch Menschen zum Internet Zugang haben, die eindeutig identifiziert wurden. Tut mir leid. Gehen Sie doch ins kommunale Cybercafé.“

Da kam ich her. Man konnte kostenlos im Internet surfen, wenn man sich mit seinem Ausweis anmeldete. Hatte ich irgendwie keine Lust drauf. War mir viel zu uncool.

Mitten in der Nacht wurde ich von elendlauter Musik geweckt. Im Wohnmobil neben mir schien ein Verrueckter zu sein. Ich fuehlte mich terrorisiert, wusste erstmal nicht was tun. Ob ich ihm was sagen sollte? Ich entschied mich, Ohrstoepsel zu benutzen und das Problem war geloest. Mitten in der Nacht mit Verrueckten zu Reden, schien mir dann doch keine so gute Idee.

Zum Duschen und Haare waschen ging ich zu einem an ein Heim angeschlossenes Vagabundencafé. Draussen fragte ich jemand, der aus einem Wohnwagen kam nach der Dusche.

„Hier gibt es keine Dusche“, antwortete der Mann missmutig.

Eine Schwarze, die mich von sich aus fragte, was ich suche war so freundlich mir den richtigen Weg zu weisen. Als mir am Empfang ein Handtuch und Shampoo ausgehaendigt wurde, kam ein farbiger Mann weinend in Begleitung zweier Damen die Treppe herunter. Ich duschte und verschwand so schnell ich konnte. Irgendwie stand mein Aufenthalt in dieser Stadt unter keinem guten Stern.

 So trampte ich kurzerhand in Richtung der Stadt, in der ich letzt den netten Jay kennen gelernt hatte. Ich wollte ihn gerne wiedersehen. Erst schaute ich in dem Dorf vorbei, wo er in einem Garten gezeltet hatte und erfuhr von der Nachbarin, dass er nun in der Stadt wohnte, aber keiner wusste wo.

„Er hat uns verlassen ohne uns seine Adresse zu hinterlassen. Aber geh doch zum Fluss wo du ihn kennen gelernt hast, vielleicht triffst du ihn dort“, ermunterte sie mich.

Nach zweiwoechiger Internetpause war ich zwei Stunden im Internet. Als ich aus dem Café herauskam und ein paar Schritte gegangen war, stellte ich fest, dass ich meine Tasche mit gedumpstertem Zeug vergessen hatte. Als ich zurueck zum Eingang ging, sah ich an einem Tisch auf der Terrasse das gelbe Hemd von Jay, den ich zuvor gar nicht gesehen hatte. Die Freude war gross.

„Ich habe mich entschieden, jetzt doch nicht nach Indien zu gehen, weil ich zu viele gesundheitliche Probleme habe zur Zeit. Und zwei Tage nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, hatte ich eine Wohnung. Erst war sie total leer, aber ich habe sie schon ein wenig eingerichtet. Und in ein paar Tagen habe ich einen Computer, dann schicke ich dir eine Mail. Bis zur Tag- und Nachtgleiche bin ich beschaeftigt, aber danach lade ich Euch alle ein.“

Er hatte nicht viel Zeit, denn er musste noch seine Brille holen, wegen der er ueberhaupt in der Bar sass, denn sie wurde gerade repariert.

„Ohne Brille sehe ich ueberhaupt nichts.“

Danach hatte er einen Zahnarzttermin, aber ich musste sowieso langsam zurueck, wollte ich trampen und nicht mit dem Bus oder Zug fahren.

Die erste Frau, die mich mitnahm, war eine aeltere Dame.

„Ihr Wagen ist aber alt!“ rief ich erstaunt, als ich einstieg.

„Fuenfzig Jahre! Ein Citroen. Mein Mann schimpft mich, wenn ich jemanden mitnehme, aber ich tue es trotzdem. Ich setze Sie am Ortsausgang ab.“

So konnte ich mich beim Supermarkt noch mit entsorgten Yoghurts und Pfirsichen versorgen.

 Am naechsten Tag wachte ich sehr frueh auf, was mir recht war, denn ich gedachte in die naechste Metropole zu fahren. Ich ueberlegte erst, zu trampen, aber da es nach Regen aussah, fuhr ich doch mit meinem Bus. Um dann doch zu spaet zu den Aerzten der Armen zu kommen. Ich solle am Freitag frueh wiederkommen. Ich fuhr auch noch bei meinem frueheren Zahnarzt vorbei, aber die Assistentinnen empfingen mich mit einem dermassen bescheuerten Blick, dass ich keine Lust hatte, sie noch einmal zu sehen.

Ein Stueck weiter fand ich an einem Supermarkt Brot, Guacamole, Trauben und Tomaten, was ich erstmal zum Picknicken im Park hernahm.

In der Nacht wurde ich mit mehreren Schlaegen geweckt, woraufhin ich aus vier Reifen die Luft herausstroemen hoerte. Es war halb vier und ich hatte das Gefuehl, die Leute waren noch eine ganze Zeitlang in der Naehe, denn ich sah ein Auto mit angeschaltetem Licht unweit stehen. Aus Angst ging ich nicht heraus, um nach den kaputten Reifen zu schauen, sondern wartete bis sie wegfuhren und es hell wurde.

 Am Morgen klapperte ein Algerier, der direkt im Haus neben mir wohnte mit mir alle moeglichen Werkstaetten ab, ohne jedoch auf Anhieb eine geeignete Loesung zu finden. Die erste Werkstatt fand nicht die geeigneten Reifen, da sie zu alt waren; eine auf Reifen spezialisierte Werkstatt war zu weit weg, um mit platten Reifen dorthin zu fahren; die Versicherung wollte, dass ich zur Polizei gehe, um mich kostenlos abzuschleppen…

„Wenn du die Rechnung nicht bezahlst, musst du hierbleiben“, informierte mich mein Begleiter. Schliesslich kehrte ich zur ersten Werkstatt ganz in der Naehe zurueck, nachdem er zur Arbeit gegangen war.

„Wir haben nicht genug Daten, um die richtigen Reifen ausfindig zu machen. Wir schauen nach dem Mittagessen mal, ob wir nicht noch andere Informationen auf dem Reifen finden. Kommen sie um zwei Uhr wieder vorbei“, sagte die Dame, die sich der Sache angenommen hatte.

Als ich um die gewuenschte Zeit wieder zu ihr kam, war sie keinen Schritt weiter und auch nicht sehr grossen Willens, sich mit dem schwierigen Fall zu beschaeftigen. Doch irgendwie kamen wir naeher ins Gespraech, bei dem ich ihr mehrmals sagte, sie soll es ruhig lassen, aber dann fand sie doch eine Loesung. Bloss war diese exorbitant teuer und ich haette zwei Wochen warten duerfen. Erst als sie meine Notlage sah und dass ich Angst hatte, noch eine Nacht an der Stelle zu uebernachten, kam sie auf die Idee, den Autohersteller anzurufen und zu fragen, mit welchen Reifen ich noch fahren koennte. Ich solle spaeter noch mal vorbeischauen.

Inzwischen war ich im Internet und fand den Schrotthaendler, wegen dem ich unter anderem  hierher gefahren war, aber auch bei ihnen fand ich weder meine Reifen noch einen Rueckspiegel, um meinen kaputten zu ersetzen.

Als ich wieder bei der Werkstatt vorbeischaute, ging ploetzlich alles ganz schnell. Sie hatte zwei Reifen gefunden, die sofort zu haben waren. Die Mechaniker holten die Vorderreifen und meinen Bus, montierten sie in Windeseile kurz vor Dienstschluss, so dass ich wenigstens auf einen anderen Parkplatz fahren konnte, auf dem ich weitere Wohnmobile und Campingbusse gesehen hatte. Denn hinten hatte ich vier Reifen und konnte gut auch nur mit Zweien fahren.

 Ich schlief direkt nach dem Abendessen ein, so muede war ich von der Nacht zuvor. Dafuer wachte ich fruehzeitig auf und kam noch vor Oeffnung bei den Aerzten der Armen an, um mir ein Stueck Baumwolle aus dem Ohr holen zu lassen, das mir von einem Wattestaebchen abgefallen war. Mein Ohr hatte sich naemlich oefter so angefuehlt, als waere ich im Schwimmbad.

Aus einem Fahrradladen nahm ich ein Bremskabel mit und zwei neue Lenkergriffe. Einer der beiden Alten war am kaputtgehen. Was fuer eine Erloesung, denn bei den alten hatte ich staendig schwarze klebrige Finger, weil sich wegen Altersschwaeche permanent der Gummi abloeste!

 Schliesslich fuhr ich zur Reifenwerkstatt, von der ich in einer der vielen Werkstaetten vom Vortag gehoert hatte, wo mich ein grosser Bodybuilder ganz in schwarz empfing.

„Ihre Reifen habe ich nicht“, meinte er nur und als ich mich erinnerte, dass man doch irgendwie auch nur die Luftkammer erneuern kann, schob er: „das ist kompliziert“ hinterher.

„Wo fahren sie denn nachher hin?“

„Erstmal will ich die Sache mit dem Reifen erledigen bevor ich irgendwohin fahre“.

„Ich verstehe. Warten sie!“

Er verschwand. Um wieder aufzutauchen mit:

„Fahren sie Ihren Bus in die Werkstatt. Ich werde Ihnen die Kammern erneuern, um Ihnen auszuhelfen.“

Ich wartete eine Stunde und schaute mir die herumliegenden Zeitschriften an. So sah ich, mit wem Brad Pitt nun zusammen ist und anderen mehr oder weniger interessanten Klatsch. Danach bekam ich die Rechnung: 78 Euro und das fuer zwei Reifen, die noch dazu aussahen, als waeren sie neu, denn sie waren in viel besserem Zustand als zuvor.

 Eigentlich gedachte ich, die Stadt so schnell wie moeglich zu verlassen nach dem ganzen Malheur. Doch als ich den naechsten ausgeschilderten Supermarkt ansteuerte, bei dem ich nach etwas Essbarem schauen wollte, kamen zwei junge Typen in einem alten Bus angefahren.

„Wir wollen auf’s Strassenkuenstlerfestival hier in der Naehe und wo willst du hin?“

„Keine Ahnung. Ich komme gerade dorther wo das Festival stattfinden soll; ich habe ein Hinweisschild gesehen. Es ist nicht weit, gerade zwei Doerfer weiter.“

„Wir verkaufen dort Getraenke, um ein bisschen Geld zu machen. Wir wollen nach Spanien und Marokko fahren.“

„Ich glaube, ich folge Euch.“

Wir fuhren im Konvoi. So kam es, dass ich vollkommen unverhofft auf einem Strassenkuensterfestival landete.

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