Ich ging mit meinem Nachbarn Tom, den ich vor ĂŒber zwanzig Jahren mal in MĂŒnchen kennengelernt und hier an meinem neuen Wohnort wiedergetroffen hatte, spazieren. Dabei erzĂ€hlte er mir: âDas deutsche Kaiserreich nach 1871 war der einzige Staat, der mal frei vom Vatikan war. Wo der Vatikan keinen Einfluss hatte. In allen anderen LĂ€ndern der Welt hatte der Vatikan Einfluss. Das wusste ich lange auch nicht. Das deutsche Reich ist bis heute noch gĂŒltig. Es hat nie seine GĂŒltigkeit verloren. Die Bundesrepublik Deutschland GmbH ist letztes Jahr aufgelöst worden. Deshalb sind die ganzen erlassenen Regeln und Gesetze ungĂŒltig. Jetzt haben eigentlich nur die Amerikaner hier in Deutschland noch etwas zu sagen. Wir stehen unter Kriegsrecht. Die ganze Welt steht aktuell unter Kriegsrecht.â
Ein paar Tage spĂ€ter war ich von ihm auf eine Geburtstagsfeier in einem Garten eingeladen und traf dort eine Frau aus meinem Nachbardorf, die ich kannte. Wir gingen zusammen spazieren und sie erzĂ€hlte mir, dass sie schon ganz lange dort wohnte. Wir sprachen ĂŒber unsere GemeinschaftsgrĂŒndungsinitiative, bei der sie auch mal bei einem Treffen dabei war.
âAlso ich möchte nicht mit der Unordnung von anderen Menschen leben, die ihre Sachen draussen im Regen stehenlassen,â erzĂ€hlte sie mir. Das machte mich irgendwie betroffen.
SpĂ€ter sagte sie: âDie Therapeutin Eva-Maria Zurhost meint, wenn wir uns selbst lieben, dann ist egal, was fĂŒr einen Partner wir haben.â
âJa, aber die Selbstliebe hat uns keiner beigebracht. Die dĂŒrfen wir erstmal lernen.â
Also ich war jedenfalls definitiv schon seit Jahrzehnten damit beschÀftigt, dies zu lernen und hatte damit erst seit Kurzem ein klein wenig Erfolg.
Dazu möchte ich weiter ausholen und ĂŒber etwas Schreiben, ĂŒber das ich bisher noch nicht geschrieben habe. So hatte ich nĂ€mlich letztes Jahr einen Freund. So etwas wie eine Beziehung, aber es war gar keine richtige Beziehung, sondern eher der Versuch einer Beziehung. Denn ich bezog mich sehr stark auf den anderen, aber er bezog sich nicht auf mich. Da Beziehungen fĂŒr mich etwas sehr Persönliches sind, schriebe ich nicht gerne darĂŒber.
Aber wo wir beim Thema Selbstliebe angelangt sind, möchte ich doch einmal auf meine Erfahrung damit eingehen, die ich in den letzten Monaten gemacht habe.
So hatte ich letztes Jahr viele Monate mit diesem Menschen verbracht, den ich vor vielen Jahren einmal kennengelernt hatte. Ăber einen Dritten, den er in sein Dorf gebracht hatte, war ich ĂŒber eine sehr bekannte Social Media Plattform wieder in Kontakt mit ihm gekommen. Und kurz nachdem ich meinen Artikel âLiebe in Zeiten von Coronaâ gepostet hatte, stand er vor meiner TĂŒr.
Ich hatte mir noch ĂŒberlegt, ob ich ja dazu sagen soll, dass er mich besuchen kommt und um mal etwas anders zu machen wie sonst, hatte ich seinem Besuch zugestimmt.
Er sagte zum Abschied dieser Stippvisite zu mir: âWie ich dich kenne, stehst du eines Tages vor meiner TĂŒr.â
Das hatte ich als Einladung verstanden. Und da die obersten Behörden des Bundeslandes, in dem ich seit nicht allzu langer Zeit ansĂ€ssig war, anfingen von Ausgangssperre zu reden, packte ich meine Sachen zusammen und fuhr zu ihm. Ich rief ihn von unterwegs an und er teilte mir seine neue Adresse mit, die nur ein paar HĂ€user von seinem frĂŒheren Domizil entfernt war.
Dort schlief ich eine Zeitlang in seiner GartenhĂŒtte bis ich – nach lĂ€ngerem Suchen â ein etwa 7,5 Quadratmeter grosses Zimmer in einer WG fand. Ich hatte mir mehrere Sachen vorher angeschaut, bis ich den Eindruck hatte, jetzt habe ich das Richtige gefunden. Am Anfang war auch alles super.
Doch dann hatte ich eine Person eingeladen, die ihre beiden Zimmer in einer Hausgemeinschaft gekĂŒndigt hatte. Ich hatte sie vor ein paar Monaten in einer Gemeinschaft bei einem Workcamp-Wochenende kennengelernt und da sie nur etwas 50 Kilometer von mir entfernt wohnte, auch mal besucht.
Doch leider gab es dann einen so groĂen Konflikt zwischen uns, dass wir Monate nicht miteinander geredet haben. Sie hatte mich mehrmals verbal angegriffen und keiner der beiden anderen WG-Mitglieder sagten oder taten etwas dagegen. Sie liessen das einfach vor ihren eigenen Augen geschehen. Das heisst, die weibliche Person rannte einfach aus dem Zimmer und lieĂ uns allein. Die andere Person sass stumm da und sagte kein Wort dagegen. Es war fĂŒr mich eine ungute Situation.
Ich hatte es satt, Ărger mit Mitbewohnern und Vermietern zu haben und so schaute ich eines Nachts im Internet nach einer Alternative. Ich schaute, ob ich ein GartengrundstĂŒck fĂ€nde und wurde auch fĂŒndig. Der Makler, den ich anrief, erklĂ€rte mir, wo das GrundstĂŒck ist und mein Freund und ich schauten auch einen Garten an, von dem ich dachte, dass er das wĂ€re, aber er gefiel mir ĂŒberhaupt nicht.
Doch dann stellte sich heraus, dass wir uns das falsche GrundstĂŒck angeschaut hatten, nachdem mein Freund der Sache nochmal nachging.
Wir machten uns auf den Weg, das richtige GrundstĂŒck anzuschauen und das war es! Schon beim Betreten des Gartens ging mir das Herz auf. Und zwar weil es viele kleine selbstgebastelte HĂ€uschen hatte, die in den BĂ€umen hingen und alles mit Liebe angelegt war.
So kam es, dass ich das zweite Mal in meinem Leben â nach so vielen Jahren, in denen ich absolut ĂŒberhaupt nichts hatte â zu einem GrundstĂŒck kam. Im Grunde habe ich das meinem Vater zu verdanken, von dem ich etwas Geld geerbt habe. Ich war frĂŒher gegen Erben gewesen, da die Streitigkeiten diesbezĂŒglich oft Familien entzweien. Und doch möchte ich an dieser Stelle sagen, dass mir dieses Erbe, auch wenn es nicht exorbitant hoch war, meine LebensumstĂ€nde grundlegend verĂ€ndert hat. Ich habe dadurch eine Wohnung bekommen, habe davon ein Auto gekauft und jetzt den Garten.
Das erste Mal war alles schief gelaufen und deshalb war die Angst groĂ, das wĂŒrde diesmal auch geschehen. Aber es lief alles mehr oder weniger glatt â mit einigen Verzögerungen und Interferenzen â und nun habe ich diesen Garten. Mein eigenes kleines Paradies.
Nur mit der Beziehung war es zehn Tage nachdem ich den Kaufvertrag unterschrieben hatte, zu Ende. Ich hatte einfach eine Grenze setzen mĂŒssen. Es ging so nicht mehr fĂŒr mich weiter. Und diese Grenze zu setzen war der erste Akt von Selbstliebe. Ich hatte einfach festgestellt, dass mir Selbstliebe bisher fehlt, die aber fĂŒr eine gelingende Beziehung dringend notwendig ist. Also zog ich aus, um Selbstliebe zu lernen… Das Thema begleitet mich ĂŒbrigens schon seit Mitte der Neunziger Jahre! Und ich war damit all die Jahre nicht wirklich weitergekommen;)
Leider war diese Trennung unglaublich schmerzvoll. Ich durfte lernen, dass es die Mutterwunde ist, die dem Schmerz zugrunde liegt und die erstmal der Heilung bedarf. Und wenn ich ganz ehrlich bin, so war es dieser Schmerz, der schon so lange da war und vor dem ich immer geflĂŒchtet bin. Weil er mir gar nicht aushaltbar erschien.
Eines Tages hatte ich ein Erlebnis, das ich mit Euch teilen möchte.
Es begann damit, dass meine 10 GB Internet, die ich im Monat zur VerfĂŒgung habe, die Nacht zuvor aufgebraucht waren. Da ich kein Internet mehr hatte, konnte ich nicht einmal hinzubuchen. So wollte ich, nachdem ich mir einen Kaffee gemacht hatte, mitsamt einem Coffee to Go zu meiner alten WG gehen, wo ich unten auf der StraĂe das W-lan anzapfen konnte.
Es rief mich dann eine unserer Moderatorinnen von den WandelgesprÀchen (http://Beruehrungs-punkte.info/wandelgespraeche) an und fragte, ob ich nicht morgen moderieren möchte.
âJa, das habe ich mir auch schon ĂŒberlegt, aber ich möchte weniger ein Thema vorgeben, sondern eher mit dem Sein, was ist. Also einen freien Raum des Austauschs anbieten ĂŒber das, was bei den Leuten gerade da ist.â
âJa, das ist ja gut. Dann lass uns das machen…â
Soweit so gut.
So war ich mit ihr am Handy ein StĂŒck weit gelaufen und traf dann einen weiteren Nachbarn aus dem Nebenhaus. Ich hatte ihn im Sommer letzten Jahres bei einer Nachbarschaftsfeier kennengelernt. Danach hatten wir nur gelegentlich mal kurzen Kontakt gehabt. Er hieĂ interessanterweise auch Thomas, so wie der Nachbar, den ich schon viele Jahre kannte.
Wir tauschten uns erst ĂŒber die App namens telegram aus, denn ich erzĂ€hlte ihm, dass ich gerade 8 GB von Dateien von dieser App von meinem Handy gelöscht hatte, die durch automatische Downloads mein Handy permanent verstopft hatten.
âWochenlang habe ich damit zugebracht, immer wieder Dateien zu löschen und es hat sich kaum was an der SpeicherkapazitĂ€t verĂ€ndert. Der Speicher war immer voll. Bis ich auf einmal vor Kurzem entdeckt habe, dass 8 GB von Telegram-Downloads besetzt waren. Als ich diese komplett gelöscht habe, war endlich wieder Speicherplatz frei.â
âDu kannst das in den Einstellungen einstellen, ob die Medien automatisch runtergeladen werden oder nicht. Bei den Voreinstellungen ist es wohl so, dass erstmal alles downgeloaded wird.â
âJa, das scheint so zu sein.â
âSchau einfach mal in den Einstellungen nach.â
Das habe ich im Anschluss an das GesprĂ€ch auch getan und alle automatischen Downloads ausgeschaltet. Aber zurĂŒck zum GesprĂ€ch.
Er war mit einer Kamera unterwegs und so sprachen wir ĂŒber Fotos und entdeckten, dass wir beide einen Bezug zu SĂŒdamerika und speziell Brasilien hatten. Ich hatte sechs Jahre dort gelebt und er hatte das Land ausgiebig bereist und viele Jahre lang eine brasilianische Freundin gehabt.
Irgendwann getraute ich mich mal, ĂŒber ein Thema zu sprechen, das mir schon lange auf der Seele lastete.
âSag mal, wie bringt man es fertig, Leute zu motivieren, eine andere Welt zu kreieren?â
âIndem man es vorlebt. Dann schlieĂen sich die Leute an.â
âDas mache ich ja schon seit Jahren. Ich habe neun Jahre ohne Wohnung gelebt. Ein Jahr lang ohne Geld und viele Jahre mit so wenig Geld wie möglich. Aber ich konnte keine Leute gewinnen, es mir gleich zu tun.â
âWo hast Du denn gelebt?â
âIch habe vor allem in Frankreich bei Leuten gelebt, die mich eingeladen haben.â
âAch, da kannte ich auch eine Frau, die so gelebt hat.â
âHeidemarie Schwermer?â
âJa, genau. Ich habe auch ein Buch von ihr.â
âDas Sterntalerexperiment.â
âJa, das Sterntalerexperiment.â
Dann passierte jedoch etwas.
Aus meiner Zeit in Brasilien, die immerhin sechs Jahre wĂ€hrte, habe ich gewisse Dinge ĂŒbernommen. Dort fragt man zum Beispiel nach fast jedem Satz ânĂŁo Ă©?â, was so viel heiĂt wie âist es nicht so?â Oder ,nicht wahr?â
In Frankreich, wo ich ja fast acht Jahre gelebt habe, macht man das auch. Dort ist die entsprechende Frage ânâest-ce pas?â â âist es nicht so?â
Da ich also sehr lange in romanischen Kulturen gelebt habe, wo es ganz normal ist, diese Frage fast hinter jedem Satz zu stellen, tue ich das auch, und zwar mit der Frage: âVerstehst du?â
Mein GegenĂŒber war damit allerdings ĂŒberhaupt nicht einverstanden.
Ich erzÀhlte ihm, dass mich in Frankreich die Leute immer fragten, was ich brauche und ich alles bekommen habe, was ich brauche.
âUnd jetzt bin ich hier in Deutschland und es fragt mich keiner mehr, was ich brauche. Und jetzt frage ich hier in Deutschland Leute um Hilfe und dann wird mir die Hilfe verweigert.â
âUnd warum bist Du dann nicht in Frankreich?â
âWeil dort Ausgangssperre ist ab 19 Uhr. Das will ich mir nicht antun.â
âAlso, ich will nicht mit jemand reden, der vollkommen unbewusst vor sich hinplappert und immer wieder fragt, ob ich etwas verstehe, als wĂ€re ich ein Doofer. Dann schweige ich lieber. Und jemand, der mich von der Seite anspricht…â
Als ich weiterredete, merkte ich erstmals selbst, dass ich wirklich jeden zweiten Satz mit âverstehst Du?â beendete.
âIch bin Dir dankbar, dass Du mich darauf hinweist. DafĂŒr brauchen wir einander.â
âSchau erstmal bei Dir selbst!â
âDas tue ich ja 24 Stunden am Tag.â
Was er dann sagte, verstand ich nicht mehr. Er war schon schneller vor mir hergelaufen.
âIch sag jetzt nichts mehr. Ich ziehe es vor, zu Schweigen und mich auf meine Schritte zu konzentrierenâ, rief ich ihm hinterher.
Er stob regelrecht davon.
Die einzig wichtige Frage fĂŒr mich war dann am Rest des Tages, ob Liebe in meinem Herzen wohnt. Denn an meinem GegenĂŒber sah ich, wie es ist, wenn keine Liebe im Herzen wohnt. Wie es ist, wenn der andere nicht mitfĂŒhlen kann, wenn man sich eben in verschiedenen LĂ€ndern andere Gewohnheiten angeeignet hat…
Und ich merkte auch, dass wir zwei grundlegend unterschiedliche Ansichten haben: er davon, dass wir alles in uns haben und nur das entdecken mĂŒssten und ich mit meiner Ansicht, dass wir nur dadurch, dass wir uns gegenseitig helfen weiterkommen und gemeinsam eine neue Welt kreieren können…
Die Welt, die ich auf meiner anotherworld.site beschrieben habe.