Wie eine Prinzessin

Eines morgens wachte ich sehr frueh auf und nutzte die Gelegenheit, zum Vagabundencafé zu fahren. Ein Typ mit braunen nicht ganz kurzen Haaren und einem Vollbart hielt an. Auf dem Beifahrersitz lag ein Buch in hebraeischer Schrift.

„Wohnst du hier?“ fragte er mich.

„Ja, seit ueber einem Jahr. Zur Zeit bin ich in einem Bus auf dem Campingplatz und davor habe ich bei verschiedenen Leuten gewohnt.“

„Ich bin seit vier Jahren in Frankreich. Es ist wie Ferien fuer mich. „Ich wohne ein Dorf weiter. Ich kann dir ein Grundstueck zeigen, wo du ein Tipi aufstellen kannst, wenn du willst.“

„Das klingt interessant.“

„Man kann bloss mit dem Auto nicht bis ganz Hochfahren, wenn es geregnet hat, weil die Strasse nicht befestigt ist und sich in einen einzigen Schlammpfuhl verwandelt.“

„Das ist nicht weiter schlimm. Ich kann bei dir vorbeikommen, damit du es mir zeigen kannst.“

„Ich habe nur noch wenig Zeit. Ich fliege uebermorgen nach Israel zurueck. Ich kann dich heute Nachmittag irgendwo abholen.“

„Ich habe um vier einen Termin beim Zahnarzt.“

„Dann hole ich dich dort um halb fuenf ab.“

„Besser um fuenf. Du weißt wo es ist?“

„Weiss ich.“

„Dann bis spaeter.“

Nach ausgiebigem Fruehstueck im Vagabundencafé (in der Tat ass ich, als haette ich eine Woche nichts gegessen) und der Entgegennahme meiner Post, stuerzte ich mich in die Dusche, um meine Haare zu waschen.

„Magst du nicht deine Haare foehnen?“ fragte anschliessend die Vagabundenhelferin.

 „Wir haben oben eine kleine Ecke dafuer eingerichtet.“

„Wenn das so ist, gerne.“

„Komm mit hoch. Ich zeige sie dir.“

In einem Nebenraum fand ich einen wunderschoen hergerichteten Platz mit einem Spiegel, einem Tisch voller Kosmetika vom Fussbalsam bis zum Lidschatten und einer liebevollen Dekorierung an der Wand. Entzueckt foehnte ich meine Haare. Mit: “Was fuer einen schoenen Platz ihr da eingerichtet habt. Da fuehlt man sich ja wie eine Prinzessin“, teilte ich den Vagabundenhelfern meine Begeisterung mit.

Auf dem Rueckweg machte ich einen Zwischenstopp an einer Quelle und fuellte meine mitgebrachten Flaschen auf. Auf dem Weg zum Zahnarzt begegnete ich Alex auf seinem Fahrrad.

„Mir ist kalt“, entfuhr es ihm.

„Letzte Woche waren es fuenfzehn Grad, jetzt sind es nur noch fuenf. Da muessen wir schon zwei Pullover mehr anziehen.“

„Zwei Pullover mehr…“

„Ich bin gerade auf dem Weg zum Zahnarzt.“

„Zu welchem?“

„Doktor Riché.“

„Ich gehe zu Doktor Chevalier. Er ist der beste Zahnarzt, den ich je in meinem Leben hatte. Er tut einem gar nicht weh und ist ganz schnell. Er ist Meister des Aikido.“

„Jetzt habe ich schon einen Termin mit dem anderen ausgemacht, aber vielleicht fuer die Zukunft…“

Auch mein Zahnarzt war unglaublich schnell. In fuenf Minuten war die Sache gemacht.

„Der Zahn ist gebrochen, aber ich fuelle ihn einfach mit Zement auf.“

Und dafuer hatte mir andernorts die Assistentin eines Zahnarztes Kostenvoranschlaege zwischen sechs- und achthundert Euro gemacht!

Der Israeli kam mich dann doch nicht abholen und so trampte ich zurueck. Heidi hielt an, die mit Christine im Auto sass.

„Was fuer ein Glueck. Ich bin naemlich schwer bepackt. Ich habe Wasser von der Quelle mitgebracht.“

„Warum faehrst du denn nicht mit dem Auto? Hast du keinen Fuehrerschein?“ fragte mich Heidi.

„Doch, aber ein Bus ist in der Werkstatt und der, in dem ich schlafe, hat keine Versicherung auf meinen Namen. Wenn ich damit fahre und einen Unfall baue, dann habe ich ein Problem. Im Notfall kann ich damit fahren, aber es lag kein Notfall vor. Ausserdem mag ich es nicht, auf die Rampen hochzufahren. Da trampe ich lieber zwei Stunden“.

So fuhr ich am naechsten Nachmittag ins Dorf, in dem der Israeli wohnte, obwohl ich keine Ahnung hatte wo genau und ich seinen Namen nicht kannte. Als ich am Platz mit der Telefonzelle ankam und in ein gerade anfahrendes Auto schaute, erblickte ich ihn darin.

„Hey, ich komme zu dir,“ begruesste ich ihn.

„Whow, da hast du aber Glueck. Ich war bloss gerade einmal fuenf Minuten am Telefonieren.“

„Siehst du?“

„Komm, ich zeig dir das Grundstueck: Steig ein.“

Wir fuhren auf einer Erdstrasse bis zu tiefe Furchen darin waren.

„Ich stelle das Auto hier ab. Den Rest laufen wir.“

Wir liefen immer mehr den Berg hinauf.

„Da drueben, wo du das Zelt siehst, sind Freunde von mir. Es sind Rainbowleute. Sie empfangen auch Gaeste zum Uebernachten. Sie squattieren das Grundstueck. Es gibt nicht wenige Leute hier, die Grundstuecke besetzen.

„Was fuer ein wunderschoener Blick!“

„Hier faengt das Grundstueck an.“

Er zeigte auf ein paar Steine zwischen Baeumen und Gestruepp.

„Hier ist ein Weg, der zum Gipfel fuehrt. Dort oben ist ein Bauer mit seinem Vieh. Und auf der anderen Seite des Gipfels ist ein altes Haus. Frueher haben die Leute oben auf den Bergen gewohnt, erst spaeter zogen sie runter ins Dorf. Die meisten Haeuser, die du im Dorf siehst waren frueher Staelle.“

„Ich kenne auch einen, der in einem ehemaligen Stall wohnt.“

„Und hier kannst du ein Tipi aufbauen.“

„Ah, klasse. Hier ist es eben. Und ein paar Baeume fuer Schatten sind auch da.“

„Ja, die Baeume bloss bitte nicht faellen.“

„Klar doch.“

„Ich habe das Grundstueck gekauft, weil meine Mutter in der Naehe wohnt. Aber jetzt gehe ich nach Israel zurueck und weiss nicht, wann ich wiederkomme. Vielleicht bloss mal im Sommer fuer ein paar Wochen. Vielleicht auch erst in drei oder vier Jahren. Ich biete dir an, es zu nutzen, weil ich viel gereist bin und auch mir Leute angeboten haben, ihre Grundstuecke zu nutzen. Das war phantastisch. Und ich selbst bin auch jemand, der keine Miete bezahlen will.“

„Whow, ich danke dir. Jetzt ist es nachts noch zu kalt, aber sobald es waermer wird… Ich habe zwar kein Tipi, aber mein Freund hat ein grosses Zelt.“

„Du kannst auch einen Gemuesegarten anbauen.“

„Das habe ich auch gerade gedacht.“

„Wasser kannst du so einen Tausend-Liter-Kanister nehmen. Bleibt bloss die Sache mit der Toilette. Ich wollte schon ein Toilettenhaeuschen hinbauen, aber ich habe es nicht geschafft. Du kannst aber einen Eimer nehmen und das Ganze dann vergraben; am besten auf einem anderen Grundstueck. Und rede nicht so viel davon. Mit jungen Leuten schon, es koennen auch Freunde von dir herkommen, aber nicht mit alten. Die haben Angst. Und dann ist da ja das neue Gesetz, dass man nicht mehr im Tipi und so wohnen darf. Aber der Buergermeister hier ist eigentlich ganz o.k..“

Wir liefen wieder runter und verabschiedeten uns. Ich war ziemlich von den Socken.

Am anderen Nachmittag traf ich Bob.

„Ich komme gerade von der Arbeit. Eigentlich bin ich ganz schoen muede, aber magst du nicht mit zu mir kommen?“

„Ich wollte noch einen kleinen Spaziergang machen bevor es dunkel wird, aber danach komme ich vorbei.“

Eine Stunden spaeter war er nicht da, beziehungsweise machte nicht auf, so dass ich noch meine Runde zum Bio- und Fruechte- und Gemueseladen drehte, wo ich Gurken und Maronen fand. Als ich wieder zu ihm kam, machte er auf.

„Komm rein, ich habe noch Besuch.“

Ein junges Paerchen und ein Herr um die Fuenfzig begruessten mich.

„Ich bin ganz neu in der Region. Ich bin vor einer Woche hergezogen,“ liess mich der Herr wissen waehrend er sich etwas zu essen kochte.

„Gehen wir ins Kaminzimmer. Die anderen sind gegangen,“ meldete sich Bob.

„Ich dachte, du waerst in Indien, weil ich dich schon so lange nicht mehr gesehen habe.“

„Da waere ich auch gerne, aber es hat nicht geklappt, weil uns die Frau, fuer die wir gearbeitet haben, nicht bezahlt hat. Und ich musste im Januar 2400 Euro Steuern fuer das Haus bezahlen fuer ein ganzes Jahr. Da blieb mir kein Geld fuer die Reise. Wir haben dann aufgehoert, bei ihr zu arbeiten, vor allem, weil sie auch sagte, es sei nicht gut gemacht, dabei haben wir exzellente Arbeit geleistet. Alles ist aus Pinien-  und  der Fussboden aus Zedernholz. Sie sagte dann, sie zahle spaeter und wir nahmen die Arbeit wieder auf. Aber beim naechsten vereinbarten Datum sagte sie, sie habe jetzt kein Geld und vertroestete uns auf Maerz. Heute wurde ich echt sauer auf sie, weil sie meinte, wir sollten unsere Werkzeuge nicht in der Garage lassen. Ich schrie sie an: ’Wollen Sie, dass wir die Arbeit fertig machen oder nicht?’“

„Na ja, vielleicht waere es besser aufzuhoeren, wenn sie nicht bezahlt.“

„Nein, ich vertraue einfach darauf, dass sie bezahlt und dass alles gut laeuft. Nach dem Gesetz der Resonanz. Wenn ich das Gute denke, dann ziehe ich auch das Gute an. Beim ersten Mal, als sie nicht zahlte, habe ich das Vertrauen verloren und ich glaube, das war mein Fehler.“

„Ich weiss nicht so recht. Manchmal ist es auch so, dass uns das Gefuehl ganz am Anfang sagt, dass da etwas nicht hundert Prozent in Ordnung ist und dann ist es besser, die Finger davon zu lassen. Wenn wir das Gefuehl ausser acht lassen, belehrt uns das Leben eines Besseren.“

„Du meinst die Intuition. Nein, wir machen die Sache jetzt fertig und ich vertraue einfach darauf, dass sie bezahlt. Aber generell habe ich das Gefuehl, die Leute leben wie in einem Film, in dem sie sich selbst als Hauptdarsteller sehen. Die Leute, die zu viel Fernsehen und Filme sehen, haben den Bezug zur Realitaet verloren. Sie wissen gar nicht mehr, was Realitaet ist. Sie leben wie im Film und gehen so mit uns um. Ein Freund von mir ging seine Mutter besuchen, die gerade eine Soap opera sah und immer zu einem der Darsteller meinte: ‚Dieser Typ ist schrecklich! Dieser Typ ist schrecklich!’. Mein Freund sagte: ‚Aber Mama, das ist nicht die Wirklichkeit. Das ist nur ein Schauspieler, der eine Rolle spielt.’ Sie gab ihm zwar recht, aber machte damit weiter, den Schauspieler als schrecklich zu betiteln.

Auf jeden Fall habe ich jetzt zwei Zimmer vermietet. Das bringt mir ein bisschen Geld.“

„Das Haus ist einfach zu gross, um alleine darin zu wohnen.“

„Ich hatte vor laengerer Zeit mal an eine Frau mit zwei kleinen Kindern zur Untermiete. Aber sie war eine Messie. Es sah ueberall aus, als haette eine Bombe eingeschlagen. Ausserdem machte ich den Fehler, nur 350 Euro zu verlangen, alles inklusive. Sie liess ueberall die Lichter brennen und wusch ohne Ende Waesche. Ich glaube, sie hat auch fuer andere Leute gewaschen und Geld damit gemacht. Meine Stromrechnung stieg von 23 auf 170 Euro. Am Ende habe ich sogar noch draufgezahlt. Deshalb hatte ich erst mal keine Lust, Zimmer zu vermieten.

Am Wochenende war ich in den Bergen und habe frisches Quellwasser mitgebracht. Magst du deine Flasche damit auffuellen?“

„Ja, gerne.“

„Jetzt wollen sie dem Leitungswasser ja ausser Chlor noch Fluor beimischen. Damit wir vollkommen lethargisch werden. Und Lithium. Lithium, stell dir das vor. Ich wuerde es am liebsten gar nicht mehr bezahlen. Wo man es sowieso nicht trinken kann.“

„Du kannst es zum Putzen benutzen, zum Waschen und fuer’s Klo. Den Boden putzen mit Chlor, Fluor und Lithium…“

„Stimmt, dann brauche ich gar keine Reinigungsmittel mehr. “Ich bin sowieso sauer auf sie. Jetzt faellen sie die Baeume.“

„Ich glaube, sie schneiden nur die Aeste.“

„Nein, sie faellen auch die Baeume. Ueberall in Frankreich. Sie faellen die Baeume an den Alleen. Angeblich, weil so viele Leute an die Baeume fahren.“

„Sie zerstoeren das Schoenste, was sie haben.“

„Auf der anderen Seite tun sie oft etwas nicht, wenn sie kein Recht dazu haben. Ich wollte mir weitere Solarzellen auf dem Dach installieren und liess mir einen Kostenvoranschlag machen. Es kam einer und schaute sich die Sache an. ‚Ich habe nicht das Recht’, sagte er. Angeblich wuerde es das Dorfbild zu sehr veraendern,  wenn man auf die Daecher guckt.  Es hat wohl auch was mit der Kirche zu tun.“

„Ich habe schon andernorts gehoert, dass keine Solarzellen auf dem Dach installiert werden duerfen, angeblich weil es beim Drueberfliegen nicht schoen aussieht“.

„Bis jetzt habe ich nur Solarzellen fuer mein warmes Wasser. Na ja, dann muss ich es so belassen, aber es ist nervig. Man kann einfach nicht machen, was man will.“

„Ich glaube, ich geh mal, mir was zu Essen machen. Ich habe Hunger.“

„Ich kann dir hier was zu Essen machen. Ich habe Tonnen zu Essen.“

„O.k., ich nehme die Einladung an.“

„Hier hast du erst mal Brot und Kaese als Aperitiv.“

„Ich kann aus meinen gefundenen Gurken einen Salat machen.“

„Nimm noch etwas von dem Salat dort dazu.“

Kaum hatte ich das Aperitiv gegessen, stand Tagliatelle mit Mangold auf dem Tisch.

„Whow, so schnell und so lecker!“

„Ich war frueher Koch. In guten Restaurants. Es gibt noch Nachtisch im Kuehlschrank. Schau mal nach.“

„Mhmm, Mousse! Die Franzosen sind Koenige im Moussemachen.“

„Und Fruechte gibt es auch.“

„So gut habe ich ja schon lange nicht mehr gegessen. Da fuehlt man sich ja wie eine Prinzessin!“

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