Makrobiotik, Wilhelm Reich und Jesu letzte Versuchung

Seit einem Monat dachte ich oefters an Albert und diese Woche gelang es mir, zu ihm zu fahren. Mich nahm Gerald mit, den ich letztes Jahr einen Tag nach Valentin kennengelernt hatte.

„Ich will ins naechste Department fahren, um einen Freund zu besuchen.“

„Ich wohne nicht weit von hier in einem klitzekleinen Dorf auf deiner Strecke. Wenn du willst, zeige ich dir, wo ich wohne. Du kannst zum Abendessen bei mir bleiben. Und dann fahre ich dich dahin, wo du hinwillst.“

„Die Einladung nehme ich gerne an.“

Schnell waren wir angekommen.

„Mein Haus war frueher ein Stall. Ich bin der erste Mensch, der darin wohnt. Durch Zufall bin ich daran gekommen und nun bin ich schon sechs Jahre da. Hier wohnen gerade einmal neun Menschen. Manchmal sehe ich fuer ein paar Tage niemanden, dann fahre ich weg und gehe in ein Café ein paar Doerfer weiter, um Menschen zu treffen. So geht es mir gut. Ich hatte Glueck, dass mir jemand das Haus verkauft hat. Davor war ich zwei Jahre mit einem Boot unterwegs. Es war klitzeklein. Schau her.“

Er zeigte mir Fotos.

„Das Boot war mein Spiegel. Ich hatte manchmal mit ganz schoenen Unwettern zu kaempfen, aber ich ueberlebte es und seltsamerweise hatte ich keine Angt. Aber nach zwei Jahren merkte ich, es ist genug. Ich liess das Boot einfach herrenlos in einem Binnenhafen zurueck. Erst wollte ich es verkaufen, aber der Kaeufer war mir nicht sympathisch. So liess ich es lieber fuer irgendjemanden, der es findet und ging nach Frankreich zurueck. Ich war eine zeitlang hier und dort und kam dann in diese Region. Nach sechs Monaten in einem anderen Dorf, hat mir der Besitzer den Stall verkauft. Er hielt darin Schweine. Er hatte Landwirtschaft studiert, brachte es jedoch in der Praxis nicht weit. Er ist eher so etwas wie ein Loser, aber sehr sympathisch.“

Er zeigte mir Bilder wie der Stall vorher aussah.

„Das ist echt ein Segen. Vorher habe ich laengstens acht Jahre irgendwo gewohnt, aber diesmal glaube ich, ich bleibe laenger. Es sind schon sechs Jahre, die ich hier bin. Frueher war ich heroinabhaengig, zwei Jahre. Ich habe gedealt. Mir blieb nichts anderes uebrig, denn ein Geschaeft, das ich vorher hatte war pleite gegangen und so durfte ich offiziell fuenf Jahre lang keine Geschaefte betreiben. Ich habe jedoch rechtzeitig den Absprung geschafft. Dann war ich Alkoholiker fuer fuenfzehn Jahre. Ich war immens dick.“

Er zeigte mir ein Foto, auf dem er nicht wiederzuerkennen war.

„Ich schaffte es, durch die Anonymen Alkoholiker mit dem Trinken aufzuhoeren.“

Er legte mir das Buch der Anonnymen Alkoholiker mit dem Zwoelf-Schritte-Programm auf den Tisch.

„Ich ging oft zur Selbsthilfegruppe, auch nachdem ich schon geheilt war. Um Zeugnis abzulegen. Ich habe auch andere Leute dorthin gebracht. Auch lernte ich die Makrobiotik kennen. Das hat mir geholfen. Viel Getreide zu essen, Obst und Gemuese. Yin und Yang auszugleichen. Die maennliche und die weibliche Energie. Die moderne Zivilisationskost hat zu viel Yin. Doch ein zu viel an Yin ruft Depressionen hervor. Mit der Makrobiotik kann man viele Krankheiten heilen. Eine Freundin von mir hat sich damit von einer schwierigen Infektion geheilt. Sie hat eine zeitlang nur Reis gegessen, danach ging es ihr besser. Sie hat den Reis fuenfzig Mal gekaut und ihn dann praktisch getrunken. ‚Trink deine Speise und esse deine Getraenke‘ heisst es. Ich benutze nur biologischen Vollkornreis. Das ist besser. Und wir trinken zu viel.“

Es gab Kuerbissuppe zum Abendessen, Reis und gedaempftes Gemuese. Echt lecker.

„ Die 68er haben uns ziemlich befreit. Wir lebten nach Wilhelm Reichs Gedanken einer sexuellen Revolution. Und hatten anarchistische Ideale.“

Ich gaehnte vor Muedigkeit.

„Du kannst hier schlafen, wenn du willst.“

„Ja, o.k.“

Am Morgen gab es Getreidekaffee.

„Oh, lecker. Die letzte Zeit dachte ich daran, dass ich frueher Getreidekaffee getrunken habe. Ich trinke naemlich derzeit zu viel Kaffee.“

„Ich nehme den zum Filtern. Ich lasse ihn ein paar Tage lang im Topf und gebe ein paar Loeffel frisch hinzu. Nach ein paar Tagen werfe ich alles weg.“

„Ich fuehle mich wirklich gut damit, besser als mit Kaffee.“

„Ich kann dich zu dem Freund von dir fahren.“

„Wenn es dir nicht zu weit ist, wunderbar.“

Er fuhr mich bis zum Dorf in der Naehe von Albert. Ploetzlich lag Schnee auf der Fahrbahn.

„Du kannst mich hier herauslassen. Ich kann das Stueck laufen. Es ist nicht mehr weit.“

„Gerne. Ich habe mit dem Auto Angst mit dem Schnee.“

So lief ich bei herrlichstem Sonnenschein durch die halbverschneite Landschaft. Als ich ankam, dachte ich, Albert sei nicht da, denn sowie Vorder- als auch Hintertuere waren verschlossen. Auf mein Klopfen reagierte niemand. So setzte ich mich in die Sonne und schrieb ihm einen Brief. Doch gerade als ich gehen wollte, kam er, um seinen Briefkasten zu leeren.

„Da bist du ja. Ich dachte, du waerst nicht da, weil die Tueren abgeschlossen sind.“

„Ich muss die Tueren jetzt abschliessen, wegen dem Postboten. Die Hunde machen die Tueren ja auf und fallen den Postboten an. Er hat sich schon beschwert. Komm rein. Magst du einen Kaffee?“

„Ja gerne. Ich habe naemlich heute bisher nur Getreidekaffe getrunken. Ich wollte eigentlich schon frueher kommen, um Weihnachten herum, aber ich dachte, da sind sicher deine Kinder bei dir.“

„Ein Teil meiner Kinder ist weg. Einer ist in den USA und einer ist nach Australien geflogen. Wir haben uns vorher alle getroffen und Weihnachten gefeiert. Mein Sohn ist dann mit der letzten Maschine bevor sie den Flugverkehr wegen Schneegestoeber eingestellt haben weggeflogen. Und in Australien ist er gerade rechtzeitig vor den Ueberschwemmungen woandershin gefahren, wo es keine Ueberschwemmungen gab. Es gefaellt ihm gut. Die Leute scheinen offen und tolerant zu sein. Bloss mit Patricia gibt es enorme Probleme. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen. Sie sagte, sie wuerde die Kinder finanziell unterstuetzen, da sie ja als Krankenschwester arbeitet und Geld verdient, aber sie haelt sich nicht daran. Sie tut einfach nicht, was sie sagt. Ausserdem luegt sie jeden an, sogar auf ihrer Arbeit. Zu mir sagte sie, sie wuerde mich verlassen, weil sie eine Zeit fuer sich braucht. In Wirklichkeit hat sie einen anderen. Sie gesteht sich viele Dinge einfach nicht ein. Sie zeigt sich nur von ihrer positiven Seite und verdraengt die negative, die dann irgendwann durchbricht. Es ist extrem. Die Leute auf ihrer Arbeit bekommen das auch langsam mit.

Und ich muss nun 600 Euro im Monat fuer das Haus abbezahlen, weil sie sich nicht mehr daran beteiligt, von 900 Euro im Monat, die ich zum Leben habe. Das Haus ist auf Kredit gekauft und es ist erst im Jahre 2021 abbezahlt. Wenn ich es verkaufe, bekomme ich wenig Geld dafuer. Ausserdem moechte ich es gerne behalten, damit  die Kinder mal etwas haben.

Aber etwas ganz anderes. Ich habe ein Buch gekauft Der Orgon-Akkumulator nach Wilhelm Reich.“

Er legte mir das Buch auf den Tisch.

„Ich habe nur kurz reichgeschaut. Es gibt schon ganz kleine Apparate zum Selbstbauen.  Man kann damit nicht nur das Pflanzenwachstum foerdern sondern auch die Wolken von Kernkraftwerken in eine andere Richtung lenken. Es wird bloss Aluminium dabei verwendet und Aluminium ist meiner Ansicht nach nicht gut. Mich interessiert es weniger fuer mich persoenlich, als fuer den Garten und die Umgebung.

Es gibt gerade ein schmales Baendchen, das in den Buchhandlungen ausliegt. Es heisst „Empoeren Sie sich!“ Es ruft quasi dazu auf, Widerstand zu leisten.

Ich war letzt bei einer Versammlung eines Vereins hier in der Naehe. Es sprach ein Mann, der eigentlich einen guten Eindruck machte, doch dann sah ich seinen Sohn: Da wusste ich schon alles. Es gibt Menschen, die hoeren nicht auf ihre Kinder. Ich habe am Ende des Vortrags etwas dazu gesagt, aber mir wurde gleich der Mund verboten. Sie sind alle verdorben diese Vereine. Jetzt gehe ich nirgendwo mehr hin. Es hat keinen Sinn. Ich warte, dass die Leute zu mir kommen.“

Wir sprachen noch ueber dies und das bis spaet in die Nacht. Ich schlief im Zimmer einer seiner Soehne, in dem das Poster eines Jedi an der Wand hing: Der Jedi hatte sich von einer wunderschoenen Frau abgewandt und trug ein Schwert aus Licht in der Hand. „Ein Jedi kennt weder Wut, noch Hass, noch Liebe“ stand daneben.

Am naechsten Tag nahm Albert mich ein Stueck mit, des Weiteren lief und trampte ich bei herrlichstem Sonnenschein zurueck.

Ich wollte eigentlich am Markttag in die Stadt trampen, aber mich nahm keiner mit. Auf einmal fuehlte ich mich wie ein Idiot. ‚Er hat zwei Autos und ich trampe mit meinen Rueckenschmerzen und allem. Geht es noch? Ich fahre mit dem Auto‘. Auf dem Weg sprach mich an der Bushaltestelle ein Mann mit einem Stirnband an:

„Gibt es keinen Fahrplan?“

„Doch, er muesste dort haengen. Ach nein, sie haben ihn rausgenommen. Aber ich kann dich mitnehmen, ich fahre in die Richtung. Ich wollte trampen, aber keiner nahm mich mit. So fahre ich mit dem Auto.“

„Ich kann mich am Benzin beteiligen. Mit fuenf Euro.“

„Drei Euro sind genug.“

„Ich gebe dir trotzdem fuenf. Wuerde ich ein Taxi nehmen, kaeme es mich viel teurer. Ich nehme zwar kein Taxi, aber trotzdem. Man muss nicht meinen, es sollte alles umsonst sein.“

„Wohnst du hier?“

„Nein, zwei Doerfer weiter. Es ist jedoch gar nicht gut dort. Ich habe mich provozieren lassen. Es war mein Fehler. Ich habe nur an mich gedacht, nicht an die anderen. Jetzt muss ich dafuer bezahlen. Entweder mit Gefaengnis oder mit der Psychiatrie. Ich gehe lieber ins Gefaengnis, als mich mit Medikamenten todstellen zu lassen.“

Da der Markt noch nicht zu Ende war, setzte ich mich gemuetlich auf ein Maeuerchen in die Sonne. Der Verkaeufer vom Bio-Stand neben mir sprach mich an: „Die Leute essen zu einseitig, das macht sie auf Dauer krank. Es ist notwendig, viele verschiedene Lebensmittel zu essen. Das haelt gesund.“

Nachdem ich mich mit Obst und Gemuese versorgt hatte, fuhr ich zum  Hypermarkt. In der dortigen Buchabteilung lag in grosser Anzahl das schmale Baendchen mit dem Titel „Empoeren Sie sich!“ aus, von dem mir Albert erzaehlt hatte. Am Schluss stand das Zitat, das sinngemaess besagt: „Kreation ist Widerstand, Widerstand ist Kreation“.

Am Abend sahen wir den Film „Die letzte Versuchung Christi“. Ich wollte eigentlich nicht so recht, habe ich keinen Draht zu Filmen, aber Raphael ueberzeugte mich mit den Worten:

„Der Film ist fuer dich. Mit Musik von Peter Gabriel. Er ist hervorragend. Er zeigt Jesus aus einem anderen Blickwinkel.“

Also gut, ich tat es mir an. Viele Dinge darin gefielen mir nicht, vor allem die Darstellung  Maria Magdalenas, die ihn erst bespuckt, dann vor einer ganzen Schar Maennern herumhurt (wo gar nicht erwiesen ist, dass sie eine Hure war), Jesus nach der Kreuzigung, die er ueberlebt hat heiratet und dann nach Gottes Willen stirbt, um Jesu den Weg zu einer Familie mit einer anderen Maria zu eroeffnen. Aber eines war interessant: Der Schutzengel, der waehrend der Kreuzigung zu Jesus sprach und ihn dazu bewegte herabzusteigen und weiterzuleben, hatte sich in einen Teufel verwandelt. Am Ende seines Lebens sieht Jesus dies ein und beschliesst, rueckwirkend doch als Retter am Kreuz gestorben zu sein.

„Als der Film herauskam, gab es einen Aufstand, vor allem von der Kirche. Ein Kino, das ihn ausstrahlte hat gebrannt und ich bin genau zu dem Zeitpunkt als das Kino brannte daran vorbeigegangen.“

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