Sonnenblumen und wilder Spinat

Pierre lud mich dann mit einem Freund von ihm zum Mittagessen in ein chinesisches Restaurant in einer etwas weiter entfernten Stadt ein. Es war sehr lecker. Da mich der Hollaender zum wwoofen auf einem Permakulturbauernhof mit Gaestebetrieb eingeladen hatte, wollte ich eventuell von dort aus dorthin trampen, war mir jedoch nicht sicher. Nie war ich dort in der Gegend gewesen und nie zuvor hatte ich wirklich gewwooft. So hatte ich die beiden Maenner wegfahren lassen, entschied ich mich am Ende nach einiger Bedenkzeit aber doch gegen das Wwoofen. Es passte einfach nicht wirklich fuer mich. So lief ich durch die Stadt und lernte irgendwann jemanden kennen, der mich zum Uebernachten bei sich in einem kleinen Dorf einlud. Er bereitete mir ein leckeres Abendessen aus lauter Rohkost. Daneben lief ein Spiel der Fussballweltmeisterschaft. Am naechsten Morgen wollte ich fast schon frueh gehen, drehte dann aber doch um, weil ich es nicht nett meinem so lieben Gastgeber gegenueber fand. Und dann erst erzaehlte er mir seine wahre Geschichte:

“Normalerweise waere ich schon lange tot. Ich bin als Kind mit Tuberkulose aufgewachsen und meine Lungen waren irgendwann zerstoert. Ich lag einmal zwei Monate im Koma. Sie hatten mich schon abgeschrieben und von den Instrumenten abgehaengt. Ich hatte lange Zeit kein Lebenszeichen von mir gegeben und galt fuer sie als tod. In dem Moment, in dem sie die ueberlebenswichtigen Instrumente abgehaengt hatten, fuhr ich aus dem Koerper und schwebte ueber mir. Ich sah mich von oben. Doch da kam eine Hand aus meinem Koerper und zog mich wieder zurueck. Es war mein Bruder, der auch mein Schutzengel ist. Er wollte nicht, dass ich gehe. In dem Moment, als ich in meinen Koerper zurueckkehrte, bewegte ich mich mit grosser Wucht und die Aerzte sahen, dass ich noch lebte. Einige Zeit spaeter habe ich eine neue Lunge eingesetzt bekommen. Ohne sie waere ich nicht mehr am Leben. Ich habe versucht, den Spender zu ermitteln, aber sie wollen nicht, dass man den Spender kennt und es ist mir auch nicht gelungen, es herauszufinden. Aber ich muss mit Medikamenten leben bis an mein Lebensende.”

Offenbar hatte er auch schon mehrere Leute so wie mich eingeladen- und nicht immer nur positive Erfahrungen gemacht. Aber er wollte weiter das Teilen, was er hat und ich war ihm aeusserst dankbar dafuer. Nach dem Fruehstueck nahm er mich mit zurueck in die Stadt. Ich wusste jdoch gar nicht, wohin ich fahren sollte, zurueckfahren fuehlte sich nicht richtig an und so probierte ich mal eine neue Richtung aus, in der ich noch nicht gewesen war. Eine Frau hielt sofort an und fragte, wo ich hinwolle.

“Ich weiss gar nicht so recht, wo ich hin will,” gab ich ehrlich zu.

“Ich fahre zu meinem Vater. Er wohnt etwa zwanzig Kilometer von hier entfernt. Du kannst mitkommen zum Kaffee trinken.”

Ich kam mit und wurde eingeladen, dort zu bleiben. Ihr 16-jaehriger Sohn war auch dort zu Gast. Es gab einen herrlichen Garten, vier Katzen und eine aeltere deutsche, mit einem Hollaender verheiratete Putzfrau, mit der ich mich kurz unterhielt. Jedoch waren in dem Zimmer, das sie mir angeboten hatten Floehe, die mich zu hauf ansprangen, als ich mich darin einrichten wollte! Am Ende durfte ich in einem anderen Zimmer schlafen (das Flohfrei war) und sie raeucherten den Raum am naechsten Tag mit einer Anti-Floh-Bombe aus.

Ich durfte im Internet surfen solange ich wollte und ging am Fluss spazieren, wo es schoen schattig und weniger heiss war. Dominique kam fast taeglich vorbei und brachte auch mal eine Freundin mit, die gerade Grossmutter geworden war und ansonsten unter Depressionen litt. Sie fuhren das Baby gemeinsam besuchen. Nach ein paar Tagen merkte ich schon, dass mein Besuch dem Vater vielleicht etwas zu viel werden wuerde und Dominique liess auch so etwas anklingen. Ich trampte derweil in die Stadt, um nach einem Badeanzug Ausschau zu halten, fand jedoch nichts im Hiesigen Billigsecondhandladen. Beim Zuruecktrampen jedoch nahm mich ein Bulgare mit, dem ich von meinem Leben erzaehlte und davon, dass ich nicht mehr lange wuerde bleiben koennen wo ich war.

“Du kannst zu mir kommen, wenn du noch ein paar Tage hierbleiben willst.”

“Ja super.”

Ich war gerettet.

Am naechsten Morgen weckte mich Dominique glatt um kurz nach acht und sagte mir, wir muessten schnell gehen, weil ihr Vater sie schon am fruehen Morgen genervt hat.

„Er steht unter Strom. Also dann gehen wir gleich in einer halben, dreiviertel Stunde.“

Sie hatte es eilig. Wir fuhren zusammen mit ihrem Sohn zu ihr. Es war ein kleines Haus im Stadtzentrum. Ich machte erstmal sauber. Sie fuhr am nachmittag zum etwas weiter entfernten Zahnarzt und ich wollte erst mitfahren mit all meinem Sack und Pack, dann ueberlegte ich es mir jedoch anders und blieb in der Stadt. Ich ging erstmal in den Park, wo mich ein Algerier auf einer Bank nach Feuer fragte. Neben ihm sass ein aelterer beleibter Herr, der mir gleich seinen Plastikreif zeigte, den er um den Knoechel trug. Wie ich anfangs nur vermutete und spaeter erfuhr, war er ein Zigeuner.

„Noch vier Tage, dann bin ich frei. Ich bin unter Hausarrest und habe taeglich nur drei Stunden Ausgang – von zwei bis fuenf Uhr. Ich habe zwei Jahre bekommen. Erst vier, dann zwei. Wegen Fahrerflucht. Die Polizei war hinter mir her. Ich bin 1600 Kilometer gefahren bis sie mich gekriegt haben. Ich war sogar im Fernsehen deswegen. Und du? Was machst du hier? Im Urlaub?“

„Ja, immer im Urlaub.“

„Wenn du nicht weisst, wo du schlafen sollst, ich habe eine Wohnung, die ich nicht nutze, weil ich bei meiner Freundin wohne. Wenn du willst, zeige ich sie dir. Es ist gleich in der Naehe,“ lud mich der Algerier ein.

„Ja, o.k.“

„Auf, gehen wir.“

Eine nette junge Frau empfing uns und bot uns einen Kaffee an. Sie erzaehlte, dass sie mehrere Tage fuer den Onkel ihres Freundes gearbeitet hatte, von morgens frueh bis abends spaet und sie hatte gerade einmal zwanzig Euro fuer den ganzen Tag bekommen.

„Das macht zwei Euro die Stunde.“

Waehrend wir uns unterhielten, lief eine Sendung im Fernsehen, die Frauen auf dem Gynaekologenstuhl vor und nach der Entbindung zeigte.

„Frueher gab es so etwas nicht im Fernsehen zu sehen. Das ist ja geschmacklos“, begann ich meinen Unmut zu aeussern.

„Heutzutage zeigen sie alles im Fernsehen. Das ist unglaublich,“ warf die Frau ein, machte aber keinerlei Anstalten, das Geraet abzuschalten oder das Programm zu wechseln.

„Bei uns in Algerien waere so etwas unmoeglich. Da gibt es so was nicht.“

Mir war alles nicht ganz koscher bei den Leuten, denn der Algerier nutzte die ganze Zeit Schimpfwoerter und so zog ich vor, zu verschwinden und zu dem Bulgaren zu fahren. Der Algerier war darueber nicht sehr angetan, denn aus irgendwelchen Gruenden haette er mich wirklich gerne beherbegt, aber das war mir egal. Mir fehlte das Vertrauen. So trampte ich zu Nikolai und wurde von ihm nett empfangen.

Genau wie mein Gastgeber mir erzaehlt hatte, hatte auch ich Probleme mit dem Einschlafen, weil es so warm war, wachte jedoch schon um acht Uhr auf. Er war schon auf die Arbeit gegangen und ich verbrachte fast den ganzen Tag am Computer. Als er nach der Arbeit von einem Zahnarztbesuch zurueck war, fuhren wir zum Vogelschutzgebiet in der Naehe und machten einen wunderschoenen und recht ausgedehnten Spaziergang mit Blick auf verschiedene Wasser- und Landvoegel. Davor hatte ich ihm die Geschichte mit meinem Bus erzaehlt, weil ich ihn vielleicht dazu bewegen wollte, mit mir mein Fahrrad zu holen. Aber nachdem ich fertig war mit meiner Geschichte, winkte er ab.

„Da ist es besser, darauf zu verzichten. Ich selbst will mit solchen Leuten nichts zu tun haben, auch wenn ich dir helfen moechte.“

Die Tage bei Nikolai verbrachte ich fast alle komplett im Internet, waehrend er arbeitete. Das einzige, was ich abgesehen von meinen taeglichen Spaziergaengen sonst noch tat, war die Wohnung fegen, die zum Glueck sehr pflegeleicht war. Dabei brachte ich mal wilden Spinat und ein anderes essbares Kraut mit. Mein Gastgeber freute sich sehr darueber.

“Das ist besser als der Salat, den ich kaufe.”

Dann ging ich mal zum Dumpstern zum Supermarkt, obwohl ich schon zwei Mal nichts gefunden hatte. Sie hatten allerdings eine halbe Stunde laenger offen als gedacht und ein Wagen stand noch vor der Tuer. Ich wartete 20 Minuten nach der Schliessung ab und wurde fuendig. Es gab einige Dosen Erbsen, Nudeln, Mehl und Zucker. Bloss der Geschaeftsfuehrer sah mich, als er herauskam. Ich gruesste nett und er bedeutete mir mit dem Zeigefinger, dass ich das nicht tun darf. So lief ich schwer bepackt zurueck. Sowieso habe ich immer mehr das Gefuehl, dass die grosse Dumpsterzeit vorbei ist. Eine Sonnenblume vom Feld brachte ich auch mit. Nikolai freute sich sehr.

“Ich liebe Sonnenblumen. Das bringt eine ganz andere Atmosphaere in die Wohnung. Und Dumpstern, das habe ich noch nie gemacht. Und was die alles wegschmeissen!”

“Na ja, du hast auch ein Einkommen. Du hast das Dumpstern auch nicht noetig. Das machen Leute, die kein Einkommen haben oder nur ganz wenig Geld. »

“Na, es gibt auch andere Leute, die Containern. Ich habe mal eine Reportage gesehen. Das machen auch viele Studenten – aus Prinzip.”

Ich entdeckte sehr interessante Dinge im Internet wie die slawischen Veden, die 40.000 Jahre alt sein sollen. War mir bisher total unbekannt. Darin war zum Beispiel die Rede davon, dass der Schoepfergott zornig wird, wenn Frauen ihre Kinder nicht austragen. Dass wir arm werden, wenn wir uns nicht finden und uns dann alles genommen wird. Dass wir unser Land nicht verlassen sollen, weil es sonst als Verrat zaehlt. Und dass wir unser Selbst nicht abgeben sollten…

Eines Abends kam ein Onkel von ihm zu Besuch, der im Norden Frankreichs wohnte. Wir unterhielten uns lebhaft.

“Ich kenne einen Mann, der schon drei Mal die ganze Welt umrundet hat. Mit allen moeglichen Verkehrsmitteln: mit dem Flugzeug, per Anhalter, mit Zug und Bus.”

Beeindruckend.

Einmal kochte ich Nudeln fuer uns, weil er anfangs immer gekocht hatte. Beim Essen kamen wir auf Filme zu sprechen, beziehungszeise darauf, dass ich mir nur aeusserst selten einen Film anschaute.

“Aber ein Film, den ich mir doch gerne mal anschauen wuerde, weil er, als er herauskam so viel besprochen war, ist der Film THRIVE – obwohl er umstritten ist.”

Er war ebenfalls interessiert, ihn anzusehen und so schauten wir ihn uns zur Haelfte an. Dann wurde es zu spaet.

Manchmal erzaehlte Nikolai von Bulgarien.

« Sie haben in zehn Jahren alles kaputt gemacht. Die ganze Natur. Und jetzt fahren die Leute mit dicken Autos herum mit Vierradantrieb. Man fragt sich, wie die das machen.”

“Auf Pump.”

“Sicherlich.”

Dann stiess ich auf ein Buch von Armin Rott mit dem Titel “Wenn Gott dein Ziel ist”. Ich notierte mir einige interessante Saetze:

“Denn wir waehlen immer zwischen Liebe und Angst, Wahrheit und Illusion, Gott oder der Welt.”

“Du sollst begreifen, dass du unschuldig bist, egal was in deinem Leben zu geschehen scheint.”

“Alles ist vorherbestimmt, aber wenn man wahre Vergebung uebt, ist es moeglich, Zeitdimensionen zu veraendern und dann ein anderes Ergebnis zu betrachten. Wie in einem Film.” Und:

“Es geht immer wieder um Vergebung – das ist alles. Wenn man sie ausuebt, kommt man am Ende heim zu Gott.”

The road is the best scool

„Es hat sich alles geaendert“, informierte mich André auf der Stelle. „Ich kann mein Wohnmobil nicht mehr einfach auflassen und weggehen wie frueher. Ich wurde nun schon zwei Mal beklaut. Und ich rede auch mit niemandem mehr ausser mit den Leuten, die ich von frueher kenne.“

Ich uebernachtete bei ihm im Wohnmobil  und trampte am naechsten Tag weiter, da er mir nicht so gerne mit meinem Bus helfen wollte. Am Abend nahm mich eine Frau mit, die ihren Freund besuchte, der auf einem Grundstueck in seinem Campingbus wohnte. Es war eine wunderschoene Gegend mit herrlichem Ausblick. Wir sassen im Freien und assen Sushi, das sie mitgebracht hatte. Zwei junge Leute mit Kleinkind wohnten in einem Haus in unmittelbarer Naehe.

„Zum Uebernachten kannst du waehlen zwischen Zelt und einem Bett im Haus“, lud mich ihr Freund ein.

„Dann nehme ich das Bett im Haus.“

Am naechsten Morgen empfing er mich mit:

„Du hast gut gewaehlt. Es hat heute nacht sogar gefroren.“

Ich erzaehlte ihm dann noch meine Geschichte mit dem Bus und er bot mir seine Hilfe an, allerdings erst in zehn Tagen.

„Du kannst gerne hierbleiben, wenn du willst. Ich fahre jedoch fuer eine Woche weg zu meiner Tochter.“

Ich wusste nicht recht, was tun und entschied mich kurzerhand, weiterzufahren. In der naechsten Stadt suchte ich den englischen Tom auf, aber seine Fensterlaeden waren geschlossen. Am Abend traf ich seinen Nachbarn, der nun nicht mehr in der Pizzeria, sondern in einem der beiden Cafés am Platz arbeitete. Ich fragte nach Tom.

„Der sitzt wohl im Knast. Die Polizei hat ihn abgeholt. Ich habe im Internet nach ihm recherchiert und zunaechst nichts gefunden. Erst als ich seinen Namen umgedreht habe, fand ich eine ganze Reihe von Informationen. Offenbar war er ein gesuchter Mann.“

Ein Mann, der mir am nachmittag schon sagte, ihm wuerde mein Outfit gefallen, lud mich zu sich sowohl zum Abendessen als auch zum Uebernachten ein. Claude erzaehlte mir, dass er jahrelang eine eigene Firma besass und schwer gearbeitet hatte. Aber dann war etwas in seinem Leben passiert, was er nicht verkraftet hat, so dass er alles aufgegeben hatte.

Am naechsten Tag wollte ich schon weiter, da gabelte mich beim Trampen ein mit Hut bekleideter, recht froehlich erscheinender Herr auf und lud mich zu einem Apero-Konzert gleich in der Naehe ein. Der Eintritt war auf Spendenbasis. Man konnte geben, was man wollte, musste jedoch irgendwas beisteuern, wenn auch nur ein paar Cent.

„Ich bin den Jakobsweg gegangen, erzaehlte er mir spontan. Von hier bis Santiago de Compostella. Das war im Jahre 2005.“

Nach dem Konzert lud er mich noch zu sich nach Hause ein.

„Ich wohne mit meinem Sohn zusammen, der aber gerade nicht da ist. Da hast du Platz. Mein Haus ist dein Haus. Ich arbeite in der Altenpflege. Ich betreue pflegebeduerftige Menschen in ihrer Wohnung.“

Wir unterhielten uns lange ueber alle moeglichen Themen.

„Ich bin Kabyle. Die Kabylei ist eine Region in Algerien. Die Araber haben uns so bezeichnet, weil wir den Koran ohne Gegenwehr angenommen haben.“

„Der Mensch ist die Summe seiner Entscheidungen“, war der interessanteste Satz, den er an diesem Abend sagte. Er trank den ganzen Abend an einer Flasche Rum, konnte dann allerdings scheinbar nicht sehr gut schlafen. Am naechsten Morgen setzte  er mich naemlich nach einer Tasse dekoffeiniertem Kaffee vor die Tuer, um seinen Kater zu kurieren. Am Tag zuvor wollte er mit mir noch gross auf Touren gehen… Zwei Tage spaeter traf ich ihn im Supermarkt wieder. Ich wartete an der Kasse auf ihn.

„Ich muss von halb sechs bis halb neun arbeiten. Und was machst du heute abend noch?“

„Ich weiss nicht.“

„Ich gebe dir meinen Schluessel. Du kannst zu mir gehen. Ich komme dann spaeter.“

So ging ich zu ihm und duschte erst einmal. Dann kam ich allerdings auf die weniger gute Idee, sein Netbook zu nehmen, mit dem wir an dem Abend zusammen im Internet waren. Ich schaute nach dem Namen von Tom und fand tatsaechlich eine Zeitungsmeldung von September 2013. Demnach hat er in den achtziger Jahren Kinder sexuell missbraucht. 2007 ging dann eine Frau deswegen vor Gericht. Er hatte sich hier versteckt, aber als er einen Reisepass beantragen wollte, wurden die Behoerden auf ihn aufmerksam. Er wurde zu acht Jahren Gefaengnis verurteilt. Danach schaute ich noch nach anderen Sachen bis mein Gastgeber heimkam und ein Donnerwetter losbrach.

„Das ist privat. Mein privates Laptop. Das haettest du nicht nehmen duerfen. Wie kommst du ueberhaupt dazu, in mein Zimmer zu gehen und es zu nehmen?“

„‚Mein Haus ist dein Haus‘ hast du zu mir gesagt.“

„Ja, das gilt fuer Kueche und Badezimmer. Dass du Duschen kannst und dir einen Kaffee kochen oder etwas essen. Aber nicht fuer meinen privaten Bereich. Jetzt hast du Punkte verloren.“

„Aber letzt hast du mich doch auch das Netbook benutzen lassen.“

„Das ist etwas anderes. Da war ich dabei. Das haettest du echt nicht machen duerfen.“

„Entschuldige mich. Ich sah das nicht als etwas persoenliches und habe auch nicht auf die privaten Sachen geschaut. Ich war nur im Internet. Ich bin verwoehnt von den anderen Orten, an denen ich bin. Dort darf ich ueberall das Internet benutzen.“

Er beruhigte sich dann wieder und erzaehlte, dass er den Herrn, den er versorgte in die Psychiatrie hatte einweisen lassen.

„Es war notwendig. Wegen seiner Krankheit. Er ist sowieso kurz davor, in die Hoelle zu kommen mit dem Kopf, den er hat.“

Als ich am Morgen aufstand, begegnete ich ihm im Flur.

„Ich schlafe noch. Ich bin nicht vor sechs Uhr ins Bett gegangen. Und du gehst dann besser. Ich muss heute alleine sein.“

Ich ging dann zum Surfen in den Park, denn dort gab es Wifi  vom Touristoffice.

„The road is the best scool“ fand ich als Spruch im Internet.

Ich traf dort spaeter einen Araber wieder, den ich schon kannte und mit dem ich ueber meinen Bus sprach.

„Ich wollte letzt ein Duplikat von Autopapieren fuer jemanden ausstellen lassen und sie wollten die technische Kontrolle, die nicht aelter, als sechs Monate ist, sehen.“

„Dann hat sich sowieso alles erledigt. Die technische Kontrolle ist ueber ein Jahr abgelaufen und ich habe auch kein Interesse, eine neue zu machen. Ich moechte eh nicht mehr mit dem Bus fahren.“

„Ja, sie sollen strenger geworden sein. Es ist nicht mehr so leicht wie frueher, durch die technische Kontrolle zukommen. Und wenn man ohne Kontrolle faehrt und wird erwischt, dann nehmen sie einem gleich das Fahrzeug weg und geben es einem erst wieder, wenn man damit zur Kontrolle faehrt.“

Abschliessend meinte er: „Du kannst gerne zu mir kommen zum Duschen oder auch zum Uebernachten, wenn du willst. Ich werde dich nicht draussen schlafen lassen. Ich gehe dann aber nach Hause. “

Er beschrieb mir, wo er wohnte.

„Ich habe keine Klingel, aber das Fenster ist offen. Rufe einfach.“

Ich ging kurze Zeit spaeter wirklich zu ihm und er machte auf. Wir unterhielten und ueber Gott und die Welt.

„Wer an Gott glaubt, kann sich kein Abbild machen, weder von ihm, noch von sonst etwas auf der Welt. Das ist ein Gebot. Viele religioese Gruppen machen das aber, auch die Mormonen,“ pflichtete er bei.

„In der Tat sind die Moslems fast die einzigen, die sich keine Abbilder machen,“ fuegte ich hinzu.

Als Markt war, sprach ich ausnahmsweise mal einen Verkaeufer an und fragte ihn, ob er Hilfe brauche.

„Nein, ich habe genug Zeit, um alles alleine aufzubauen.“

Es stellte sich heraus, dass er Nepalese war.

„Davon gibt es aber nicht viele hier in Frankreich. Du bist der erste, den ich treffe!“

„Ich habe auch noch keinen getroffen.“

„Und wie lange bist du schon hier?“

„Zehn Jahre. Ich bin hergekommen, um franzoesisch zu lernen und geblieben. Und jetzt verkaufe ich hier Sachen aus Nepal.“

„Ich war auch schon in Nepal. Vor vielen Jahren. Es ist mein Lieblingsland auf dieser Erde.“

„Dann wird es Zeit, dass du es wieder besuchst.“

„Ich habe den Annapurna-Trek gemacht.“

„Das ist auch mein liebster Treck, obwohl ich ihn nicht ganz gegangen bin. Nur Teile davon.“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile ueber dies und das, als auf einmal zwei Polizisten in Zivil auftauchten.

„Kontrolle.“

Sie zeigten beide ihren Ausweis.

„Arbeitet die Dame fuer Sie?“

Sie schauten zu mir.

„Hilft sie Ihnen beim Ausladen?“

„Nein. Wir haben uns nur unterhalten, weil er aus Nepal kommt, wo ich auch schon war.“

„Sie kommen aus Nepal?“

„Ja, ich komme aus Nepal.“

Sie liessen sich seine Papiere zeigen und der eine von beiden meinte zu mir gewandt:

„Sie haben doch geholfen, oder nicht?“

„Nein“, bestaetigte ich noch einmal, worauf er es bewenden liess. Trotzdem fragten sie:

„Und wo wohnen Sie?“

„Ich reise.“

„Da haben wir ja Glueck gehabt, dass du meine Hilfe nicht annehmen wolltest.“

„Kann man wohl sagen. Vor allem, dass wir auch keine Scherze gemacht haben, à la ‚Komm, du hast mir doch geholfen‘. Damit ist echt nicht zu Scherzen. Sie machen ihre Arbeit, aber ich mag sie trotzdem nicht.“

Spaeter ging ich zu einem anderen Stand mit indischen Klamotten, an dem ich den Verkaeufer kannte.

„Na, bist du nicht mehr in der Gemeinschaft? Haben sie Dich zu sehr gekidnappt?“

„Gekidnappt. Ja, genau das war’s.“

„Man kann einen auch mental kidnappen. So wie Sekten.“

 

 

 

 

 

Endlich in Spanien

Schliesslich trampte ich weiter. Mich nahm gleich ein Tunesier mit. Danach wartete ich etwas länger bis mich eine Spanierin aufgabelte. Sie hatte drei kleine Kinder auf der Rückbank sitzen, die sie betreute. Sie lud mich gleich zu einem fürstlichen Frühstück ein, mit Tee, Toast, Butter und Marmelade! Dabei erfuhr ich, dass sie den Zweijährigen schon beigebracht hatte, sich ganz ruhig miteinander zu beschäftigen und zu spielen. Ich war baff, dass ich all die Zeit, die ich dort war, kein einziges Geschrei hörte.

Als ich weiterfuhr, gelangte ich in eine kleine Stadt, in der ich mir die Kirche aus dem 12. Jahrhundert anschaute. Ein junger Pfarrer kam mir durch die Bänke entgegen und gab mir die Hand. Wir begannen, uns zu unterhalten. Er lächelte immer wieder, wenn er über Gott sprach. „Gott ist Liebe“, sagte er. „Wir Pfarrer in Frankreich verdienen wenig, nur 500 bis 600 Euro, aber das reicht schon.“

„Ich finde es gut wie das System hier ist, denn in anderen Ländern verdienen Pfarrer recht viel und somit ist es oft das Auskommen, das sie dazu bewegt, Pfarrer zu werden. Hier ist es wirklich der Glaube.“

„Ich bereite mich jetzt schon auf nächsten Sonntag auf die Messe vor. Um zu verinnerlichen worum es geht. “

„Ich kann ihnen das Evangelium von Maria Magdalena empfehlen,“ warf ich ein.

„Ja, es gibt viele Evangelien, auch von Thomas, von Philippus…“.

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen daraus vorlesen.“

„O.k.“

„Aber hier in der Kirche ist es etwas schattig.“ Es war schlicht und einfach zu kalt.

„Gehen wir raus“.

Wir setzten uns vor das Pfarramt und ich las ihm das Marienevangelium (http://indernachfolge.wordpress.com/2012/06/23/der-evangelium-der-maria-magdalena-von-jean-yves-leloup/) von vorne bis hinten vor, das ich in einer Kopie dabei hatte. Danach lud er mich zu Tee und Keksen ins Pfarrammt ein und zitierte mir sogar Sachen, die ich ihm gerade vorgelesen hatte. Er war ein Phänomen.

„Was mich immer erstaunt: in der Kirche sieht man immer nur alte Leute ausser in grösseren Städten vielleicht noch Studenten in der Studentengemeinde,“ liess ich verlauten.

„Wir haben zwei Generationen verloren. Und wenn die Kinder nicht die Basis vermittelt bekommen, wird es für uns später schwierig. Aber wir haben einige Menschen, die sich als Erwachsene taufen lassen.“ Er machte ein Gesicht, als wäre er sehr betrübt darüber.

„Ich finde das gut so. Es ist für mich so, wie es sein sollte. Die ersten Christen haben sich auch als Erwachsene taufen lassen. Sie haben sich aus freien Stücken dazu entschieden. Jesus wurde auch erst mit dreissig getauft. “

Er sprach dann sogar von den indischen Veden, die er offenbar kannte; ein wirklich erstaunlicher Pfarrer. Irgendwann kam dann jedoch die Zeit zu gehen und ich trampte weiter. In einem Dorf, in dem man mich absetzte kamen dunkle Wolken auf und ich entschied, zu bleiben. Ein älterer Herr in einem schicken Auto sprach mich auf dem Dorfplatz an. Ich erzählte von meinem Leben, dass ich heute schon zum Frühstück und zum Tee eingeladen wurde, dass ich 2009 ein Jahr lang ohne Geld lebte und jetzt mit ziemlich wenig. Er war ganz begeistert von allem. Danach sah ich wie jemand sein Wohnmobil milimetergenau vor seinem Haus parkte und sprach ihn an.

„Ich habe auch einen Campingbus. Ich lebe darin. Aber jetzt bin ich ohne unterwegs.“

„Und wo schläfst du heute?“

„Weiss ich nicht.“

„Du kannst bei mir schlafen. Meine Kinder sind nicht da. Komm rein. Ich habe noch ein paar Dinge zu tun. Fühl dich wie zuhause.  Mein Wohnmobil parke ich so nah am Tor damit mein Hund nicht rausspringt. Er springt nämlich jetzt über das Tor.“

Er war derjenige, der sich um die Grünflächen kümmert, deren Schönheit mir gleich aufgefallen war. Er machte uns was Leckeres zu Essen und ich hatte ein ganzes Kinderzimmer für mich alleine. Ins Internet durfte ich auch noch. Am nächsten Tag ging er auf die Arbeit und lud mich ein, noch länger zu bleiben, wenn ich gerne wollte und wenn nicht, einfach die Tür zuzumachen, wenn ich gehe. Was für ein Vertrauen! Ich entschied mich, zu gehen und hatte unglaubliches Glück: an dem Dorfplatz in dem winzigen Örtchen fuhren die ersten, die anhielten bis nach Spanien, genau dahin, wo ich eine Gemeinschaft von Leuten kannte! Ich konnte es kaum glauben, denn es war noch eine ganz schön lange Strecke.

Als ich bei der Gemeinschaft ankam, winkte mir einer der Älteren mit den Worten „I know you“ entgegen. „Immer noch auf dem gleichen Weg?“ schob er hinterher, nachdem er fertig telefoniert hatte.

„So you are homeless?“ sagte er tatsächlich, nachdem ich ihm von meinem Campingbus erzählt hatte. (Wo man genau das doch niemals einen Menschen ohne Zuhause fragen sollte).

„No, I’m homeful because I’m everywhere at home.“

Dann kam glücklicherweise Sarah, die ich gerne mochte und wir unterhielten uns den ganzen Abend. Aber mit ihnen oben im Zimmer schlafen wollte ich doch nicht. Es schliefen schon zwei Frauen darin und war mir eine Nummer zu heimelich. Aber auch im Zelt schlief ich nicht sehr gut. Am nächsten Tag sprach ich sie darauf an, dass ich mich wundere, dass sie ab und zu Fleisch essen. Was sie darauf antwortete, traf mich in Mark und Bein: „Man muss bei sich selbst anfangen…“

Immer, wenn ich irgendwas zu irgendwem sagte, was ich mich früher nie zu sagen getraut hätte, kam diese Antwort. Nicht sehr motivierend. Ich half in der Küche und beim Mandelmahlen, aber es kam gleich der Boss und meinte, es müsse schnell gehen, sie hätten es eilig. So verlagerte ich mich auf’s Geschirr spülen und sauber machen, denn unter Druck und Stress blockiere ich vollkommen. Wenn sie es eilig haben, dann mache ich lieber was anderes… Ich bin einfach nicht von der schnellen Sorte. Am nachmittag spazierte ich bei herrlichem Wetter durch die phantastisch schöne Gegend und am Abend hatte ich ein gutes Gespräch mit einer anderen Deutschen. Sie sagte: „Bei uns geht es darum, sich selbst ganz hinzugeben, seine Individualität ganz aufzugeben.“

Hm, klang ganz schön schwer. Sarah lud mich ein, dazubleiben. „Du musst nur bei unseren Treffen dabei sein. Die sind um sechs Uhr morgens und um sechs Uhr abends.“ Um fünf Uhr aufzustehen konnte ich mir allerdings zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen. Und so ging ich nach zwei Nächten wieder. Die zweite Nacht schlief ich übrigens auf der Couch. Als Entschuldigung meinte ich, es wäre nach dem Gespräch schon so spät gewesen und idass ich keine der andern aufwecken wollte. Insgesamt gedachte ich, lieber ein wenig auf dem Jakobsweg zu laufen. Sarah meinte zum Abschied: „Du kannst immer wiederkommen, auch wenn Du Not im Herzen hast und nicht unbedingt wegen der Gemeinschaft.“ Und ein Israeli, der mich auch schon von früher kannte, lud mich ein, zu ihrem nahegelegenen Ableger zu kommen. „Wenn Du länger bleiben und mitarbeiten willst…“

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