Von ehemaligen Gefaengnisinsassen und Rainbow warriors

Mir gingen noch die Gespaeche mit meinen Strassenkuenstlernachbarn im Kopf herum.

« Wir duerfen unsere Autos jetzt nur noch 24 Stunden auf einem Parkplatz parken. Und es ist nicht mehr erlaubt, mit einem Menschen ohne Zuhause zu sprechen. Das ist ein Gesetz gegen wohnungslose Menschen, damit sie nicht mehr miteinander sprechen. Eine Frau bekam eine Strafe ueber 35 Euro, waehrend sie mit ihnen sprach.  Sie dachten , sie sei wohnungslos, doch sie war eine Studentin fuer Recht. »

« Und jemand erzaehlte mir letzt, es sei verboten als eine Gruppe von Leuten draussen zusammen zu sitzen, ausser im Sommer. »

« Gruppen von mehr als drei Personen sind verboten. Ich habe die ganze Zeit Probleme mit der Polizei. Wir sind in ganz Frankreich mit dem Bus unterwegs gewesen. Doch die schlimmste Region, wo wir die meisten Probleme mit der Polizei hatten, die gewalttaetiger als sontwo war, war im Suedosten. Und im Elsass checken sie alle Leute, ob sie Cannabis rauchen. So haben alle Leute dort, die wir kannten ihren Fuehrerschein deswegen verloren. Und dort ist so viel Polizei, dass sie einen frueher oder spaeter erwischen.

A propos Cannabis. Cannabis ist eine Pflanze, die umso besser THC produziert, je schlechter man sie behandelt. Wenn du sie in guten Boden setzt, wird sie nichts ; wenn du hingegen Sand in die Erde mischst, waechst sie gut. Erstaunlich nicht ? Es ist ein Unkraut.

Und wusstest du, dass die meisten Dinge in Frankreich einen von drei Firmen gehoert ? Kanalisation, Telekommunikation usw. Wenn du ein Haus baust, kommen sie und machen dir die Kanalisation. Du hast kein recht, dir dein eigenes System zu kreieren.

Aber in China stecken sie die Leute, die eine bestimmte Religion (Falun Gong – Anm. d. Verf.) verfolgen in Konzentrationslager und verkaufen all ihre Organe, wenn sie tot sind. Und eine beruehmte franzoesische Kosmetikfirma, die mit O. anfaengt, benuetzt Kollagen von Kadavern in ihren Cremes. «

Alles starker Tobak.

Auf dem Weg hielt ich kurz an einem Wohnmobilstellplatz und sprach mit den Besitzern eines Wohnmobils.

« Wir waren im Sommer am Strand auf einem Parkplatz mit vielleicht hundert Wohnmobilen  und in der Nacht raubten sie vier Wohnmobile aus. Unser Nachbar hatte keine Papiere und kein Geld mehr, einfach nichts. Nicht mal einen Fuehrerschein. Und wir anderen hoerten nichts. Sie spruehten Gas in die Fenster und so schliefen die Leute. Am Morgen wachten sie benommen auf und sahen, was los war. »

Danach besuchte ich meine Bekannte Dominique. Sie oeffnete die Terrassentuer.

« Ich bin krank. Ich habe Fieber und Angina. Aber wenn du mit deinem Bus hier bleiben willst, bist du willkommenn. »

« Ich bin eher vorbeigekommen, um dich zu besuchen und zu schauen, wie es dir geht. Brauchst du irgendwas ? »

« Nein, ich habe alles, was ich brauche, danke. Willst du einen Tee trinken ? »

« Ja, gerne. »

Sie schaute fern.

« Ich habe immer Probleme mit meinem Nachbarn. Er mag keine Hippies. Jetzt will er einige von meinen Freunden hier nicht mehr sehen. Einer davon ist der Schwarze, der das Eis auf dem Markt macht. Er wollte hier Haushueten, wenn ich unterwegs bin. Ich bin sogar auf die Polizei deswegen gegangen. Aber ich sprach nicht mit dem richtigen Polizeibeamten. Er wollte nicht, dass ich irgendetwas unternehme. Naechste Woche gibt es eine interessante Veranstaltung ueber Medizinalpflanzen in der Naehe. Dort moechte ich hingehen. Jetzt gibt es einen interessanten Dokumentarfilm ueber die Alpen. Den moechte ich gerne sehen. »

« Ich ziehe es vor, zu gehen und ein andermal wiederzukommen. »

« Du kannst auch deinen Bus hier lassen, wenn du ohne ihn reisen willst. Ueberlege es dir. »

Ich uebernachtete im naechsten Dorf bevor ich in die Stadt weiterfuhr. Als ich am Abend Wasser von einem Brunnen holte sprach mich ein junger Mann an.

« Du holst aber viel Wasser. »

« Ja, ich brauche viel Wasser. »

« Ich bin neu hier in der Stadt. Ich komme gerade aus dem Gefaengnis. Der Richter sagte, ich soll fuer fuenf Jahre hierbleiben. Aber es scheint eine sehr kleine Stadt zu sein. »

« Das stimmt. Aber es ist nicht der schlechteste Ort. Ich komme hin und wieder vorbei. «

« Jetzt bin ich seit drei Wochen auf der Strasse. Aber ich bin ein luxurioeses Leben gewoehnt.  Ich komme gerade aus der Grosstadt. Gestern war ich am Vagabundenrestaurant und dort wurde ein Freund von mir mit einer Axt geschlagen. Ich bin abgehauen und hierher gekommen. Ich glaube, sie suchen mich.

Und ein Freund von mir ist, als er von der Arbeit kam in eine Demonstration geraten und wurde mit dem Gummiknueppel auf die Nase geschlagen. Er sieht kaum noch was und wenn, dann nur ganz unscharf. Seine Augen sind rundherum blau fuer immer. Die Venen sind kaputt gegangen. Und es war sogar auf dem Video zu sehen, dass er nichts mit der Demonstration zu tun hatte und abseits war, aber das interessiert sie wenig. »

« Einer erzaehlte mir letzt, er war mit Freunden in einer Bar und da kam die Polizei mit Hunden vorbei und griffen sie an. Es war ganz klar provoziert. »

Ich nahm ihn mit auf Dumpstertour, fand an dem ueblichen kleinen Supermarkt aber nichts. Dann zeigte ich ihm, wo er fruehstuecken kann.

« Ich habe Autos geklaut und Benzin. Sie haben 12 Behaelter mit 500 Litern bei mir gefunden. Mein Vater war immer im Gefaengnis. Als ich fuenf Monate alt war, kam er in den Knast. Er hat jemanden todgefahren. Mit Absicht. Er war verrueckt. Ich sah ihn immer nur im Gefaengnis. Vierzehn Jahre war er dort, dann starb er. »

Er telefonierte immer wieder.

« Ein Freund hat mich eingeladen, zu ihm zu kommen. Er hat eine Wohnung. Ich habe nein gesagt. Ich bleibe lieber hier und schlafe draussen. Er meint, ich waere verrueckt. Aber er wohnt in einer anderen Stadt und kommt auch gerade aus dem Gefaengnis. Und ich habe aufgehoert zu rauchen und zu trinken. Ich moechte ein anderes Leben beginnen. «

Ich zeigte ihm noch, wo er im Trockenen schlafen kann, falls es regnet und er witzelte immer wieder, dass er sich frage wie er an eine Gefaengniszelle kommen kann fuer eine Nacht. Zwischendurch sprach er eine Wahrheit aus : « Die, die wenig haben teilen das, was sie haben und die, die viel haben geben nichts. »

Ich fuhr dann auf den Wohnmobilparkplatz und machte mir dummerweise beim Einparken ein Ruecklicht kaputt, genauer gesagt den Blinker. Ich reparierte ihn am naechsten Tag notduerftig mittels einem Fahrradreflektor, was ziemlich gut funktionierte.

Am Abend sprach ich einen Alt-Hippie an, der mir schon am Mittag aufgefallen war wie er in einer Jacke aus Regenbogenfarben auf der Terrasse einer Bar sass. Er hatte graue lange Haare und ein kleines Kopftuch auf. Er war Englaender und sprach nur rudimentaer franzoesisch. Doch er verstand mehr, als er sprach. Er lud mich gleich zu einem Tonic Water ein und ich erfuhr, dass er viel gereist war, vor allem auch in einem Bus.

« Ich hatte eine Freundin und wir sind zusammen gereist, aber dann habe ich den Bus verkauft. Dann hat sie mich verlassen und war mit meinem besten Freund zusammen. Ich habe sie einander vorgestellt. Ich habe auch zwei Jahre in Deutschland gelebt – in einem Bauwagen in einer Wagenburg. Ich habe in einer Bar gearbeitet. Jetzt bin ich schon dreizehn Jahre in Frankreich. Ich war Rainbow Warrior und habe auf Baeumen gelebt. Wir haben Tunnels gebaut und Fallen gestellt. Eigentlich wollten wir alle nach Spanien und einen Tunnel bauen, aber dann kamen wir hierher… Drei Jahre habe ich hier auf der Strasse gelebt. Jetzt habe ich eine kleine Wohnung. Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Mich hat man drei Monate wegen Depressionen behandelt. Ich nehme vier Tabletten am Tag. Jede Woche muss ich einmal meine Medikamente holen und einmal im Monat zum Arzt.

Meine Ex-Freundin kommt mich immer wieder besuchen. Sie reist auch viel mit ihrem Bus umher. »

Es schaute dann ein Bekannter von ihm vorbei, der jemanden suchte, um ihn in ein nicht sehr weit entferntes Dorf zu fahren.

« Ein paar Pferde eines Freundes sind ausgerueckt und wir muessen sie wieder einsammeln. »

Ich bot ihm an, ihn zu fahren, aber als ich von der Toilette zurueckkam, war er schon nicht mehr da. Es hatte sich jemand anderes seiner erbarmt.

Ich nahm Tom mit zum Bus, um etwas zu essen. Er wollte jedoch nichts essen und redete auch gar nicht mehr. Er sagte ja, er wuerde trinken, um zu reden und jetzt trank er nicht mehr…

Am Wochenende fuhr ich raus aus der Stadt und hielt an einem See. Ich trampte in den naechstgroesseren Ort, um zu dumpstern, wo mir ein Typ ueber den Weg lief, der ebenfalls gerade auf Dumpstertour war.

« Wir finden hier immer Sachen, dass es fuer zwei Wochen fuer die ganze Familie reicht. Und wo kommst du her ? »

« Aus Deutschland. Und du ?»

« Ich habe schon in ganz Frankreich gelebt, in Italien und Griechenland. »

Wir fanden eine ganze Menge Trauben, die er mir aus der Tonne fischte.

« Kommst du noch mit zu meiner Freundin etwas trinken ? »

« Fuer einen Moment. Ich muss noch zurueck zu meinem Bus bevor es dunkel wird. »

Seine Freundin war unglaublich nett und lud mich zu einem leckeren Essen ein : Lachsquiche und ueberbackenem Blumenkohl. Und Brot, Hokkaidokuerbis und Pains au chocolats gaben sie mir auch noch mit.

Mit « komm wieder jeder Zeit », verabschiedeten sie sich.

Zurueck in der Stadt traf ich Tom zusammen mit dem Freund, der jemanden zum Fahren gesucht hatte. Sie assen in einem neuen Restaurant zu Abend.

« Sie haben am Freitag aufgemacht. Es ist das internationalste Restaurant am Platz. Eine kommt aus Venezuela, die andere aus Katalonien. Komm, iss. Das Omelette ist phantastisch. »

« Ah, ich mag lieber die wilden Kartoffeln. »

« Bedien dich. Wir teilen alles. Das Omelette habe ich heute mittag schon gegessen. Ich bin naemlich eigentlich Spanier, aber ich lebe hier. Und gut, dass du mich letzt nicht gefahren hast, denn wir wurden mit einem Gewehr empfangen. »

« Einem Gewehr ? »

« Ach, ganz normale Geschichte. Fuer mich jedenfalls. Mir passieren immer solche Geschichten. Na ja, die Pferde sind ausgerueckt, weil der Nachbar eine wunderschoene Stute hat und seine Pferde nicht kastriert sind. Sie haben den Zaun kaputt gemacht und sind abgehauen. Und ich wusste wo sie sind. Der Nachbar ist eben ein Faschist und hat uns mit einem Gewehr empfangen. Aber der mich gefahren hat, ist ein Araber und ein Schrank von Mann. Da haben sie dann schnell abgelassen. Und wir haben alles wieder in Ordnung gebracht. Ich habe ein paar Sachen geerntet, bio, die wuerde ich Euch gerne vorbeibringen. Super Cherrytomaten. Tom, koennen wir zu dir nach Hause kommen ? Bei mir ist nicht aufgeraeumt. »

Tom war einverstanden. Jetzt kam er zu Wort :

« Ich kam am naechsten Morgen mit Kaffee und Croissants zu dir an den Bus und du warst weg. Da dachte ich, ich werde dich nie wiedersehen und habe die Croissants weggeschmissen. » Er erzaehlte die Geschichte zwei mal und ich war echt betroffen deswegen.

« Ich habe einige Buecher, die ich dir zeigen wollte, aber ich kann sie nicht holen. Zwei meiner Finger sind gebrochen. »

Ich zog Dan Millmanns « Way of the peaceful warrior » und « Srimad Bhagavatam » hervor.

« Du kannst sie beide mitnehmen. »

« Oh, danke. »

Spaeter drueckte er mir noch eine Reihe von Buechern ueber Drachen, Feen und die Ritter der Tafelrunde in die Hand. Letzteres lieh er mir ebenfalls aus, um es zu lesen. Zwei Nachbarn kamen noch vorbei und es wurde eng in dem kleinen Zimmer. Doch bald ging ich mit den Buechern bepackt zum Bus.

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