Strassenkuenstlerfestival

Ich schaute mir zwei wirklich faszinierende Strassenkuenstler an. Einer jonglierte mit Plexiglaskugeln, der andere vollfuehrte einen wahren Tanz mit einem Stab mit zwei brennenden Enden. Auch die Beiden, die mich hergefuehrt hatten, traf ich beim Getraenke verkaufen. Am spaeten Abend sassen ein paar Strassenkuenstler, die mit ihren Bussen da waren noch beisammen und ich gesellte mich zu ihnen.

« Wo kommst du her ? » wollten sie wissen .

« Aus Deutschland. »

« Wir waren vor ein paar Jahren in Deutschland fuer ein paar Monate. Es hat uns sehr gut gefallen. Vor allem finanziell war es viel besser als hier. In Deutschland haben schon die Kinder eigenes Geld im Portemonnaie. In Frankreich nicht. Wir machten mal 80 Euro in fuenf Minuten. Wir waren mit dem Bus dort, einem anderen, aehnlich wie deiner. Es war alles o.k. bis es kalt wurde und wir heizen mussten. Wir hatten einen Holzofen mit einem kleinen Schornstein und sobald Rauch herauskam, kam die Polizei und schickte uns fort. Wir konnten an keinem Ort mehr bleiben und waren gezwungen, zurueckzufahren. Wir waren echt traurig deswegen.

Aber manchmal bekamen wir auch Aerger mit der Polizei. Zum Beispiel wenn sie wollten, dass wir die Reinigung der Strasse bezahlten…

Und hier auf dem Festival gibt es drei Kategorien : die IN-Leute, die eingeladen wurden und viel Geld bekommen ; die OFF-Leute, die eingeladen wurden und wenig Geld bekommen und die OFF-Out-Leute, die nicht eingeladen wurden und gar nichts bekommen. Wir sind die OFF-Out-Leute. »

Ich fuhr zum Flohmarkt, den ich per Touristoffice ausfindig gemacht hatte, aber es war keine gute Idee. Ich tat mir auf dem Weg weh und hatte dann mit einer Nachbarin zwei Staende weiter die groessten Probleme. Sie fragte naemlich ziemlich bald mit meinem Nachbarn zusammen : « Haben sie die Standgebuehr bezahlt ? » Damit war es in der Regel aus.

Und schon kam der Aufseher vorbei und bat mich, als ich nicht zahlen wollte, weil ich die Sachen kostenlos anbiete, zu gehen. Ich packte also ein, waehrend ich mit einem schwulen Paerchen sprach, die an meinen Sachen interessiert waren, weil sie offensichtlich kein Geld hatten. Bis ein anderer Nachbar mich einlud, mich zu ihm zu stellen.

« Mein Stand ist bezahlt. »

Einer der beiden Jungs war jedoch im Tabakladen gewesen, in dem der Aufseher arbeitete und hatte mitbekommen wie die Frau ihn aufforderte die Polizei zu rufen ; sie koenne mich nicht mehr sehen. Dann kam sie vorbei und fragte noch einmal :

« Haben Sie den Stand bezahlt ? »

« Der Stand ist bezahlt », gab ich zurueck, woraufhin sie behauptete, ich sei unehrlich. Der Langhaarige der beiden Schwulen meinte : « Du hast kein Glueck, aber du wirst sehen : diese Frau ist dermassen neidisch, dass sie heute nachmittag nichts mehr verkaufen wird. Denn sie hat kein Herz. Und sie ist es, die unehrlich ist, denn ihre Familie holt ihr die Sachen aus dem Muell und sie verkauft sie zu einem stolzen Preis. Viel zu teuer. »

Auf jeden Fall packte ich mein Zeug zusammen ; ich hatte genug. Eine Frau hatte sich eine meiner Tueten genommen und war so freundlich mir dies mitzuteilen, doch als ich ihr sagte, ich braeuchte die Tuete, um die Sachen zurueckzubringen, wollte sie mir die Tuete nicht zurueckgeben. Gluecklicherweise gab mir eine andere Dame vom Stand gegenueber dann eine ihrer Tueten !

Ich lief noch mit den beiden Jungs zum Bahnhof. Dort kamen Bekannte von ihnen vorbei.

« Ich habe zwanzig Jahre in einem Bus gelebt », erzaehlte einer davon. « Doch jetzt habe ich keinen mehr und bin seit einem Monat auf der Strasse. Das Leben halt. Ich schlafe bei der Bibliothek . Doch ein Bus ist schon etwas Gutes. Ein eigenes Zuhause zu haben. Ohne hat man die ganze Zeit seinen schweren Rucksack bei sich. Aber ich will dieser Tage zu meinem Sohn. Er hat ein Auto geklaut und damit einen Unfall gehabt. Er liegt im Krankenhaus in kuenstlichem Koma. Weil die Schmerzen sonst zu stark waeren. »

Ich fuhr dann vorsichtig zurueck, denn das hintere Bremskabel war inzwischen gerissen. Ich kaufte jedoch gleich ein neues und reparierte es, nachdem ich zurueckkam.

Das einzige, was ich vom offiziellen  Programm sehen sollte war eine Inszenierung, in der es laut Ankuendigung um Nomaden gehen sollte. Sie liessen die Leute erstmal ewig warten. Dann kamen ein paar Schauspieler, die sich als Indigné, Sans papiers und aehnliches ausgaben. Dann hiess es wieder lange warten bis sie mit Helmen aus dem Camp kamen. Es war die Anspielung auf ein Konzentrationslager, in dem sie gelandet waren. Mir wurde schlecht. Genau das war es : erst Indigné, dann Konzentrationslager.

Ich hatte erstmal genug vom Festival und ging dumpstern. Ich fand einiges an Obst und Gemuese. Erst spaeter schaute ich mir nochmal den « Magier » an, wie ihn jemand nannte, der auf phaszinierenden Weise verschiedene Kristallkugeln und sogar ein Zwei-Euro-Stueck in der Luft kreisen liess und meinen Nachbarn, den phantastischen Feuerkuenstler.

Am Abend und zum Mittagessen sassen wir Nachbarn zusammen.

Der Feuerschlucker erzaehlte : « Wir lebten das letzte Jahr hier in der Stadt, nachdem wir drei Jahre mit dem Bus in ganz Frankreich unterwegs waren. Es tat uns gut, uns fuer eine Weile hier zu installieren. Erst waren wir im Squat. Es ist eine Squatstadt. Es gibt vielleicht dreihundert Stueck. Einige nur mit ein bis zwei Personen, aber andere mit vielen Leuten. Du koenntest dir mal welche anschauen. Einer ist ganz bekannt. Wir fahren dort vorbei, wenn du mitkommen willst… Aber wir wollen jetzt auch wieder raus auf’s Land. Die Stadt ist Babylon.

Und mit den Squats hier ist es so : wenn sie einen schliessen, oeffnen wir drei neue. Und das mit System. So werden es immer mehr. Und das, seitdem das Gesetz Lobsy II rauskam, in dem sie den Leuten verbieten wollten, in alternativen Habitaten zu wohnen. Da bildete sich eine Gruppe, die Haeuser besetzt hat und sie haben vor Gericht gewonnen. Das machte den Weg frei, Hausbesetzungen zu legalisieren.

Du hast sicher von der Occupy-Bewegung gehoert. Damit ist es jetzt vorbei. Sie haben ein Gesetz erlassen, das es erlaubt, auf die Demonstranten zu schiessen. Sowieso haben sie alle polizeilich aufgenommen. In Frankreich ist es genauso. Deshalb gibt es jetzt fast keine Demonstrationen mehr hier. Wir leben mitlerweile in einer Diktatur.

Jetzt haben sie eine kostenlose Telefonnummer eingerichtet, wo man Leute denunzieren kann. Dort kann jeder anrufen und sagen : ‘Der und der steht schon seit einer Woche auf dem Parkplatz.’ Und das ist verboten. Und wusstest du das ? Die Franzosen haben die Leute waehrend der deutschen Besetzung denunziert bevor die Deutschen danach gefragt haben !»

Zwischendurch berichtete seine Freundin: « Ab und zu holt er sich eine Benzinvergiftung. Einmal schlief er vier Tage und ich brachte ihn ins Krankenhaus. Am fuenften Tag ist er aufgewacht. Er hatte zu wenig Sauerstoff im Blut. Damals machte ich mir wirklich ernsthaft Sorgen. Die Tage hier verbraucht er zwanzig Liter Benzin. Normal machen wir bei sieben Litern am Tag Schluss, damit er der Gefahr der Vergiftung entgeht. »

Nachdem die anderen zum Reifen reparieren fuhren und wir uns verabschiedeten fuhr ich mit dem dritten im Bunde zum Kuenstlersquat. Er war allerdings wenig interessiert.

« Ich lass die lieber ihr Ding machen und fahre mit dem Fahrrad in die Stadt. Mich interessiert das wenig. Ich wohne selbst in einem Squat. »

Er kam trotzdem mit mir auf eine Rundtour durch die alte Fabrik, in der verschiedene Kuenstler ihre Werkstaetten hatten, fuhr dann jedoch weg ohne sich explizit zu verabschieden. Ich nutzte derweil einen der Computer fuer’s Internet.

« Entweder ich drueck mich aus oder ich deprimiere » stand als Slogan auf der Website der Fabrik…

Nach langer Pause war ich ziemlich lange im Internet und fuhr dann noch mit meinem Fahrrad umher, allerdings ohne etwas Essbares zu finden. Stattdessen fand ich Buecher.

Am naechsten Morgen fragte ich den Typ, der immer wortlos neben mir am Computer sass nach einer Dusche.

« Oh, die Dusche geht mal und mal geht sie nicht. «

Er stand auf und zeigte sie mir. Es lag eine Zange auf den kaputten Armaturen, um die Wasserhaehne aufzudrehen. Aber sie funktionierte.

Zum Dank befreite ich die Toilette und den Gemeinschaftsraum von einigen dutzend Spinnweben. Nach dem Fruehstueck machte ich mich startklar zur Abreise, wusste jedoch nicht wohin genau ich fahren sollte. Doch just in dem Moment, in dem ich losfahren wollte, kam der Schauspieler mit seinem Auto vorbei.

« Ich fahre mit den anderen zu Freunden nach Wunderland. »

« Oh, ich wollte eventuell auch dorthin zurueck fahren, denn ich war dort bevor ich herkam. Vielleicht kann ich mit Euch fahren – im Konvoi. »

« Ja, komm. »

« Ich muesste nur tanken bevor wir losfahren. »

« Alles klar. »

Er lieh mir seine Geldkarte, so dass ich direkt tanken konnte ohne in der Schlange zu warten. Er schaute nicht einmal nach wie viel es gekostet hatte und nahm mein Geld dankend an. Pures Vertrauen.

Die anderen schienen jedoch weniger begeistert, dass ich mitgekommen war.

« Wir besuchen einen Freund, bei dem wir eine Person mitbringen koennen, aber keine zwei… »

« Kein Problem. »

« Aber komm bei uns zu Hause vorbei, wenn du willst… »

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