Neues Interview von der Obdachlosenuni Berlin

Meine lieben Leserinnen und Leser,

hiermit möchte ich Euch gerne auf ein neues Interview aufmerksam machen, das Vagabund_innenforscher Maik Eimertenbrink im Rahmen seiner Doktorarbeit über das Leben von Nomad*innen im Mai diesen Jahres mit mir geführt hat.

Es tauchen darin andere Aspekte meines damals weitgehend geld- und konsumbefreiten Lebens auf. Zum Beispiel spreche ich zum ersten Mal über die Suche nach dem heiligen Gral und andere spirituelle Aspekte meines Nomadenlebens.

Es wurde vom mündlichen Gespräch verschriftlicht, was es beim Lesen zu bedenken gilt, denn es ist deshalb manches weniger gewählt ausgedrückt … Viel Freude wünsche ich damit!

http://www.obdachlosen-uni-berlin.de/gespraech-mit-silvia-fischer-autorin-von-dem-buch-der-vagabundenblog-vom-leben-ohne-geld

Nach mir spricht übrigens der Bestsellerautor Richard Brox ebenfalls zum Thema Nomadendasein.

Ansonsten fällt mir gerade auf: ich habe mich wirklich hervorragend für die heutige Zeit vorbereitet. An meinem Leben im Verhältnis zu damals hat sich wenig verändert. Wenn ich jetzt nicht mehr in Läden einkaufen gehe, weil ich keine Lust habe auf die damit verbundenen Verhaltensmassregeln, um diese Läden oder Institutionen oder was auch immer zu betreten, dann ist das exakt wie früher als ich einfach nichts gekauft habe…

Übrigens hat mich letzthin jemand auf die Idee gebracht, doch Seminare über die Möglichkeit, anders zu leben – ohne grossartig am System teilzunehmen – anzubieten. Hättet Ihr daran Interesse?

Liebe Grüsse

Silvia Fischer

Warum ich so gelebt habe

Heute kam mir wieder eines ins Bewusstsein, das mich sicherlich unterbewusst sehr stark beeinflusst hat so zu leben. Und zwar habe ich mir als Kind oft ein Buch mit dem Titel „Kinder der Welt“ angesehen, das bei meinen Eltern im Buchregal stand. Mein Eltern hatten nur sehr wenige Bücher. Sie lasen eigentlich überhaupt nicht. Ich hingegen sehr viel.
Dieses eine Buch hatte es mir angetan. Und ganz besonders angetan haben es mir die Strassenkinder aus Südamerika. Sie hatten für mich etwas Wildes und unglaublich Anziehendes.

Als ich einmal in Nepal war, da hatte ich einen ganz besonderen Kontakt zu einem solchen Strassenkind. In den Strassen von Kathmandu. Es war wie Liebe auf den ersten Blick. Er war noch ganz klein, aber sprach schon recht gut Englisch. Ich traf ihn oft auf der Strasse. Einmal wollte ich ihn einladen, in meinem Zimmer zu übernachten, aber mein Guesthouse, das Kathmandu Guesthouse liess das nicht zu. Stattdessen ging ich mit ihm in einen Laden und kaufte ihm an Fressalien alles, was er wollte. Auch Sachen, die ich selber nie essen würde. Einfach um ihm eine Freude zu machen.

Dann lebte ich sechs Jahre lang in Brasilien. Da machte ich weniger gute Erfahrungen mit Strassenkindern. Ich wurde mehrfach von ihnen bedroht. Immer an der roten Ampel. Einmal hatte ich vergessen das Fenster hoch zu machen. Ich kam von der Arbeit und dort machte man das Fenster runter, um mittels einem Schlüssel das Tor aufzumachen. Ich dachte noch auf der Fahrt, ach, was weht der Wind so schön durchs Fenster. Bei der Hitze war das sehr angenehm.

Und dann kam ich an einer der Hauptampeln der Stadt an einer ganz berühmten Ecke an der roten Ampel zu stehen. Zwei Stassenjungs kamen zu mir und einer rammte mir einen spitzen Gegenstand in die Seite. Ich wusste nicht, was es war, ob ein Messer oder etwas anderes. Ich hatte Angst. Er wollte Geld von mir, aber ich wollte ihm einfach nichts geben. Ich fand die Art und Weise wie er zu Geld kommen wollte nicht okay und verweigerte mich deshalb vollends. Ausserdem hätte er mir mein gesamtes Portemonnaie mit Karten darin wegnehmen können.
Zum Glück wurde es dann grün, aber ich zitterte wie Espenlaub, ja mehr noch, meine Beine waren ein einziges riesiges Zittern. Ich glaube, wir gingen danach noch ins Kino in der Nähe und ein Freund schaute, ob er den Jungen fand. Ich kann mich an die Details nicht mehr erinnern. Ich weiss nur, dass mir ab da die Angst im Nacken sass jedes Mal, wenn ich an diese Ampel kam.

Das zweite Mal, dass ich auf diese Weise überfallen wurde war an einem Sonntagmittag im Stadtzentrum. Das Zentrum war heruntergekommen und es war klar, dass es gefährlich war, aber doch nicht Sonntagmittag. Diesmal war es eine Glasscherbe, die mir der Junge durch den Spalt schob, den mein Fenster geöffnet war. Diesmal stand ich ganz vorne an der Ampel und auch hier wurde es grün und ich fuhr an ohne ihm etwas gegeben zu haben.

Danach sass mir die Angst noch mehr im Nacken. Ein weiteres Mal war es an der Ampel direkt neben meiner Arbeitsstelle wo ein Jugendlicher mich ansprach und auf meine Musikanlage zeigte. Ich tat so, als verstünde ich nichts.

Schliesslich gab es ein viertes Mal, aber es war diesmal ein Erwachsener und ich war auch nicht alleine im Auto, sondern zusammen mit einer Freundin. Es war schon gegen zehn Uhr abends in einer Seitenstrasse. Man hält abends normal nicht an in Sao Paulo. Man fährt langsam an die Kreuzung ran, wenn rot ist und wenn niemand kommt, dann fährt man durch. Es ist einfach zu gefährlich, anzuhalten.
Doch diesmal hatte jemand vor uns angehalten und es kam ein Mann mit einem riesigen Wackerstein neben mein Fenster und bedrohte uns. Diesmal war das Fenster ganz geschlossen und ich öffnete es auch nicht. Aber die Angst packte mich und ich war froh, dass wir auch hier unserem Angreifer dadurch, dass derjenige vor uns losfuhr entkamen. Er sah auch aus wie ein Mensch ohne Zuhause.

Es leben viele in Slums in südamerikanischen Städten und ich musste damals lernen, sie zu übersehen. Es wäre einfach zu schmerzhaft gewesen, ihnen mit Mitgefühl zu begegnen. Das sagte man mir schon am ersten Tag meines Daseins. Ich weiss nicht wie die buddhistischen Mönche das machen und auch nicht wie das Mutter Teresa in Kalkutta gemacht hat. Ich jedenfalls habe irgendwann zugemacht, aber trotzdem war da tief in mir eine Sehnsucht so zu leben wie die Strassenkinder leben. Und plötzlich war ich selber eins 😉

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