Wir helfen uns gegenseitig

Irgendwie dachte ich, es koenne so nicht weitergehen und ich unternahm einen erneuten Versuch, mir ein Zimmer zu mieten, diesmal eines, das im Internet angeboten war. So trampte ich deswegen eines schoenen Tages in die Stadt. Ich hatte noch ein wenig Zeit und schaute, ob der Marokkaner Said da war, war er aber nicht. So wollte ich auf dem Markt vorbeischauen, wo ich inzwischen mehrere Marktstaendler kannte. Auf dem Weg sah ich auf der anderen Strassenseite eine Frau mit langen braunen Haaren in einer hellgelben Bluse. Wir schauten uns beide an und ich lief ueber den Zebrastreifen zu ihr hinueber. Wir waren keine fuenf Minuten im Gespraech, da lud sie mich zum Mittagessen in ein brasilianisches Restaurant ein, in dem sie sich mit einer Freundin verabredet hatte. Ihre Freundin war ebenfalls sehr nett und wir hatten ein aeusserst anregendes Gespraech ueber alles moegliche. Letztere lebte naemlich auf Guadeloupe und war nur fuer ein paar Wochen in Frankreich zu Besuch. Sie wiederum lud mich ein, mit zum Garten einer Freundin zu kommen, in dem ihr Bruder spaeter arbeitete. Wie sie richtig vermutet hatte, lud er mich ein, bei ihm zu uebernachten. Und nicht nur das: als er hoerte, dass ich mir ein Zimmer anschauen wollte, sagte er: „Ich vermiete dir kostenlos ein Zimmer!“

Ich ging dann trotzdem zu dem Zimmer, das ich mir hatte anschauen wollen, aber die Vermieterin war gerade nicht da, sondern nur ihre Schwester, die gerade in Ferien zu Besuch war. Das Zimmer war o.k., aber mir eigentlich zu teuer. Ich wuerde Hilfen in Anspruch nehmen muessen und davor schreckte ich doch noch zurueck, zumal mir ja Xavier kostenlos ein Zimmer angeboten hatte. Xavier war ueberhaupt eine Figur. Er praktizierte Yoga und machte gerade eine Ausbildung in Biodanza. Ich schlief die Nacht mit seiner Schwester bei ihm.

Es gab gerade ein Filmfestival, auf dem ich Pascale wiedertraf, die Frau ohne Haare, die ich letzt auf dem sonntaeglichen Markt kennengelernt hatte. Wir freuten uns beide, uns wiederzusehen.

„Super, ich habe naemlich gerade aus Versehen deine e-mail geloescht und wollte dich so gerne wiedersehen“, empfing sie mich. Sie lud mich zu sich ein. Ich nahm die Einladung an, weil ich das Gefuehl hatte, dass sie Unterstuetzung braeuchte. Sie lebte mit ihrer sechszehnjaehrigen Tochter im Zentrum der Stadt und war gerade an einem Tiefpunkt angelangt.

„Ich habe die ganze Nacht gebetet hatte, weil es mir so schlecht ging und danach habe ich dich getroffen“, liess sie mich wissen.

Sie hatte kaum noch geschlafen, kaum noch gegessen und war kaum noch aus dem Haus gegangen. Aber als ich da war, ging es relativ schnell wieder bergauf. Ich nahm sie fast jeden Tag mit auf meine Spaziergaenge am Fluss entlang, wo sie vorher noch nie gewesen war. Sie begann wieder zu essen und regelmaessiger zu schlafen und es ging ihr taeglich besser. Sie hatte an einem der naechsten Tage aufgehoert, ihre Medikamente gegen Fybromyalgie zu nehmen, was allerdings nur zehn Tage gut ging, dann liessen sich die Schmerzen nicht mehr aushalten. Auch mir tat es gut, bei ihr zu sein. Es war heilend, denn ich konnte bei ihr sein wie ich bin und musste mich nicht verstellen. Es kam dann eine Katze zu Besuch, die ihre Tochter die Ferien ueber in Pflege genommen hatte, um sich etwas Geld zu verdienen und die fuer Abwechslung sorgte. Pascale meinte, sie muesste auf dem Land wohnen, sie braeuchte Natur um sich herum, aber da ihre Tochter noch ein Jahr hier auf die Schule ging und sie eine aeusserst guenstige Miete hatte, motivierte ich sie, ihre Wohnung vor allem durch Pflanzen umzugestalten. Auch ihr medizinisches Bett, das sie seit einigen Monaten benutzt hatte, liess sie von der Firma, bei der sie es geliehen hatte abholen und sofort war eine angenehmere Atmosphaere in der Wohnung.

Xavier traf ich hin und wieder in der Stadt, als er spazieren ging. Erst redete er gar nicht mehr mit mir, offensichtlich, weil ich sein Angebot des kostenlosen Zimmers abgelehnt hatte. Ich musste all meinen Charme anwenden, damit er sich wieder geehrt fuehlte und mir verzieh. Er sagte auch:

„Man muss erstmal verlieren, um gewinnen zu koennen.“

Auf dem Filmfestival lernte ich auch zwei nette aeltere Frauen kennen, die davon begeistert waren wie ich lebe und die mich beide zu sich einluden. Allerdings wohnten sie einige Kilometer entfernt auf dem Land, so dass ich dann doch nicht zu ihnen ging.

Ich traf auf dem Filmfestival auch die Portugiesin, der ich meinen Campingbus urspruenglich hatte geben wollen und sie erzaehlte mir, dass der Mann des Grundstueckes, auf dem mein Bus stand, ihn schliesslich an jemand anderen weitergegeben hat. Anfangs war sie ziemlich aufgebracht darueber, aber da sie selbst mitlerweile eine Wohnung fuer sich und ihre Tochter gemietet hatte und der andere Interessent, mit dem sie selbst befreundet war, nichts zum Wohnen hatte, nachdem er sich von seiner Freundin getrennt hatte, war sie inzwischen in Frieden damit. Ich selbst dachte an das Sprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“  und fand mich schliesslich mit dem Schicksal meines Busses und mir selbst ab.

Eines Tages traf ich einen Englaender, der seit einiger Zeit ohne Geld in der Gegend lebte. Er hatte sich auf einem Gartengrundstueck aus Plastikplanen und anderen Dingen, die er gefunden hatte einen Unterschlupf gebaut und zeigte mir Fotos davon. Aber der Buergermeister des Ortes war weniger begeistert davon. Jetzt unterhielt er drei Umsonstecken auf drei verschiedenen Maerkten in der Region. Ich half ihm ein wenig mit seinem Stand, der etwas abseits des Marktes war, aber er war einfach extrem mit seiner zusaetzlichen Idee, ohne Oel, das heisst auch ohne Benzin zu leben, obwohl er gerade aus einer anderen Gegend hierhergetrampt war, um dort nach Mitstreitern zu suchen… Auch alle anderen Menschen, die ihn kannten hatten aufgegeben, etwas mit ihm zu machen, weil es keinen Dialog mit ihm gab und er nur monologisierte. Aber seine Idee, auf Maerkten einen Platz mit kostenlos weiterzugebenden Dingen zu kreieren, fand ich sehr gut und die paar Menschen, die vorbeikamen und sich etwas mitnahmen von den Sachen, die er aus dem Umsonstladen geholt hatte, nahmen es auch sehr positiv auf. Ueberhaupt kamen manche Menschen miteinander ins Gespraech, die sich sonst nie kennen gelernt haetten.

Einen anderen Tag traf ich auf dem Filmfestival den Italiener mit dem Campingbus, der mich einmal vor fast zwei Jahren beim Trampen mitgenommen hatte und in einem Lehmhaus im Wald uebernachten liess. Ich war damals auf dem Weg zurueck aus Deutschland und wollte noch einen Abstecher in mir noch nicht bekannte Berge machen (ich habe – glaube ich – darueber berichtet). Ich freute mich sehr, ihn wiederzusehen. Er war nicht mehr in Spanien in der Gemeinschaft, wie er damals vorhatte, sondern arbeitete irgendwo in Frankreich, um ein wenig Geld zu verdienen.

Einmal lief ich eine Strasse entlang, die ich bisher noch nicht kannte und gelangte zum Wertstoffhof. Direkt gegenueber befanden sich mehrere Schrebergaerten. Ich ging hinein und sah eine Gruppe aelterer Maenner weiter hinten und auch einen ganz jungen Mann ganz in der Naehe des Eingangs. Ich sprach den jungen Mann an. Ich erzaehlte ihm, dass ich einen Garten fuer eine Freundin suchte und er gab mir die Kontaktdaten. Nachher sprach er ueber den Wertstoffhof.

„Die Leute laden Sachen ab ohne Ende, aber wir haben nicht das Recht, etwas zu nehmen. Es wird alles weggeworfen… Ich und eine Frau, wir sind die einzigen, die biologisch gaertnern. Erst haben uns die anderen ganz bloed angeschaut, als waeren wir Exoten, aber mittlerweile geht es. Nur machen die Maenner die Frau manchmal bloed an und stellen ihr tausend Fragen, weshalb sie jetzt nur noch morgens kommt.“

Dann sprach er von der Pharmaindustrie, die verbietet, manche Heilpflanzen zu vermarkten und die Patente auf manche Pflanzen angemeldet haben, so dass sie keiner mehr anbauen darf – was vollkommen absurd ist.

„Und zukuenftig wollen sie noch die Gaerten kontrollieren, was darin angebaut wird,“ fiel mir dazu ein.

„Und das alles nur, damit die Saatgutfirmen und die Pharma-Industrie noch mehr Geld verdienen. Und wir alle muessen darunter leiden. Dabei produzieren sie nur Medikamente, die gar nicht wirklich heilen und so viele Nebenwrikungen haben, dass die Menschen zum Teil daran sterben.“

Fuer sein Alter wusste er erstaunlich gut bescheid.

„Am Donnerstag fahre ich weg. Dann kuemmern sich Freunde um meinen Garten.“

Es stellte sich heraus, dass er genau in die Stadt fuhr, zu der ich letzthin eine Mitfahrgelegenheit verpasst hatte. So fragte ich ihn, ob ich mitfahren koennte und er stimmte zu.

Kirschkuchen mit Vanillepudding

Am naechsten Morgen wollte ich zuruecktrampen, da hielt ein Mann mit einem unausgebauten Campingbus an, der eine ziemlich weite Strecke fahren wollte.

„Eigentlich wollte ich nur in ein Dorf zwanzig Kilometer entfernt, aber vielleicht fahre ich noch laenger mit.“

„Ich arbeite am Montag in der Naehe der Metropole, deshalb fahre ich zurueck. Hier habe ich in den Weinbergen gearbeitet. Den Bus hier habe ich neu. Erst seit drei Monaten. Aber manchmal habe ich schon die Schnauze voll.“

„So ging es mir auch mit meinem Campingbus. Ich hatte oft die Nase voll. Deswegen habe ich ihn abgegeben, aber danach ging es mir sehr schlecht. Ich fuehlte mich furchtbar. Und das ist noch gar nicht so lange her.“

„Ich war vorher mit dem Fahrrad unterwegs. Die letzten Jahre habe ich mir eine Wohnung mit jemandem geteilt, aber er sitzt die ganze Zeit vor dem Fernseher und raucht und trinkt. Das war nicht angenehm fuer mich. Und jetzt suche ich ein Grundstueck wo ich meinen Bus abstellen kann; zu kaufen oder zu mieten. Viel Geld habe ich jedoch nicht.“

„Heute ist ein Markt auf der Strecke. Da findest du vielleicht Leute, die dir weiterhelfen. Es ist eine schoene Gegend. Ich war einmal fuenf Wochen dort mir meinem Bus.“

„Das ist vielleicht eine Idee. Das ist weniger weit weg wie hier. Ja, ich glaube, ich fahre dort vorbei.“

„O.k., dann komme ich mit.“

Auf dem Markt traf ich gleich eine Spanierin, die ich kannte. Dann kam eine der Frauen aus der Gemeinschaft vorbei.

„Und was ist mit deinem Bus?“

Als ich ihr sagte, nichts waere mit dem Bus, verschwand sie eilends. Eine andere Frau aus der Gemeinschaft, die ich eigentlich sehr mochte, lud mich an ihrem Stand zu einer Tasse Eistee ein und sprach ein paar Worte mit mir.

„Fuehle dich nicht schuldig. Du warst eben nicht bereit.“

„Stimmt. Ich war nicht bereit.“

Dann verschwand sie hinter den Tresen und ich sass ploetzlich ganz alleine am Tisch. Ein anderer der Gruppe fragte: „Und, wo wohnst du?“

„Ich reise“, antwortete ich, woraufhin er sich umdrehte und kein weiteres Wort mehr mit mir wechselte.

Dafuer kam mir mein Fahrer ganz freudig entgegen:

„Ich habe jemanden wiedergetroffen, den ich schon kannte und er hat mir zwei Adressen gegeben, wo ich vielleicht arbeiten kann. Die einen haben einen Bauernhof und suchen jemanden, der auf die Tiere aufpasst, waehrend sie weg sind.“

Beim Gang ueber den Markt fiel mein Blick auf eine Frau mit einem kleinen Turban, die mich dermassen intensiv anschaute, als ob sie mich kannte. Ich sprach sie an. Ab dem Moment blieben wir zusammen. Wir hatten Gespraechsstoff ohne Ende. Eigentlich hatte sie an diesem nachmittag zur Gemeinschaft gehen wollen .

„Mir ging es vor ein paar Tagen so schlecht. Ich bat meine Freunde um Hilfe, aber alle sagten nur, ich solle zum Arzt gehen. Und der hat die Dosis meiner Antidepressiva verdoppelt. Ich wollte naemlich absolut nichts mehr tun. Nicht mehr Aufstehen. Nicht mehr Kochen. Mich nicht mehr Anziehen.“

„Depressionen bekommen wir meistens dann, wenn wir etwas nicht getan haben, was wir tun wollten.“

„Das ist wahr. Auf jeden Fall habe ich schon eine Erkrankung: Fibromyalgie. Ich habe auch alle meine Haare verloren.“

Sie nahm ihren Turban ab und zeigte mir ihre Glatze.

„Gegen die Schmerzen nehme ich Morphin.“

„Fuer mich entstehen Krankheiten, weil wir etwas anders nicht lernen konnten und sie sind dazu da, uns zu helfen, auch wenn es noch so schmerzhaft ist. Aber ich kenne eine Supertherapie, mit der man fast alle Krankheiten heilen kann, man darf jedoch keine oder kaum Medikamente nehmen. Das ist Amaroli. Urintherapie.“

„Ich habe schon davon gehoert. Aber im Moment nehme ich mehrere Medikamente. Da geht das nicht. Letztens auf jeden Fall, als es mir so schlecht ging, habe ich die Gemeinschaft angerufen und mit ihnen geredet. Sie waren fuer mich wie ein Rettungsanker. Im Gegensatz zu meinen Freunden waren sie fuer mich da, hoerten mir zu und hatten etwas dazu zu sagen. Alleine, dass es sie gibt, gab mir Hoffnung. Und heute nachmittag wollte ich zu ihnen gehen wie gestern schon und habe es nicht getan. Gestern kam mir etwas anderes dazwischen und heute habe ich mit dir geredet, aber ich sollte sie vielleicht anrufen, um mich bei ihnen zu entschuldigen.“

Sie telefonierte mit ihnen und anschliessend fuhr sie doch noch dorthin. Ich lief dann zu dem aussergewoehnlichen Automechaniker, den ich von meinem laengeren Aufenthalt in der Region her kannte. Aussergewoehnlich deshalb, weil er das Pendel befragte, bevor er jemandem half. Er freute sich ueber mein Kommen und erzaehlte mir die Neuigkeiten.

„Ich hatte zwei Schlaganfaelle im letzten Jahr, aber es ging gut aus. Und statt den Medikamenten, die sie mir verschrieben haben, nehme ich eine sibirische Heilpflanze. Denn die Schulmedizin ist klasse darin, chronisch Kranke zu produzieren, die den Rest ihres Lebens Medikamente brauchen. Und hier auf meinem Grundstueck wohnen jetzt zwei Leute, die vorher drei Jahre lang in einem Tipidorf gelebt haben, einer in einem Tipi, der andere in einer Jurte.“

„Einer davon hat mich heute begruesst. Ich kenne ihn aus Hippieland. Er hat mich animiert, zu dir zu kommen.“

„Vor Kurzem hat mir jemand einen Wohnwagen geschenkt. Komm, ich zeige ihn dir. Er muss erstmal gereinigt werden, aber dann kann er jemandem dienen, der vorbeikommt. Du kannst heute erstmal in der Jurte schlafen. Der Bewohner ist zur Zeit nicht da.“

Wir assen zusammen zu abend und ich naechtigte wunderbar in der Jurte. Was fuer ein schoenes Gefuehl, mit der Natur verbunden zu sein! Am naechsten Tag machte ich mich daran, den Wohnwagen zu saeubern. Mir wurde sogar angeboten, darin zu wohnen, aber irgendwie schien es nicht das richtige fuer mich zu sein. Trotzdem richtete ich ihn so her, dass jemand darin schlafen konnte. Es fehlten naemlich mehrere Matrazen, um ein Bett zu bereiten, aber ich fand frisch ausrangierte Wohnwagenmatrazen im naechsten Dorf neben dem Muellcontainer und brachte sie mit dem Fahrrad in zwei Schueben herbei. Auch eine ganze Tuete voll mit Tellern, Glaesern und Toepfen nahm ich mit, um den Wohnwagen fuer wen auch immer einzurichten. Am fruehen abend fuhr ich taeglich ins naechste Dorf, weil ich dort Internet empfing. Gleich beim ersten Mal sprach mich ein netter aelterer Herr an.

„Wollen Sie etwas essen? Ich habe noch eine indische Spezialitaet uebrig von gestern vom Markt. Ich habe nicht alles verkauft. Ich mache ihnen eines warm.“

„Ja, gerne.“

Kurze Zeit spaeter kam er mit einem leckeren frittierten Teilchen und einem eiskalten Tchaitee zurueck.

„Ich habe vierzig Jahre in Indien gelebt. Ich war mit drei indischen Frauen verheiratet und habe insgesamt sieben Kinder. Aber jetzt gerade habe ich mich von der dritten Inderin scheiden lassen. Sie wohnt genau neben mir und manchmal macht sie mir Stress. Gestern abend zum Beispiel. Und es ist immer wegen Geld. In Indien habe ich auch eine zeitlang in einer Gemeinschaft gelebt, aber ich habe denen zu oft die Wahrheit gesagt und die wollten sie nicht hoeren. Ich habe Geld verdient und sie wuenschten, dass ich es mit allen teile, aber das wollte ich nicht. Sie konnten doch selbst arbeiten. Sie meinten auch, ich sei zu indisch geworden. Drei Monate nachdem ich eine Inderin geheiratet habe, haben sie mich rausgeschmissen.“

Dann kamen die Nachbarn direkt gegenueber der Bank, auf der ich sass vorbei und brachten uns zwei Stueck Kirschkuchen. Mit Vanillepudding. Was fuer eine Freude!

„Ich glaube, sie nutzt Euren Internetanschluss,“ liess der Nachbar sie wissen. Sie hatten absolut nichts dagegen.

„Sie koennen aber auch gerne meinen Anschluss benutzen, falls dieser hier mal nicht geht.“

Er verschwand in seinem Haus und kam mit einem Zettel und einer fast endloslangen Zahlen-Buchstabenkombination zurueck, die ich gleich eingab, als wir vor seinem schnuggeligen Haus mit unendlich vielen Pflanzen vor der Tuer standen.

„Es hat geklappt!“

Im Anschluss fuhr ich noch mit dem Fahrrad in der Gegend herum und entdeckte am Ortsausgang einige Kirschbaeume voller wunderbarer Fruechte, fuer die sich bisher keiner zu interessieren scheinte. Ich pflueckte gleich eine halbe Tuete voll und so hatten wir die naechsten Tage Kirschen zum Essen.

An einem Abend kam eine Frau zu Besuch, die ihr Wohnmobil auf Oel umruesten wollte und die in einer weiter entfernten Grosstadt wohnte. Zwei Leute hatten mir unabhaengig voneinander von einer Gegend in der Naehe dieser Grosstadt erzaehlt, so dass ich vage den Eindruck hatte, ich sollte mich dort vielleicht mal umschauen. Sie wollte am naechsten Morgen vor neun Uhr losfahren und ich ueberlegte, dass ich vielleicht mitfahren wollte, sagte aber nichts, da ich sowieso alles immer erst am Tag selber entscheiden konnte. Doch als ich ihren Motor frueh morgens hoerte, als sie im Begriff war wegzufahren, hatte ich es doch bereut, nichts gesagt zu haben. Es war noch nicht einmal acht Uhr. Und ich war sicher, aufzuwachen, wenn es denn sein sollte, dass ich mitfahre. Aber weil sie beide sehr leise gewesen waren, war ich nicht vorher aufgewacht. Ab dem Zeitpunkt ging mir staendig im Kopf herum, dass ich vielleicht haette weg sein sollen und gar nicht mehr da wo ich war. Es war ein komisches Gefuehl.

Am nachmittag kam ein Bekannter von Pierre vorbei und blieb auch noch zum Abendessen.

„Die letzten fuenf Jahre bin ich immer mehr abgerutscht, aber jetzt moechte ich mein Leben neu ausrichten. Ich habe vor, mit liegenden Fahrraedern zu handeln. Die Liebe zu ihnen habe ich vor einiger Zeit entdeckt und es ist viel einfacher mit ihnen zu fahren wie mit einem normalen Fahrrad. Man verliert naemlich nur 30% der Energie, um gegen den Wind anzustrampeln statt 80% wie mit dem normalen Fahrrad. Als ich das erste Mal einen Tag mit dem liegenden Fahrrad gefahren bin, kam ich 120 Kilometer weit. Und das, wo ich gemuetlich mittag gegessen habe.“

Irgendwann wechselten wir dann das Thema.

„Es gibt einen buddhistischen Lama in Sibirien, der ist 162 Jahre alt.“

Ein paar Tage spaeter fand ich die Bestaetigung im Internet.

„Und wisst Ihr, wer die groesste Biomarktkette Frankreichs gekauft hat?“ fragte uns Pierre.

„Die groesste und bekannteste Gentechnik- und Saatgutfirma Amerikas.“

Der Bekannte wusste schon bescheid.

„Und eine grosse Biofirma, die Brotaufstriche wie Mandel oder Erdnusscremes und so was macht, kauften sie auch.“

„Wie war das moeglich, dass es an sie verkauft wurde?“ fragte ich perplex.

„Es gab Zwischenhaendler. Und Bio ist gar nicht mehr bio. Die Biofelder in Spanien werden mit Kuehlwasser von Atomkraftwerken versorgt.“

„Dass bio nicht mehr bio ist, das hat mir schon vor langer Zeit jemand gesagt. Alles an Bioprodukten aus dem Supermarkt wird naemlich bestrahlt.“

 

 

 

Paranoia

Das Paerchen, das aus einem Amerikaner und einer Italienerin, beide Anfang zwanzig  bestand, blieb noch den ganzen naechsten Tag hier und schlief noch eine weitere Nacht bei Roman. Sie hatte solch ein phantastisch schoenes Lachen, dass einem das Herz aufging. Sie kamen zu Fuss aus Lissabonn und wollten bis nach Italien laufen. Und zwischendurch vielleicht etwas Geld bei der Ernte verdienen. Dann zogen sie weiter und ich ueberlegte schon, ein Stueck mit ihnen mitzugehen, aber sie waren viel zu fit und zu schnell fuer mich nach ihrem monatelangem Training.

Ich lernte dann einen Menschen mit langen braunen Haaren und unbeschnittenem Bart kennen, der mich auf der Strasse vor einer Kleiderkammer angesprochen hatte, die  gerade geschlossen war.

“Du kannst trotzdem fragen, ob sie dich nicht schauen lassen, wenn Leute gerade dort arbeiten. Du sagst, du waerest nur voruebergehend hier.”

“Es ist nicht fuer mich, sondern fuer einen Freund, der gar nichts hat. Das kann auch noch zwei Tage warten.”

Wir unterhielten uns Stunden.

“Ich wohne in einem Wohnwagen auf einer Art Campingplatz, einem Grundstueck von der Gemeinde wo Leute leben koennen, die keine Wohnung haben. Ich habe einen Wohnwagen in der Naehe gesehen, den sie fuer hundertfuenzig Euro verkaufen wuerden. Er muesste bloss restauriert werden. Wenn du willst, kann ich ihn dir zeigen. Morgen vielleicht. Und du koenntest dann da wohnen, wo ich auch lebe. Ich habe zur Zeit zwei kleine Wohnwagen. Dann sind noch vier andere Leute da, aber die gehen bald weg, sobald sie eine Wohnung haben.”

“Das waere unter Umstaenden schon interessant fuer mich, da ich gerade gar nichts habe.”

“Dann komm einfach morgen frueh bei mir vorbei.”

Er haette auch schon vor der Kirche gesessen und gebettelt.

“Ich hatte einen Arbeitsunfall. Ich bin Zimmermann. Und vom einen auf den anderen Tag habe ich alles verloren: meine Arbeit und meine Wohnung. Noch dazu war ich im Rollstuhl. Und die Leute haben mich ganz schoen beschimpft. Ich hoerte Worte wie Nichtsnutz, Taugenitz und andere unschoene Worte.”

Pablo kam vorbei und beschwerte sich wieder ueber Philipp, der zurueckgekehrt war:

“Er kam zur Kirche und sagte: ‘Gib mir Geld!’ Ich sagte: ‘Geld? Nein!’ Er hatte mir damals ganz am Anfang angeboten, bei ihm zu bleiben und wir wuerden dann das Geld, das er einnimmt, teilen. Aber nichts hat er getan. Im Gegensatz zu ihm habe ich ihm das Geld gegeben, das ich eingenommen hatte und es mit ihm geteilt.”

Er war total aufgebracht und sichtlich verstoert. Seine gesamten Gesichtszuege waren angst- und wutverzerrt. Von Minute zu Minute, die er bei uns stand, sah er jedoch besser aus. Er ging dann wieder und ich unterhielt mich weiter mit meinem neuen Bekannten. Interessant war seine Feststellung:

“Frueher fingen die Baecker ganz normal morgens an zu arbeiten und dann war das Brot um drei, vier Uhr nachmittags fertig. Das ging auch. Nachts zu backen hat sich erst spaeter so entwickelt.”

Spaeter hatten wir es mit Gott und dem Begriff Elohim. Er war naemlich Jude und kannte sich aus.

“Elohim ist nicht nur maennlich, sondern maennlich und weiblich in einem.”

Er beschrieb mir den Weg zu seinem Campingplatz und am naechsten Morgen ging ich tatsaechlich zu ihm. Wir liefen zusammen zu dem etwa vier Kilometer entfernten Wohnwagen, aber er war zu alt und runtergekommen fuer meinen Geschmack.

“Das dauert zu lange, ihn so herzurichten, dass ich mich darin wohlfuehlen wuerde. Ich glaube, das lasse ich lieber.”

Danach traf ich Roman und eine Bekannte auf der Terrasse eines Cafes. Sie luden mich zu einem Kaffee ein. Ich erzaehlte von meiner Tour mit Maurice. Sie kannten ihn beide.

« Maurice mag ich nicht », meinte Roman. Seine Bekannte schob hinterher :

« Er mischt sich zu sehr in dein Leben ein, weisst du. Er ist sehr sympathisch, aber sobald er mehr ueber dich weiss, bohrt er in deinem Leben herum und zerstoert alles. »

Daraufhin wollte ich natuerlich erstmal gar nicht mehr zu Maurice gehen. Dafuer lud ich Roman ein, mit mir spazieren zu gehen.

“Ich gehe jeden Tag zwei Stunden spazieren”, liess ich ihn wissen.

Er zeigte mir eine ganz schoene Ecke im Gruenen, die ich bisher noch nicht kannte. Wir unterhielten uns sehr gut. Er erzaehlte viel von seinen Pilgerreisen.

« Wir haben eine spirituelle Suche zu leisten und du hast noch nicht gefunden, was du gesucht hast. Gemeinschaft ist nicht das Richtige. Ich war auch manchmal in Gemeinschaften, aber auf Dauer hat das nicht funktioniert.»

Er machte mir auf jeden Fall Mut, weiterzugehen.

“Jetzt bist du hier, um dich ein wenig auszuruhen und wieder zu dir zu kommen. Aber wichtig ist, in Bewegung zu bleiben. Irgendwann gehst du weiter auf deinem Weg.”

Am naechsten Morgen kam Pablo zu uns und erzaehlte freudig, dass ihm jemand 120 Euro gegeben hatte. Er wollte in das spanische Dorf in der Naehe, um genau 120 Euro von der Bank abzuholen, die seine Familie ihm geschickt hatte. Da er kaum Franzoesisch sprach, kam ich mit. Doch obwohl er 20 Euro in ein Taxi investiert hatte (!), um moeglichst schnell bei der Bank zu sein, war das Geld weg.

“Sie haben es konfisziert. Denn ich habe Schulden wegen einer Geldstrafe. Weil ich jemandem einen Joint gegeben habe, habe ich 300.000 Euro Schulden.”

„Mir war schon vorher klar, dass das Geld weg ist. Dir hat ja jemand anderes heute morgen genau die Summe gegeben, die du bekommen haettest. Bedanke dich bei Gott und freue dich.“

Ich konnte das alles jedoch nicht so recht glauben. Vielleicht hatte ich ihn auch falsch verstanden, da mein spanisch nur rudimentaer ist. Danach erzaehlte er weiter:

“Als ich neunzehn Jahre alt war, war ich mit einem Jungen zusammen, der fuenfzehn Jahre alt war. Das war Verfuehrung Minderjaehriger. Ich war deswegen sechs Jahre im Gefaengnis.”

Wir setzten uns in eine Bar und Pablo verschwand immer wieder mal fuer eine Weile, um mit dem einen oder anderen zu reden. Ein junges Paerchen mit Campingbus setzte sich an unseren Nebentisch. Wir gesellten uns zu ihnen. Er war Spanier und sie Franzoesin. Sie wollten in ihre Heimat fahren.

Der Spanier, bei dem ich letzt uebernachtet hatte, kam mit seinen Eltern vorbei und lud uns alle zu sich ein. Er meinte spaeter zu mir, ich koenne gerne wiederkommen, aber ohne Pablo.

“Auch das Paerchen moechte ausser ihn mit dem Auto mitzunehmen, nichts weiter mit ihm zu tun haben. Pablo ist zu nervoes und zu verrueckt. Aber das sage ich dir, unter uns.”

Ich trampte dann zurueck, weil das Paerchen nur drei Sitze hatte.

Am Abend lud Roman Pablo nicht nur zum Abendessen ein wie die letzten beiden Abende, sondern auch zum uebernachten. Denn die Frau, die Pablo ihren Transporter fuer zwei Naechte zur Verfuegung gestellt hatte, war die letzte Nacht nicht erschienen, um das Auto zu oeffnen.

“Sie war Essen gegangen und hatte mich vergessen. So habe ich vor der Kirche uebernachtet.”

Bei dem Gedanken wurde mir mulmig. Ich hatte nicht genug Vertrauen zu Pablo, um mit ihm in einem Zimmer zu uebernachten. Vor allem, nachdem, was er fuer einen Eindruck bei seinen Landsleuten hinterlassen hatte. Roman bot mir an, bei ihm im Zimmer zu uebernachten. Das war schon besser. Doch auch da ueberkam mich auf einmal Angst. Ich wollte meine Sachen packen und gehen, obwohl es schon gegen elf Uhr war. Roman brachte es auf den Punkt:

“Jetzt fluechtest du vor dir selbst und vor dem Leben, das du gewaehlt hast. Wir haben immer die Wahl. Entweder wir waehlen das Gute oder das Schlechte. Und wenn du jetzt gehst, dann kommst du nicht mehr zurueck. Du hast Paranoia.”

“Ja, ich habe Paranoia, wenn ich mit zwei Maennern in einer Wohnung schlafe und ich zumindest zu einem nicht wirklich Vertrauen habe.”

“Dann hast du auch zu mir kein Vertrauen, wenn du jetzt gehen willst.”

Er hatte recht. So blieb ich. Er hatte mich beruhigt. Und ich schlief auch einigermassen gut in seinem Zimmer – bis auf die Tatsache, dass seine Bettfedern sehr laut quietschten…

Endlich in Spanien

Schliesslich trampte ich weiter. Mich nahm gleich ein Tunesier mit. Danach wartete ich etwas länger bis mich eine Spanierin aufgabelte. Sie hatte drei kleine Kinder auf der Rückbank sitzen, die sie betreute. Sie lud mich gleich zu einem fürstlichen Frühstück ein, mit Tee, Toast, Butter und Marmelade! Dabei erfuhr ich, dass sie den Zweijährigen schon beigebracht hatte, sich ganz ruhig miteinander zu beschäftigen und zu spielen. Ich war baff, dass ich all die Zeit, die ich dort war, kein einziges Geschrei hörte.

Als ich weiterfuhr, gelangte ich in eine kleine Stadt, in der ich mir die Kirche aus dem 12. Jahrhundert anschaute. Ein junger Pfarrer kam mir durch die Bänke entgegen und gab mir die Hand. Wir begannen, uns zu unterhalten. Er lächelte immer wieder, wenn er über Gott sprach. „Gott ist Liebe“, sagte er. „Wir Pfarrer in Frankreich verdienen wenig, nur 500 bis 600 Euro, aber das reicht schon.“

„Ich finde es gut wie das System hier ist, denn in anderen Ländern verdienen Pfarrer recht viel und somit ist es oft das Auskommen, das sie dazu bewegt, Pfarrer zu werden. Hier ist es wirklich der Glaube.“

„Ich bereite mich jetzt schon auf nächsten Sonntag auf die Messe vor. Um zu verinnerlichen worum es geht. “

„Ich kann ihnen das Evangelium von Maria Magdalena empfehlen,“ warf ich ein.

„Ja, es gibt viele Evangelien, auch von Thomas, von Philippus…“.

„Wenn Sie wollen, kann ich Ihnen daraus vorlesen.“

„O.k.“

„Aber hier in der Kirche ist es etwas schattig.“ Es war schlicht und einfach zu kalt.

„Gehen wir raus“.

Wir setzten uns vor das Pfarramt und ich las ihm das Marienevangelium (http://indernachfolge.wordpress.com/2012/06/23/der-evangelium-der-maria-magdalena-von-jean-yves-leloup/) von vorne bis hinten vor, das ich in einer Kopie dabei hatte. Danach lud er mich zu Tee und Keksen ins Pfarrammt ein und zitierte mir sogar Sachen, die ich ihm gerade vorgelesen hatte. Er war ein Phänomen.

„Was mich immer erstaunt: in der Kirche sieht man immer nur alte Leute ausser in grösseren Städten vielleicht noch Studenten in der Studentengemeinde,“ liess ich verlauten.

„Wir haben zwei Generationen verloren. Und wenn die Kinder nicht die Basis vermittelt bekommen, wird es für uns später schwierig. Aber wir haben einige Menschen, die sich als Erwachsene taufen lassen.“ Er machte ein Gesicht, als wäre er sehr betrübt darüber.

„Ich finde das gut so. Es ist für mich so, wie es sein sollte. Die ersten Christen haben sich auch als Erwachsene taufen lassen. Sie haben sich aus freien Stücken dazu entschieden. Jesus wurde auch erst mit dreissig getauft. “

Er sprach dann sogar von den indischen Veden, die er offenbar kannte; ein wirklich erstaunlicher Pfarrer. Irgendwann kam dann jedoch die Zeit zu gehen und ich trampte weiter. In einem Dorf, in dem man mich absetzte kamen dunkle Wolken auf und ich entschied, zu bleiben. Ein älterer Herr in einem schicken Auto sprach mich auf dem Dorfplatz an. Ich erzählte von meinem Leben, dass ich heute schon zum Frühstück und zum Tee eingeladen wurde, dass ich 2009 ein Jahr lang ohne Geld lebte und jetzt mit ziemlich wenig. Er war ganz begeistert von allem. Danach sah ich wie jemand sein Wohnmobil milimetergenau vor seinem Haus parkte und sprach ihn an.

„Ich habe auch einen Campingbus. Ich lebe darin. Aber jetzt bin ich ohne unterwegs.“

„Und wo schläfst du heute?“

„Weiss ich nicht.“

„Du kannst bei mir schlafen. Meine Kinder sind nicht da. Komm rein. Ich habe noch ein paar Dinge zu tun. Fühl dich wie zuhause.  Mein Wohnmobil parke ich so nah am Tor damit mein Hund nicht rausspringt. Er springt nämlich jetzt über das Tor.“

Er war derjenige, der sich um die Grünflächen kümmert, deren Schönheit mir gleich aufgefallen war. Er machte uns was Leckeres zu Essen und ich hatte ein ganzes Kinderzimmer für mich alleine. Ins Internet durfte ich auch noch. Am nächsten Tag ging er auf die Arbeit und lud mich ein, noch länger zu bleiben, wenn ich gerne wollte und wenn nicht, einfach die Tür zuzumachen, wenn ich gehe. Was für ein Vertrauen! Ich entschied mich, zu gehen und hatte unglaubliches Glück: an dem Dorfplatz in dem winzigen Örtchen fuhren die ersten, die anhielten bis nach Spanien, genau dahin, wo ich eine Gemeinschaft von Leuten kannte! Ich konnte es kaum glauben, denn es war noch eine ganz schön lange Strecke.

Als ich bei der Gemeinschaft ankam, winkte mir einer der Älteren mit den Worten „I know you“ entgegen. „Immer noch auf dem gleichen Weg?“ schob er hinterher, nachdem er fertig telefoniert hatte.

„So you are homeless?“ sagte er tatsächlich, nachdem ich ihm von meinem Campingbus erzählt hatte. (Wo man genau das doch niemals einen Menschen ohne Zuhause fragen sollte).

„No, I’m homeful because I’m everywhere at home.“

Dann kam glücklicherweise Sarah, die ich gerne mochte und wir unterhielten uns den ganzen Abend. Aber mit ihnen oben im Zimmer schlafen wollte ich doch nicht. Es schliefen schon zwei Frauen darin und war mir eine Nummer zu heimelich. Aber auch im Zelt schlief ich nicht sehr gut. Am nächsten Tag sprach ich sie darauf an, dass ich mich wundere, dass sie ab und zu Fleisch essen. Was sie darauf antwortete, traf mich in Mark und Bein: „Man muss bei sich selbst anfangen…“

Immer, wenn ich irgendwas zu irgendwem sagte, was ich mich früher nie zu sagen getraut hätte, kam diese Antwort. Nicht sehr motivierend. Ich half in der Küche und beim Mandelmahlen, aber es kam gleich der Boss und meinte, es müsse schnell gehen, sie hätten es eilig. So verlagerte ich mich auf’s Geschirr spülen und sauber machen, denn unter Druck und Stress blockiere ich vollkommen. Wenn sie es eilig haben, dann mache ich lieber was anderes… Ich bin einfach nicht von der schnellen Sorte. Am nachmittag spazierte ich bei herrlichem Wetter durch die phantastisch schöne Gegend und am Abend hatte ich ein gutes Gespräch mit einer anderen Deutschen. Sie sagte: „Bei uns geht es darum, sich selbst ganz hinzugeben, seine Individualität ganz aufzugeben.“

Hm, klang ganz schön schwer. Sarah lud mich ein, dazubleiben. „Du musst nur bei unseren Treffen dabei sein. Die sind um sechs Uhr morgens und um sechs Uhr abends.“ Um fünf Uhr aufzustehen konnte ich mir allerdings zum derzeitigen Zeitpunkt überhaupt nicht vorstellen. Und so ging ich nach zwei Nächten wieder. Die zweite Nacht schlief ich übrigens auf der Couch. Als Entschuldigung meinte ich, es wäre nach dem Gespräch schon so spät gewesen und idass ich keine der andern aufwecken wollte. Insgesamt gedachte ich, lieber ein wenig auf dem Jakobsweg zu laufen. Sarah meinte zum Abschied: „Du kannst immer wiederkommen, auch wenn Du Not im Herzen hast und nicht unbedingt wegen der Gemeinschaft.“ Und ein Israeli, der mich auch schon von früher kannte, lud mich ein, zu ihrem nahegelegenen Ableger zu kommen. „Wenn Du länger bleiben und mitarbeiten willst…“

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