Sonnenblumen und wilder Spinat

Pierre lud mich dann mit einem Freund von ihm zum Mittagessen in ein chinesisches Restaurant in einer etwas weiter entfernten Stadt ein. Es war sehr lecker. Da mich der Hollaender zum wwoofen auf einem Permakulturbauernhof mit Gaestebetrieb eingeladen hatte, wollte ich eventuell von dort aus dorthin trampen, war mir jedoch nicht sicher. Nie war ich dort in der Gegend gewesen und nie zuvor hatte ich wirklich gewwooft. So hatte ich die beiden Maenner wegfahren lassen, entschied ich mich am Ende nach einiger Bedenkzeit aber doch gegen das Wwoofen. Es passte einfach nicht wirklich fuer mich. So lief ich durch die Stadt und lernte irgendwann jemanden kennen, der mich zum Uebernachten bei sich in einem kleinen Dorf einlud. Er bereitete mir ein leckeres Abendessen aus lauter Rohkost. Daneben lief ein Spiel der Fussballweltmeisterschaft. Am naechsten Morgen wollte ich fast schon frueh gehen, drehte dann aber doch um, weil ich es nicht nett meinem so lieben Gastgeber gegenueber fand. Und dann erst erzaehlte er mir seine wahre Geschichte:

“Normalerweise waere ich schon lange tot. Ich bin als Kind mit Tuberkulose aufgewachsen und meine Lungen waren irgendwann zerstoert. Ich lag einmal zwei Monate im Koma. Sie hatten mich schon abgeschrieben und von den Instrumenten abgehaengt. Ich hatte lange Zeit kein Lebenszeichen von mir gegeben und galt fuer sie als tod. In dem Moment, in dem sie die ueberlebenswichtigen Instrumente abgehaengt hatten, fuhr ich aus dem Koerper und schwebte ueber mir. Ich sah mich von oben. Doch da kam eine Hand aus meinem Koerper und zog mich wieder zurueck. Es war mein Bruder, der auch mein Schutzengel ist. Er wollte nicht, dass ich gehe. In dem Moment, als ich in meinen Koerper zurueckkehrte, bewegte ich mich mit grosser Wucht und die Aerzte sahen, dass ich noch lebte. Einige Zeit spaeter habe ich eine neue Lunge eingesetzt bekommen. Ohne sie waere ich nicht mehr am Leben. Ich habe versucht, den Spender zu ermitteln, aber sie wollen nicht, dass man den Spender kennt und es ist mir auch nicht gelungen, es herauszufinden. Aber ich muss mit Medikamenten leben bis an mein Lebensende.”

Offenbar hatte er auch schon mehrere Leute so wie mich eingeladen- und nicht immer nur positive Erfahrungen gemacht. Aber er wollte weiter das Teilen, was er hat und ich war ihm aeusserst dankbar dafuer. Nach dem Fruehstueck nahm er mich mit zurueck in die Stadt. Ich wusste jdoch gar nicht, wohin ich fahren sollte, zurueckfahren fuehlte sich nicht richtig an und so probierte ich mal eine neue Richtung aus, in der ich noch nicht gewesen war. Eine Frau hielt sofort an und fragte, wo ich hinwolle.

“Ich weiss gar nicht so recht, wo ich hin will,” gab ich ehrlich zu.

“Ich fahre zu meinem Vater. Er wohnt etwa zwanzig Kilometer von hier entfernt. Du kannst mitkommen zum Kaffee trinken.”

Ich kam mit und wurde eingeladen, dort zu bleiben. Ihr 16-jaehriger Sohn war auch dort zu Gast. Es gab einen herrlichen Garten, vier Katzen und eine aeltere deutsche, mit einem Hollaender verheiratete Putzfrau, mit der ich mich kurz unterhielt. Jedoch waren in dem Zimmer, das sie mir angeboten hatten Floehe, die mich zu hauf ansprangen, als ich mich darin einrichten wollte! Am Ende durfte ich in einem anderen Zimmer schlafen (das Flohfrei war) und sie raeucherten den Raum am naechsten Tag mit einer Anti-Floh-Bombe aus.

Ich durfte im Internet surfen solange ich wollte und ging am Fluss spazieren, wo es schoen schattig und weniger heiss war. Dominique kam fast taeglich vorbei und brachte auch mal eine Freundin mit, die gerade Grossmutter geworden war und ansonsten unter Depressionen litt. Sie fuhren das Baby gemeinsam besuchen. Nach ein paar Tagen merkte ich schon, dass mein Besuch dem Vater vielleicht etwas zu viel werden wuerde und Dominique liess auch so etwas anklingen. Ich trampte derweil in die Stadt, um nach einem Badeanzug Ausschau zu halten, fand jedoch nichts im Hiesigen Billigsecondhandladen. Beim Zuruecktrampen jedoch nahm mich ein Bulgare mit, dem ich von meinem Leben erzaehlte und davon, dass ich nicht mehr lange wuerde bleiben koennen wo ich war.

“Du kannst zu mir kommen, wenn du noch ein paar Tage hierbleiben willst.”

“Ja super.”

Ich war gerettet.

Am naechsten Morgen weckte mich Dominique glatt um kurz nach acht und sagte mir, wir muessten schnell gehen, weil ihr Vater sie schon am fruehen Morgen genervt hat.

„Er steht unter Strom. Also dann gehen wir gleich in einer halben, dreiviertel Stunde.“

Sie hatte es eilig. Wir fuhren zusammen mit ihrem Sohn zu ihr. Es war ein kleines Haus im Stadtzentrum. Ich machte erstmal sauber. Sie fuhr am nachmittag zum etwas weiter entfernten Zahnarzt und ich wollte erst mitfahren mit all meinem Sack und Pack, dann ueberlegte ich es mir jedoch anders und blieb in der Stadt. Ich ging erstmal in den Park, wo mich ein Algerier auf einer Bank nach Feuer fragte. Neben ihm sass ein aelterer beleibter Herr, der mir gleich seinen Plastikreif zeigte, den er um den Knoechel trug. Wie ich anfangs nur vermutete und spaeter erfuhr, war er ein Zigeuner.

„Noch vier Tage, dann bin ich frei. Ich bin unter Hausarrest und habe taeglich nur drei Stunden Ausgang – von zwei bis fuenf Uhr. Ich habe zwei Jahre bekommen. Erst vier, dann zwei. Wegen Fahrerflucht. Die Polizei war hinter mir her. Ich bin 1600 Kilometer gefahren bis sie mich gekriegt haben. Ich war sogar im Fernsehen deswegen. Und du? Was machst du hier? Im Urlaub?“

„Ja, immer im Urlaub.“

„Wenn du nicht weisst, wo du schlafen sollst, ich habe eine Wohnung, die ich nicht nutze, weil ich bei meiner Freundin wohne. Wenn du willst, zeige ich sie dir. Es ist gleich in der Naehe,“ lud mich der Algerier ein.

„Ja, o.k.“

„Auf, gehen wir.“

Eine nette junge Frau empfing uns und bot uns einen Kaffee an. Sie erzaehlte, dass sie mehrere Tage fuer den Onkel ihres Freundes gearbeitet hatte, von morgens frueh bis abends spaet und sie hatte gerade einmal zwanzig Euro fuer den ganzen Tag bekommen.

„Das macht zwei Euro die Stunde.“

Waehrend wir uns unterhielten, lief eine Sendung im Fernsehen, die Frauen auf dem Gynaekologenstuhl vor und nach der Entbindung zeigte.

„Frueher gab es so etwas nicht im Fernsehen zu sehen. Das ist ja geschmacklos“, begann ich meinen Unmut zu aeussern.

„Heutzutage zeigen sie alles im Fernsehen. Das ist unglaublich,“ warf die Frau ein, machte aber keinerlei Anstalten, das Geraet abzuschalten oder das Programm zu wechseln.

„Bei uns in Algerien waere so etwas unmoeglich. Da gibt es so was nicht.“

Mir war alles nicht ganz koscher bei den Leuten, denn der Algerier nutzte die ganze Zeit Schimpfwoerter und so zog ich vor, zu verschwinden und zu dem Bulgaren zu fahren. Der Algerier war darueber nicht sehr angetan, denn aus irgendwelchen Gruenden haette er mich wirklich gerne beherbegt, aber das war mir egal. Mir fehlte das Vertrauen. So trampte ich zu Nikolai und wurde von ihm nett empfangen.

Genau wie mein Gastgeber mir erzaehlt hatte, hatte auch ich Probleme mit dem Einschlafen, weil es so warm war, wachte jedoch schon um acht Uhr auf. Er war schon auf die Arbeit gegangen und ich verbrachte fast den ganzen Tag am Computer. Als er nach der Arbeit von einem Zahnarztbesuch zurueck war, fuhren wir zum Vogelschutzgebiet in der Naehe und machten einen wunderschoenen und recht ausgedehnten Spaziergang mit Blick auf verschiedene Wasser- und Landvoegel. Davor hatte ich ihm die Geschichte mit meinem Bus erzaehlt, weil ich ihn vielleicht dazu bewegen wollte, mit mir mein Fahrrad zu holen. Aber nachdem ich fertig war mit meiner Geschichte, winkte er ab.

„Da ist es besser, darauf zu verzichten. Ich selbst will mit solchen Leuten nichts zu tun haben, auch wenn ich dir helfen moechte.“

Die Tage bei Nikolai verbrachte ich fast alle komplett im Internet, waehrend er arbeitete. Das einzige, was ich abgesehen von meinen taeglichen Spaziergaengen sonst noch tat, war die Wohnung fegen, die zum Glueck sehr pflegeleicht war. Dabei brachte ich mal wilden Spinat und ein anderes essbares Kraut mit. Mein Gastgeber freute sich sehr darueber.

“Das ist besser als der Salat, den ich kaufe.”

Dann ging ich mal zum Dumpstern zum Supermarkt, obwohl ich schon zwei Mal nichts gefunden hatte. Sie hatten allerdings eine halbe Stunde laenger offen als gedacht und ein Wagen stand noch vor der Tuer. Ich wartete 20 Minuten nach der Schliessung ab und wurde fuendig. Es gab einige Dosen Erbsen, Nudeln, Mehl und Zucker. Bloss der Geschaeftsfuehrer sah mich, als er herauskam. Ich gruesste nett und er bedeutete mir mit dem Zeigefinger, dass ich das nicht tun darf. So lief ich schwer bepackt zurueck. Sowieso habe ich immer mehr das Gefuehl, dass die grosse Dumpsterzeit vorbei ist. Eine Sonnenblume vom Feld brachte ich auch mit. Nikolai freute sich sehr.

“Ich liebe Sonnenblumen. Das bringt eine ganz andere Atmosphaere in die Wohnung. Und Dumpstern, das habe ich noch nie gemacht. Und was die alles wegschmeissen!”

“Na ja, du hast auch ein Einkommen. Du hast das Dumpstern auch nicht noetig. Das machen Leute, die kein Einkommen haben oder nur ganz wenig Geld. »

“Na, es gibt auch andere Leute, die Containern. Ich habe mal eine Reportage gesehen. Das machen auch viele Studenten – aus Prinzip.”

Ich entdeckte sehr interessante Dinge im Internet wie die slawischen Veden, die 40.000 Jahre alt sein sollen. War mir bisher total unbekannt. Darin war zum Beispiel die Rede davon, dass der Schoepfergott zornig wird, wenn Frauen ihre Kinder nicht austragen. Dass wir arm werden, wenn wir uns nicht finden und uns dann alles genommen wird. Dass wir unser Land nicht verlassen sollen, weil es sonst als Verrat zaehlt. Und dass wir unser Selbst nicht abgeben sollten…

Eines Abends kam ein Onkel von ihm zu Besuch, der im Norden Frankreichs wohnte. Wir unterhielten uns lebhaft.

“Ich kenne einen Mann, der schon drei Mal die ganze Welt umrundet hat. Mit allen moeglichen Verkehrsmitteln: mit dem Flugzeug, per Anhalter, mit Zug und Bus.”

Beeindruckend.

Einmal kochte ich Nudeln fuer uns, weil er anfangs immer gekocht hatte. Beim Essen kamen wir auf Filme zu sprechen, beziehungszeise darauf, dass ich mir nur aeusserst selten einen Film anschaute.

“Aber ein Film, den ich mir doch gerne mal anschauen wuerde, weil er, als er herauskam so viel besprochen war, ist der Film THRIVE – obwohl er umstritten ist.”

Er war ebenfalls interessiert, ihn anzusehen und so schauten wir ihn uns zur Haelfte an. Dann wurde es zu spaet.

Manchmal erzaehlte Nikolai von Bulgarien.

« Sie haben in zehn Jahren alles kaputt gemacht. Die ganze Natur. Und jetzt fahren die Leute mit dicken Autos herum mit Vierradantrieb. Man fragt sich, wie die das machen.”

“Auf Pump.”

“Sicherlich.”

Dann stiess ich auf ein Buch von Armin Rott mit dem Titel “Wenn Gott dein Ziel ist”. Ich notierte mir einige interessante Saetze:

“Denn wir waehlen immer zwischen Liebe und Angst, Wahrheit und Illusion, Gott oder der Welt.”

“Du sollst begreifen, dass du unschuldig bist, egal was in deinem Leben zu geschehen scheint.”

“Alles ist vorherbestimmt, aber wenn man wahre Vergebung uebt, ist es moeglich, Zeitdimensionen zu veraendern und dann ein anderes Ergebnis zu betrachten. Wie in einem Film.” Und:

“Es geht immer wieder um Vergebung – das ist alles. Wenn man sie ausuebt, kommt man am Ende heim zu Gott.”

Zimmer zu vermieten

Bei meinem Weg durch die Innenstadt sah ich zwei Maenner neben ihren abgestellten Rucksaecken auf der Strasse stehen.

„Kommt Ihr aus Polen?“ sprach ich sie an.

„Ich bin halb Pole – halb Russe.“

„Und ich bin halb Amerikaner, halb Deutscher.“

Sie hatten sich am Meer kennengelernt und waren ueber die Berge hierher gelaufen. Der Pole hatte verschiedentlich in Frankreich gearbeitet, aber jetzt waere es schlecht mit Arbeit.

„Die Spanier und Portugiesen sind jetzt ueberall, wo es frueher Arbeit gab, weil es dort so schlecht geht. Dann kommen noch die Rumaenen dazu. Da ist gerade nichts zu machen. Dann habe ich mal in Belgien gearbeitet und dadurch meinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ueber 2.200 Euro pro Monat verloren. Ich haette nicht ausser Landes gehen sollen, aber das wusste ich nicht. Man hat schon nach drei Jahren im Land das Recht auf das Minimum. Aber du musst immer an einem Ort bleiben. Alle zwei Wochen wird das ueberprueft.“

„Ich habe gehoert, man kann drei Monate wegbleiben.“

„Nein. Sie pruefen alle zwei Wochen, ob du wirklich da bist.“

Wir gingen dann zu einer der Hilfsorganisationen und sammelten unterwegs die uebrig gebliebenen Fruechte des Marktes auf, die wir anschliessend gemeinsam verzehrten: Honigmelonen, Orangen und Birnen. Die beiden gingen dann, weil es nicht gab, was sie brauchten (ein Paar neue Schuhe), waehrend ich in einem Pulk von Frauen auf die Oeffnung wartete. Ich fragte nach einem Schlafsack und bekam auch einen, den ich von drei Euro auf zwei Euro runterhandelte, denn sie duerften nichts mehr umsonst abgeben.

Frueher hatte ich hier in der Stadt immer tonnenweise Lebensmittel gedumpstert, aber das war nun vorbei. Die Muelltonnen der Supermaerkte waren fast alle verschwunden und ins Unterirdische verlagert worden. Es gab nur noch Behaelter zum Einwerfen. Das unter anderem auch, weil die Leute, die gedumpstert hatten, zu viel Dreck herumliegen liessen. Aber ich fand dann doch noch andernorts eine Menge an Lebensmitteln, vor allem Kekse und Joghurts, die ich  mitnahm. Zum Glueck lief mir mein erster Gastgeber Claude ueber den Weg, der mir nicht nur beim Tragen der schweren Last half, sondern mich auch zum Abendessen und Uebernachten zu sich einlud. Nach dem Essen meinte er:

„Ich gehe dann mal Zigaretten suchen.“

In der Tat suchte er Zigarettenstummel.

„Ich habe kein Geld. Vielleicht kriege ich in ein paar Tagen etwas zurueck von jemandem, dem ich Geld geliehen habe, sonst habe ich nichts bis zum sechsten des naechsten Monats (das waren noch zwei Wochen). Mein Neffe hatte Geburtstag; da musste ich was schenken und nun habe ich nichts mehr.“

Ich schenkte ihm ein Paeckchen Tabak. Am naechsten Tag sah ich auf der Strasse eine aeltere Dame, deren Haaransatz regelrecht orange leuchtete. Wir sprachen uns gleichzeitig an. Sie war zwar Franzoesin, hatte aber vierzig Jahre lang in Brasilien gelebt. Und sie war achzig Jahre alt, obwohl sie aussah, wie fuenfundsechzig. Ich begleitete sie ein Stueck des Weges und ging auch wieder mit ihr zurueck, weil sie ihr Handy bei ihrer Freundin vergessen hatte.

„Ich vergesse immer etwas. Das ist das Alter, wissen Sie?“

Sie lud mich zu ihr in eine sehr schoene Sozialwohnung ein.

„Normalerweise lade ich niemanden ein, aber bei Ihnen mache ich mal eine Ausnahme.“

Sie empfahl mir dann, mir eine Sozialarbeiterin zu nehmen. Ich waere dumm, wenn ich das soziale Netz nicht nutzen wuerde.

„Mir hat gerade jemand erzaehlt, sie wuerden zwei mal im Monat kontrollieren, ob man auch da ist.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich wurde nie kontrolliert und ich bin manchmal fuer Monate im Ausland.“

„Vielleicht, weil Sie schon im Rentenalter sind.“

„Ich jedenfalls habe nie davon gehoert. Ich mag die Stadt hier zwar auch nicht, aber hier gibt es Wohnungen. Ich kam hierher, weil ich in Brasilien ueberfallen wurde. Ich lag sechs Monate im Bett und danach entschied ich, hierher zu ziehen, weil meine Schwester hier wohnt.“

Ich erinnerte mich dann an einen Mann, der mich einen Tag zuvor um fuenfzig Cent gebeten hatte.

„Ich habe einen Betreuer und nur zwanzig Euro pro Woche zur Verfuegung. Dann bekomme ich immer mal Fuenfzig Euro zum Einkaufen und das war’s dann. Ich lebe schon sechs Jahre so.“

Claude erzaehlte anschliessend:

„Ich hatte frueher auch kein Telefon. Aber meine Sozialarbeiterin hat mich gezwungen, mir eines anzuschaffen. Sie wollen die Kontrolle haben, wo man ist.“

Ich las immer noch fast taeglich die neuesten Channelings. Es war wiederholt vom Loslassen die Rede.  Alte Dinge, die nicht mehr zu einem gehoeren solle man loslassen. Ich bezog es auf meinen Bus. Der Bus, um den sich fast taeglich meine Gedanken kreisten, aber fuer den ich keine Loesung fand. Also liess ich los. Irgendwie schaffte ich es eh nicht, ihn zurueckzuholen. Ich schrieb eine entsprechende Mail an den Mann, auf dessen Grundstueck der Bus stand, er moege die Papiere der Frau uebergeben, an den ich den Bus urspruenglich abgeben wollte.

Beim Spazierengehen las ich dann ploetzlich das Schild an einem Haus: „Zimmer zu vermieten“. Ohne zu zoegern klopfte ich an die Tuer. Eine Frau mit langen schwarz gefaerbten Haaren und ganz in schwarz gekleidet oeffnete mir die Tuer. Ich dachte im ersten Augenblick: „Das ist eine Hexe.“ Sie zeigte mir das Zimmer. Es war angenehm gross, die Einrichtung war nicht super, aber o.k., doch das Problem war die Durchgangsstrasse direkt nebenan. Wobei die Doppelglasfenster ganz schoen abdaemmten. Sie drueckte mir einen Zettel in die Hand, was es kostet und was es alles beinhaltet. Es war etwas teuer, aber dafuer alles inklusive. Sie spielte in einer Mittelaltertheatergruppe und es gab noch einen weiteren Mitbewohner, den ich aber nur kurz auf der Treppe sah, als ich mir den Garten anschaute. Vorher haette fuer fuenf Tage eine Frau dort gewohnt, aber sie hatte die Miete nicht gezahlt. „Ausserdem waren an einem Tag sieben Leute da und sie war dreckig. Ihnen leihe ich gerne auch Laken, weil Sie sauber sind. Die andere hatte dreckige Fingernaegel. Wir rauchen allerdings beide in der ganzen Wohnung, schauen aber dafuer kein Fernsehen und ich gehe erst um sechs Uhr morgens schlafen.“

Ich gedachte das Zimmer trotz aller Nachteile zu nehmen, gerade weil die Achtzigjaehrige gemeint hat, wir braeuchten ein Zuhause. Aber ich konnte vor Aufregung die halbe Nacht nicht schlafen. Ich ging dann am fruehen nachmittag mit meinen Sachen zu ihr. Wir wickelten die Formalitaeten ab und ich zahlte fuer elf Tage bis zu Beginn der eigentlichen Miete. Diesmal sah ich den Mitbewohner von nahem. Er war ebenfalls ganz in schwarz gekleidet und hatte auf seinem Ruecken ein grosses rosametallicfarbenes Kreuz: ein Gothic. Am Vortag hatte ich noch gedacht, er sei normal, aber die Praesenz zweier dunkler Wesen war fuer mich dann doch zu viel. Ich ging kurz zu Claude, um Ihm Bericht zu erstatten, da ich noch Sachen bei ihm gelassen hatte. Danach ging ich zurueck, um meine Sachen zu holen. Derweil arbeitete die Vermieterin mit zwei Klientinnen in ihrer Kostuemschneiderei. Ich machte in der Kueche ein wenig klar Schiff, weil der Mitbewohner den Zucker umgestossen und auf der Erde verteilt hatte. Beim Geschirrspuelen fand ich zwei Tassen mit Hexenfotos. Schliesslich ging ich zu ihr, als ich meinen Rucksack fertig gepackt hatte:

„Kann ich sie mal zwei Minuten sprechen?“

„Ja, klar.“

„Ich glaube, es ist doch nicht der Zeitpunkt, mich niederzulassen.“

Ich bekam anstandslos und vollkommen korrekt mein Geld zurueck, uebergab ihr den Schluessel und schon war ich weg, in Freiheit!

 

 

Neuere Internetseite: foodsharing.de

Im Dezember letzten Jahres ging eine neue Internetseite online, die Freeganer und Freeganerinnen vielleicht interessieren koennte: foodsharing.de. Hier koennen bestimmte Lebensmittel, die man gedumpstert oder sonstwie uebrig hat, anderen angeboten werden. Man kann sich auch verabreden, um gemeinsam zu Essen… Praktisch koennen die Angebote nach Staedten geordnet rausgesucht werden. In der Praxis ist zu sehen, wie es laeuft. Kann mir vorstellen, dass sich dadurch Kontakte zwischen Dumpsterern ergeben, die sich immer wieder austauschen. Das Problem werden wohl generell die weiten Wege in den Grosstaedten sein, die sich aufgrund eventueller Fahrtkosten wegen ein paar Kleinigkeiten nicht lohnen, denn wie ich sehe werden oft wirklich überwiegend solche angeboten. Ueberrascht hat mich allerdings der hohe Mitgliedsbeitrag von 60 Euro beim Verein, der ist weniger freegan. 60 Euro dafür, Sachen umsonst zu tauschen oder zu verteilen, na ja. Mir ist es ohne Internet sowieso noch lieber, Freunde, an die man gedumpsterte Sachen weitergeben möchte findet man doch immer.

Wer es ohne Mitgliedsbeiträge haben will, derfindet nicht essbare Sachen, die weggegeben werden unter http://alles-und-umsonst.de

Aktuell bin ich übrigens an einem Ort in good old germany, an dem auf einem Tisch in einem ganzen Häuserblock gedumpsterte Fressalien oder auch andere Sachen zum Abgeben einfach hingelegt werden und andere kommen vorbei und nehmen, was sie haben wollen mit. Finde ich super, denn so kann ich meine eigenen Sachen, die ich zu viel habe loswerden und finde anderes, das ich selbst nicht gefunden habe vor. Oder ich brauche erst gar nicht selbst loszugehen, weil genug zu Essen da ist. Äusserst praktisch…

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