Wir helfen uns gegenseitig

Irgendwie dachte ich, es koenne so nicht weitergehen und ich unternahm einen erneuten Versuch, mir ein Zimmer zu mieten, diesmal eines, das im Internet angeboten war. So trampte ich deswegen eines schoenen Tages in die Stadt. Ich hatte noch ein wenig Zeit und schaute, ob der Marokkaner Said da war, war er aber nicht. So wollte ich auf dem Markt vorbeischauen, wo ich inzwischen mehrere Marktstaendler kannte. Auf dem Weg sah ich auf der anderen Strassenseite eine Frau mit langen braunen Haaren in einer hellgelben Bluse. Wir schauten uns beide an und ich lief ueber den Zebrastreifen zu ihr hinueber. Wir waren keine fuenf Minuten im Gespraech, da lud sie mich zum Mittagessen in ein brasilianisches Restaurant ein, in dem sie sich mit einer Freundin verabredet hatte. Ihre Freundin war ebenfalls sehr nett und wir hatten ein aeusserst anregendes Gespraech ueber alles moegliche. Letztere lebte naemlich auf Guadeloupe und war nur fuer ein paar Wochen in Frankreich zu Besuch. Sie wiederum lud mich ein, mit zum Garten einer Freundin zu kommen, in dem ihr Bruder spaeter arbeitete. Wie sie richtig vermutet hatte, lud er mich ein, bei ihm zu uebernachten. Und nicht nur das: als er hoerte, dass ich mir ein Zimmer anschauen wollte, sagte er: „Ich vermiete dir kostenlos ein Zimmer!“

Ich ging dann trotzdem zu dem Zimmer, das ich mir hatte anschauen wollen, aber die Vermieterin war gerade nicht da, sondern nur ihre Schwester, die gerade in Ferien zu Besuch war. Das Zimmer war o.k., aber mir eigentlich zu teuer. Ich wuerde Hilfen in Anspruch nehmen muessen und davor schreckte ich doch noch zurueck, zumal mir ja Xavier kostenlos ein Zimmer angeboten hatte. Xavier war ueberhaupt eine Figur. Er praktizierte Yoga und machte gerade eine Ausbildung in Biodanza. Ich schlief die Nacht mit seiner Schwester bei ihm.

Es gab gerade ein Filmfestival, auf dem ich Pascale wiedertraf, die Frau ohne Haare, die ich letzt auf dem sonntaeglichen Markt kennengelernt hatte. Wir freuten uns beide, uns wiederzusehen.

„Super, ich habe naemlich gerade aus Versehen deine e-mail geloescht und wollte dich so gerne wiedersehen“, empfing sie mich. Sie lud mich zu sich ein. Ich nahm die Einladung an, weil ich das Gefuehl hatte, dass sie Unterstuetzung braeuchte. Sie lebte mit ihrer sechszehnjaehrigen Tochter im Zentrum der Stadt und war gerade an einem Tiefpunkt angelangt.

„Ich habe die ganze Nacht gebetet hatte, weil es mir so schlecht ging und danach habe ich dich getroffen“, liess sie mich wissen.

Sie hatte kaum noch geschlafen, kaum noch gegessen und war kaum noch aus dem Haus gegangen. Aber als ich da war, ging es relativ schnell wieder bergauf. Ich nahm sie fast jeden Tag mit auf meine Spaziergaenge am Fluss entlang, wo sie vorher noch nie gewesen war. Sie begann wieder zu essen und regelmaessiger zu schlafen und es ging ihr taeglich besser. Sie hatte an einem der naechsten Tage aufgehoert, ihre Medikamente gegen Fybromyalgie zu nehmen, was allerdings nur zehn Tage gut ging, dann liessen sich die Schmerzen nicht mehr aushalten. Auch mir tat es gut, bei ihr zu sein. Es war heilend, denn ich konnte bei ihr sein wie ich bin und musste mich nicht verstellen. Es kam dann eine Katze zu Besuch, die ihre Tochter die Ferien ueber in Pflege genommen hatte, um sich etwas Geld zu verdienen und die fuer Abwechslung sorgte. Pascale meinte, sie muesste auf dem Land wohnen, sie braeuchte Natur um sich herum, aber da ihre Tochter noch ein Jahr hier auf die Schule ging und sie eine aeusserst guenstige Miete hatte, motivierte ich sie, ihre Wohnung vor allem durch Pflanzen umzugestalten. Auch ihr medizinisches Bett, das sie seit einigen Monaten benutzt hatte, liess sie von der Firma, bei der sie es geliehen hatte abholen und sofort war eine angenehmere Atmosphaere in der Wohnung.

Xavier traf ich hin und wieder in der Stadt, als er spazieren ging. Erst redete er gar nicht mehr mit mir, offensichtlich, weil ich sein Angebot des kostenlosen Zimmers abgelehnt hatte. Ich musste all meinen Charme anwenden, damit er sich wieder geehrt fuehlte und mir verzieh. Er sagte auch:

„Man muss erstmal verlieren, um gewinnen zu koennen.“

Auf dem Filmfestival lernte ich auch zwei nette aeltere Frauen kennen, die davon begeistert waren wie ich lebe und die mich beide zu sich einluden. Allerdings wohnten sie einige Kilometer entfernt auf dem Land, so dass ich dann doch nicht zu ihnen ging.

Ich traf auf dem Filmfestival auch die Portugiesin, der ich meinen Campingbus urspruenglich hatte geben wollen und sie erzaehlte mir, dass der Mann des Grundstueckes, auf dem mein Bus stand, ihn schliesslich an jemand anderen weitergegeben hat. Anfangs war sie ziemlich aufgebracht darueber, aber da sie selbst mitlerweile eine Wohnung fuer sich und ihre Tochter gemietet hatte und der andere Interessent, mit dem sie selbst befreundet war, nichts zum Wohnen hatte, nachdem er sich von seiner Freundin getrennt hatte, war sie inzwischen in Frieden damit. Ich selbst dachte an das Sprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“  und fand mich schliesslich mit dem Schicksal meines Busses und mir selbst ab.

Eines Tages traf ich einen Englaender, der seit einiger Zeit ohne Geld in der Gegend lebte. Er hatte sich auf einem Gartengrundstueck aus Plastikplanen und anderen Dingen, die er gefunden hatte einen Unterschlupf gebaut und zeigte mir Fotos davon. Aber der Buergermeister des Ortes war weniger begeistert davon. Jetzt unterhielt er drei Umsonstecken auf drei verschiedenen Maerkten in der Region. Ich half ihm ein wenig mit seinem Stand, der etwas abseits des Marktes war, aber er war einfach extrem mit seiner zusaetzlichen Idee, ohne Oel, das heisst auch ohne Benzin zu leben, obwohl er gerade aus einer anderen Gegend hierhergetrampt war, um dort nach Mitstreitern zu suchen… Auch alle anderen Menschen, die ihn kannten hatten aufgegeben, etwas mit ihm zu machen, weil es keinen Dialog mit ihm gab und er nur monologisierte. Aber seine Idee, auf Maerkten einen Platz mit kostenlos weiterzugebenden Dingen zu kreieren, fand ich sehr gut und die paar Menschen, die vorbeikamen und sich etwas mitnahmen von den Sachen, die er aus dem Umsonstladen geholt hatte, nahmen es auch sehr positiv auf. Ueberhaupt kamen manche Menschen miteinander ins Gespraech, die sich sonst nie kennen gelernt haetten.

Einen anderen Tag traf ich auf dem Filmfestival den Italiener mit dem Campingbus, der mich einmal vor fast zwei Jahren beim Trampen mitgenommen hatte und in einem Lehmhaus im Wald uebernachten liess. Ich war damals auf dem Weg zurueck aus Deutschland und wollte noch einen Abstecher in mir noch nicht bekannte Berge machen (ich habe – glaube ich – darueber berichtet). Ich freute mich sehr, ihn wiederzusehen. Er war nicht mehr in Spanien in der Gemeinschaft, wie er damals vorhatte, sondern arbeitete irgendwo in Frankreich, um ein wenig Geld zu verdienen.

Einmal lief ich eine Strasse entlang, die ich bisher noch nicht kannte und gelangte zum Wertstoffhof. Direkt gegenueber befanden sich mehrere Schrebergaerten. Ich ging hinein und sah eine Gruppe aelterer Maenner weiter hinten und auch einen ganz jungen Mann ganz in der Naehe des Eingangs. Ich sprach den jungen Mann an. Ich erzaehlte ihm, dass ich einen Garten fuer eine Freundin suchte und er gab mir die Kontaktdaten. Nachher sprach er ueber den Wertstoffhof.

„Die Leute laden Sachen ab ohne Ende, aber wir haben nicht das Recht, etwas zu nehmen. Es wird alles weggeworfen… Ich und eine Frau, wir sind die einzigen, die biologisch gaertnern. Erst haben uns die anderen ganz bloed angeschaut, als waeren wir Exoten, aber mittlerweile geht es. Nur machen die Maenner die Frau manchmal bloed an und stellen ihr tausend Fragen, weshalb sie jetzt nur noch morgens kommt.“

Dann sprach er von der Pharmaindustrie, die verbietet, manche Heilpflanzen zu vermarkten und die Patente auf manche Pflanzen angemeldet haben, so dass sie keiner mehr anbauen darf – was vollkommen absurd ist.

„Und zukuenftig wollen sie noch die Gaerten kontrollieren, was darin angebaut wird,“ fiel mir dazu ein.

„Und das alles nur, damit die Saatgutfirmen und die Pharma-Industrie noch mehr Geld verdienen. Und wir alle muessen darunter leiden. Dabei produzieren sie nur Medikamente, die gar nicht wirklich heilen und so viele Nebenwrikungen haben, dass die Menschen zum Teil daran sterben.“

Fuer sein Alter wusste er erstaunlich gut bescheid.

„Am Donnerstag fahre ich weg. Dann kuemmern sich Freunde um meinen Garten.“

Es stellte sich heraus, dass er genau in die Stadt fuhr, zu der ich letzthin eine Mitfahrgelegenheit verpasst hatte. So fragte ich ihn, ob ich mitfahren koennte und er stimmte zu.

Vor und nach dem Weltuntergang

Es sind mehrere Monate vergangen, in denen sich die Ereignisse ueberschlugen und angesichts einer nur kleinen Leserschaft dieses Blogs gedachte ich, meine Lebensbeschreibungen komplett wegzulassen, aber nach all der Zeit der Pause fehlt mir die Weitergabe all dessen, was passiert ist doch. So moechte ich diesmal nur grob zusammenfassen, was so in den letzten Monaten passiert ist.

Ich trampte damals weiter Richtung Berge und mich nahm ein junger Italiener in einem kleinen Wohnmobil mit und lud mich ein, mit ihm zu kommen.

„Ich fahre zu einem Haus von Freunden, die in Thailand sind. Es ist ein Steinhaus im Wald, aber es gibt eine selbstgebaute Huette, in der du bleiben kannst…“

Ich blieb mehrere Tage in diesem Lehmhaus eine halbe Stunde Fussmarsch von der naechsten Strasse entfernt. Ich hatte fast nichts zu Essen mitgenommen, aber er versorgte mich und ausserdem gab es gerade ueberall Maronen, die die ein oder andere Mahlzeit ersetzten. Es regnete leider recht oft und durch die vielen Fenster konnte ich nicht sehr lange schlafen, aber trotzdem war ein lange gehegter Traum, in einem Lehmhaus zu wohnen, in Erfuellung gegangen.

Nach einigen Tagen zog ich weiter in ein anderes Tal, schlief mal in einer Jurte und wurde dann mitgenommen auf das Abschiedsfest einer Karavane von Leuten, die in Campingbussen zusammen unterwegs waren, um den Winter in Spanien zu verbringen. Ich blieb kurzerhand ein paar Tage bei ihnen in ihrem Gaestezelt, das sogar mit einem grossen Ofen versehen war. Sie hatten fuer zwei Monate ein Grundstueck an einem Fluss zur Verfuegung gestellt bekommen und dort zwei Bambuswaegen selbst gebaut, in denen Leute schliefen. Es war alles sehr alternativ und naturverbunden, aber ich wurde mit den Menschen nicht so richtig warm und so wusste ich, dass ich sicher nicht mit ihnen nach Spanien ziehen wuerde.

Es gab dann eine Pflanzenmesse, zu der die Leute von weit und fern kamen und dort traf ich auch meinen kleinen Italiener wieder, der mich einlud, in seinem Wohnmobil zu uebernachten und mir ein Zahnputzpulver herstellte. Von dort aus fand ich jemanden, der ganz in die Naehe meines Campingbusses fuhr und mich netterweise mitnahm. So war ich ploetzlich ganz schnell wieder „zu hause“. Nach sechs Wochen des Reisens und fast immer unter Leuten fand ich schoen, mal wieder an einem Ort fuer sich alleine zu sein, aber nach drei Tagen reichte es mir schon voellig. Ich traf meinen englischen ehemaligen Rainbow warrior wieder, der mir an seinem Geburtstag, den ich fast alleine mit ihm verbrachte seine sehr traurige Lebensgeschichte erzaehlte. In der Zeit, in der ich da war, war er infolge erhoehten Alkoholkonsums eines Abends hingefallen und hatte sich das Schluesselbein gebrochen, was nicht nur sehr schmerzhaft war, sondern ihn auch daran hinderte, viele Dinge zu tun. Er lud mich ein, bei ihm zu uebernachten, ebenso wie sein Nachbar unter ihm und so war ich bei beginnenden Minustemperaturen im Warmen.

Eine Woche vor Weihnachten fuhr ich dann zurueck ins Hippieland, wo ich eigentlich nur kurz bleiben wollte, aber es kam alles anders. Vom 20. auf den 21. Dezember besuchte ich Raphael, meinen Ex-Freund, der zu meiner freudigen Ueberraschung eine neue Freundin hatte. Wir feierten den Uebergang in ein neues Zeitalter durch eine Meditation um Mitternacht. Am naechsten Tag, zu dem der beruehmte Weltuntergang anberaumt war, fuehrte mich mein Weg zum Bioladen der Region, wo ich ein Frau traf, die ich fluechtig kannte, die mich jedoch zu einem Bhajanabend einlud in einem spirituellen Zentrum, das ich an seinem neuen Standort noch nicht kannte. Es waren viele Leute dort und war einfach phantastisch schoen, so dass ich schon bereute, in der Nacht ueberhaupt wieder zu meinem Bus gefahren zu sein, um darin zu uebernachten.

Es gab in den naechsten Tagen staendig wieder Veranstaltungen und wir waren eine kleine Gruppe von Menschen, die fast die ganze Zeit zusammenblieben und vieles gemeinsam unternahmen. So gingen wir mitten im Winter Unmengen von schwarzen Pilzen sammeln,  tanzten Kreistaenze zusammen, feierten Weihnachten und Sylvester. Und jeden Freitag gab es Bhajans. Bis zum sechsten Januar, dem Tag der heiligen drei Koenige blieben wir zusammen, dann ging jeder wieder seines Weges. Ich wurde von einer Frau, die ich im Oktober kennengelernt hatte eingeladen, bei ihr zu bleiben. Sie wohnte in einer Sozialwohnung und ich verbrachte dort zweieinhalb Wochen, meistens an meinem ipad, mit dem ich Internet empfing und halbe bis ganze Naechte durchsurfte. Ich war ploetzlich und aus heiterem Himmel auf Channelingseiten gestossen, die mich vorher nicht im geringsten interessiert hatten, aber diesmal verschlang ich sie regelrecht, um zu verstehen, was ablief. Viele waren enttaeuscht hiess es, dass sich die Welt nicht total veraendert hatte, fuer mich war jedoch die Zeit in Gemeinschaft mit anderen Menschen persoenlich eine vollkommene Veraenderung gewesen.

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