Ich besuchte einen alten Bekannten und stellte fest, dass wir einige Gemeinsamkeiten hatten. Zum Beispiel erzählte er, dass er bei seinem letzten Versuch, als Küchenhilfe zu arbeiten am letzten Tag Dinge gesagt hatte, die zur Eskalation führten. Sein Chef hatte ihn mit einem guten Salär gelockt als Beihilfe zum Koch, aber als der Koch, mit dem er sich gut verstanden hatte erkrankte, lief es gar nicht mehr gut und der Chef wollte ihm fünfhundert Euro im Monat weniger zahlen.
„Wäre ich einen Tag vorher gegangen, wäre alles noch o.k. gewesen,“ sagte er.
Genau so war es bei mir auch gewesen in der Gemeinschaft. Wie beruhigend, so etwas von anderen zu hören. Zu wissen, dass es ihnen ähnlich ergangen ist. Alexander fuhr fort:
„Der Chef sagte dann, er wolle mich nie wieder bei ihm sehen. Dann hatte ich Sanktionen vom Amt, unter denen ich bis heute zu leiden habe. Aber ich lass mir jetzt von niemandem mehr etwas sagen!“
Wieder in Frankreich
Mich zog es dann wieder nach Frankreich. Diesmal nahm ich den Bus.
Nach meiner Ankunft besorgte ich mir erstmal eine Karte der gesamten Region im Tourist office wie ich das gewöhnlich so mache. Dann ließ ich mir noch eine Karte von den Städten bis zur Grenze geben und schließlich einiges an Informationsmaterial zu den drei Jakobswegen, die von hier abgehen: einer an der Küste entlang, einer nach Pamplona und einer nach St. Jean Pied de Port.
Dann sah ich einen Waschsalon gleich gegenüber. Er kam mir wie gerufen, denn die Wäsche, die ich gewaschen hatte, war noch feucht gewesen und ich hatte bisher noch keine Möglichkeit gefunden, sie zu trocknen. Ich warf sie in einen der Trockner, machte ihn an für zehn Minuten und setzte mich auf die Terrasse ins Kaffee nebenan, um einen Milchkaffee zu trinken. Ich las in dem GEOkompakt-Heft „Wer bin ich?“, das ich mir schon vor ein paar Wochen gekauft, aber noch nicht ganz gelesen hatte. Übrigens sah ich gestern jemanden auf einem der Bahnhöfe, an denen ich vorbeikam mit einer Stofftasche mit der gleichen Frage herumlaufen.
„Doityourway“ stand auf einer Reklame in dem Laden, in den ich reinging, um mir einen Saft zu kaufen. „Injustice 2“ prangerte als Filmtitel auf einem Plakat.
Dann kam mir einer mit dem Fahrrad entgegen, auf dessen T-Shirt „Dieu est amour“, was soviel heißt wie „Gott ist Liebe“ stand und noch etwas von seinem geliebten Sohn, was ich jedoch auf die Schnelle nicht mehr lesen konnte. Auf dem Weg kam mir eine Frau mit einem T-Shirt entgegen, auf dem „Take time to do what make your soul happy“ stand.
Ich lief auf dem Jakobsweg entlang über den ich mich in der Kathedrale informiert hatte und dachte noch an den Filmtitel „Unrecht Teil 2“. Genauso kam ich mir auch vor. Als wäre mir mal wieder Unrecht geschehen… Ich musste auch an meinen Rucksack denken, den ich im Zug vergessen hatte. Ein paar Sachen fehlten mir doch.
Ich landete dann in einem Dorf. Unterwegs hatten mir schon Leute erzählt, dass es besser wäre, dort zu bleiben, da es bis zur nächsten Station zu weit wäre. Ich sprach, als ich ankam den ersten Mann an, den ich sah und fragte nach Übernachtungsmöglichkeiten für Pilger. „Fragen Sie doch mal bei den Schwestern fünfzig Meter von hier“, empfahl er mir. Aber die Schwestern unterhielten ein „medikalisiertes“ Altersheim, wo es nicht möglich war, zu übernachten. So fragte ich eine weitere Frau auf der Straße. „Fragen Sie doch mal beim Pfarrer im Pfarrheim neben der Kirche. Es steht ein rotes Auto vor dem Haus, falls er noch da ist“. Ich ging zum Pfarrhaus und hatte Glück: der Pfarrer kam um die Ecke, begrüßte mich freundlich und lud mich ein, reinzukommen.
„Haben Sie einen Schlafsack?“ fragte er mich.
„Ich habe nur das“, antwortete ich und zeigte ihm den Schal, den ich gerade frisch erstanden hatte und auch als Decke nutzen wollte.
„Na ja, wenigstens sind Sie nicht auf der Straße“ meinte er und ich stimmte ihm freudig zu.
„Ich muss jetzt noch etwas arbeiten, dann komme ich und mache uns etwas zu Essen“.
Ich schaute, ob es ein Netz fürs Internet gab und siehe da, es gab eines ohne Passwort. Als wir zusammen zu Abend aßen – es gab Suppe, Ratatouille, Baguette, Früchte und zum krönenden Abschluss einen Yoghurt – fragte ich ihn nach einer Decke.
„Sie können oben in einem Zimmer schlafen. Sie sind ja nicht ausgerüstet, um in den Versammlungsräumen zu übernachten. Ich zeige es Ihnen“.
Wir gingen zusammen hoch. „Hier ist die Dusche“.
Wow, da hatte ich ein ganzes Zimmer für mich und noch eine Dusche.
Ich schlief phantastisch gut und bekam sogar noch ein Frühstück mit Obst, Baguette, Butter, Milchkaffee und Honig. Ich war glücklich. Ich überlegte, ihm Geld dafür zu geben; als ich mich dankend verabschiedete, merkte ich jedoch, dass er gar nichts haben wollte.
Ich kam an einem Supermarkt vorbei und erstand ein paar Tütchen Instantkaffee.
Es war herrliches Wetter und ich hatte einen echt schönen Tag.
Als ich in einem der schönsten Dörfer Frankreichs ankam, stand eine Frau rauchend vor dem Tourist Office und lud mich ein, hereinzukommen.
„Erst wenn Sie fertig sind mit Ihrer Zigarette „, entgegnete ich und fragte sie nach einer Unterkunft für Pilger. Sie erklärte mir den Weg zu einem Campingplatz mit Gite und sprach von zehn Euro. Tatsächlich kostete die Übernachtung 16,50. Aber nachdem ich nochmal eine Runde durchs Dorf gedreht und mich nach Alternativen umgeschaut hatte, entschied ich mich, das Geld zu investieren.
Bei meinem Rundgang durchs Dorf sah ich einen Jungen am Brunnen mit der Aufschrift „Now just be happy“ auf dem T-Shirt.
In der Gite war eine junge Deutsche und zwei ältere Franzosen, die alle den GR 10 liefen, den Höhenweg, der durch die gesamten Pyrenäen geht. Ich fand ihr Vorhaben, diesen Weg alleine als Frau zu gehen etwas gewagt und wies sie auf Alternativen hin wie zum Beispiel den Jakobsweg an der Nordküste, den Jakobsweg entlang der Pyrenäen oder den Katharerweg, die alle nicht ganz so extrem und herausfordernd sind.
„Meine Großmutter ist in den Bergen gestorben und deshalb mache ich nicht solche Sachen. Ich sage mir, wenn eine Person aus der Familie in den Bergen gestorben ist, dann reicht das für mich. Deshalb mache ich so extreme Bergtouren nicht. Ich gehe höchstens mal einen Tag alleine ins Hochgebirge. Und beim übernachten im Zelt schaue ich, dass mich keiner am Abend sieht. So baue ich das Zelt erst kurz vor Einbruch der Dunkelheit und meist in der Nähe einer Ortschaft auf. Wenn mich Leute morgens sehen, wenn sie mit dem Hund spazieren gehen, ist mir das egal.“
Ich fand, dass sie auch gar nicht die richtigen Schuhe fürs Hochgebirge hatte, aber ohne hoch geschlossene Schuhe zu Trekken war jetzt scheinbar modern. Sie erzählte mir, dass sie in der ersten Nacht schon in ihrem Zelt mit Regen und Sturm zu kämpfen hatte. „Aber jetzt die beiden Tage lief alles ok.“
Ich lief dann weiter, nachdem ich noch eine ganze Weile in der Herberge Tagebuch geschrieben hatte. Nach zwei Kilometern erreichte ich den Grenzort mit einem Haufen von langweiligen Geschäften, in denen es überall die gleichen Sachen gab, bloß nicht das, was ich brauchte.
Immerhin deckte ich mich mit Essen ein, was ich selten tue, aber es kam mir zugute, denn im nächsten Ort, wo es eine wunderschöne Herberge gab, da gab es keinen Laden, um etwas zu kaufen. Es war noch ein französisches Pärchen da, die ich auf dem Weg gesehen hatte und ein Argentinier.
Als ich einen Rundgang durchs Dorf machte, geriet ich an einen ganz besonderen Ort, an dem Wildtiere gehalten wurden.
„In fünfzehn Minuten gibt es eine Vorstellung,“ informierte mich ein älteres französisches Pärchen und so blieb ich zu meiner großen Freude da, denn was wir sahen war einmalig. Isaak zeigte und erklärte uns wie die Wildtiere, die sie hatten normalerweise lebten und sich bewegten: Eulen, Bussarde, Geier, Adler, Schlangen und ein afrikanisches Tier, das ich nicht kannte. Es war ein Spektakel, vor allem, wenn die Raubvögel ganz dicht an unseren Köpfen vorbeiflogen.
Danach sah ich den Argentinier an einer Bar sein Handy benutzen und fragte ihn, ob er das Passwort hätte. Von da ab waren wir den ganzen Abend zusammen, denn er lud mich noch zum Essen ein. Am nächsten Morgen entdeckte ich, dass er mir einen Brief mit einer Lampe und einem Müsliriegel dagelassen hatte.
Ich lief noch ein Stück weiter, war aber für meinen Geschmack zu alleine auf weiter Flur, so dass ich umkehrte, nachdem ich zu allem Ueberfluss einmal im Kreis gelaufen war. Ich trampte zur Kueste, wo mir die Sprüche „bring on the light“ und „I’m Perfect“ auf T-Shirts entgegenkamen. Letzteres kann ich von mir nicht behaupten, im Gegenteil: Ich habe jahrelang mit und unter dem Motto „nicht perfekt, aber lebendig“ gelebt.
Ich sah einen jungen Mann mit bräunlicher Haut an der Bushaltestelle sitzen. Er fragte mich, wann der Bus käme und als ich meinte, in eineinhalb Stunden, nachdem ich auf den Fahrplan geschaut hatte, fragte er mich nach Geld für ein Taxi.
„Geld für ein Taxi? Ich bin darauf spezialisiert mit wenig Geld zu leben. Trampe doch besser.“ Ich zeigte das Tramperhandzeichen. Er erzählte mir, dass er heute schon vier Stunden bei der Polizei in Spanien gewesen war, die ihm dann einen Aufenthalt für sechs Monate gewährten.
„Ich will aber nach Paris, weil ich dort Familie habe und Asyl beantragen. Ich würde aber heute schon zwei Mal von der Polizei angehalten, die mir sagten, ich solle nach Spanien zurückgehen. Das will ich aber nicht. Trampen, das habe ich noch nie gemacht“. Wir versuchten es eine Weile, hatten jedoch kein Glück.
„Lass uns Laufen“, schlug er vor und das machten wir auch eine Weile bis wir auf einer Landstraße landeten, auf der es nicht sehr angenehm war, zu Laufen. An einer Mulde zum Anhalten versuchten wir es wieder mit Trampen und hatten Glück. Wir wurden bis zum nächstgrößeren Ort mitgenommen. Dort checkten wir bei einer Tasse Kaffee, zu der er mich einlud im Internet, wie er am besten weiterkommt und da er keine Papiere hatte schied der Bus aus, denn wie ich mich erinnerte wollten sie da die Papiere sehen und so entschied er sich für den Zug. Es kamen noch „Chill out“, „Perfect“, „be calm and carry on“ und „believe in magic“ als Sprüche zu mir, als wir zusammen durch die Stadt gingen.
Als er weg war, ging ich an den Strand – zum Chill out.