Kirschkuchen mit Vanillepudding

Am naechsten Morgen wollte ich zuruecktrampen, da hielt ein Mann mit einem unausgebauten Campingbus an, der eine ziemlich weite Strecke fahren wollte.

„Eigentlich wollte ich nur in ein Dorf zwanzig Kilometer entfernt, aber vielleicht fahre ich noch laenger mit.“

„Ich arbeite am Montag in der Naehe der Metropole, deshalb fahre ich zurueck. Hier habe ich in den Weinbergen gearbeitet. Den Bus hier habe ich neu. Erst seit drei Monaten. Aber manchmal habe ich schon die Schnauze voll.“

„So ging es mir auch mit meinem Campingbus. Ich hatte oft die Nase voll. Deswegen habe ich ihn abgegeben, aber danach ging es mir sehr schlecht. Ich fuehlte mich furchtbar. Und das ist noch gar nicht so lange her.“

„Ich war vorher mit dem Fahrrad unterwegs. Die letzten Jahre habe ich mir eine Wohnung mit jemandem geteilt, aber er sitzt die ganze Zeit vor dem Fernseher und raucht und trinkt. Das war nicht angenehm fuer mich. Und jetzt suche ich ein Grundstueck wo ich meinen Bus abstellen kann; zu kaufen oder zu mieten. Viel Geld habe ich jedoch nicht.“

„Heute ist ein Markt auf der Strecke. Da findest du vielleicht Leute, die dir weiterhelfen. Es ist eine schoene Gegend. Ich war einmal fuenf Wochen dort mir meinem Bus.“

„Das ist vielleicht eine Idee. Das ist weniger weit weg wie hier. Ja, ich glaube, ich fahre dort vorbei.“

„O.k., dann komme ich mit.“

Auf dem Markt traf ich gleich eine Spanierin, die ich kannte. Dann kam eine der Frauen aus der Gemeinschaft vorbei.

„Und was ist mit deinem Bus?“

Als ich ihr sagte, nichts waere mit dem Bus, verschwand sie eilends. Eine andere Frau aus der Gemeinschaft, die ich eigentlich sehr mochte, lud mich an ihrem Stand zu einer Tasse Eistee ein und sprach ein paar Worte mit mir.

„Fuehle dich nicht schuldig. Du warst eben nicht bereit.“

„Stimmt. Ich war nicht bereit.“

Dann verschwand sie hinter den Tresen und ich sass ploetzlich ganz alleine am Tisch. Ein anderer der Gruppe fragte: „Und, wo wohnst du?“

„Ich reise“, antwortete ich, woraufhin er sich umdrehte und kein weiteres Wort mehr mit mir wechselte.

Dafuer kam mir mein Fahrer ganz freudig entgegen:

„Ich habe jemanden wiedergetroffen, den ich schon kannte und er hat mir zwei Adressen gegeben, wo ich vielleicht arbeiten kann. Die einen haben einen Bauernhof und suchen jemanden, der auf die Tiere aufpasst, waehrend sie weg sind.“

Beim Gang ueber den Markt fiel mein Blick auf eine Frau mit einem kleinen Turban, die mich dermassen intensiv anschaute, als ob sie mich kannte. Ich sprach sie an. Ab dem Moment blieben wir zusammen. Wir hatten Gespraechsstoff ohne Ende. Eigentlich hatte sie an diesem nachmittag zur Gemeinschaft gehen wollen .

„Mir ging es vor ein paar Tagen so schlecht. Ich bat meine Freunde um Hilfe, aber alle sagten nur, ich solle zum Arzt gehen. Und der hat die Dosis meiner Antidepressiva verdoppelt. Ich wollte naemlich absolut nichts mehr tun. Nicht mehr Aufstehen. Nicht mehr Kochen. Mich nicht mehr Anziehen.“

„Depressionen bekommen wir meistens dann, wenn wir etwas nicht getan haben, was wir tun wollten.“

„Das ist wahr. Auf jeden Fall habe ich schon eine Erkrankung: Fibromyalgie. Ich habe auch alle meine Haare verloren.“

Sie nahm ihren Turban ab und zeigte mir ihre Glatze.

„Gegen die Schmerzen nehme ich Morphin.“

„Fuer mich entstehen Krankheiten, weil wir etwas anders nicht lernen konnten und sie sind dazu da, uns zu helfen, auch wenn es noch so schmerzhaft ist. Aber ich kenne eine Supertherapie, mit der man fast alle Krankheiten heilen kann, man darf jedoch keine oder kaum Medikamente nehmen. Das ist Amaroli. Urintherapie.“

„Ich habe schon davon gehoert. Aber im Moment nehme ich mehrere Medikamente. Da geht das nicht. Letztens auf jeden Fall, als es mir so schlecht ging, habe ich die Gemeinschaft angerufen und mit ihnen geredet. Sie waren fuer mich wie ein Rettungsanker. Im Gegensatz zu meinen Freunden waren sie fuer mich da, hoerten mir zu und hatten etwas dazu zu sagen. Alleine, dass es sie gibt, gab mir Hoffnung. Und heute nachmittag wollte ich zu ihnen gehen wie gestern schon und habe es nicht getan. Gestern kam mir etwas anderes dazwischen und heute habe ich mit dir geredet, aber ich sollte sie vielleicht anrufen, um mich bei ihnen zu entschuldigen.“

Sie telefonierte mit ihnen und anschliessend fuhr sie doch noch dorthin. Ich lief dann zu dem aussergewoehnlichen Automechaniker, den ich von meinem laengeren Aufenthalt in der Region her kannte. Aussergewoehnlich deshalb, weil er das Pendel befragte, bevor er jemandem half. Er freute sich ueber mein Kommen und erzaehlte mir die Neuigkeiten.

„Ich hatte zwei Schlaganfaelle im letzten Jahr, aber es ging gut aus. Und statt den Medikamenten, die sie mir verschrieben haben, nehme ich eine sibirische Heilpflanze. Denn die Schulmedizin ist klasse darin, chronisch Kranke zu produzieren, die den Rest ihres Lebens Medikamente brauchen. Und hier auf meinem Grundstueck wohnen jetzt zwei Leute, die vorher drei Jahre lang in einem Tipidorf gelebt haben, einer in einem Tipi, der andere in einer Jurte.“

„Einer davon hat mich heute begruesst. Ich kenne ihn aus Hippieland. Er hat mich animiert, zu dir zu kommen.“

„Vor Kurzem hat mir jemand einen Wohnwagen geschenkt. Komm, ich zeige ihn dir. Er muss erstmal gereinigt werden, aber dann kann er jemandem dienen, der vorbeikommt. Du kannst heute erstmal in der Jurte schlafen. Der Bewohner ist zur Zeit nicht da.“

Wir assen zusammen zu abend und ich naechtigte wunderbar in der Jurte. Was fuer ein schoenes Gefuehl, mit der Natur verbunden zu sein! Am naechsten Tag machte ich mich daran, den Wohnwagen zu saeubern. Mir wurde sogar angeboten, darin zu wohnen, aber irgendwie schien es nicht das richtige fuer mich zu sein. Trotzdem richtete ich ihn so her, dass jemand darin schlafen konnte. Es fehlten naemlich mehrere Matrazen, um ein Bett zu bereiten, aber ich fand frisch ausrangierte Wohnwagenmatrazen im naechsten Dorf neben dem Muellcontainer und brachte sie mit dem Fahrrad in zwei Schueben herbei. Auch eine ganze Tuete voll mit Tellern, Glaesern und Toepfen nahm ich mit, um den Wohnwagen fuer wen auch immer einzurichten. Am fruehen abend fuhr ich taeglich ins naechste Dorf, weil ich dort Internet empfing. Gleich beim ersten Mal sprach mich ein netter aelterer Herr an.

„Wollen Sie etwas essen? Ich habe noch eine indische Spezialitaet uebrig von gestern vom Markt. Ich habe nicht alles verkauft. Ich mache ihnen eines warm.“

„Ja, gerne.“

Kurze Zeit spaeter kam er mit einem leckeren frittierten Teilchen und einem eiskalten Tchaitee zurueck.

„Ich habe vierzig Jahre in Indien gelebt. Ich war mit drei indischen Frauen verheiratet und habe insgesamt sieben Kinder. Aber jetzt gerade habe ich mich von der dritten Inderin scheiden lassen. Sie wohnt genau neben mir und manchmal macht sie mir Stress. Gestern abend zum Beispiel. Und es ist immer wegen Geld. In Indien habe ich auch eine zeitlang in einer Gemeinschaft gelebt, aber ich habe denen zu oft die Wahrheit gesagt und die wollten sie nicht hoeren. Ich habe Geld verdient und sie wuenschten, dass ich es mit allen teile, aber das wollte ich nicht. Sie konnten doch selbst arbeiten. Sie meinten auch, ich sei zu indisch geworden. Drei Monate nachdem ich eine Inderin geheiratet habe, haben sie mich rausgeschmissen.“

Dann kamen die Nachbarn direkt gegenueber der Bank, auf der ich sass vorbei und brachten uns zwei Stueck Kirschkuchen. Mit Vanillepudding. Was fuer eine Freude!

„Ich glaube, sie nutzt Euren Internetanschluss,“ liess der Nachbar sie wissen. Sie hatten absolut nichts dagegen.

„Sie koennen aber auch gerne meinen Anschluss benutzen, falls dieser hier mal nicht geht.“

Er verschwand in seinem Haus und kam mit einem Zettel und einer fast endloslangen Zahlen-Buchstabenkombination zurueck, die ich gleich eingab, als wir vor seinem schnuggeligen Haus mit unendlich vielen Pflanzen vor der Tuer standen.

„Es hat geklappt!“

Im Anschluss fuhr ich noch mit dem Fahrrad in der Gegend herum und entdeckte am Ortsausgang einige Kirschbaeume voller wunderbarer Fruechte, fuer die sich bisher keiner zu interessieren scheinte. Ich pflueckte gleich eine halbe Tuete voll und so hatten wir die naechsten Tage Kirschen zum Essen.

An einem Abend kam eine Frau zu Besuch, die ihr Wohnmobil auf Oel umruesten wollte und die in einer weiter entfernten Grosstadt wohnte. Zwei Leute hatten mir unabhaengig voneinander von einer Gegend in der Naehe dieser Grosstadt erzaehlt, so dass ich vage den Eindruck hatte, ich sollte mich dort vielleicht mal umschauen. Sie wollte am naechsten Morgen vor neun Uhr losfahren und ich ueberlegte, dass ich vielleicht mitfahren wollte, sagte aber nichts, da ich sowieso alles immer erst am Tag selber entscheiden konnte. Doch als ich ihren Motor frueh morgens hoerte, als sie im Begriff war wegzufahren, hatte ich es doch bereut, nichts gesagt zu haben. Es war noch nicht einmal acht Uhr. Und ich war sicher, aufzuwachen, wenn es denn sein sollte, dass ich mitfahre. Aber weil sie beide sehr leise gewesen waren, war ich nicht vorher aufgewacht. Ab dem Zeitpunkt ging mir staendig im Kopf herum, dass ich vielleicht haette weg sein sollen und gar nicht mehr da wo ich war. Es war ein komisches Gefuehl.

Am nachmittag kam ein Bekannter von Pierre vorbei und blieb auch noch zum Abendessen.

„Die letzten fuenf Jahre bin ich immer mehr abgerutscht, aber jetzt moechte ich mein Leben neu ausrichten. Ich habe vor, mit liegenden Fahrraedern zu handeln. Die Liebe zu ihnen habe ich vor einiger Zeit entdeckt und es ist viel einfacher mit ihnen zu fahren wie mit einem normalen Fahrrad. Man verliert naemlich nur 30% der Energie, um gegen den Wind anzustrampeln statt 80% wie mit dem normalen Fahrrad. Als ich das erste Mal einen Tag mit dem liegenden Fahrrad gefahren bin, kam ich 120 Kilometer weit. Und das, wo ich gemuetlich mittag gegessen habe.“

Irgendwann wechselten wir dann das Thema.

„Es gibt einen buddhistischen Lama in Sibirien, der ist 162 Jahre alt.“

Ein paar Tage spaeter fand ich die Bestaetigung im Internet.

„Und wisst Ihr, wer die groesste Biomarktkette Frankreichs gekauft hat?“ fragte uns Pierre.

„Die groesste und bekannteste Gentechnik- und Saatgutfirma Amerikas.“

Der Bekannte wusste schon bescheid.

„Und eine grosse Biofirma, die Brotaufstriche wie Mandel oder Erdnusscremes und so was macht, kauften sie auch.“

„Wie war das moeglich, dass es an sie verkauft wurde?“ fragte ich perplex.

„Es gab Zwischenhaendler. Und Bio ist gar nicht mehr bio. Die Biofelder in Spanien werden mit Kuehlwasser von Atomkraftwerken versorgt.“

„Dass bio nicht mehr bio ist, das hat mir schon vor langer Zeit jemand gesagt. Alles an Bioprodukten aus dem Supermarkt wird naemlich bestrahlt.“

 

 

 

Schmetterlingsgruesse

Eines schoenen Tages trampte ich zu Raphael. Er freute sich ueber mein Kommen. Mir gefiel seine neue Wohnung unterm Dach. Es war sehr gemuetlich. Die Frau, mit der er vor Kurzem ein Verhaeltnis hatte, war zu ihm fuer zwei Tage zurueckgekehrt und dann verschwunden.

„Wir verstehen uns so gut auf allen Ebenen. Aber als sie weg war, wollte ich sterben. Drei Mal im Ganzen. Die Musik, die du gerade hoerst, hat mich gerettet. Ansonsten hatte ich Probleme mit einem Nachbarn, aber das hat sich jetzt gelegt. Und jetzt moechte ich aufhoeren zu rauchen. Und wegziehen moechte ich auch.“

„Das hast du mir schon ein paar Mal erzaehlt, dass du aufhoeren willst zu rauchen. Und von hier wegziehen willst du, seit ich dich kenne. Aber wenn du aufhoerst zu rauchen, mache dich darauf gefasst, dass dich erstmal eine Menge Gefuehle ueberschwemmen, die normalerweise durch das Rauchen abgeschwaecht werden. Ich habe jedes Mal, wenn ich aufgehoert habe zu rauchen, erstmal zwei bis drei Stunden geheult. Das naechste, was passiert ist, dass die Zeit unendlich lange wird. Ein Tag erscheint wie die Unendlichkeit. Das Schlimmste fuer mich war jedoch das Gefuehl der Langeweile. Obwohl ich Sachen zu tun hatte. Das Gefuehl der Langeweile in Momenten, in denen ich irgendwo warten musste war so schrecklich und gross, dass ich lieber geraucht habe, als dieses Gefuehl zu empfinden.“

„Ich werde Pflanzen einnehmen, die mir helfen. Auch die Bachblueten koennen mich dabei unterstuetzen.“

„Das ist wahr und eine gute Idee.“

Die Zeit verging wie im Flug. Am fruehen abend dumpsterten wir zusammen und danach wollte ich gehen. Es war nur noch wenig Verkehr auf der Strasse. So lief ich zurueck zu Raphael. Da er jedoch auf mein Klopfen hin nicht reagierte und seine Nachbarin im Erdgeschoss weniger freundliche Worte ins Treppenhaus rief, die in mir  Angst ausloesten, schlich ich mich davon. Ich ging zu der Englaenderin, die mehrere Zimmer zu vermieten hatte. Oben war Licht und so ging ich hinauf und traf sie mit drei Maennern, von denen ich einen kannte. Er begruesste mich freudig und umarmte mich. Die Englaenderin fragte mich, was ich wollte. Ich erklaerte ihr kurz meine Situation und sie bot mir ein Zimmer an fuer fuenfzehn Euro. Ich nahm es kurzerhand an. Der Mann, den ich kannte war verschwunden, obwohl er mich informiert hatte, dass er ebenfalls hier im Erdgeschoss wohnte. Doch am naechsten Morgen lud er mich zum Fruehstueck ein und erzaehlte mir von dem Projekt einer Gemeinschaft, das er hier gerne verwirklichen wuerde, nachdem ich ihm von meinen  Gemeinschaftserfahrungen berichtet hatte.

„Ich schreibe alles dazu auf. Im Moment jedoch mache ich eine Ausbildung, damit ich eine Struktur habe. Ich lerne auch sehr viele interessante Sachen ueber die Geschichte der Region. Deshalb muss ich leider bald aufbrechen. Aber ich habe letztes Mal schon gedacht, dass ich mich gerne mit dir unterhalten wuerde und dann warst du auf einmal nicht mehr da. Deshalb wollte ich jetzt die Gelegenheit nutzen…“

„Du warst letztes Jahr an Neujahr bei der Sylvesterfeier der erste Mensch, den ich umarmt habe. Das habe ich nicht vergessen.“

„Stimmt. Ich erinnere mich.“

Wir verabschiedeten uns. Ich kam am Markt vorbei und trampte irgendwann hoch zu Jocelyne. Wer mich mitnahm, war ihre ehemalige Nachbarin. So hoerte ich die Geschichte von der anderen Seite.

„Ich ging zur selben Frau in den Kindergarten, bei der auch Jocelynes Tochter ist. Sie ist die beste Kindergaertnerin, die man sich ueberhaupt vorstellen kann. Und Jocelyne behauptet, diese Frau wuerde ihre Tochter misshandeln. Ich kann versichern, dass dies nicht wahr ist. Das ist vollkommen ausgeschlossen. Ich kenne diese Frau seit zwoelf Jahren und es ist niemals etwas Negatives aufgefallen. Jocelyne hingegen kreiert Geschichten.“

Genau dasselbe hatte Raphael im Zusammenhang mit Jocelyne erwaehnt und gesagt, ich solle aufpassen. So kam ich zurueck. Am Anfang war Jocelyne erfreut, mich zu sehen.

„Du lebst dein Leben“, empfing sie mich, als ich ihr sagte, dass ich woanders uebernachtet hatte. Doch schon bald gab es Probleme. Ich sass am Computer, als sie mich attackierte, weil ich Kontakt mit Raphael gehabt hatte, der sich wiederum hin und wieder mit dem „Erzeuger“ ihrer letzten beiden Kinder traf, wie sie ihn bezeichnete. Und grundsaetzlich kann sie es nicht verkraften und will mit niemandem etwas zu tun haben, der mit ihm auch nur entfernt Kontakt hat. Anschliessend ging sie zu einem Termin, den sie hatte. Ich packte meine Sachen, um zu gehen.

Ich stellte mich auf die Strasse, wusste jedoch nicht einmal, in welche Richtung ich fahren wollte. Vorwaerts oder wieder zurueck. Niemand nahm mich mit. Nach einer Stunde in der Sonne gab ich auf. Genau wegen demselben Problem war ich damals ausgezogen, als ich bei ihr wohnte. Wenn ich jetzt ging, wuerde ich fluechten, wie immer. Doch ich hatte keine Lust mehr darauf. Ich wollte den Konflikt irgendwie anders loesen, als davon zu laufen. Das hatte ich lange genug praktiziert. Also stellte ich meine Sachen ab und ging zum See.

Ich legte mich in den Schatten und ruhte mich aus. Ein kleiner blauer Schmetterling setzte sich auf meine Hand und krabbelte auf und ab. Ich erinnerte mich an Said, der mir in einer der letzten mails geschrieben hatte, er sende mir einen Schmetterling. Und es war fast der gleiche Platz, an dem wir im Gras gelegen hatten. Ich war entzueckt von dem Schmetterling, der sich auf meine Schuhe setzte und auf meinen Rucksack, bevor er wieder auf meine Hand kam. Auf einmal sprach mich ein Mann mit einem Strohhut an, der gerade vorbeikam.

„Gehst du spazieren?“ fragte ich ihn. „Wenn ja, wuerde ich gerne mitkommen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Klar, komm mit. Ich bin Jacques und du?“

„Michelle.“

Er wohnte in einem der Weiler zwei Kilometer entfernt und hatte noch nie ein Auto besessen. Es hielt gleich ein Wagen an, um uns mitzunehmen. Er lud mich ein, bei ihm zu uebernachten.

„Du hast ein eigenes Zimmer.“

Wir assen im Garten zu abend. Ich wollte nicht einmal mehr zu Jocelyne zurueckgehen, um meine Sachen zu holen. Es ging auch so. Er hatte kein Internet, dafuer jedoch Fernseher und Radio. Er trank keinen Alkohol und rauchte lediglich Zigaretten.

Bevor ich ins Bett ging, schaute ich interessehalber noch, ob ich ins Internet gehen koenne mit meinem ipad und siehe da, ich hatte Glueck: ich empfing genau den Anbieter, zu dem ich das Passwort hatte – Huchuu. So konnte ich eine Mail von dem Hollaender empfangen, die sehr positiv war und in der er mich einlud, zu der Permakulturfarm zum wwoofen zu gehen, bei der er fuer ein paar Tage untergekommen war. Vier Stunden taegliche Mithilfe gegen freie Kost und Logis. Sie wuerden Leute brauchen. Und ich erfuhr, dass er vorhatte, erst am Freitag zurueck zu kommen. Ich teilte ihm die Schwierigkeiten mit, die ich mit Jocelyne hatte. Er sah vor, zwischen eins und sechs Uhr nachmittags da zu sein. Ich war nicht sehr erfreut darueber, einen weiteren Tag auf ihn warten zu duerfen, aber ich beruhigte mich damit, mir zu sagen, dass es wohl fuer irgendetwas gut ist. Und mein Gastgeber hatte mich ja fuer zwei Tage eingeladen.

Da ich entgegen meiner urspruenglichen Absicht kein Schreibheft gekauft hatte und mein altes Heft nahezu voll war, ueberlegte ich, was ich stattdessen tun koennte. Vielleicht meine Aufzeichnungen statt in ein Heft direkt aufs ipad schreiben. Und so legte ich erstmals los. Denn sonst hatte ich erstmal alles in ein Heft geschrieben und dann muehsam abgetippt an irgendeinem Computer, den ich irgendwo benutzen konnte. Noch dazu musste ich die Hefte dann irgendwo zuruecklassen und oft waren auch andere Informationen sowie Adressen darin, auf die ich dann nicht mehr zugreifen konnte.

So setzte ich mich in den Garten und schrieb drauflos. Und erstaunlicherweise ging es gar nicht so schlecht. Nach einer Runde, die ich drehte und dem Abendessen, wollte ich weiter meine Adressen aufschreiben, die ich mir auf Zetteln notiert hatte und war nicht so ganz bei der Sache, als mich mein Gastgeber fragte, ob ich nicht einmal vorhatte, eine Familie zu gruenden. Noch dazu war es mein wunder Punkt.

„Reden wir nicht darueber“, fing ich an.

„Wieso?“

„Weil mein Versuch, eine Familie zu gruenden klaeglich gescheitert ist. Weil…“

Er bekam eine Krise, weil ich nicht nett genug geantwortet hatte. Ich glaube, der eigentliche Grund seines Missmutes war jedoch, dass ich mich mit meinem ipad beschaeftigt hatte, waehrend er mit mir redete. Er sagte glatt:

„Das ist hier kein Hotel.“

Genau das hatten mir meine Elten auch immer gesagt. Ich war dann sehr freundlich zu ihm und entschuldigte mich fuer meine etwas brueske Antwort, woraufhin er sich bruhigte..

Ich schlief zwei Naechte bei ihm und als ich sicher war, dass der Hollaender zurueckgekommen war, ging ich wieder zu Jocelyne. Ich wusste, er wuerde unseren Konflikt loesen koennen und dem war auch so. Er war einfach genial. Erst wollte ich mit ihm weiterreisen, aber es fuehlte sich nicht richtig an. So trampte ich nur bis zum naechsten Ort und dann wieder zurueck. Schon als ich in das Auto einstieg, das anhielt, bedeutete mir die Fahrerin, dass ihr Beifahrer nur deutsch und kein Franzoesisch oder Englisch spreche.

„Wir haben keine gemeinsame Sprache. Wir nehmen ein Uebersetzungsprogramm zu Hilfe.“

Sie zeigte mir einen kleinen Apparat.

„Aber die beiden Sprachen sind so verschieden, auch in der Satzstellung und die Uebersetzung ist manchmal so schlecht, dass der andere es nicht versteht.“

„Wenn Sie wollen, kann ich uebersetzen. Was moechten Sie ihm denn gerne sagen?“

„Dass ich muede bin! Mit dem ganzen Uebersetzen und allem.“

Sie wollten genau zu dem Ort, an den ich auch wollte, um die Burg zu besuchen. Sie luden mich dazu ein und ich uebersetzte, was sie sich sagen wollten, obwohl sie fast alles schon voneinander wussten.

„Wir haben uns in Tunesien bei einer archaeologischen Ausgrabung kennengelernt,“ erzaehlte sie mir.

„Und uns dann in Frankreich wieder getroffen. Dann bin ich nach Deutschland zu ihm gefahren, aber es hat mir bei ihm ueberhaupt nicht gefallen. Es war mir viel zu sauber und ordentlich. Und ueberall hingen Fotos von verstorbenen Familienmitgliedern. Damals habe ich mir schon gesagt, dass es nicht geht mit uns, aber ich wollte es trotzdem nochmal probieren. Schauen Sie ihn sich an. Er ist ein schoener Mann. Aber ich habe Jahre lang fuenf Maenner versorgt, denn ich habe vier Soehne und jetzt habe ich keine Lust mehr, einen Mann zu versorgen. Ich kann auch ohne leben und moechte mein Leben nun geniessen. Ich bin 69 Jahre alt und er ist siebzig.“

Ihm gefiel es umgekehrt nicht an dem Ort in den Bergen, an dem sie wohnte. Sie meinte, er haette keine Interessen, er jedoch, sie haetten viele Dinge gemein. Sie liebten sich offenbar, aber viele Dinge waren zu schwierig. Wir redeten und redeten und setzten uns am Ende noch in ein Cafe, bevor sie sich bedankend bei mir verabschiedeten.

Ich ging dann noch spazieren und fand beim Blick in eine Muelltonne zwei Tueten voll mit Essen: verschiedene Sorten Kaese, mehrere Brote und diverse andere Lebensmittel. Schwer beladen ging ich zurueck zu Jocelyne. Sie erwartete jedoch Besuch von einem Bekannten, der eigentlich schon am nachmittag kommen wollte, aber noch nicht da war. Und sie hatte schon vorher angekuendigt, dass sie mit ihm alleine sein wollte, weswegen ich auch weggegangen war. So zog ich wieder von dannen ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen. Ich versteckte all meine Sachen und ging zu einem Fest am Dorfplatz. Ich stand erst eine Weile am Rande bis ich mich an einen der Tische setzte. Nach einer Weile gesellten sich andere Menschen zu mir, darunter auch eine Frau, die ich kannte. Wir tanzten. Eine Weile spaeter setzte sich ein Mann zu mir, der in dem Ort wohnte, in dem ich eineinhalb Jahre gelebt hatte.

„Heute gibt es dort Techno und Wave-Musik bis vier Uhr morgens. Da ist es unmoeglich zu schlafen. Deshalb kam ich hierher. Ich werde in meinem Auto schlafen.“

„Da koennen wir vielleicht zusammen uebernachten. Ich habe naemlich heute auch keinen Ort zum Schlafen.“

„Echt?“

Mir war es zwar nicht moeglich, im Auto einzuschlafen, aber um vier Uhr fuhr er dann zu sich nach Hause und nahm mich mit. Er wohnte erst seit drei Monaten in meinem ehemaligen Heimatort und ich hatte sogar ein eigenes Zimmer zur Verfuegung.

In alten Gefilden

Ich wollte mit meinem Gepaeck zu Claude, aber er war nicht da. So stellte ich meine Sachen bei dem Verein mit dem Umsonstladen ab, in dem ich ab und an mal vorbeigeschaut hatte. Ein sehr freundlicher Marokkaner, der gerade einen Computerkurs hielt empfing mich und nahm mir sogar meine Sachen aus der Hand, um sie zu verstauen.

„Du kannst sie gerne hierlassen. Wir sind mindestens bis sechs Uhr da.“

Er war mir sofort sympathisch. Ich ging eine Stunde spazieren und kam zurueck. Sie redeten immer noch mit den Leuten vom Linuxkurs, waehrend ich die Kueche ein wenig saubermachte. Draussen regnete es heftig. Spaeter kam Said, bot mir an, mir einen Tee zu kochen und fragte, ob ich wisse, wo ich uebernachte. Ich druckste ein wenig herum.

„Nicht wirklich. Die Person, bei der ich uebernachten wollte, war vorhin nicht da.“

„Wenn du willst, kannst du bei mir uebernachten. Ich lasse dich doch nicht in dieser Situation stehen.“

„Ja, super.“

Ich freute mich sehr. Er wohnte im selben Haus wie der Kabyle, nur einen Stock hoeher. Und das seit ein paar Monaten. Wir assen zusammen und redeten und redeten. Er hatte eine Freundin, die im siebten Monat schwanger war, aber woanders wohnte. Nach einiger Zeit erzaehlte er, dass er vor kurzem massive Probleme mit seinem Nachbarn von unten hatte, bei dem ich vorher zwei Mal untergekommen war.

„Er respektierte mich nicht und behandelte mich schlecht. Am Ende artete es in einen Kampf aus. Wir gingen echt aufeinander los. Aber jetzt weiss er, dass er nicht alles mit mir machen kann und die Situation hat sich beruhigt.“

Er wollte seine Freundin die naechsten Tage besuchen. Da sie nicht weit von Jocelyne entfernt wohnte, beschloss ich, mit ihm mit dem Bus mitzufahren. Es regnete in Stroemen. Seine Freundin holte uns von der Haltestelle ab und brachte mich zu Jocelyne. Sie war sehr nett und ganz locker. Als ich bei Jocelyne ankam, sass dort ein Mann mit grauem Bart und mittellangen Haaren auf dem Sofa.

„Er kam, um hier Haus zu hueten, weil ich vielleicht fuer ein paar Tage in eine andere Stadt fahre, um dort nach einer Wohnung zu suchen“, klaerte sie mich auf.

„Ich muss hier weg. Die Behoerden sind schon hinter mir her wegen meiner Tochter, die sie mir am liebsten weg nehmen moechten. Ich habe Probleme mit der Kindergaertnerin. Sie hat mir meine Tochter schon zwei mal eine viertel Stunde verspaetet wieder gegeben. Es waren schon zwei Leute hier vom Amt. Ich konnte mich nur retten, in dem ich zum Buergermeister gegangen bin.“

Es stellte sich heraus, dass ich Manu von frueher kannte, aber ich hatte ernsthaft Probleme, ihn wiederzuerkennen. Er schien fuer mich ein komplett anderer Mensch zu sein. Als wir alleine waren, erzaehlte sie mir, dass sie jetzt vermehrt Kontakt zu Hare Krishna Anhaengern hatte.

„Doch es macht mir irgendwie Angst. Ich habe das Gefuehl, sie wollen mich schwach machen, um mich dann einweihen zu koennen. Ich habe eine andere Auffassung von Gott und das sage ich ihnen auch. Ich war letzt schon einmal ein paar Tage bei Amar, aber er war nicht sehr nett zu mir. Erst dachte ich, wir werden vielleicht ein Paar, aber dann wollte er nicht  und hat mir Manu vorbeigeschickt, um Hauszuhueten, waehrend ich bei ihm bin. Aber ich weiss nicht einmal, ob ich wirklich zu ihm gehen will.“

„Wenn ja, dann kann ich ebenfalls fuer dich haushueten. Das ist kein Problem.“

Als ich ihr von der Gemeinschaft erzaehlte, meinte sie:

„Ich habe auch einen kennengelernt, der bei ihnen war. Den haben sie rausgeschmissen.“

Ich hatte am Anfang etwas Schwierigkeiten mit Manu, was sich aber nach einiger Zeit legte. Es kam dann Amar vorbei, der Manu eingeladen hatte, herzukommen. Er selbst war sechs Jahre Moench in verschiedenen Kloestern gewesen, aber heute trank und rauchte er, wie jeder andere auch.Wir unterhielten uns auch ueber die Geschichte mit meinem Bus. Beide kannten den Mann, der mir sein Terrain zur Verfuegung gestellt hatte. Sie glaubten, dass er schwarze Magie bei der ganzen Sache eingesetzt haette. Jetzt war mir klar, warum es mir nicht gelang, dorthin zurueckzufahren.

Am Ende fuhr Jocelyne dann doch nicht mit zu Amar. Jedoch hatte sie aeusserst grosse Probleme mit Manu und mir war bald klar, dass ich hier war, um sie zu beschuetzen. Manu ruhte sich bei Jocelyne aus und tat fast nichts. Wie ich spaeter erfuhr, hatte er zuvor relativ viel gearbeitet.

Eines Tages sassen Jocelyne und ich am See, als ein mit zwei Rucksaecken bepackter Hollaender auftauchte. Ich winkte ihn herbei. Er war noch am selben Tag aus Holland per Flugzeug angekommen und wollte in drei Wochen die interessantesten Plaetze in der Gegend zu besuchen. Ich spazierte mit ihm Richtung Burg. Er arbeitete mit Energie und sah alles aus einer anderen Perspektive. Auf einmal hiess er mich stehenbleiben und verankerte in mir kristalline Energie. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, aber ich kam mir vor wie in einer anderen Welt. Dann bat er mich, auf meinem Weg einen Schritt beiseite zu treten:

„Jetzt gehst du einen neuen Weg.“

Auch Jocelyne half er ad hoc bei den verschiedensten Problemen. Manu indessen reiste am naechsten Tag ab. Wir blieben noch, um auf die Kleine aufzupassen, bis Jocelyne von einer Therapiesitzung zurueckkehrte. Dann fuhr ich mit ihm zu einem heiligen Berg, den er besuchen wollte. Wir kamen trampend erst recht gut voran, aber bevor wir hochfahren wollten, kamen wir ins Stocken. Eine Frau sprach uns an:

„Bei dem schlechten Wetter ist es keine gute Idee, dort hochzufahren. Sie werden nichts sehen und es ist kalt. Bleiben Sie lieber hier und gehen auf den Campingplatz.“

Wir nahmen ihren Vorschlag an und Piet lud mich ein. Es kostete eh fuer eine und fuer zwei Personen das gleiche. Auf dem Campingplatz waren supernette Leute, die mir eine aufblasbare Matratze, eine Supermegaluftpumpe und eine warme Decke gratis zur Verfuegung stellten. So war ich fuer die Nacht wunderbar ausgestattet, auch wenn ich wegen des rauschenden Baches direkt neben uns und der hohen Energie seitens des Heiligen Berges und meines Zeltnachbarn gar nicht richtig schlafen konnte. Sie hatten den Campingplatz gerade erst uebernommen und vor einem Monat aufgemacht. Am naechsten Tag trampten wir den Berg hinauf bis zum Pass, versteckten unsere Sachen an einem Huegel, den wir auch als Schlafplatz auserkoren hatten und liefen die letzten Meter bis zum Gipfel. Dort oben sprach ich kurz mit einer Australierin, die wir am naechsten Tag wiedertrafen, als wir kurz im Geschaeft des Dorfes halt machten.

„Ich schreibe an einem Buch ueber eine indische Dichterin, die im 8. Jahrhundert lebte und deren Gedichte Gott geweiht sind. Sie lebte im Sueden Indiens und so fahre ich oft dorthin. Aber jetzt brauche ich mal eine Pause und ich kenne jemanden, der hier wohnt.“

Wir hatten ein interessantes Gespraech und Piet war von ihr ganz angetan. Am Abend schlief er auf dem Campingplatz, aber da ich mal eine ruhige Nacht ohne hochschwingenden Nachbarn und Bach neben mir verbringen wollte, suchte ich mir im Dorf einen Platz zum Schlafen. Ich fand ein paar aeusserst dicke Stuhlkissen an einer Pension, die ich zu einer Matratze zusammenlegte, um in der ersten warmen Nacht des Jahres ohne Zelt im Freien zu uebernachten. Am naechsten Tag trampten wir wieder runter und er wollte weiter, ich jedoch war mir nicht sicher, ob ich mitfahren sollte. So klappte es auch mit dem Trampen nicht. Keiner nahm uns mit.

„Wir muessen mit unserer Frequenz runtergehen. Sonst sehen sie uns nicht“, meinte Piet und forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Aber uns nahm trozdem keiner mit. Stattdessen erwartete ich nur den Bus, den ich vor einer Woche mit Said genommen hatte, um zu sehen, ob er nicht vielleicht drin war. Er hatte mir am Abend vorher eine mail geschickt, er koenne an dem nachmittag bei Jocelyne vorbeischauen, denn ich hatte nicht nur ihn, sondern auch seine Freundin zu Jocelyne eingeladen. Ich hatte ihm jedoch zurueckgemailt, dass ich nicht da sei. Ich wollte auch keine Geschichten. Aber trotzdem. Nachdem ich mich dann umentschieden hatte und doch zu Jocelyne zurueckfahren wollte, hielt sofort eine sehr sympathische Frau mit ihrem Wohnmobil an.

„Ich fahre an die heissen Quellen in den Bergen und Du?“

Ich erklaerte ihr wo ich hinwollte und gelangte so ohne Umschweife wieder zurueck. Wir gingen zusammen zum See, da sie von weit her angereist kam und eine Pause gebrauchen konnte und ich gab ihr eine Liste mit interessanten Plaetzen in der Region. Said kam nicht vorbei, da ich ihm ja quasi abgesagt hatte. Am naechsten Tag fuhr ich mit Jocelyne zum Markt in unserem frueheren Dorf. Wie gewoehnlich hielt ich die vielen Menschen jedoch nicht aus und wollte schon wieder zuruecktrampen, als ich einen englischen Bekannten wiedertraf. Wir setzten uns zusammen an das Ufer des Flusses an einen kleinen, aber feinen Strand.

„Letzte Nacht habe ich das Weisse Haus angeschrieben, sie sollen das Bespruehen mit Chemtrails endlich lassen.“

Er war wie immer in der Offensive. Und mutig.

„Ich habe die Steuern fuer mein Haus nicht bezahlt. Ich sehe nicht ein, dass ich Kriege mitfinanzieren soll. Ich habe ihnen die Unterlagen wieder zurueckgeschickt!“

Und als ich ihm das Malheur mit meinem Bus erzaehlte, den ich quasi verloren hatte, meinte er:

„Du kannst immer zu mir kommen. Ich habe jetzt ein wenig renoviert. Das Haus ist nicht mehr ganz so dunkel wie zuvor. Ich moechte ein Bed & Breakfast daraus machen.“

Als ich wieder zuruecktrampen wollte, traf ich einen meiner ersten Bekannten der Region: Michel. Er ging mit mir ueber den Flohmarkt im naechsten Dorf, der sich gerade zu Ende neigte und in ein Konzert muendete. Wir hoerten noch eine ganze Weile zu bevor er mich bis in die Naehe von Jocelyne brachte, denn ich wollte noch ein Stueck laufen und er seine Pferde fuettern. Er wohnte jetzt in einer Jurte in einem der Doerfer in der Gegend und hatte einen Wagen mit Vierradantrieb.

„Ich war gezwungen, mir einen Wagen mit Vierradantrieb anzuschaffen. Sonst komme ich nicht zu mir hoch. Wenn es geregnet hat, ausgeschlossen. Aber mit dem Auto geht’s.“

Als ich zu Jocelyne kam, war dort ein Mann zu Besuch, den sie vor einiger Zeit kennengelernt hatte.

„Said war heute hier. Drei Mal hat er vorbeigeschaut, aber du warst nicht da.“

„Ich habe Leute getroffen und war mit ihnen unterwegs. Wie schade. So habe ich ihn verpasst.“

Tatsaechlich kam er am naechsten Tag nochmal mit seinem Moped vorbeigefahren. Wir gingen zusammen zum See.

„Eigentlich war heute Frauenwochenende bei meiner Freundin. Das macht sie ab und zu, dass sie ihre Freundinnen einlaed und sie dann unter sich sind. Aber ich hatte es vergessen und war gekommen, weil einer der Nachbarn aus dem Dorf verstorben war. Am Morgen war die Beerdigung, bei der ich dabei war. Aber es war ein trauriges Ereignis, obwohl er alt war. Deshalb wollte ich auch am Samstag nicht mehr vorbeikommen. Und dass du gestern nicht da warst, war nicht weiter schlimm. Ich hatte eine schoene Zeit hier am See.“

Bei der nachfolgenden Unterhaltung meinte er:

„Ich bin wie ich lebe immer in einem Rahmen, aber der Rahmen gefaellt mir nicht mehr.“

„Es ist gar nicht so schlecht, in einem Rahmen zu leben. Schaue dir mich an: ich bin vollkommen aus dem Rahmen gefallen. Das ist auch nicht das Richtige.“

 

 

 

Zimmer zu vermieten

Bei meinem Weg durch die Innenstadt sah ich zwei Maenner neben ihren abgestellten Rucksaecken auf der Strasse stehen.

„Kommt Ihr aus Polen?“ sprach ich sie an.

„Ich bin halb Pole – halb Russe.“

„Und ich bin halb Amerikaner, halb Deutscher.“

Sie hatten sich am Meer kennengelernt und waren ueber die Berge hierher gelaufen. Der Pole hatte verschiedentlich in Frankreich gearbeitet, aber jetzt waere es schlecht mit Arbeit.

„Die Spanier und Portugiesen sind jetzt ueberall, wo es frueher Arbeit gab, weil es dort so schlecht geht. Dann kommen noch die Rumaenen dazu. Da ist gerade nichts zu machen. Dann habe ich mal in Belgien gearbeitet und dadurch meinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ueber 2.200 Euro pro Monat verloren. Ich haette nicht ausser Landes gehen sollen, aber das wusste ich nicht. Man hat schon nach drei Jahren im Land das Recht auf das Minimum. Aber du musst immer an einem Ort bleiben. Alle zwei Wochen wird das ueberprueft.“

„Ich habe gehoert, man kann drei Monate wegbleiben.“

„Nein. Sie pruefen alle zwei Wochen, ob du wirklich da bist.“

Wir gingen dann zu einer der Hilfsorganisationen und sammelten unterwegs die uebrig gebliebenen Fruechte des Marktes auf, die wir anschliessend gemeinsam verzehrten: Honigmelonen, Orangen und Birnen. Die beiden gingen dann, weil es nicht gab, was sie brauchten (ein Paar neue Schuhe), waehrend ich in einem Pulk von Frauen auf die Oeffnung wartete. Ich fragte nach einem Schlafsack und bekam auch einen, den ich von drei Euro auf zwei Euro runterhandelte, denn sie duerften nichts mehr umsonst abgeben.

Frueher hatte ich hier in der Stadt immer tonnenweise Lebensmittel gedumpstert, aber das war nun vorbei. Die Muelltonnen der Supermaerkte waren fast alle verschwunden und ins Unterirdische verlagert worden. Es gab nur noch Behaelter zum Einwerfen. Das unter anderem auch, weil die Leute, die gedumpstert hatten, zu viel Dreck herumliegen liessen. Aber ich fand dann doch noch andernorts eine Menge an Lebensmitteln, vor allem Kekse und Joghurts, die ich  mitnahm. Zum Glueck lief mir mein erster Gastgeber Claude ueber den Weg, der mir nicht nur beim Tragen der schweren Last half, sondern mich auch zum Abendessen und Uebernachten zu sich einlud. Nach dem Essen meinte er:

„Ich gehe dann mal Zigaretten suchen.“

In der Tat suchte er Zigarettenstummel.

„Ich habe kein Geld. Vielleicht kriege ich in ein paar Tagen etwas zurueck von jemandem, dem ich Geld geliehen habe, sonst habe ich nichts bis zum sechsten des naechsten Monats (das waren noch zwei Wochen). Mein Neffe hatte Geburtstag; da musste ich was schenken und nun habe ich nichts mehr.“

Ich schenkte ihm ein Paeckchen Tabak. Am naechsten Tag sah ich auf der Strasse eine aeltere Dame, deren Haaransatz regelrecht orange leuchtete. Wir sprachen uns gleichzeitig an. Sie war zwar Franzoesin, hatte aber vierzig Jahre lang in Brasilien gelebt. Und sie war achzig Jahre alt, obwohl sie aussah, wie fuenfundsechzig. Ich begleitete sie ein Stueck des Weges und ging auch wieder mit ihr zurueck, weil sie ihr Handy bei ihrer Freundin vergessen hatte.

„Ich vergesse immer etwas. Das ist das Alter, wissen Sie?“

Sie lud mich zu ihr in eine sehr schoene Sozialwohnung ein.

„Normalerweise lade ich niemanden ein, aber bei Ihnen mache ich mal eine Ausnahme.“

Sie empfahl mir dann, mir eine Sozialarbeiterin zu nehmen. Ich waere dumm, wenn ich das soziale Netz nicht nutzen wuerde.

„Mir hat gerade jemand erzaehlt, sie wuerden zwei mal im Monat kontrollieren, ob man auch da ist.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich wurde nie kontrolliert und ich bin manchmal fuer Monate im Ausland.“

„Vielleicht, weil Sie schon im Rentenalter sind.“

„Ich jedenfalls habe nie davon gehoert. Ich mag die Stadt hier zwar auch nicht, aber hier gibt es Wohnungen. Ich kam hierher, weil ich in Brasilien ueberfallen wurde. Ich lag sechs Monate im Bett und danach entschied ich, hierher zu ziehen, weil meine Schwester hier wohnt.“

Ich erinnerte mich dann an einen Mann, der mich einen Tag zuvor um fuenfzig Cent gebeten hatte.

„Ich habe einen Betreuer und nur zwanzig Euro pro Woche zur Verfuegung. Dann bekomme ich immer mal Fuenfzig Euro zum Einkaufen und das war’s dann. Ich lebe schon sechs Jahre so.“

Claude erzaehlte anschliessend:

„Ich hatte frueher auch kein Telefon. Aber meine Sozialarbeiterin hat mich gezwungen, mir eines anzuschaffen. Sie wollen die Kontrolle haben, wo man ist.“

Ich las immer noch fast taeglich die neuesten Channelings. Es war wiederholt vom Loslassen die Rede.  Alte Dinge, die nicht mehr zu einem gehoeren solle man loslassen. Ich bezog es auf meinen Bus. Der Bus, um den sich fast taeglich meine Gedanken kreisten, aber fuer den ich keine Loesung fand. Also liess ich los. Irgendwie schaffte ich es eh nicht, ihn zurueckzuholen. Ich schrieb eine entsprechende Mail an den Mann, auf dessen Grundstueck der Bus stand, er moege die Papiere der Frau uebergeben, an den ich den Bus urspruenglich abgeben wollte.

Beim Spazierengehen las ich dann ploetzlich das Schild an einem Haus: „Zimmer zu vermieten“. Ohne zu zoegern klopfte ich an die Tuer. Eine Frau mit langen schwarz gefaerbten Haaren und ganz in schwarz gekleidet oeffnete mir die Tuer. Ich dachte im ersten Augenblick: „Das ist eine Hexe.“ Sie zeigte mir das Zimmer. Es war angenehm gross, die Einrichtung war nicht super, aber o.k., doch das Problem war die Durchgangsstrasse direkt nebenan. Wobei die Doppelglasfenster ganz schoen abdaemmten. Sie drueckte mir einen Zettel in die Hand, was es kostet und was es alles beinhaltet. Es war etwas teuer, aber dafuer alles inklusive. Sie spielte in einer Mittelaltertheatergruppe und es gab noch einen weiteren Mitbewohner, den ich aber nur kurz auf der Treppe sah, als ich mir den Garten anschaute. Vorher haette fuer fuenf Tage eine Frau dort gewohnt, aber sie hatte die Miete nicht gezahlt. „Ausserdem waren an einem Tag sieben Leute da und sie war dreckig. Ihnen leihe ich gerne auch Laken, weil Sie sauber sind. Die andere hatte dreckige Fingernaegel. Wir rauchen allerdings beide in der ganzen Wohnung, schauen aber dafuer kein Fernsehen und ich gehe erst um sechs Uhr morgens schlafen.“

Ich gedachte das Zimmer trotz aller Nachteile zu nehmen, gerade weil die Achtzigjaehrige gemeint hat, wir braeuchten ein Zuhause. Aber ich konnte vor Aufregung die halbe Nacht nicht schlafen. Ich ging dann am fruehen nachmittag mit meinen Sachen zu ihr. Wir wickelten die Formalitaeten ab und ich zahlte fuer elf Tage bis zu Beginn der eigentlichen Miete. Diesmal sah ich den Mitbewohner von nahem. Er war ebenfalls ganz in schwarz gekleidet und hatte auf seinem Ruecken ein grosses rosametallicfarbenes Kreuz: ein Gothic. Am Vortag hatte ich noch gedacht, er sei normal, aber die Praesenz zweier dunkler Wesen war fuer mich dann doch zu viel. Ich ging kurz zu Claude, um Ihm Bericht zu erstatten, da ich noch Sachen bei ihm gelassen hatte. Danach ging ich zurueck, um meine Sachen zu holen. Derweil arbeitete die Vermieterin mit zwei Klientinnen in ihrer Kostuemschneiderei. Ich machte in der Kueche ein wenig klar Schiff, weil der Mitbewohner den Zucker umgestossen und auf der Erde verteilt hatte. Beim Geschirrspuelen fand ich zwei Tassen mit Hexenfotos. Schliesslich ging ich zu ihr, als ich meinen Rucksack fertig gepackt hatte:

„Kann ich sie mal zwei Minuten sprechen?“

„Ja, klar.“

„Ich glaube, es ist doch nicht der Zeitpunkt, mich niederzulassen.“

Ich bekam anstandslos und vollkommen korrekt mein Geld zurueck, uebergab ihr den Schluessel und schon war ich weg, in Freiheit!

 

 

The road is the best scool

„Es hat sich alles geaendert“, informierte mich André auf der Stelle. „Ich kann mein Wohnmobil nicht mehr einfach auflassen und weggehen wie frueher. Ich wurde nun schon zwei Mal beklaut. Und ich rede auch mit niemandem mehr ausser mit den Leuten, die ich von frueher kenne.“

Ich uebernachtete bei ihm im Wohnmobil  und trampte am naechsten Tag weiter, da er mir nicht so gerne mit meinem Bus helfen wollte. Am Abend nahm mich eine Frau mit, die ihren Freund besuchte, der auf einem Grundstueck in seinem Campingbus wohnte. Es war eine wunderschoene Gegend mit herrlichem Ausblick. Wir sassen im Freien und assen Sushi, das sie mitgebracht hatte. Zwei junge Leute mit Kleinkind wohnten in einem Haus in unmittelbarer Naehe.

„Zum Uebernachten kannst du waehlen zwischen Zelt und einem Bett im Haus“, lud mich ihr Freund ein.

„Dann nehme ich das Bett im Haus.“

Am naechsten Morgen empfing er mich mit:

„Du hast gut gewaehlt. Es hat heute nacht sogar gefroren.“

Ich erzaehlte ihm dann noch meine Geschichte mit dem Bus und er bot mir seine Hilfe an, allerdings erst in zehn Tagen.

„Du kannst gerne hierbleiben, wenn du willst. Ich fahre jedoch fuer eine Woche weg zu meiner Tochter.“

Ich wusste nicht recht, was tun und entschied mich kurzerhand, weiterzufahren. In der naechsten Stadt suchte ich den englischen Tom auf, aber seine Fensterlaeden waren geschlossen. Am Abend traf ich seinen Nachbarn, der nun nicht mehr in der Pizzeria, sondern in einem der beiden Cafés am Platz arbeitete. Ich fragte nach Tom.

„Der sitzt wohl im Knast. Die Polizei hat ihn abgeholt. Ich habe im Internet nach ihm recherchiert und zunaechst nichts gefunden. Erst als ich seinen Namen umgedreht habe, fand ich eine ganze Reihe von Informationen. Offenbar war er ein gesuchter Mann.“

Ein Mann, der mir am nachmittag schon sagte, ihm wuerde mein Outfit gefallen, lud mich zu sich sowohl zum Abendessen als auch zum Uebernachten ein. Claude erzaehlte mir, dass er jahrelang eine eigene Firma besass und schwer gearbeitet hatte. Aber dann war etwas in seinem Leben passiert, was er nicht verkraftet hat, so dass er alles aufgegeben hatte.

Am naechsten Tag wollte ich schon weiter, da gabelte mich beim Trampen ein mit Hut bekleideter, recht froehlich erscheinender Herr auf und lud mich zu einem Apero-Konzert gleich in der Naehe ein. Der Eintritt war auf Spendenbasis. Man konnte geben, was man wollte, musste jedoch irgendwas beisteuern, wenn auch nur ein paar Cent.

„Ich bin den Jakobsweg gegangen, erzaehlte er mir spontan. Von hier bis Santiago de Compostella. Das war im Jahre 2005.“

Nach dem Konzert lud er mich noch zu sich nach Hause ein.

„Ich wohne mit meinem Sohn zusammen, der aber gerade nicht da ist. Da hast du Platz. Mein Haus ist dein Haus. Ich arbeite in der Altenpflege. Ich betreue pflegebeduerftige Menschen in ihrer Wohnung.“

Wir unterhielten uns lange ueber alle moeglichen Themen.

„Ich bin Kabyle. Die Kabylei ist eine Region in Algerien. Die Araber haben uns so bezeichnet, weil wir den Koran ohne Gegenwehr angenommen haben.“

„Der Mensch ist die Summe seiner Entscheidungen“, war der interessanteste Satz, den er an diesem Abend sagte. Er trank den ganzen Abend an einer Flasche Rum, konnte dann allerdings scheinbar nicht sehr gut schlafen. Am naechsten Morgen setzte  er mich naemlich nach einer Tasse dekoffeiniertem Kaffee vor die Tuer, um seinen Kater zu kurieren. Am Tag zuvor wollte er mit mir noch gross auf Touren gehen… Zwei Tage spaeter traf ich ihn im Supermarkt wieder. Ich wartete an der Kasse auf ihn.

„Ich muss von halb sechs bis halb neun arbeiten. Und was machst du heute abend noch?“

„Ich weiss nicht.“

„Ich gebe dir meinen Schluessel. Du kannst zu mir gehen. Ich komme dann spaeter.“

So ging ich zu ihm und duschte erst einmal. Dann kam ich allerdings auf die weniger gute Idee, sein Netbook zu nehmen, mit dem wir an dem Abend zusammen im Internet waren. Ich schaute nach dem Namen von Tom und fand tatsaechlich eine Zeitungsmeldung von September 2013. Demnach hat er in den achtziger Jahren Kinder sexuell missbraucht. 2007 ging dann eine Frau deswegen vor Gericht. Er hatte sich hier versteckt, aber als er einen Reisepass beantragen wollte, wurden die Behoerden auf ihn aufmerksam. Er wurde zu acht Jahren Gefaengnis verurteilt. Danach schaute ich noch nach anderen Sachen bis mein Gastgeber heimkam und ein Donnerwetter losbrach.

„Das ist privat. Mein privates Laptop. Das haettest du nicht nehmen duerfen. Wie kommst du ueberhaupt dazu, in mein Zimmer zu gehen und es zu nehmen?“

„‚Mein Haus ist dein Haus‘ hast du zu mir gesagt.“

„Ja, das gilt fuer Kueche und Badezimmer. Dass du Duschen kannst und dir einen Kaffee kochen oder etwas essen. Aber nicht fuer meinen privaten Bereich. Jetzt hast du Punkte verloren.“

„Aber letzt hast du mich doch auch das Netbook benutzen lassen.“

„Das ist etwas anderes. Da war ich dabei. Das haettest du echt nicht machen duerfen.“

„Entschuldige mich. Ich sah das nicht als etwas persoenliches und habe auch nicht auf die privaten Sachen geschaut. Ich war nur im Internet. Ich bin verwoehnt von den anderen Orten, an denen ich bin. Dort darf ich ueberall das Internet benutzen.“

Er beruhigte sich dann wieder und erzaehlte, dass er den Herrn, den er versorgte in die Psychiatrie hatte einweisen lassen.

„Es war notwendig. Wegen seiner Krankheit. Er ist sowieso kurz davor, in die Hoelle zu kommen mit dem Kopf, den er hat.“

Als ich am Morgen aufstand, begegnete ich ihm im Flur.

„Ich schlafe noch. Ich bin nicht vor sechs Uhr ins Bett gegangen. Und du gehst dann besser. Ich muss heute alleine sein.“

Ich ging dann zum Surfen in den Park, denn dort gab es Wifi  vom Touristoffice.

„The road is the best scool“ fand ich als Spruch im Internet.

Ich traf dort spaeter einen Araber wieder, den ich schon kannte und mit dem ich ueber meinen Bus sprach.

„Ich wollte letzt ein Duplikat von Autopapieren fuer jemanden ausstellen lassen und sie wollten die technische Kontrolle, die nicht aelter, als sechs Monate ist, sehen.“

„Dann hat sich sowieso alles erledigt. Die technische Kontrolle ist ueber ein Jahr abgelaufen und ich habe auch kein Interesse, eine neue zu machen. Ich moechte eh nicht mehr mit dem Bus fahren.“

„Ja, sie sollen strenger geworden sein. Es ist nicht mehr so leicht wie frueher, durch die technische Kontrolle zukommen. Und wenn man ohne Kontrolle faehrt und wird erwischt, dann nehmen sie einem gleich das Fahrzeug weg und geben es einem erst wieder, wenn man damit zur Kontrolle faehrt.“

Abschliessend meinte er: „Du kannst gerne zu mir kommen zum Duschen oder auch zum Uebernachten, wenn du willst. Ich werde dich nicht draussen schlafen lassen. Ich gehe dann aber nach Hause. “

Er beschrieb mir, wo er wohnte.

„Ich habe keine Klingel, aber das Fenster ist offen. Rufe einfach.“

Ich ging kurze Zeit spaeter wirklich zu ihm und er machte auf. Wir unterhielten und ueber Gott und die Welt.

„Wer an Gott glaubt, kann sich kein Abbild machen, weder von ihm, noch von sonst etwas auf der Welt. Das ist ein Gebot. Viele religioese Gruppen machen das aber, auch die Mormonen,“ pflichtete er bei.

„In der Tat sind die Moslems fast die einzigen, die sich keine Abbilder machen,“ fuegte ich hinzu.

Als Markt war, sprach ich ausnahmsweise mal einen Verkaeufer an und fragte ihn, ob er Hilfe brauche.

„Nein, ich habe genug Zeit, um alles alleine aufzubauen.“

Es stellte sich heraus, dass er Nepalese war.

„Davon gibt es aber nicht viele hier in Frankreich. Du bist der erste, den ich treffe!“

„Ich habe auch noch keinen getroffen.“

„Und wie lange bist du schon hier?“

„Zehn Jahre. Ich bin hergekommen, um franzoesisch zu lernen und geblieben. Und jetzt verkaufe ich hier Sachen aus Nepal.“

„Ich war auch schon in Nepal. Vor vielen Jahren. Es ist mein Lieblingsland auf dieser Erde.“

„Dann wird es Zeit, dass du es wieder besuchst.“

„Ich habe den Annapurna-Trek gemacht.“

„Das ist auch mein liebster Treck, obwohl ich ihn nicht ganz gegangen bin. Nur Teile davon.“

Wir unterhielten uns noch eine ganze Weile ueber dies und das, als auf einmal zwei Polizisten in Zivil auftauchten.

„Kontrolle.“

Sie zeigten beide ihren Ausweis.

„Arbeitet die Dame fuer Sie?“

Sie schauten zu mir.

„Hilft sie Ihnen beim Ausladen?“

„Nein. Wir haben uns nur unterhalten, weil er aus Nepal kommt, wo ich auch schon war.“

„Sie kommen aus Nepal?“

„Ja, ich komme aus Nepal.“

Sie liessen sich seine Papiere zeigen und der eine von beiden meinte zu mir gewandt:

„Sie haben doch geholfen, oder nicht?“

„Nein“, bestaetigte ich noch einmal, worauf er es bewenden liess. Trotzdem fragten sie:

„Und wo wohnen Sie?“

„Ich reise.“

„Da haben wir ja Glueck gehabt, dass du meine Hilfe nicht annehmen wolltest.“

„Kann man wohl sagen. Vor allem, dass wir auch keine Scherze gemacht haben, à la ‚Komm, du hast mir doch geholfen‘. Damit ist echt nicht zu Scherzen. Sie machen ihre Arbeit, aber ich mag sie trotzdem nicht.“

Spaeter ging ich zu einem anderen Stand mit indischen Klamotten, an dem ich den Verkaeufer kannte.

„Na, bist du nicht mehr in der Gemeinschaft? Haben sie Dich zu sehr gekidnappt?“

„Gekidnappt. Ja, genau das war’s.“

„Man kann einen auch mental kidnappen. So wie Sekten.“

 

 

 

 

 

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