Auf dem Pilgerweg

Ich saß dann lange am Strand und schrieb bis die Sonne unterging. „OBEY“ stand in großen Lettern auf einem T-Shirt, als ich am Morgen durch die Straßen l

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ief. Dann: „THINK BIG – chaque pas conte“ –  „DENKE GROSS – jeder Schritt zählt“. Als ich bei der Kirche vorbeschaute war gerade die Rede davon, dass Jesus niemanden bedrohen würde.

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Auf einem kleinen Fotomarkt traf ich einen Photographen und Jakobspilger, der ausgerechnet aus dem Ort neben meiner geliebten Gemeinschaft kam.

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Er erzählte mir, dass er schon als Kind zusammen mit seinem Vater zur Gemeinschaft gegangen wäre, um Brot zu kaufen. „Viele kommen dorthin, aber nur wenige bleiben. Bei uns im Ort gibt es einige Leute, die eine Zeit lang in dort waren und jetzt außerhalb wohnen. Sie sagen das nicht, aber es ist wahr, dass viele gehen. Und was machst du jetzt?“
„Ich weiß auch nicht. Ich fühle mich verloren. Ich habe meine Zukunft da reinprojiziert und jetzt ist alles geplatzt.“
Da ich wirklich nicht wusste, was tun, ging ich zu der Stelle, an der ich sah, dass eine kleine Wohnung zu vermieten war und nebenan Zimmer. Die Frau im Restaurant daneben bot mir an, die Vermieterin anzurufen und fluchs hatte ich ein Zimmer mit Bad, das ich billiger bekam wie normal. Es waren noch zwei kanadische Paare da, mit denen ich mich am abend angeregt unterhielt. Und sass dann im Garten, las im GEO-Heft und schrieb.
„Activez votre force intérieur“  – „Aktiviert Eure innere Kraft“ stand auf einem Plakat. „Losermachine“ stand auf dem Pulli des Verkäufers neben mir. Genauso kam ich mir auch vor. Aber ich hatte irgendwo gelesen, dass es im Silicon Valley geradezu eine Kultur des Verlierens gab, denn nur, wer verloren hätte würde irgendwann einmal gewinnen.

Das Leben half mir wieder, um über meine Verluste hinwegzukommen. Ausserdem lief mir noch „Keep your love“ und „Envia de Ganghar“ – „Lust zu Gewinnen“ über den Weg.

Es war gerade Markt und ich sammelte ein wenig Obst und zwei Brote auf und kam mit zwei Leuten ins Gespräch. Die Frau erzählte, dass ihre Eltern politisch Verfolgte in Spanien waren und sie dann nach Frankreich gekommen sind. „Ich selbst habe beide Staatsbürgerschaften.“
Als ich von der Gemeinschaft erzählte, wurde sie total neugierig. „Ich bin katholisch erzogen und mit allem, was nach Sekten aussieht, bin ich vorsichtig.“ Der Mann ließ verlauten, dass er vor zweiundzwanzig Jahren bei ihnen gewesen ist und sie ihn rausgeschmissen hätten. Wir stellten fest, dass wir drei etwas gemeinsam hatten und das war, die Wahrheit zu sagen. „Manchmal darf man nicht die Wahrheit sagen“, meinten sie beide einhellig.
„Meine Schwester bleibt bei ihrem Mann, nur damit sie ein Dach über dem Kopf, zu Essen und Kleidung hat. Das wäre nichts für mich. Ich bin da anders. Ich habe mich von meinem Mann getrennt, aber ich habe vier wunderbare Kinder, die jetzt alle Anfang bis Mitte zwanzig sind.“

Sie fuhr mich dann noch zum billigen Kleiderladen, der jedoch an dem Tag  ausnahmsweise geschlossen hatte und danach ließ ich mich zu einer günstigen Herberge bringen, wo ich eigentlich nur fragen wollte wie es wäre mit einer Übernachtung, aber erst hieß es, sie wären komplett ausgebucht und eine Minute später gab er mir doch ein guenstiges Zimmer. Er käme am nächsten Morgen zum Abrechnen.

„Es ist doch normal, dass man an seinem Leben hängt,“ las ich auf einem Video in der Bücherei, in der ich mich jedoch nicht lange aufhielt, weil sie fuer meinen Geschmack zu klein war. „Enjoy the Summer“ hieß es.

Am Abend traf ich nochmal den Mann, mit dem ich mich am Marktplatz unterhalten hatte und die Dritte im Bunde kam auch gerade mit dem Auto vorbei und hielt an. Sie wurde aber gleich von jemandem angerufen und unterhielt sich kaum noch mit uns. Und er wiederholte immer wieder das Gleiche: „Das Geld hat die Menschen verdorben.Das Geld hat die menschen verdorben. Das Geld hat die Welt zerstört. Das Geld hat die Welt zerstört.“ Er hatte recht. Wir liefen zusammen zum Hafen.
„Hier am Hafen kann man zuschauen wie die Fischer ihre Boote ausladen. Das kann man sonst nur in Spanien oder viel weiter noerdlich von hier sehen. In Spanien bekommen die Leute fürs Fischen viel mehr finanzielle Hilfe als in Frankreich.“
Wir liefen zusammen zum Ausladedock, aber es war leider gerade kein Fischerboot da.

In den Kirchen, in denen ich war, stand an den Stellen, an denen man die Kerzen aufstellt das Gebet „Herr, vergib mir meinen Stolz, meinen Egoismus und jegliche Unreinheit.“ Stolz und Egoismus, zwei wichtige Stolpersteine auf dem Weg…

In der Pilgerherberge war ein bärtiger Spanier, der ein T-Shirt mit der interessanten Aufschrift  „Töte lieber die Dinge, von denen du abhängig bist bevor sie dich töten“ trug. Ich sprach ihn darauf an.
„Das ist ein Spruch von Arnold Ehret, einem deutschen Naturheiler, mit dem ich mich geheilt habe. Ich habe 42 Kilo mehr gehabt wie heute und Tabletten gegen alles genommen, den ganzen Tag nur gesessen bei der Arbeit und mich ganz schlecht ernährt. Und jetzt ernähre ich mich gesund mit viel Obst und Gemüse und nehme keine einzige Tablette mehr.“ Er zeigte mir Fotos von sich von früher und heute. Er war ein ganz anderer Mensch. Und so begeistert von der Methode von Arnold Ehret und anderen deutschen Naturheilkundlern, die vor allem ueber Fasten, Desintoxikation und eine gesunde Ernährung die Leute heilen, dass er vor Begeisterung und Enthusiasmus nur so sprühte. Ich hatte von dem 1922 verstorbenen Arnold Ehret noch nie gehört. Beim Frühstück unterhielten sich ein paar Deutsche über ganz spezielle Pilger: „Es gibt Pilger, die sehr schnell laufen, um vor sich selbst wegzurennen“.

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„Gib immer das Beste von Dir und das Beste wird zu dir kommen “ war auf dem Display einer Häuserwand zu lesen. Auf einem Bus war eine Königin mit einem Totenkopf abgebildet. Hinter sich hatte sie ein Schwert, mit dem ein Herz durchbohrt war.
„Es gibt magische Könige. Und Königinnen?“war die Frage auf einer Tasche einer jungen Frau. Da die Geschäfte noch geschlossen waren, setzte ich mich in ein Café. „… to start again“. Dann kaufte ich mit dem Geld, das mir meine Mutter geschenkt hatte groß ein: einen neuen Rucksack, einen Schlafsack, eine Unterlegmatte… Doch als ich herauskam, setzte ich mich auf die Bank und dachte, lieber wäre ich bei der Gemeinschaft. Und plötzlich sah ich ein Auto von ihnen ganz langsam in der Nähe vorbei fahren, aber ich schaute weg und versteckte mich hinter meinem Hut. Dann kamen sie zurück und fuhren ganz langsam. Ich schaute nur zu und schaffte es nicht, zu reagieren. Ich war wie paraysiert. Dann war ich todtraurig darüber und wartete,  aber sie kamen nicht wieder. Da wusste ich, dass ich einen weiteren riesigen Fehler gemacht habe. Statt ihnen zu winken hatte ich mich versteckt. Und das, genau nachdem ich Geld von meiner Mutter für eine neue Ausrüstung ausgegeben hatte!
Entsprechend negativ verlief der restliche Tag.

Mir kam ein Auto mit Totenköpfen entgegen, ich fand den Weg nicht und als ich in einen Laden ging, um einige meiner Papiere zu scannen, da fehlte mir richtig der Kopf, mich darum zu kümmern. Noch dazu erzählte der Betreiber des Ladens von jemandem, der wenn er anhielte, sterben müsse. Ich glaubte, das das auch auf mich zutraf. Und wo vorher ständig LOVE auf den T-Shirts stand, las ich jetzt ein MOVE. Und „go further“. So ging ich aus der Stadt heraus. Schon bald nachdem ich die Stadt hinter mir gelassen hatte, hielt ein Auto neben mir an und die Leute fragten mich wo ich übernachten würde.

„Fragen sie doch bei dem Haus da unten, denn danach kommt nichts mehr“, schlugen sie vor. So tat ich das dann auch. Und siehe da, nach einiger Zeit, die der Kfzmechaniker sich mit mir unterhalten hatten, lud er mich ein, in seinem Büro zu übernachten.
Dann kam seine halb vietnamesisch-halb baskische Tochter zu mir, um mit mir Englisch zu lernen. Schließlich luden sie mich zum vietnamesischen Abendessen ein. Es gab gefüllte Teigtaschen. Sie wurden nach und nach am Tisch zubereitet und sehr lecker. Noch dazu hatte ich noch nie vietnamesisch gegessen.

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Ich wachte um drei Uhr auf und konnte nicht mehr schlafen. Zum Glück schaute ich ins Internet und da stand „Hinfallen, Aufstehen, Weitermachen“, denn ich war wirklich total unglücklich über den Lauf der Dinge. „Die Hoffnung stirbt zuletzt „, hatte der Ladenbesitzer, bei dem ich Papiere einscannen wollte noch gesagt. Am Morgen hörte ich jemanden „alles wird gut“ sagen und ich hatte jetzt zum wiederholten Male festgestellt, dass genau wenn das jemand sagt, die Katastrophe nicht weit entfernt ist.

Ich lief dann durch die Hügellandschaft und entdeckte ganz zufällig einen Cromlech, an dem ich längere Zeit verweilte.

Ich lief bis zu einem grösseren Ort, aber statt weiter auf dem Jakobsweg entlangzulaufen nahm ich den Fahrradweg, der zu einem Ort mit Pilgerherberge führte.

Das wäre alles ok gewesen, hätte ich nicht den falschen Hügel  erklommen. Ein paar Männer auf einer Bank fragten, wo ich hinwolle und sie empfahlen mir, einen Bus zu nehmen. Schließlich fuhr mich einer von Beiden mit dem Auto zur Pilgerherberge. Ich bekam einen Platz im Keller, da schon alle Plätze belegt waren und konnte die neue Unterlegmatte einweihen. Der Hospitaleiro war von mir total begeistert. „Du bist glücklich“. „Stimmt, aber nur weil ich bei der Gemeinschaft war, die hier oben auf dem Hügel ist.“ „Aber du bist gut angezogen.“ „Meine Mutter hat mir Geld gegeben und das T-Shirt habe ich eben für einen Euro in einem Second Hand Laden gekauft.“
„Wo ist denn ein Second Hand Laden? Ich wohne hier und habe noch nie einen gesehen.“ Ich erklärte ihm, wo der Laden war und er meinte wir müssten jetzt ins Bett.

Aus Frankreich hatte ich ein Papier von einem Verein Terre solidaire (solidarische Erde) mitgenommen, auf dem stand, wie man ein verantwortungsvoller Bürger werden kann: Zuhören, Verstehen, Hoffen, Glauben, Getrauen, Handeln, Feiern. Klingt doch ganz einfach, oder?

In der nächsten Stadt traf ich einen Chilenen. Er fragte nach Heilung. Ich gab und erzählte ihm etwas von Bruno Gröning und diverses andere wie basische Ernährung, Bewegung und Glauben an Gott, was er gar nicht so gerne hören wollte. Er zeigte mir einen Rahmen mit buntem Sand, der sich bewegte, wenn man ihn schüttelte. Er hatte ihn gefertigt, um ihn zu verkaufen. „Das habe ich vor dreißig Jahren auch schon gemacht. Ich wollte es verkaufen. Ich brauche Geld, um mir etwas zu Essen zu kaufen.“ Ich erzählte ihm von einer günstigeren Variante, um an Essen zu kommen, dem Containern. Er meinte, er wäre ein ehrlicher Mensch. Aber er hatte Tränen in den Augen, als er von seinen Kindern erzählte, die er gerne sehen würde und nicht kann, weil das Ticket, um nach Chile zu fliegen zu teuer ist.

Als ich an dem Platz ankam, wo ein eifriger Jakobspilger Wasser aufgestellt hat und auf den ich mich schon freute, da ich ihn schon kannte, hielt ich an und fragte den Pilger nach einer Karte. Er empfahl mir den Weg von Sevilla aus, die Via de la Plata, aber im Oktober. Sonst wäre es zu heiß.

Als ich zurück an die Wasserstelle ging, war dort ein Deutscher, wie an seinem T-Shirt zu erkennen war, das auf einen speziellen Lauf aufmerksam machte, den er selbst mitgemacht hatte. Wir liefen zusammen weiter und tauschten uns über alle möglichen Sachen aus. Er war Veganer, war schon viel mit dem Fahrrad unterwegs gewesen und jetzt zum ersten Mal von zu Hause aus auf den Jakobsweg gegangen. Am 1. April war er losgezogen und nur einen kleinen Teil getrampt. Er schlief fast immer im Zelt.
Wir liefen etwa 27 km zusammen und schliefen auf einem Grundstück mit Obstbäumen neben einem Hühnerstall. Ich baute mein Lager neben seinem Zelt auf und profitierte von seinen Zeltstangen, an denen ich meinen Regenumhang zu einem Zelt umbaute. Ich schlief auch wirklich gut.
Wir hielten bei einem Wohnmobil mit Hamburger Kennzeichen an, der mit seinem frisch ausgebauten Wagen auf einem Platz stand.

Er war ein Familienmensch, der seinen Job als Operationsassistent in einem Krankenhaus drei Jahre nach seiner Ausbildung hingeschmissen hatte und jetzt erstmal nach Portugal fuhr. Wir unterhielten uns über alles mögliche. Peter erzählte aus seinem Leben als Veganer, das er seit zwei Jahren war. Zum Abschluss meinte Henning: „Ich weiß noch nicht, wie lange ich es ohne meine Familie aushalte. Für mich ist es wichtig, da zu sein, wenn mich die Leute brauchen. Entscheidend ist auch, die Leute nicht zu belehren.“
Und ich erzählte Peter fast mein gesamtes Leben innerhalb kürzester Zeit. Er war ein guter und geduldiger Zuhörer. Und er hatte mir auch eine Geschichte von einem Mann in seiner Heimatstadt zu erzählen, den er einmal kennengelernt hatte.
„Als ich ihn zum ersten Mal sah, machte er den Eindruck, als wäre er ein Penner, dabei war er durch eine Erbschaft reich geworden. Ich hatte ihm damals viel geholfen, war mit ihm überallhin gegangen, zum Notar und zum Rechtsanwalt. Ich war wie ein Sohn für ihn gewesen. Er hat sogar ein Testament gemacht, in dem ich alles erben soll, da er ja keine Kinder hat. Doch plötzlich hat er Angst bekommen wegen seinem Bruder, mit dem er irgendwie zerstritten war. Und er hatte das Gefühl, dass dieser ihn über den Tisch ziehen wollte. Deshalb nahm er sich einen Rechtsanwalt, um sein Erbe zu erhalten. Aber irgendwann tauchte er bei mir auf, weil er Angst hatte, in der teuren Eigentumswohnung seiner Mutter zu schlafen. Ich habe ihn noch ein paar Tage beherbergt, aber dann wurde es mir zu viel. Er war auf einmal verschwunden und wollte aber, dass ich mich jeden Tag bei ihm melde. Aber irgendwann habe ich ihn nicht mehr erreicht und auch nichts mehr von ihm gehört. Bei dem ganzen Zeug habe ich gemerkt wie schwierig es ist, in manchen Fällen an sein Erbe ranzukommen. Ohne Rechtsanwalt ist das kaum möglich.“
Wir wollten dann nach etwa 25 km auf einem Berg schlafen, wo es eine Überdachung an einer Hermitage gab, die mir Schutz hätte geben können im Falle, dass es regnet. Es kam aber alles anders. Erst kam ein Mann mit einem Hund vorbei, der zu schauen schien, was hier so vor sich geht. Und danach kam ein Typ mit Karacho mit einem schwarzen Wagen angeschossen und hielt unweit von mir an. Mir war sofort Angst und Bange. Dann drehte er nochmal ganz aggressiv eine Runde auf dem Platz, auf dem ich auf einer Bank saß. Schließlich stieg er aus und machte Photos von seinem Auto bevor er sich hinstellte und eine Zigarette rauchte. Ich hatte die ganze Zeit dermassen Angst, dass ich zum Zelt ging und meinen Mitpilger bat, umzuziehen, obwohl er schon „im Bett“ lag. Er packte alles zusammen und wir liefen kurz vor Einbruch der Dunkelheit weiter. Zum Glück war nur ein Stück weiter eine Herberge und wir durften auf dem Grundstück gegenüber Zelten.
„Das war die Polizei in Zivil“, klärte uns die Frau in der Herberge auf. „In Spanien ist wild campen verboten. Die machen Fotos, um Strafzettel zu verteilen. Aber bei mir seid Ihr beschützt.“
Wir waren glücklich, diese Möglichkeit gefunden zu haben und ich fühlte mich wirklich beschützt. Ich baute mir wieder ein Zelt hinter seinem, indem ich von seiner Zeltstange profitierte. Diesmal wurde es schon besser als beim ersten Mal und ich schlief auch super.

Wir wanderten am naechsten Tag wieder die meiste Zeit zusammen, aber auch mal alleine für eine zeitlang. In einem Ort setzten wir uns in ein Café. Ein Mann auf der Straße zeigte uns die Herberge auf Spendenbasis und einen Supermarkt, wo wir uns eindeckten. Als wir weitergingen, merkte ich, dass es für mich nicht stimmte, weiterzulaufen. Es fing auch leicht an, zu regnen. Er wollte noch acht Kilometer weitergehen bis zu einem Kloster. So  verabschiedete ich mich und ging in die Herberge.

Ich wachte auf mit dem Gedanken, mit deutschen Männern deshalb oft Schwierigkeiten zu haben, weil sie einen einfach übergehen. Einen nicht fragen, ob etwas ok für einen ist. Weil sie sich oftmals nicht in einen einfühlen, sprich nicht einfühlsam sind. Weil sie einen dazu zwingen wollen, etwas zu tun, was man nicht will. Was zwar auch bei Menschen in anderen Ländern passieren kann, aber doch weitaus seltener der Fall ist. Ich merkte umgekehrt also, wie wichtig es ist, andere Menschen zu fragen, ob etwas ok für sie ist – anstatt sie zu übergehen.

Born to be free

Ich verbrachte einen Nachmittag im Jugendinfozentrum, wo ich ins Internet gehen konnte und mit einer Mitarbeiterin sprach, die gehbehindert war und den Jakobsweg mit einem Pferd gemacht hat. Es muss allerdings sehr beschwerlich gewesen sein, nach dem, was sie so berichtete. Dann nahm ich den Bus und fuhr zwei Orte weiter. Beim Herumstreifen sah ich eine sympathische Frau an einem Fenster stehen, das ich eigentlich fotografieren wollte und wir begannen, uns zu unterhalten. Sie kam herunter und führte mich durch Gassen, die ich noch nicht kannte und zeigte mir den Botanischen Garten, den ich bisher auch noch nicht entdeckt hatte, obwohl ich schon ein paar Mal für einige Tage in der Stadt gewesen war. Nur zum Übernachten wusste sie keine Lösung.
„Wir selbst leben zu sechst auf fünfzig Quadratmetern. Das ist das einzige, was etwas stört, aber ich bin so dankbar, dass wir seit einem Jahr hier wohnen.“
Ich fragte dann verschiedene Personen, ob sie wüssten wo ich übernachten könnte und schließlich sagten mir ein paar junge Leute, ich solle beim Inder fragen. Und siehe da, ich wurde von den Indern, die einen Schnellimbiss hatten eingeladen, in dem Apartment obendrüber zu übernachten, in dem einer der Beiden wohnte. Ich hatte ein ganzes Zimmer für mich und war glücklich.

 

 

 

Am nächsten Morgen zog ich mit Sack und Pack los und ging in den Botanischen Garten, wo ich ins Gespräch mit einem älteren Pärchen kam, denen ich begeistert von meinem Leben erzählte, worüber sie sich sehr freuten. Dann fand ich in einem Gebäude einen Flyer, in dem jemand von seinem total veränderten Leben durch Jesus Christus erzählte und ich wollte mal zu der Gemeinde gehen, auf der im Flyer hingewiesen wurde. Dabei kam ich in einer sehr interessanten Straße vorbei, in der es ein paar schöne alternative Läden gab.

 

 

 

Ich sprach spontan einen Typen an, der mit seinem Laptop in einem Straßencafé saß. Er arbeitete für einen Verein, der in Schulen Wissen über Bienen an die SchülerInnen verbreitete. Er lud mich zu einem Kaffee ein.
„Wir sind alle auf dem Weg“ sagte er, nachdem ich ihn vom Jakobsweg erzählt hatte, den er auch mal ein Stück weit in Frankreich gegangen war und zwar von Le Puy bis Conques. „Ich habe damals gezeltet. Und hatte sogar einen Kocher dabei, um mir etwas Warmes zu kochen.“
Danach kam ich an einem Second Hand Laden vorbei und kaufte mir einen Bikini, um an den Strand und ins Meer gehen zu können. Die Frau erzählte mir ebenfalls ganz begeistert von der Region, in der sie schon fünfzehn Jahre wohnte. Auf dem Land wären die Leute sehr verschlossen. Man bräuchte viele Jahre, damit sie sich öffneten. „Wenn sie sehen, dass man sein Haus baut und sich über Jahre hin korrekt verhält, dann akzeptieren sie einen irgendwann mal.“
Ich überlegte, wo ich übernachten könne und fragte mal bei der Pilgerherberge nach, obwohl ich ja schon aufgehört hatte zu Pilgern. Ich durfte bleiben, musste meinen Rucksack jedoch im Eingangsbereich stehen lassen wegen der Gefahr von Bettwanzen. Es war noch ein Australier zu Gast.
Er erzählte uns beim Abendessen, er wäre zwei Mal verheiratet gewesen.

„Ich habe nie in meinem Leben etwas bereut. Als ich aufgehört habe, bei der Navy zu arbeiten, habe ich meine erste Frau kennen gelernt und Kinder bekommen.“
Später unterhielt ich mich noch mit einer Kalligraphin, die neben weiteren Menschen einen Stand mit ihrer Kunst im Kreuzgang der Kathedrale hatte.
„Wenn etwas nicht geklappt hat in meinem Leben, dann war es nicht das Richtige oder es war nicht der richtige Zeitpunkt. Das ist doch klar. Du bist einfach ein freier Mensch. Das Ziel deines Lebens ist es, frei zu sein. Wenn dir jemand die Freiheit nehmen will, geht das für dich nicht. Man kann einen freien Vogel nicht in einen Käfig sperren. Und es gibt Käfige aus Gold, die auf Vögel warten, um sie in sie reinzustecken.“
Wir unterhielten uns über den Tod. „Der Tod ist nur eine Passage“, meinte sie.  „Wir machen alle Fehler. Aber Gott ist barmherzig“.

Am nächsten Tag war mein Geburtstag. Unsere Gastgeberin fuhr mit dem Australier und mir zum Strand, um im Meer zu baden. Es war herrlichstes Wetter. Danach fuhren wir zum Leuchtturm, um die herrliche Aussicht zu genießen und anschließend zum Hafen, um dort in einem der kleinen Restaurants einen Kaffee zu trinken. Anschließend gingen wir noch zum besten Eismann der Welt ein Eis essen bevor ich am Abend zum Essen eingeladen wurde. Es war insgesamt ein wundervoller Tag, über den ich selhr glücklich war. Beim Abendessen waren neue Pilger dabei und die Franzosen waren wie immer sehr begeistert, wenn ich von meinem Leben und meiner doch etwas außergewöhnlichen Lebensweise erzählte. Immer wenn ich gerade dabei war, mir zu überlegen, ob ich daran nicht  etwas ändern wollte, da meinten sie, das wäre doch so toll, was ich da für eine Art zu Leben gefunden hätte und das sollte ich doch auf jeden Fall weitermachen! Es war ein älterer Herr aus Paris dabei, der mich zu sich einlud, falls ich mal in der Gegend sei und auch wenn ich etwas bräuchte zum Überwintern. Er war ein Polizist und so wie ich es verstanden hatte bei der Truppe, die bei Demonstrationen im Einsatz waren. Aber das Schöne am Jakobsweg ist ja, dass ganz egal ist, was jeder macht. Alle sind darauf gleich. Hier der Australier mit meiner überaus freundlichen Gastgeberin:

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Worte, die zu mir kamen:

„Reste libre“ – „Bleibe frei“, „indesise“ – „unentschlossen“,
„Vivez votre passion“ – „Leben Sie Ihre Leidenschaft“, „On ne laisse pas un bébé a un coin“ – „Man lässt kein Baby in einer Ecke“, „go where you have never been“ – „Geh wo Du noch niemals warst“, „gloire à nos illustres pionniers „- „Glorie unseren illustren Pionnieren“, „vaincu parfois – soumis jamais“ – „manchmal geschlagen, niemals untergeben“, „for life – Honor and glory“ – „Für das Leben – Ehre und Glorie“, „Stay here and keep cool“ – „bleibe hier und sei cool“, „Break the rules now“- „Breche jetzt die Regeln“, „Heartbreaker“- „Herzensbrecher“, „rules are made to be broken“ – „Regeln sind dazu gemacht, um gebrochen zu werden“,  „don’t worry“ – „keine Sorge“, „stranger, be the unexpected“ – „Fremder, sei der Unerwartete“, „Warning! free Soul!“ – „Warnung! Freie Seele“, „Just Do it“ – „Tu es einfach“, „Do Love“- „Liebe“.

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Die Nichtunterworfene (so wie ich)
Ernest Hemingway
Die Welt ist schön und wert, dass man sich für sie einsetzt.
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Lebe deine Leidenschaft
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Ruhig, es gibt eine Lösung

Am nächsten Tag zog es mich wieder nach Spanien. Ich ging am abend zur Jugendherberge, wo mich ein Mann mit großem Lächeln empfing. Er hätte keinen Platz, aber ich könne in die andere Herberge gehen, die am anderen Ende der Stadt ist. „Ich selbst laufe in einer Stunde runter. Dann können wir zusammen gehen. Es gibt vielleicht sogar einen Bus, der noch zur Herberge fährt“, sagte er.

Ich schrieb ein wenig bis wir zusammen losgingen. Und erzählte ihm von der Gemeinschaft in der Nähe.
„Ich war nur mal kurz für zehn Minuten in der Gemeinschaft, um ein Brot zu kaufen. Ich könnte das nicht, meine Freiheit total aufgeben. Ich bin da wie du“, meinte er. „Morgen früh stehe ich um fünf Uhr auf. Ich habe nämlich noch einen anderen Job. Aber komm morgen Abend nochmal vorbei, dann können wir weiter miteinander reden. Ich kann dich leider nicht zu mir einladen, denn bei mir ist ein riesiges Chaos.“
„Cuidate – estas donde estas“- „Pass auf dich auf – egal wo du bist“ stand auf dem Getränkeautomaten in der Universität, in der ich mir am nächsten Morgen erstmal ein paar Kaffees leistete. Weitere Worte des Tages: „Run Hard, Win BIG“, „Chance to Change“, „Love is a battle „, „Too much luggage“, „inspiring „, „Lost without you“, „Lost“, „please wait here – whatever you think, think the opposite“, „make your Dreams happen“, „don’t care“, „imagine another reality“, „keepers of the faith“, „a different story“, „destiny“, „obey“, „thoughts“, „run“.

An der Strandpromenade sprach ich mit einer Dame, die auf einer Bank saß und gerade dabei war, ihre Kleider zu nähen. Sie hatte nur ihren schwarzen BH an und einen Rock und meinte gleich, ihr Kopf wäre nicht ganz in Ordnung. „Ich habe fünfzehn Kilo abgenommen die letzte Zeit. Jetzt sind meine Kleider zu groß. Ich nähe sie enger.“ Wir unterhielten uns eine ganze Weile. Sie hätte mich gerne zu sich eingeladen, aber sie bekam Besuch von ihrer Enkelin und ihrer Tochter. Ich lief nachdem ich ich von ihr verabschiedet hatte die Strandpromenade entlang und sah diverse Straßenkünstler auf dem Weg.

 

 

 

An der Altstadt angekommen sah ich jemand mit einem T-Shirt und den Worten: “ the big waves try to knock you down „. Kurz danach fühlte ich einen Stich im Herzen. Ich wusste nicht, was tun. Sah Leute, die auf der Straße leben. Dann lächelte mich plötzlich jemand an und sagte : „Hallo!“ Er kannte mich von der Gemeinschaft, in der er letztes Jahr zur gleichen Zeit wie ich zu Besuch gewesen war. Ich erzählte ein bisschen aus meinem Leben und er aus seinem, dann lud mich seine Freundin ein, bei ihnen zu übernachten. Wir kauften noch ein, aber als wir in den Bus stiegen, um zu ihr zu fahren, hatte ich das komische Gefühl, als ob irgendwas nicht stimmen würde. Als wir angekommen waren, machte Sam uns etwas zu Essen und sie fragte mich nach meinem Campingbus, von dem ich ihr erzählt hatte. Ich erinnerte mich an die Situation, die ganz ähnlich war wie jetzt. Ich war damals nämlich, nachdem ich meinen Bus weggegeben hatte zur Gemeinschaft zurück gefahren, obwohl ich ganz deutlich das Gefühl hatte, dass es nicht das richtige gewesen war. Jetzt war es genauso. Ich war mit den Beiden mitgegangen, obwohl ich den Eindruck hatte, dass es nicht das richtige gewesen war.
Wir sprachen viel vom ‚in Löcher fallen‘, weil auch ich wieder in eines gefallen war. Sam zitierte das buddhistische Sprichwort „Du siehst ein Loch in der Straße und fällst hinein und brauchst Ewigkeiten, um wieder hinaus zu kommen….“. Ich weiß nicht, wer meiner werten LeserInnen den Spruch kennt. Ich habe ihn im Internet gesucht, um ihn hier wiederzugeben, aber leider nicht gefunden. Aber es geht darum, dass man immer wieder in die selben Löcher fällt bis man eines Tages eine andere Straße nimmt. Wir sprachen auch vom ‚Sich Verloren-Fühlen‘.
„Wir müssen uns verlieren, um uns zu finden“, meinte meine Gastgeberin. Und:
„Es ist wichtig, die Dinge zu würdigen, die wir haben“. „Interessant, das war auch immer meine Botschaft in den letzten Jahren gewesen, die ich den Leuten vermitteln wollte,“ gab ich zurück.
Es waren auch wieder Botschaften da, dass sich alles zum Besseren wenden kann. „Create your own reality “ zum Beispiel.

Am nächsten Tag gab es einen Kleidertauschmarkt in einem Park in der Nähe, in dem es auch eine Bibliothek zum Thema Umwelt gab. Auf dem Weg dorthin fand ich eine ganze Reihe von Klamotten, die sie netterweise annahmen. Man bekam Gutscheine für die abgegebenen Kleider, für die man sich andere Sachen mitnehmen konnte. Ich suchte mir einiges aus.


„Wer reanimiert Cathy?“ lautete eine Frage im Internet, in dem ich ein wenig surfte, als wir wieder zurückkamen. Und so fühlte ich mich auch. Dass ich eine Reanimation bräuchte.
Ich legte mich hin bis Moni zu mir bedeutete, dass sie mich gerne sprechen würde. „Mir wäre es lieber, wenn Du jetzt in eine Herberge gehst, bevor es mir zu viel wird. Wenn Du allerdings absolut nichts findest, kannst Du wiederkommen.“

So ging ich los. Statt nach Frankreich zurückzufahren, ging ich in Richtung der Jugendherberge, die ganz in der Nähe war. Auf dem Weg stand „cero dinero“ – „null Geld“ und „compatible contigo“ – „kompatibel mit dir“. Ich stand unschlüssig an der Straße, die zur Herberge führte. Da hielt ein Mann an. Er sagte: „Ich beobachte Dich jetzt schon seit zwei Tagen. Wo willst du hin?“

Ich erklärte ihm ein bisschen meine Situation und er fuhr mich den Berg hinauf zur Herberge. Und traf dort auf Deutsche aus dem Osten, mit denen ich erst einmal redete. In meinem Zimmer war ebenfalls ein älteres deutsches Paar, mit denen ich mich lange unterhielt. Die Frau hatte ein Buch von Thích Nhất Hạnh dabei. Sie hätten das Kloster des vietnamesischen buddhistischen Mönches einen Tag lang besucht. Es sei in der Nähe von Bordeaux. „“Für einen Tag kann man einfach hinkommen. Wenn man länger dableiben will, dann muss man sich vorher anmelden.“
Ich las dann noch fast das gesamte Buch von Thích Nhất Hạnh an dem Abend, was mir sehr gut tat, denn es ging auch viel darum, seine Gedanken zu positivieren und seine Eltern mit einzubeziehen.
Es tat mir auch sehr gut, mit den beiden zu reden. Sie hatte scheinbar viel Erfahrung mit dem Familienstellen, dem ich selbst etwas spiespältig gegenüberstand, da ich es vor vielen Jahren ausprobiert hatte und es mir nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte. Es kommt ja aus dem Schamanismus und von meinen Erfahrungen her war Schamanismus so etwa wie Kosmetik. Obwohl mal ein mongolischer Schamane auf einer Veranstaltung sagte: „Jesus war der größte Schamane“, was ich ihm gar nicht absprechen möchte.

Ich spazierte danach durch die Stadt, lief an einem „unverpackt“-Laden vorbei bis ich entdeckte, dass die Bibliothek bis halb neun offen hat, so dass ich sie noch nutzen konnte. Dann kam ich irgendwie auf die Idee zu telefonieren und antwortete auf ein paar Anzeigen von Zimmerangeboten. Mir hatten nämlich ein paar Leute gesagt, ich solle mir doch ein Zimmer nehmen. So rief ich bei verschiedenen Leuten an und ein Zimmer war noch frei, das ich mir anschauen ging. Doch schon davor wurde mir klar, dass es nicht das richtige ist. Es gefiel mir überhaupt nicht und die Leute waren ganz und gar nicht mein Fall. So sprach ich einfach am abend beim Herumlaufen zwei Frauen auf der Straße vor einer Bar an. Da kam ein wunderschön aussehender Typ angesprungen und fragte, ob ich etwas suche zum Übernachten. „Ja“, antwortete ich. „Laden wir sie ein?“ fragte er seine Partnerin. „Laden wir sie ein!“ Er nahm meinen Rucksack und wir liefen zusammen die paar Meter zu ihr nach Hause. Sie wohnten im neunten Stock und führten mich auf den Balkon mit einem wundervollen Blick über die Stadt. Dann räumten sie fast den gesamten Kühlschrank aus und stellten diverses Obst vor mich hin. Am Ende gab es noch Käse mit Brot. Er gab mir ihre Telefonnummer und ich könnte gerne wiederkommen, wenn ich noch länger bliebe, nur am nächsten Morgen hätten sie ein Treffen mit der Familie, deshalb müsse ich früh aufstehen. „Aber wir frühstücken noch zusammen.“ Interessant war, dass sie die Toilette offen ließen, wenn sie sie benutzten. „Wir sind natürlich. Wir machen die Badezimmertür nie zu. Sie ist immer offen.“
Sie weckten mich am Morgen, ich frühstückte mit ihnen, wusch mir meine Haare und ging dann in die Bibliothek nachdem wir uns voneinander verabschiedet hatten. Dann kam im Laufe des Tages:“GO!“, „Was macht du noch hier alleine?“, „Wenn du die Tür zur Hölle erstmal geöffnet hast, musst du ein Opfer bringen“, ein Bild vom Paradies und „es ist gut, sich mit den anderen

 

 

verbunden zu fühlen, auch wenn man 4000 Kilometer entfernt ist“, „Adventure“ – „Abenteuer“, „please, don’t go, I need your love“ – „Bitte gehe nicht, ich brauche deine Liebe“, „rebel – disciples of the road“ – „Rebell – Jünger der Straße“, „Lucky ones“, „Tourist go home“, „Friday is a good day“, „Mi madre merece todo“ – „Meine Mutter verdient alles“, „remember, believe in yourself „, „find me“, „a true love story never ends“,“do not agonize – organize“, „super capricieuse“ – „super eigenwillig“, „Do what you want“, „you are Close to the realization of your dreams“, „stay cool, stay rock“, „choose happiness“, „temple de entusiasme“, „revival“, „Training Forever“, „El viaje perfecto“, „El Equipo perfecto“, „la Adventure perfecta“ – „die perfekte Reise“, „das perfekte Team“, „das perfekte Abenteuer“,“Under Control“.
Ich traeume immer noch von einer Welt ohne Geld. Das merke ich, wenn ich einen Kaffee bestelle und ihn zahlen muss. Wäre doch schön, keiner müsste mehr seinen Kaffee bezahlen. Ich merke, es geht darum, die Dinge zu akzeptieren, die man nicht ändern kann. Es rennen ganz viel Leute mit Totenköpfen umher. Ich erinnere mich, dass in dem Buch von Thích Nhất Hạnh davon die Rede war, nicht auf Zeichen zu achten genau wie es auch im Neuen Testament geschrieben steht…

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Die Gewissheit und Ruhe, wenn man sich beschützt weiss

 

 

Be calm and carry on

Ich besuchte einen alten Bekannten und stellte fest, dass wir einige Gemeinsamkeiten hatten. Zum Beispiel erzählte er, dass er bei seinem letzten Versuch, als Küchenhilfe zu arbeiten am letzten Tag Dinge gesagt hatte, die zur Eskalation führten. Sein Chef hatte ihn mit einem guten Salär gelockt als Beihilfe zum Koch, aber als der Koch, mit dem er sich gut verstanden hatte erkrankte, lief es gar nicht mehr gut und der Chef wollte ihm fünfhundert Euro im Monat weniger zahlen.
„Wäre ich einen Tag vorher gegangen, wäre alles noch o.k. gewesen,“ sagte er.
Genau so war es bei mir auch gewesen in der Gemeinschaft. Wie beruhigend, so etwas von anderen zu hören. Zu wissen, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Alexander fuhr fort:
„Der Chef sagte dann, er wolle mich nie wieder bei ihm sehen. Dann hatte ich Sanktionen vom Amt, unter denen ich bis heute zu leiden habe. Aber ich lass mir jetzt von niemandem mehr etwas sagen!“

Wieder in Frankreich

Mich zog es dann wieder nach Frankreich. Diesmal nahm ich den Bus.
Nach meiner Ankunft besorgte ich mir erstmal eine Karte der gesamten Region im Tourist office wie ich das gewöhnlich so mache. Dann ließ ich mir noch eine Karte von den Städten bis zur Grenze geben und schließlich einiges an Informationsmaterial zu den drei Jakobswegen, die von hier abgehen: einer an der Küste entlang, einer nach Pamplona und einer nach St. Jean Pied de Port.
Dann sah ich einen Waschsalon gleich gegenüber. Er kam mir wie gerufen, denn die Wäsche, die ich gewaschen hatte, war noch feucht gewesen und ich hatte bisher noch keine Möglichkeit gefunden, sie zu trocknen. Ich warf sie in einen der Trockner, machte ihn an für zehn Minuten und setzte mich auf die Terrasse ins Kaffee nebenan, um einen Milchkaffee zu trinken. Ich las in dem GEOkompakt-Heft „Wer bin ich?“, das ich mir schon vor ein paar Wochen gekauft, aber noch nicht ganz gelesen hatte. Übrigens sah ich gestern jemanden auf einem der Bahnhöfe, an denen ich vorbeikam mit einer Stofftasche mit der gleichen Frage herumlaufen.
„Doityourway“ stand auf einer Reklame in dem Laden, in den ich reinging, um mir einen Saft zu kaufen. „Injustice 2“ prangerte als Filmtitel auf einem Plakat.
Dann kam mir einer mit dem Fahrrad entgegen, auf dessen T-Shirt „Dieu est amour“, was soviel heißt wie „Gott ist Liebe“ stand und noch etwas von seinem geliebten Sohn, was ich jedoch auf die Schnelle nicht mehr lesen konnte. Auf dem Weg kam mir eine Frau mit einem T-Shirt entgegen, auf dem „Take time to do what make your soul happy“ stand.

IMG_3796Ich lief auf dem Jakobsweg entlang über den ich mich in der Kathedrale informiert hatte und dachte noch an den Filmtitel „Unrecht Teil 2“. Genauso kam ich mir auch vor. Als wäre mir mal wieder Unrecht geschehen… Ich musste auch an meinen Rucksack denken, den ich im Zug vergessen hatte. Ein paar Sachen fehlten mir doch.

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Ich landete dann in einem Dorf. Unterwegs hatten mir schon Leute erzählt, dass es besser wäre, dort zu bleiben, da es bis zur nächsten Station zu weit wäre. Ich sprach, als ich ankam den ersten Mann an, den ich sah und fragte nach Übernachtungsmöglichkeiten für Pilger. „Fragen Sie doch mal bei den Schwestern fünfzig Meter von hier“, empfahl er mir. Aber die Schwestern unterhielten ein „medikalisiertes“ Altersheim, wo es nicht möglich war, zu übernachten. So fragte ich eine weitere Frau auf der Straße. „Fragen Sie doch mal beim Pfarrer im Pfarrheim neben der Kirche. Es steht ein rotes Auto vor dem Haus, falls er noch da ist“. Ich ging zum Pfarrhaus und hatte Glück: der Pfarrer kam um die Ecke, begrüßte mich freundlich und lud mich ein, reinzukommen.
„Haben Sie einen Schlafsack?“ fragte er mich.
„Ich habe nur das“, antwortete ich und zeigte ihm den Schal, den ich gerade frisch erstanden hatte und auch als Decke nutzen wollte.
„Na ja, wenigstens sind Sie nicht auf der Straße“ meinte er und ich stimmte ihm freudig zu.
„Ich muss jetzt noch etwas arbeiten, dann komme ich und mache uns etwas zu Essen“.
Ich schaute, ob es ein Netz fürs Internet gab und siehe da, es gab eines ohne Passwort. Als wir zusammen zu Abend aßen – es gab Suppe, Ratatouille, Baguette, Früchte und zum krönenden Abschluss einen Yoghurt – fragte ich ihn nach einer Decke.
„Sie können oben in einem Zimmer schlafen. Sie sind ja nicht ausgerüstet, um in den Versammlungsräumen zu übernachten. Ich zeige es Ihnen“.
Wir gingen zusammen hoch. „Hier ist die Dusche“.
Wow, da hatte ich ein ganzes Zimmer für mich und noch eine Dusche.
Ich schlief phantastisch gut und bekam sogar noch ein Frühstück mit Obst, Baguette, Butter, Milchkaffee und Honig. Ich war glücklich. Ich überlegte, ihm Geld dafür zu geben; als ich mich dankend verabschiedete, merkte ich jedoch, dass er gar nichts haben wollte.
Ich kam an einem Supermarkt vorbei und erstand ein paar Tütchen Instantkaffee.
Es war herrliches Wetter und ich hatte einen echt schönen Tag.

img_3835.jpgAls ich in einem der schönsten Dörfer Frankreichs ankam, stand eine Frau rauchend vor dem Tourist Office und lud mich ein, hereinzukommen.
„Erst wenn Sie fertig sind mit Ihrer Zigarette „, entgegnete ich und fragte sie nach einer Unterkunft für Pilger. Sie erklärte mir den Weg zu einem Campingplatz mit Gite und sprach von zehn Euro. Tatsächlich kostete die Übernachtung 16,50. Aber nachdem ich nochmal eine Runde durchs Dorf gedreht und mich nach Alternativen umgeschaut hatte, entschied ich mich, das Geld zu investieren.
Bei meinem Rundgang durchs Dorf sah ich einen Jungen am Brunnen mit der Aufschrift „Now just be happy“ auf dem T-Shirt.
In der Gite war eine junge Deutsche und zwei ältere Franzosen, die alle den GR 10 liefen, den Höhenweg, der durch die gesamten Pyrenäen geht. Ich fand ihr Vorhaben, diesen Weg alleine als Frau zu gehen etwas gewagt und wies sie auf Alternativen hin wie zum Beispiel den Jakobsweg an der Nordküste, den Jakobsweg entlang der Pyrenäen oder den Katharerweg, die alle nicht ganz so extrem und herausfordernd sind.
„Meine Großmutter ist in den Bergen gestorben und deshalb mache ich nicht solche Sachen. Ich sage mir, wenn eine Person aus der Familie in den Bergen gestorben ist, dann reicht das für mich. Deshalb mache ich so extreme Bergtouren nicht. Ich gehe höchstens mal einen Tag alleine ins Hochgebirge. Und beim übernachten im Zelt schaue ich, dass mich keiner am Abend sieht. So baue ich das Zelt erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit und meist in der Nähe einer Ortschaft auf. Wenn mich Leute morgens sehen, wenn sie mit dem Hund spazieren gehen, ist mir das egal.“
Ich fand, dass sie auch gar nicht die richtigen Schuhe fürs Hochgebirge hatte, aber ohne hoch geschlossene Schuhe zu Trekken war jetzt scheinbar modern. Sie erzählte mir, dass sie in der ersten Nacht schon in ihrem Zelt mit Regen und Sturm zu kämpfen hatte. „Aber jetzt die beiden Tage lief alles ok.“
Ich lief dann weiter, nachdem ich noch eine ganze Weile in der Herberge Tagebuch geschrieben hatte. Nach zwei Kilometern erreichte ich den Grenzort mit einem Haufen von langweiligen Geschäften, in denen es überall die gleichen Sachen gab, bloß nicht das, was ich brauchte.

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Immerhin deckte ich mich mit Essen ein, was ich selten tue, aber es kam mir zugute, denn im nächsten Ort, wo es eine wunderschöne Herberge gab,  da gab es keinen Laden, um etwas zu kaufen. Es war noch ein französisches Pärchen da, die ich auf dem Weg gesehen hatte und ein Argentinier.

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Als ich einen Rundgang durchs Dorf machte, geriet ich an einen ganz besonderen Ort, an dem Wildtiere gehalten wurden.
„In fünfzehn Minuten gibt es eine Vorstellung,“ informierte mich ein älteres französisches Pärchen und so blieb ich zu meiner großen Freude da, denn was wir sahen war einmalig. Isaak zeigte und erklärte uns wie die Wildtiere, die sie hatten normalerweise lebten und sich bewegten: Eulen, Bussarde, Geier, Adler, Schlangen und ein afrikanisches Tier, das ich nicht kannte. Es war ein Spektakel, vor allem, wenn die Raubvögel ganz dicht an unseren Köpfen vorbeiflogen.

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Danach sah ich den Argentinier an einer Bar sein Handy benutzen und fragte ihn, ob er das Passwort hätte. Von da ab waren wir den ganzen Abend zusammen, denn er lud mich noch zum Essen ein. Am nächsten Morgen entdeckte ich, dass er mir einen Brief mit einer Lampe und einem Müsliriegel dagelassen hatte.

Ich lief noch ein Stück weiter, war aber für meinen Geschmack zu alleine auf weiter Flur, so dass ich umkehrte, nachdem ich zu allem Ueberfluss einmal im Kreis gelaufen war. Ich trampte zur Kueste, wo mir die Sprüche „bring on the light“ und „I’m Perfect“ auf T-Shirts entgegenkamen. Letzteres kann ich von mir nicht behaupten, im Gegenteil: Ich habe jahrelang mit und unter dem Motto „nicht perfekt, aber lebendig“ gelebt.

Ich sah einen jungen Mann mit bräunlicher Haut an der Bushaltestelle sitzen. Er fragte mich, wann der Bus käme und als ich meinte, in eineinhalb Stunden, nachdem ich auf den Fahrplan geschaut hatte, fragte er mich nach Geld für ein Taxi.
„Geld für ein Taxi? Ich bin darauf spezialisiert mit wenig Geld zu leben. Trampe doch besser.“ Ich zeigte das Tramperhandzeichen. Er erzählte mir, dass er heute schon vier Stunden bei der Polizei in Spanien gewesen war, die ihm dann einen Aufenthalt für sechs Monate gewährten.
„Ich will aber nach Paris, weil ich dort Familie habe und Asyl beantragen. Ich würde aber heute schon zwei Mal von der Polizei angehalten, die mir sagten, ich solle nach Spanien zurückgehen. Das will ich aber nicht. Trampen, das habe ich noch nie gemacht“. Wir versuchten es eine Weile, hatten jedoch kein Glück.
„Lass uns Laufen“, schlug er vor und das machten wir auch eine Weile bis wir auf einer Landstraße landeten, auf der es nicht sehr angenehm war, zu Laufen. An einer Mulde zum Anhalten versuchten wir es wieder mit Trampen und hatten Glück. Wir wurden bis zum nächstgrößeren Ort mitgenommen. Dort checkten wir bei einer Tasse Kaffee, zu der er mich einlud im Internet, wie er am besten weiterkommt und da er keine Papiere hatte schied der Bus aus, denn wie ich mich erinnerte wollten sie da die Papiere sehen und so entschied er sich für den Zug. Es kamen noch „Chill out“, „Perfect“, „be calm and carry on“ und „believe in magic“ als Sprüche zu mir, als wir zusammen durch die Stadt gingen.

Als er weg war, ging ich an den Strand – zum Chill out.

 

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