back in good old germany

Ich bin also wieder zum Oekomuseum gefahren, habe den Bus abgestellt und bin zum See  getrampt. Ich kam zwei Stunden vor Abfahrt an und konnte so noch etwas spazieren gehen. Bernd hatte kein Geld mehr aus dem Automaten bekommen. Er war deswegen ganz aufgeregt.

„Ich habe noch Geld“, sagte ich, „kein Problem.“

„Was haette ich jetzt gemacht, wenn du nicht gewesen waerst? Ich haette nicht einmal genug Geld zum Tanken gehabt. So etwas darf einfach nicht passieren.“

„Du siehst, fuer dich ist schon gesorgt noch bevor du fuer dich selbst sorgen brauchst. Bei anderen Leuten ziehen sie manchmal die ganze Geldkarte ein. Gut, dass du die noch hast.“

„Ich habe schon meine Schwester angerufen und wollte auch mit der Bank telefonieren und mich beschweren, was das soll. Ich habe vollgetankt und damit kommen wir 800 bis 900 Kilometer weit. Und an Mautgebuehren brauchen wir auch einiges. Fuenfzig Euro habe ich noch.“

„Ich habe 200 und ein paar Gequetschte. Das reicht schon.“

Bernd fuhr und fuhr bis gegen zwei Uhr nachts. Da ich die Nacht zuvor vor lauter Aufregung wegen der Fahrt mit Traeumen ueber das, was ich mitnehme, nicht allzu lange geschlafen hatte, schmerzten mir schon die Beine vor Muedigkeit. So hielt Bernd an einer Raststaette an und baute die Angler-Feldbetten auf: eines fuer mich und eines fuer ihn. Wir schliefen bis gegen sechs Uhr in der Frueh und es ging weiter. Bernd haette mich noch viel weiter  mitnehmen koennen, aber ich musste erstmal den Schock, wieder in Deutschland zu sein verdauen und liess mich bald in einer mir bekannten Stadt absetzen. Wir suchten noch nach einer Bank, damit er mir das geliehene Geld zurueckgeben konnte. Er lieh sich 75 Euro und gab mir 90 zurueck. Ich freute mich sehr. Auch zu Essen bot er mir an, was ich gar nicht annahm, denn ich hatte noch Brot, aber sein Mineralwasser nahm ich gerne. Er fuhr weiter und ich lief erstmal durch die Stadt, um eine Toilette zu finden. Am Ende ging ich in die Universitaet. Dann lief ich zu meiner Freundin Giselle, die da war, allerdings ging es ihr nicht gut.

„Ich habe dich schon erwartet. Ich habe die letzte Zeit oefters an dich gedacht. Aber jetzt setze dich erstmal. Ich dachte, du kommst doch in der Regel einmal im Jahr und muesstest nun langsam auftauchen. Und dann hatte ich zwischendurch das Gefuehl, du kommst doch nicht. Und gestern Nacht klingelte das Telefon und da dachte ich am Ende, vielleicht warst du es, aber das konnte ich mir wiederum nicht recht vorstellen.“

„Nein, das war ich nicht. Und ich waere wirklich fast nicht gekommen. Ich habe schon bei Leuten abgesagt, weil ich die Sache aufgegeben habe und ploetzlich lernte ich jemand kennen, der mich mitgenommen hat und fand auch einen Platz fuer meinen Bus. Und lustig ist: letztes Mal warst du die Letzte, die ich besuchte und dieses Mal bist du die Erste!“

Sie war krank, hatte Kopfschmerzen, ihrer Meinung nach infolge einer Nebenhoehlenentzuendung.

„Ich habe gerade jemanden gebeten, zur Apotheke zu gehen, um mir Medikamente zu kaufen. Ich habe naemlich die Nacht nicht geschlafen.“

„Das kann ich fuer dich machen. Da kannst du dem anderen absagen.“

Gesagt, getan.

Danach erzaehlte sie besorgniserregende Dinge ueber Deutschland.

„Die Drei-Klassengesellschaft ist zu einer Zwei-Klassengesellschaft geworden. Die Armen werden immer aermer und die Reichen immer reicher. Und die Mittelschicht gibt es bis auf wenige, die sich gehalten haben, gar nicht mehr. Und Hartz IV ist so angelegt, dass man dort gar nicht mehr rauskommt. In Hartz IV ist jetzt der, der gerade seine Arbeit verloren hat, wie der, der schon lange keine mehr hat. Und sobald jemand fuenfzig Euro von irgendjemand geschenkt bekommt oder sich ein paar Euro dazuverdient, muss er das angeben und es wird von seinem Hartz IV abgezogen. Wenn er das nicht tut, gilt das als kriminell. So werden die Leute kriminalisiert.

Und vom Geld, das fuer die Arbeitslosen da war, haben sie Verwaltungsgebaeude gebaut, um die Leute zu verwalten. Aber die Arbeitsagenturen und Job-Center sind gar nicht dazu da, Leuten Arbeit zu vermitteln. Sie sind dazu da, Leute zu kontrollieren. Und es wird mittlerweile alles kontrolliert. So ging das Geld nicht an die Arbeitslosen, sondern wurde verbaut. Und jetzt duerfen die Leute fuer ein bis zwei Euro die Stunde arbeiten und auf der anderen Seite gehen Milliardensummen an die Banken, um sie zu retten. Obwohl die Banker eine gute Ausbildung genossen haben und genau wussten, was sie tun. Unsere Bundeskanzlerin hat das deutsche Volk verraten.“

„Verraten und verkauft. Aber sie tut genau das, was die Kraefte hinter den Kulissen wollen. Demokratie ist die Macht der Konzerne. Die Konzerne diktieren die Gesetze und die Politiker sind nur dazu da, diese abzusegnen.“

„Und dafuer verdient unsere Bundeskanzlerin gerade ‚nur’ einmal 220 000 Euro im Jahr – dabei sind die Dienstwagen und –zulagen nicht gerechnet.“

„Also nach all den Erfahrungen, die ich gemacht habe, auch ohne Geld zu leben, halte ich es fuer das Beste, wenn das bedinungslose Grundeinkommen eingefuehrt wird.“

„Aber da sind die Politiker dagegen. Und die Leute tun einfach nichts. Und guck dir mich an: ich habe Schulden abzubezahlen, weil ich meinen Vater selbst gepflegt habe und keinerlei Unterstuetzung bekam. Ich habe damals alles versucht. Aber er war offiziell nicht pflegebeduerftig, weil nur dement. Er konnte noch vieles selbst machen, aber musste eben irgendwann ins Heim und ein Heim kostet 6000 Euro im Monat. Seine Rente reichte dazu nicht aus. So habe ich all mein Geld da reininvestiert, auch meine Altersvorsorge.

Und die Kanzlerin hat den totalitaeren Ueberwachungsstaat kennengelernt, um ihn hier nun langsam einzufuehren. Und die Leute sagen nichts dagegen. Weißt du, dass es einen Sonnendaemon gibt? Hast du davon schon gehoert?“

„Nein.“

„Das ist wichtig zu wissen. Es gibt naemlich drei Teufel. Der rote, der weisse und der schwarze Teufel. Es sind die Gegenspieler zu dem Dreieck Vater, Sohn und heiliger Geist.  Luzifer ist der nahste Engel bei Gott, der alles kennengelernt hat und alles weiss. Der ist alles, was Ekstase und schnelle tolle Gefuehle ausloest. Auch alle Drogen und Rauschmittel. Dann gibt es den, mit dem alles ist, was mit Macht, Verstand und Geld zu tun hat. Der alles kontrollieren will. Der heisst Ahriman. Der war das, was in Nazideutschland war. Luzifer und Ahriman haben beide nicht die Liebe. Der Mensch hat ihnen die Liebe voraus und mittels der Liebe kann der Mensch die beiden besiegen.

Und dann gibt es noch den Sonnendaemon. Er ist der Gegenpart Gottes und will grundsaetzlich die Ausloeschung allen Lebens. Das erklaere ich immer den Leuten, die bei mir in Therapie sind. Und Jesus ist die Sonne. So ist es gut, sich mit der Sonne zu verbinden.“

Es war alles sehr interessant. Das Problem war aber: ich bekam heftige und sehr unangenehme Kopfschmerzen, denn ich nehme nicht selten die Krankheiten der Menschen auf, die mich umgeben. Ich musste raus. So ging ich Brot fuer Giselle einkaufen. Auf dem Weg stand auf einem Aufkleber „escape Gegenwind“. Das Gefuehl, dass es besser ist, abzuhauen, hatte ich auch. Giselle bot mir ihre Monatskarte bis Montag an und so ass ich nur noch bei ihr Kartoffeln mit Moehren, nahm schnell ein paar Sachen aus meinem Rucksack, die ich nicht brauchen wuerde waehrend ich einen heftigen Migraeneanfall mit Uebelkeit und Schweissausbruechen bekam und stob davon.

Am Bahnhof angekommen, wollte ich eventuell zu einer anderen Freundin etwas weiter  entfernt fahren. Es fuhr auch gerade ein Zug in die Richtung, also stieg ich ein. Doch er war zu voll und es gab keinen Sitzplatz. So schlecht wie es mir ging, wollte ich dann doch nicht fahren, um spaet anzukommen und auch nicht gleich schlafen zu koennen… So stieg ich eine der naechsten Haltestellen aus und legte mich neben den Bahnsteig auf meine Isomatte ins Gras. Zwei Minuten spaeter kam die Polizei. Zwei Beamten, die zwar nett waren und um mich besorgt, aber trotzdem meine Papiere verlangten, die sie ueber Funk ueberprueften. Ich fuhr mit dem naechsten Zug zurueck, um bei einer anderen Bekannten vorbeizuschauen. Sie war da.

„Du kommst mir etwas ungelegen“, sagte sie. „Ich mache gerade sauber.“

„Ich wuerde mich nur gerne hinlegen. Mir geht es so schlecht.“

„Da, diesen Teppich habe ich schon gesaugt. Du kannst auch die Kissen benutzen.“

Ich machte es mir bequem und begann ihr die Geschichte mit Giselle und der Polizei zu erzaehlen.

„Du, es wird mir zu viel. Ich fuehle mich ueberfallen. Ich brauche meinen Raum zum Saubermachen fuer mich. Ueberhaupt mache ich jetzt die naechste Zeit nichts. Ich habe zu vielen Leuten geholfen.“

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich finde es gut, dass du das merkst und nicht ueber deine Grenzen gehst. Mir hat heute jemand Geld gegeben, da gehe ich vielleicht ins Hostel.“

„Ich kann dir noch fuenf Euro dazugeben.“

„Nein, lass mal.“

Ich ging einen Stock hoeher und setzte mich in den Sessel, der dort stand bevor ich mich auf den Weg Richtung Hostel machte. Doch der erste VW-Transporter, der auf der Strasse stand, war offen.

So hatte ich eine trockene Unterkunft fuer die Nacht, denn es regnete staendig.

Den naechsten Tag verbrachte ich damit, von einer Ecke der Stadt zur anderen zu fahren. In einem etwas entlegenen Stadtteil schaute ich, ob eine fruehere Bekannte noch dort wohnte, die aber wie ich erfuhr, schon seit Jahren umgezogen war. Dann schaute ich mir eine verschlossene alte Wagenburg an und traf dort einen Typ, der ganz komisch drauf war. Er meinte dumpstern waere Diebstahl und er wolle sein Geld lieber ehrlich verdienen, sucht aber seit einem Jahr eine Wohnung und hat Schulden! Aber er wollte einen Verein gruenden, um erstmal sich selbst zu helfen…

Dann fuhr ich in den naechsten Stadtteil und fand gleich ganz viele Bau- und andere Waegen ueberall rumstehen. Noch dazu war da ein offener Gemeinschaftsbereich, in dem ich Feuer und ein paar Leute sah. Vier Frauen sassen um den Tisch und luden mich zum Essen ein, zu leckeren Nudeln mit Tomatensosse.

„Du hast Glueck. Hier ist nicht jeden Abend was los. Ich habe heute was gekocht fuer meine drei Freundinnen, die zu Besuch kamen. Sie wohnen auch in Waegen, aber nicht hier. Wir traeumen davon, irgendwann einmal zusammen zu wohnen.“

Wir waren den ganzen Abend zusammen und es war sehr schoen. Gegen ein Uhr nachts fragte mich die Bewohnerin:

„Hast du was zum Schlafen?“

„Nein.“

„Du kannst in dem Bauwagen hier uebernachten. Er ist von einem Jungen, der sowieso fast nie da ist. Es gibt nur keine Heizung.“

„Kein Problem.“

Ich wachte frueh auf – es regnete wieder. Ich stuerzte mich gleich an die Arbeit, um den Gemeinschaftsbereich etwas sauber zu machen. Mein Nachbar trank einen Kaffee und freute sich ueber meinen Einsatz.

„Ja toll, wir vermieten dir gleich was.“

„Ja, gerne.“

„Du kannst auch alles nehmen, was zu Essen da ist.“

„Ja, danke.“

Dann lernte ich einen Jungen kennen, der sich ebenfalls bewegt und nicht fix irgendwo steht.

„Letztes Jahr war ich in Portugal, aber dieses Jahr weiss ich noch nicht. Ich wuerde gerne in die Tuerkei, aber ich habe einen Sohn und der ist zum Teil auch bei der Mutter.“

Er gab mir die Wegbeschreibung fuer eine Wagenburg in Frankreich.

„Hier ist es nett. Die Leute sind locker“, schloss er.

Als ich Giselle die Monatskarte zurueckbrachte, kamen wir irgendwie auf das englische Koenigshaus zu sprechen.

„Maria Stuart war die letzte rechtmaessige Koenigin, bis sie sie umgebracht haben. Und Kaspar Hauser war auch so ein Fall. Es war das Haus Baden, das den eigentlichen Nachfolger ausgesetzt hat. Er wurde in einem Schloss in Dunkelheit gefangen gehalten. Spaeter wurde er von einem englischen Gentleman aufgenommen und in gute Kleider gesteckt. Als er erwachsen war, fragte sich Kaspar Hauser irgendwann, wer seine Eltern waren. Er sah seine Mutter eines Tages in einer Kutsche vorbeifahren und spuerte, dass sie es war und sie war wohl auch wie elektrisiert. Sie wollten ihn schon frueher umbringen, aber dann haben sie es doch erst spaeter getan. Das war das Haus Baden.

Wie auch die deutsche Revolution. Die haben naemlich ganz schoen rebelliert. Und es sah fast so aus, als wuerden sie gewinnen. Der preussische Koenig wollte schon abdanken. Doch dann holte sich Baden die Unterstuetzung vom Heer des russischen Zaren und von Oesterreich. Nur dadurch haben sie die Revolution besiegt.

Deutschland haette nach der Wiedervereinigung die Chance gehabt, das Positive von beiden Staaten zu uebernehmen und als Vorreiter fuer die Welt etwas voellig Neues aufzubauen. Aber sie haben ihre Chance verpasst. Der Kapitalismus hat gesiegt. So wurden ganze Firmen, Haeuser und Grundstuecke fuer einen Euro verkauft.“

Nach ausgiebigem Fruehstueck mit gedumpstertem Biozeug packte ich am naechsten Tag meine Sachen, um weiterzufahren. Trampen ging nicht, da es staendig regnete. Also ging ich zum Bahnhof. Bloss war mir die Fahrkarte zu teuer und die guenstigere Verbindung hatte ich verpasst. Ich wusste nicht, was tun. Ein aelterer Herr kam vorbei und fragte nach einer Zugverbindung. Ich machte seinen Zug ausfindig. Er setzte sich auf eine Bank.

„Was hatte ich fuer einen Tag!“ stoehnte er. „Ich habe meine Lebensgefaehrtin im Krankenhaus besucht. Sie hatte eine Hueftoperation und mit der Narkose ging es nicht gut aus. Nun ist sie in der Psychiatrie.“ Er weinte. Ich legte meinen Arm um seine Schulter.

„Vielleicht wird das ja wieder.“

„Das hoffe ich auch.“

Er beruhigte sich wieder.

„Ich nahm den Bus zum Krankenhaus. Es gibt zwei Busse; bei dem, den ich nahm, musste ich noch 300 Meter laufen. Und das im Regen. Dann waeren es nochmal 700 Meter bis zur Pforte gewesen. Zum Glueck haben sie mich dann hingefahren, als ich sagte, ich koenne nicht weiter laufen. Ich muesste mich naemlich auch operieren lassen. Aber ich wollte warten bis meine Lebensgefaehrtin sich von ihrer Operation erholt hat. Und jetzt das. Ich bin naemlich 79 und sie ist ebenso alt. Das ist Schicksal.“

Er hob den Kopf.

„Schauen Sie dort drueben die Leute. Alle starren sie auf ihr Handy.“

„Das ist mir gestern auch schon aufgefallen. Die Leute stehen nebeneinander und jeder spricht mit jemand anderem am Telefon, statt dass sie sich miteinander unterhalten. “

Als ich ihm erzaehlte, dass ich nicht wisse, was tun, weil mir die Fahrkarte zu teuer war und ich die guenstige Verbindung verpasst hatte, gab er mir Geld fuer die Fahrt. Ich musste nur zwei Euro fuenfzig zuschiessen. Gluecklich fuhr ich zu meiner Wahlmama.

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