Neue Initiativen für eine andere Welt

Bei einer Freundin fiel mir ein Buch mit dem Titel „Ich schaffe das! Wie ich erreiche, was ich will“ in die Hände und ich schrieb mir Folgendes daraus in mein Tagebuch ab:

Glaubenssätze:

  1. Es gibt immer die Möglichkeit, die Dinge zum Besseren zu wenden, wenn ich mich wirklich ernsthaft bemühe.
  2. Es gibt im Leben keinen Misserfolg, kein Versagen. Solange ich aus Fehlern lerne, bin ich erfolgreich.
  3. Meine Vergangenheit ist nicht meine Zukunft.

Gehirntraining:

  1. Setzen Sie sich zweimal täglich für ein paar Minuten ruhig hin und denken Sie über ihr Ziel nach. malen Sie es sich in den schönsten Farben aus.
  2. Stellen Sie sich lebhaft vor, wie Sie Ihr Ziel erreichen. Spüren Sie Ihre ganze Freude…
  3. Konzentrieren Sie sich zehn Tage lang ausschließlich auf Lösungen, nicht auf Probleme.

Ich kann den Titel nicht im Internet finden und habe das auch nicht wirklich umgesetzt, aber es machte mir in dem Moment, in dem ich es las Mut, Dinge etwas anders als gewöhnlich zu sehen. Und vielleicht funktioniert es ja für jemand anderen…

Während des Praktikums war ich fast jeden Abend unterwegs, weil es so viele interessante Veranstaltungen gab. Einen Abend sah ich mir den Film „Voices of Transition“ an, den die Transition Town Bewegung der Stadt an der Uni vorführte. Der Film zeigt neue Ansätze, Landwirtschaft zu betreiben mit konstruktiven und äußerst ermutigenden Beispielen aus England, Frankreich und Kuba, wenn ich mich recht erinnere. Alles wird biologisch und gemeinschaftlich angebaut und regional abgegeben. Anschließend meldeten sich in der Runde Leute, die generell an neuen Initiativen in der Gegend mitarbeiteten und stellten sie kurz vor. Eine davon war die sogenannte Garten-Coop, von der es mittlerweile ganze drei im gesamten Einzugsgebiet gab.

Eine davon lernte ich durch einen Bekannten von früher näher kennen, den ich beim Singen wiedergetroffen hatte. Er hatte gerade eine Operation hinter sich und sein ganzer Arm war stillgelegt. Er lud mich ein, bei ihm eine Nacht zu bleiben, genau in dem Augenblick, als ich Bedarf hatte, da ich da, wo ich vorher war für ein paar Tage verschwinden musste. Dann kamen allerdings seine Kinder zu Besuch und er brauchte den Raum für sich. Ich besuchte ihn von da an jedoch ab und zu und ging mit ihm mehrmals zur Verteilstelle, an dem die Leute, die an der Garten-Coop angeschlossen waren, einmal pro Woche ihr Gemüse abholten. Es war im Keller eines alternativen Wohnhauses, dessen Tür mit einem Zahlencode zu öffnen war. Gemüse und Salat stand in verschiedenen Kisten herum. Auf einem Tisch lag eine Liste mit der Angabe wie viel von allem jedem zusteht und mittels zweier altertümlicher batteriefreier, also ökologischer Waagen wogen wir die jeweiligen Portionen ab, bevor wir die schwere Tüte mitnahmen.

Eines Tages sah ich dann ein Lastenfahrrad vollgepackt mit Gemüsekisten bis obenhin auf einem Anhänger auf der Straße vorbeifahren – ein wahrhaft lustiger Anblick. Als ich an einem Abend bei der Einführungsveranstaltung der Garten-Coop teilnahm, erfuhr ich, dass es einer von den Abonnenten war, der das Gemüse zu einer der Verteilstellen in der Stadt gebracht hatte. Das Ganze läuft unter dem Begriff ’solidarische Landwirtschaft‘ und in den letzten Jahren hat sich diese Idee sehr schnell verbreitet. Die Gärtner werden fair bezahlt, die Gesamtkosten pro Jahr ermittelt und jeder darf als Abonnent selbst entscheiden wie viel er oder sie monatlich bezahlen will. 120 Euro im Monat war in diesem Fall der Richtwert, wobei einige nur 50 Euro, andere jedoch 190 Euro zahlten. Jeder ist angehalten, eine gewisse Stundenzahl pro Monat mitzuhelfen, entweder auf dem Acker oder beim Verteilen. Einmal pro Woche wird der Verteilraum gemeinsam gereinigt und überschüssiges Gemüse sogar Nicht-Abonnenten zur Verfügung gestellt. Eine klasse Sache finde ich. Vor allem, weil es biologisch und regional ist. Infos gibt’s auf solidarische-landwirtschaft.org.

Ich erfuhr dann auch, dass es einmal im Monat in den Räumen eines Altenheimes an einem Sonntagnachmittag ein Nähcafe gab. So hob ich all meine zu flickenden Sachen auf, um sie dann im Beisein von anderen zu nähen. Als ich zum ersten Mal hinkam, waren über zehn Leute da, vor allem junge Frauen. Überall klapperten die Nähmaschinen. Die Initiatorin stellte sich mir vor.

„Herzlich Willkommen! Wir haben zwei Nähmaschinen zur Verfügung für Leute, die keine eigene Nähmaschine mitgebracht haben. Dort in der Kiste gibts Garn und andere Utensilien und an der Theke Kaffee und Kuchen gegen eine Spende. Wer will, kann einen Kuchen mitbringen.“

„Danke, ich glaube, ich nähe erstmal mit der Hand.“

Ich fand das Ganze sehr sympathisch, vor allem, weil ich sonst immer alleine nähte, wenn es was zu flicken gab. Ganze vier Sachen hatte ich mitgebracht.

„So macht das viel mehr Spaß!“

„Ja, das finde ich auch. Deshalb habe ich das auch initiiert.“

Beim Umherstreifen durch die Stadt fiel mir der Schlafplatz eines Menschen ohne Zuhause ins Auge, der nicht zu übersehen war, denn er war mitten auf einem recht belebten Platz. Ein großes buntes indisches Tuch war über seine Isomatte und seinen Schlafsack gespannt und bildete so ein nicht gerade wasserdichtes Dach. Daneben standen kunstvoll einige Möbel und andere Dinge.

„Ist das eine Installation, oder was?“ fragte ich den aus dem Schlafsack lukenden Jungen etwa Mitte zwanzig, der mir sofort unglaublich sympathisch war. Ich ging fortan öfter bei ihm vorbei, brachte ihm mal was Warmes zu Trinken, mal Kleidung, die ich gedumpstert hatte oder was zu essen mit.

„Die Polizei kommt jeden Tag vorbei, um mir zu bestätigen, dass ich bleiben darf. Zumindest für zwei Wochen. Da drüben im Park wäre es verboten. Blöd ist nur, wenn ich mal weggehe, dann wird mir meistens was geklaut. So bleibe ich die meiste Zeit hier oder gehe weg, wenn jemand aufpasst. Ich war schon in der Psychiatrie, aber was soll ich denn da? Die wissen doch selbst nicht, was sie mit uns anfangen sollen außer Medikamenten zu verabreichen. Da bin ich lieber draußen.“

Die Gespräche mit ihm haben mich dazu inspiriert, ein paar Aphorismen zu schreiben. Das kam dabei heraus:

zum Leben ohne Zuhause:

„Wer auf der Straße zuhause ist, ist überall zuhause“

oder anders ausgedrückt

„Das Leben auf der Straße hat einen entscheidenden Vorteil:

man ist überall Zuhause“

„überall und nirgendwo zuhause“

„Das Leben auf der Straße ist ein Universum für sich“

„Alles steht und fällt mit dem Respekt“

Zum Leben ohne Geld:

„Ohne Geld leben zu können ist mehr wert, als ein Sechser im Lotto“

„Das Glück ohne Geld zu Leben ist gar nicht zu beschreiben“

„Ohne Geld zu leben steht auf der Glücksskala ganz oben“

„Wir sind nicht käuflich!“

und über Reichtum:

„Was nützt dir all der Reichtum dieser Welt, wenn du ihn nicht teilen kannst? 

oder auch

„Aller Reichtum dieser Welt nützt dir nichts, wenn du ihn nicht teilen kannst“

„Sind die reichsten Menschen dieser Welt nicht die Ärmsten in ihrem Herzen?“

und insgesamt 

Ohne Liebe geht gar nichts 

Abends ging ich ja öfters Containern für Obst und Gemüse, das bei den Foodsharing-Verteilstellen rar war. Manchmal traf ich dabei andere Leute. Einmal zeigte mir jemand glatt, wie man eine verschlossene Tür recht leicht öffnen konnte, echt cool. Ein andermal waren bei einem Bioladen gleich fünfzehn Leute. Far too much for my taste. Containern ist zum Volkssport geworden. Dabei hat mir jemand beim Trampen erzählt, Containern sei in Deutschland per Gesetz verboten worden. In Frankreich hingegen hat die Nationalversammlung in diesem Jahr beschlossen, dass Supermärkte einer Größe von mehr als 400 Quadratmetern abgelaufene Lebensmittel entweder an einen Verein abgeben müssen, der diese an Bedürftige verteilt oder sie zur Verfütterung von Tieren abzugeben oder sie der Kompostierung zuzuführen hat.

Was ich noch sehr mochte an den neu entstandenen Projekten in unseren Landen waren die offenen Gemeinschaftsgärten an verschiedenen Orten in der Stadt. Da ging man in einem Park oder an einem öffentlichen Platz spazieren und kam an einem Stück mit bepflanztem Obst und Gemüse vorbei und durfte sich frei nach Schnauze was nehmen, ohne vorher mitgeholfen zu haben. Das war doch was. Ich nahm zwar nichts mit, aber die Möglichkeit war das, was zählte.

Einmal nahm ich an dem Workshop einer Trommelgruppe teil, die bei Demonstrationen für Getöse sorgen. Es waren nette und engagierte junge Leute und ich war beeindruckt, mit welcher Geschwindigkeit und Disziplin sie brasilianische und andere Rhythmen runterrasselten. Da gings echt ab. Leider war der Altersunterschied zu groß und mir das Ganze zu politisch, sonst wäre vielleicht ein Traum von vor vielen Jahren in Erfüllung gegangen, einmal in meinem Leben in einer Sambagruppe mitzuspielen…

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