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Wir helfen uns gegenseitig

Irgendwie dachte ich, es koenne so nicht weitergehen und ich unternahm einen erneuten Versuch, mir ein Zimmer zu mieten, diesmal eines, das im Internet angeboten war. So trampte ich deswegen eines schoenen Tages in die Stadt. Ich hatte noch ein wenig Zeit und schaute, ob der Marokkaner Said da war, war er aber nicht. So wollte ich auf dem Markt vorbeischauen, wo ich inzwischen mehrere Marktstaendler kannte. Auf dem Weg sah ich auf der anderen Strassenseite eine Frau mit langen braunen Haaren in einer hellgelben Bluse. Wir schauten uns beide an und ich lief ueber den Zebrastreifen zu ihr hinueber. Wir waren keine fuenf Minuten im Gespraech, da lud sie mich zum Mittagessen in ein brasilianisches Restaurant ein, in dem sie sich mit einer Freundin verabredet hatte. Ihre Freundin war ebenfalls sehr nett und wir hatten ein aeusserst anregendes Gespraech ueber alles moegliche. Letztere lebte naemlich auf Guadeloupe und war nur fuer ein paar Wochen in Frankreich zu Besuch. Sie wiederum lud mich ein, mit zum Garten einer Freundin zu kommen, in dem ihr Bruder spaeter arbeitete. Wie sie richtig vermutet hatte, lud er mich ein, bei ihm zu uebernachten. Und nicht nur das: als er hoerte, dass ich mir ein Zimmer anschauen wollte, sagte er: „Ich vermiete dir kostenlos ein Zimmer!“

Ich ging dann trotzdem zu dem Zimmer, das ich mir hatte anschauen wollen, aber die Vermieterin war gerade nicht da, sondern nur ihre Schwester, die gerade in Ferien zu Besuch war. Das Zimmer war o.k., aber mir eigentlich zu teuer. Ich wuerde Hilfen in Anspruch nehmen muessen und davor schreckte ich doch noch zurueck, zumal mir ja Xavier kostenlos ein Zimmer angeboten hatte. Xavier war ueberhaupt eine Figur. Er praktizierte Yoga und machte gerade eine Ausbildung in Biodanza. Ich schlief die Nacht mit seiner Schwester bei ihm.

Es gab gerade ein Filmfestival, auf dem ich Pascale wiedertraf, die Frau ohne Haare, die ich letzt auf dem sonntaeglichen Markt kennengelernt hatte. Wir freuten uns beide, uns wiederzusehen.

„Super, ich habe naemlich gerade aus Versehen deine e-mail geloescht und wollte dich so gerne wiedersehen“, empfing sie mich. Sie lud mich zu sich ein. Ich nahm die Einladung an, weil ich das Gefuehl hatte, dass sie Unterstuetzung braeuchte. Sie lebte mit ihrer sechszehnjaehrigen Tochter im Zentrum der Stadt und war gerade an einem Tiefpunkt angelangt.

„Ich habe die ganze Nacht gebetet hatte, weil es mir so schlecht ging und danach habe ich dich getroffen“, liess sie mich wissen.

Sie hatte kaum noch geschlafen, kaum noch gegessen und war kaum noch aus dem Haus gegangen. Aber als ich da war, ging es relativ schnell wieder bergauf. Ich nahm sie fast jeden Tag mit auf meine Spaziergaenge am Fluss entlang, wo sie vorher noch nie gewesen war. Sie begann wieder zu essen und regelmaessiger zu schlafen und es ging ihr taeglich besser. Sie hatte an einem der naechsten Tage aufgehoert, ihre Medikamente gegen Fybromyalgie zu nehmen, was allerdings nur zehn Tage gut ging, dann liessen sich die Schmerzen nicht mehr aushalten. Auch mir tat es gut, bei ihr zu sein. Es war heilend, denn ich konnte bei ihr sein wie ich bin und musste mich nicht verstellen. Es kam dann eine Katze zu Besuch, die ihre Tochter die Ferien ueber in Pflege genommen hatte, um sich etwas Geld zu verdienen und die fuer Abwechslung sorgte. Pascale meinte, sie muesste auf dem Land wohnen, sie braeuchte Natur um sich herum, aber da ihre Tochter noch ein Jahr hier auf die Schule ging und sie eine aeusserst guenstige Miete hatte, motivierte ich sie, ihre Wohnung vor allem durch Pflanzen umzugestalten. Auch ihr medizinisches Bett, das sie seit einigen Monaten benutzt hatte, liess sie von der Firma, bei der sie es geliehen hatte abholen und sofort war eine angenehmere Atmosphaere in der Wohnung.

Xavier traf ich hin und wieder in der Stadt, als er spazieren ging. Erst redete er gar nicht mehr mit mir, offensichtlich, weil ich sein Angebot des kostenlosen Zimmers abgelehnt hatte. Ich musste all meinen Charme anwenden, damit er sich wieder geehrt fuehlte und mir verzieh. Er sagte auch:

„Man muss erstmal verlieren, um gewinnen zu koennen.“

Auf dem Filmfestival lernte ich auch zwei nette aeltere Frauen kennen, die davon begeistert waren wie ich lebe und die mich beide zu sich einluden. Allerdings wohnten sie einige Kilometer entfernt auf dem Land, so dass ich dann doch nicht zu ihnen ging.

Ich traf auf dem Filmfestival auch die Portugiesin, der ich meinen Campingbus urspruenglich hatte geben wollen und sie erzaehlte mir, dass der Mann des Grundstueckes, auf dem mein Bus stand, ihn schliesslich an jemand anderen weitergegeben hat. Anfangs war sie ziemlich aufgebracht darueber, aber da sie selbst mitlerweile eine Wohnung fuer sich und ihre Tochter gemietet hatte und der andere Interessent, mit dem sie selbst befreundet war, nichts zum Wohnen hatte, nachdem er sich von seiner Freundin getrennt hatte, war sie inzwischen in Frieden damit. Ich selbst dachte an das Sprichwort „Wenn zwei sich streiten, freut sich der Dritte“  und fand mich schliesslich mit dem Schicksal meines Busses und mir selbst ab.

Eines Tages traf ich einen Englaender, der seit einiger Zeit ohne Geld in der Gegend lebte. Er hatte sich auf einem Gartengrundstueck aus Plastikplanen und anderen Dingen, die er gefunden hatte einen Unterschlupf gebaut und zeigte mir Fotos davon. Aber der Buergermeister des Ortes war weniger begeistert davon. Jetzt unterhielt er drei Umsonstecken auf drei verschiedenen Maerkten in der Region. Ich half ihm ein wenig mit seinem Stand, der etwas abseits des Marktes war, aber er war einfach extrem mit seiner zusaetzlichen Idee, ohne Oel, das heisst auch ohne Benzin zu leben, obwohl er gerade aus einer anderen Gegend hierhergetrampt war, um dort nach Mitstreitern zu suchen… Auch alle anderen Menschen, die ihn kannten hatten aufgegeben, etwas mit ihm zu machen, weil es keinen Dialog mit ihm gab und er nur monologisierte. Aber seine Idee, auf Maerkten einen Platz mit kostenlos weiterzugebenden Dingen zu kreieren, fand ich sehr gut und die paar Menschen, die vorbeikamen und sich etwas mitnahmen von den Sachen, die er aus dem Umsonstladen geholt hatte, nahmen es auch sehr positiv auf. Ueberhaupt kamen manche Menschen miteinander ins Gespraech, die sich sonst nie kennen gelernt haetten.

Einen anderen Tag traf ich auf dem Filmfestival den Italiener mit dem Campingbus, der mich einmal vor fast zwei Jahren beim Trampen mitgenommen hatte und in einem Lehmhaus im Wald uebernachten liess. Ich war damals auf dem Weg zurueck aus Deutschland und wollte noch einen Abstecher in mir noch nicht bekannte Berge machen (ich habe – glaube ich – darueber berichtet). Ich freute mich sehr, ihn wiederzusehen. Er war nicht mehr in Spanien in der Gemeinschaft, wie er damals vorhatte, sondern arbeitete irgendwo in Frankreich, um ein wenig Geld zu verdienen.

Einmal lief ich eine Strasse entlang, die ich bisher noch nicht kannte und gelangte zum Wertstoffhof. Direkt gegenueber befanden sich mehrere Schrebergaerten. Ich ging hinein und sah eine Gruppe aelterer Maenner weiter hinten und auch einen ganz jungen Mann ganz in der Naehe des Eingangs. Ich sprach den jungen Mann an. Ich erzaehlte ihm, dass ich einen Garten fuer eine Freundin suchte und er gab mir die Kontaktdaten. Nachher sprach er ueber den Wertstoffhof.

„Die Leute laden Sachen ab ohne Ende, aber wir haben nicht das Recht, etwas zu nehmen. Es wird alles weggeworfen… Ich und eine Frau, wir sind die einzigen, die biologisch gaertnern. Erst haben uns die anderen ganz bloed angeschaut, als waeren wir Exoten, aber mittlerweile geht es. Nur machen die Maenner die Frau manchmal bloed an und stellen ihr tausend Fragen, weshalb sie jetzt nur noch morgens kommt.“

Dann sprach er von der Pharmaindustrie, die verbietet, manche Heilpflanzen zu vermarkten und die Patente auf manche Pflanzen angemeldet haben, so dass sie keiner mehr anbauen darf – was vollkommen absurd ist.

„Und zukuenftig wollen sie noch die Gaerten kontrollieren, was darin angebaut wird,“ fiel mir dazu ein.

„Und das alles nur, damit die Saatgutfirmen und die Pharma-Industrie noch mehr Geld verdienen. Und wir alle muessen darunter leiden. Dabei produzieren sie nur Medikamente, die gar nicht wirklich heilen und so viele Nebenwrikungen haben, dass die Menschen zum Teil daran sterben.“

Fuer sein Alter wusste er erstaunlich gut bescheid.

„Am Donnerstag fahre ich weg. Dann kuemmern sich Freunde um meinen Garten.“

Es stellte sich heraus, dass er genau in die Stadt fuhr, zu der ich letzthin eine Mitfahrgelegenheit verpasst hatte. So fragte ich ihn, ob ich mitfahren koennte und er stimmte zu.

Peace Pilgrim

Letzt stoeberte ich auf den Forum-Seiten der Schenker-Bewegung herum, zu denen ich bisher keinen grossen Bezug hatte, obwohl sie in Teilen aehnlich wie ich leben, nur dass sie eben restlos alles, was sie hatten verschenkt haben und ich eben nur mein Zuhause, meinen schoenen und doch recht praktischen Campingbus. Sie treffen sich uebrigens jetzt gerade fuer ein Woche in Dargeluetz, fuer alle, die es interessiert – Infos unter dem Link im blogroll. Dabei stiess ich auf die Website einer Frau, von der ich letztes Jahr schon einmal eine kurze Abhandlung gelesen hatte: Peace Pilgrim. Ich hatte eine zeitlang, als ich in Deutschland war, relativ regelmaessig in einem Umsonstladen mitgeholfen, wo mir eines Tages ein Buch ueber bedeutende Persoenlichkeiten in die Haende fiel, das ich mir spaeter in Ruhe anschaute. Ich war damals schon beeindruckt ueber diese Frau, die ohne Rucksack und nur mit dem Noetigsten bekleidet ueber viele Jahre hinweg von den Fuenfziger bis in die Achziger Jahre ohne Geld zu Fuss durch Amerika gezogen war; nach 25.000 Kilometern hoerte sie auf, ihre gelaufene Strecke zu zaehlen. Auf ihrer Kleidung stand auf der Vorderseite der Name „Peace Pilgrim“, den sie sich gegeben hatte, weil sie so mit zwei Worten ihre Botschaft weitergeben konnte, die darin bestand, die Menschen zu motivieren, den inneren und aeusseren Frieden zu finden. Auf der Rueckseite stand: „25000 Meilen zu Fuss fuer den Frieden“. Sie lief ohne einen Cent in der Tasche und ohne Organisation von Kueste zu Kueste durch die gesamte USA, durch Mexiko und einen Teil von Kanada. „Ich bin ein Pilger, ein Wanderer. Ich werde ein Wanderer bleiben bis die Menschheit den Weg des Friedens gelernt hat; ich werde gehen , bis mir Obdach gewaehrt wird, und ich werde fasten, bis man mir zu Essen gibt“ hiess ihr Geluebde.

Ich habe das Buch fast in zwei Tagen gelesen und war dermassen beeindruckt, dass ich es all meinen Lesern weiterempfehlen moechte; zumal es auf deutsch und kostenlos zu haben ist. Wirklich eine wundervolle und aeusserst inspirierende Lektuere von einer der fuer mich beeindruckendsten Persoenlichkeiten des letzten Jahrhunderts! Zu finden unter den books auf ihrer Website (s. Link im blogroll – entschuldigt, aber ich  kann gerade keine Links innerhalb des Blogeintrags setzen). Und ich finde es umso erstaunlicher, dass ich erst jetzt auf ihre Website gestossen bin…

Sonnenblumen und wilder Spinat

Pierre lud mich dann mit einem Freund von ihm zum Mittagessen in ein chinesisches Restaurant in einer etwas weiter entfernten Stadt ein. Es war sehr lecker. Da mich der Hollaender zum wwoofen auf einem Permakulturbauernhof mit Gaestebetrieb eingeladen hatte, wollte ich eventuell von dort aus dorthin trampen, war mir jedoch nicht sicher. Nie war ich dort in der Gegend gewesen und nie zuvor hatte ich wirklich gewwooft. So hatte ich die beiden Maenner wegfahren lassen, entschied ich mich am Ende nach einiger Bedenkzeit aber doch gegen das Wwoofen. Es passte einfach nicht wirklich fuer mich. So lief ich durch die Stadt und lernte irgendwann jemanden kennen, der mich zum Uebernachten bei sich in einem kleinen Dorf einlud. Er bereitete mir ein leckeres Abendessen aus lauter Rohkost. Daneben lief ein Spiel der Fussballweltmeisterschaft. Am naechsten Morgen wollte ich fast schon frueh gehen, drehte dann aber doch um, weil ich es nicht nett meinem so lieben Gastgeber gegenueber fand. Und dann erst erzaehlte er mir seine wahre Geschichte:

“Normalerweise waere ich schon lange tot. Ich bin als Kind mit Tuberkulose aufgewachsen und meine Lungen waren irgendwann zerstoert. Ich lag einmal zwei Monate im Koma. Sie hatten mich schon abgeschrieben und von den Instrumenten abgehaengt. Ich hatte lange Zeit kein Lebenszeichen von mir gegeben und galt fuer sie als tod. In dem Moment, in dem sie die ueberlebenswichtigen Instrumente abgehaengt hatten, fuhr ich aus dem Koerper und schwebte ueber mir. Ich sah mich von oben. Doch da kam eine Hand aus meinem Koerper und zog mich wieder zurueck. Es war mein Bruder, der auch mein Schutzengel ist. Er wollte nicht, dass ich gehe. In dem Moment, als ich in meinen Koerper zurueckkehrte, bewegte ich mich mit grosser Wucht und die Aerzte sahen, dass ich noch lebte. Einige Zeit spaeter habe ich eine neue Lunge eingesetzt bekommen. Ohne sie waere ich nicht mehr am Leben. Ich habe versucht, den Spender zu ermitteln, aber sie wollen nicht, dass man den Spender kennt und es ist mir auch nicht gelungen, es herauszufinden. Aber ich muss mit Medikamenten leben bis an mein Lebensende.”

Offenbar hatte er auch schon mehrere Leute so wie mich eingeladen- und nicht immer nur positive Erfahrungen gemacht. Aber er wollte weiter das Teilen, was er hat und ich war ihm aeusserst dankbar dafuer. Nach dem Fruehstueck nahm er mich mit zurueck in die Stadt. Ich wusste jdoch gar nicht, wohin ich fahren sollte, zurueckfahren fuehlte sich nicht richtig an und so probierte ich mal eine neue Richtung aus, in der ich noch nicht gewesen war. Eine Frau hielt sofort an und fragte, wo ich hinwolle.

“Ich weiss gar nicht so recht, wo ich hin will,” gab ich ehrlich zu.

“Ich fahre zu meinem Vater. Er wohnt etwa zwanzig Kilometer von hier entfernt. Du kannst mitkommen zum Kaffee trinken.”

Ich kam mit und wurde eingeladen, dort zu bleiben. Ihr 16-jaehriger Sohn war auch dort zu Gast. Es gab einen herrlichen Garten, vier Katzen und eine aeltere deutsche, mit einem Hollaender verheiratete Putzfrau, mit der ich mich kurz unterhielt. Jedoch waren in dem Zimmer, das sie mir angeboten hatten Floehe, die mich zu hauf ansprangen, als ich mich darin einrichten wollte! Am Ende durfte ich in einem anderen Zimmer schlafen (das Flohfrei war) und sie raeucherten den Raum am naechsten Tag mit einer Anti-Floh-Bombe aus.

Ich durfte im Internet surfen solange ich wollte und ging am Fluss spazieren, wo es schoen schattig und weniger heiss war. Dominique kam fast taeglich vorbei und brachte auch mal eine Freundin mit, die gerade Grossmutter geworden war und ansonsten unter Depressionen litt. Sie fuhren das Baby gemeinsam besuchen. Nach ein paar Tagen merkte ich schon, dass mein Besuch dem Vater vielleicht etwas zu viel werden wuerde und Dominique liess auch so etwas anklingen. Ich trampte derweil in die Stadt, um nach einem Badeanzug Ausschau zu halten, fand jedoch nichts im Hiesigen Billigsecondhandladen. Beim Zuruecktrampen jedoch nahm mich ein Bulgare mit, dem ich von meinem Leben erzaehlte und davon, dass ich nicht mehr lange wuerde bleiben koennen wo ich war.

“Du kannst zu mir kommen, wenn du noch ein paar Tage hierbleiben willst.”

“Ja super.”

Ich war gerettet.

Am naechsten Morgen weckte mich Dominique glatt um kurz nach acht und sagte mir, wir muessten schnell gehen, weil ihr Vater sie schon am fruehen Morgen genervt hat.

„Er steht unter Strom. Also dann gehen wir gleich in einer halben, dreiviertel Stunde.“

Sie hatte es eilig. Wir fuhren zusammen mit ihrem Sohn zu ihr. Es war ein kleines Haus im Stadtzentrum. Ich machte erstmal sauber. Sie fuhr am nachmittag zum etwas weiter entfernten Zahnarzt und ich wollte erst mitfahren mit all meinem Sack und Pack, dann ueberlegte ich es mir jedoch anders und blieb in der Stadt. Ich ging erstmal in den Park, wo mich ein Algerier auf einer Bank nach Feuer fragte. Neben ihm sass ein aelterer beleibter Herr, der mir gleich seinen Plastikreif zeigte, den er um den Knoechel trug. Wie ich anfangs nur vermutete und spaeter erfuhr, war er ein Zigeuner.

„Noch vier Tage, dann bin ich frei. Ich bin unter Hausarrest und habe taeglich nur drei Stunden Ausgang – von zwei bis fuenf Uhr. Ich habe zwei Jahre bekommen. Erst vier, dann zwei. Wegen Fahrerflucht. Die Polizei war hinter mir her. Ich bin 1600 Kilometer gefahren bis sie mich gekriegt haben. Ich war sogar im Fernsehen deswegen. Und du? Was machst du hier? Im Urlaub?“

„Ja, immer im Urlaub.“

„Wenn du nicht weisst, wo du schlafen sollst, ich habe eine Wohnung, die ich nicht nutze, weil ich bei meiner Freundin wohne. Wenn du willst, zeige ich sie dir. Es ist gleich in der Naehe,“ lud mich der Algerier ein.

„Ja, o.k.“

„Auf, gehen wir.“

Eine nette junge Frau empfing uns und bot uns einen Kaffee an. Sie erzaehlte, dass sie mehrere Tage fuer den Onkel ihres Freundes gearbeitet hatte, von morgens frueh bis abends spaet und sie hatte gerade einmal zwanzig Euro fuer den ganzen Tag bekommen.

„Das macht zwei Euro die Stunde.“

Waehrend wir uns unterhielten, lief eine Sendung im Fernsehen, die Frauen auf dem Gynaekologenstuhl vor und nach der Entbindung zeigte.

„Frueher gab es so etwas nicht im Fernsehen zu sehen. Das ist ja geschmacklos“, begann ich meinen Unmut zu aeussern.

„Heutzutage zeigen sie alles im Fernsehen. Das ist unglaublich,“ warf die Frau ein, machte aber keinerlei Anstalten, das Geraet abzuschalten oder das Programm zu wechseln.

„Bei uns in Algerien waere so etwas unmoeglich. Da gibt es so was nicht.“

Mir war alles nicht ganz koscher bei den Leuten, denn der Algerier nutzte die ganze Zeit Schimpfwoerter und so zog ich vor, zu verschwinden und zu dem Bulgaren zu fahren. Der Algerier war darueber nicht sehr angetan, denn aus irgendwelchen Gruenden haette er mich wirklich gerne beherbegt, aber das war mir egal. Mir fehlte das Vertrauen. So trampte ich zu Nikolai und wurde von ihm nett empfangen.

Genau wie mein Gastgeber mir erzaehlt hatte, hatte auch ich Probleme mit dem Einschlafen, weil es so warm war, wachte jedoch schon um acht Uhr auf. Er war schon auf die Arbeit gegangen und ich verbrachte fast den ganzen Tag am Computer. Als er nach der Arbeit von einem Zahnarztbesuch zurueck war, fuhren wir zum Vogelschutzgebiet in der Naehe und machten einen wunderschoenen und recht ausgedehnten Spaziergang mit Blick auf verschiedene Wasser- und Landvoegel. Davor hatte ich ihm die Geschichte mit meinem Bus erzaehlt, weil ich ihn vielleicht dazu bewegen wollte, mit mir mein Fahrrad zu holen. Aber nachdem ich fertig war mit meiner Geschichte, winkte er ab.

„Da ist es besser, darauf zu verzichten. Ich selbst will mit solchen Leuten nichts zu tun haben, auch wenn ich dir helfen moechte.“

Die Tage bei Nikolai verbrachte ich fast alle komplett im Internet, waehrend er arbeitete. Das einzige, was ich abgesehen von meinen taeglichen Spaziergaengen sonst noch tat, war die Wohnung fegen, die zum Glueck sehr pflegeleicht war. Dabei brachte ich mal wilden Spinat und ein anderes essbares Kraut mit. Mein Gastgeber freute sich sehr darueber.

“Das ist besser als der Salat, den ich kaufe.”

Dann ging ich mal zum Dumpstern zum Supermarkt, obwohl ich schon zwei Mal nichts gefunden hatte. Sie hatten allerdings eine halbe Stunde laenger offen als gedacht und ein Wagen stand noch vor der Tuer. Ich wartete 20 Minuten nach der Schliessung ab und wurde fuendig. Es gab einige Dosen Erbsen, Nudeln, Mehl und Zucker. Bloss der Geschaeftsfuehrer sah mich, als er herauskam. Ich gruesste nett und er bedeutete mir mit dem Zeigefinger, dass ich das nicht tun darf. So lief ich schwer bepackt zurueck. Sowieso habe ich immer mehr das Gefuehl, dass die grosse Dumpsterzeit vorbei ist. Eine Sonnenblume vom Feld brachte ich auch mit. Nikolai freute sich sehr.

“Ich liebe Sonnenblumen. Das bringt eine ganz andere Atmosphaere in die Wohnung. Und Dumpstern, das habe ich noch nie gemacht. Und was die alles wegschmeissen!”

“Na ja, du hast auch ein Einkommen. Du hast das Dumpstern auch nicht noetig. Das machen Leute, die kein Einkommen haben oder nur ganz wenig Geld. »

“Na, es gibt auch andere Leute, die Containern. Ich habe mal eine Reportage gesehen. Das machen auch viele Studenten – aus Prinzip.”

Ich entdeckte sehr interessante Dinge im Internet wie die slawischen Veden, die 40.000 Jahre alt sein sollen. War mir bisher total unbekannt. Darin war zum Beispiel die Rede davon, dass der Schoepfergott zornig wird, wenn Frauen ihre Kinder nicht austragen. Dass wir arm werden, wenn wir uns nicht finden und uns dann alles genommen wird. Dass wir unser Land nicht verlassen sollen, weil es sonst als Verrat zaehlt. Und dass wir unser Selbst nicht abgeben sollten…

Eines Abends kam ein Onkel von ihm zu Besuch, der im Norden Frankreichs wohnte. Wir unterhielten uns lebhaft.

“Ich kenne einen Mann, der schon drei Mal die ganze Welt umrundet hat. Mit allen moeglichen Verkehrsmitteln: mit dem Flugzeug, per Anhalter, mit Zug und Bus.”

Beeindruckend.

Einmal kochte ich Nudeln fuer uns, weil er anfangs immer gekocht hatte. Beim Essen kamen wir auf Filme zu sprechen, beziehungszeise darauf, dass ich mir nur aeusserst selten einen Film anschaute.

“Aber ein Film, den ich mir doch gerne mal anschauen wuerde, weil er, als er herauskam so viel besprochen war, ist der Film THRIVE – obwohl er umstritten ist.”

Er war ebenfalls interessiert, ihn anzusehen und so schauten wir ihn uns zur Haelfte an. Dann wurde es zu spaet.

Manchmal erzaehlte Nikolai von Bulgarien.

« Sie haben in zehn Jahren alles kaputt gemacht. Die ganze Natur. Und jetzt fahren die Leute mit dicken Autos herum mit Vierradantrieb. Man fragt sich, wie die das machen.”

“Auf Pump.”

“Sicherlich.”

Dann stiess ich auf ein Buch von Armin Rott mit dem Titel “Wenn Gott dein Ziel ist”. Ich notierte mir einige interessante Saetze:

“Denn wir waehlen immer zwischen Liebe und Angst, Wahrheit und Illusion, Gott oder der Welt.”

“Du sollst begreifen, dass du unschuldig bist, egal was in deinem Leben zu geschehen scheint.”

“Alles ist vorherbestimmt, aber wenn man wahre Vergebung uebt, ist es moeglich, Zeitdimensionen zu veraendern und dann ein anderes Ergebnis zu betrachten. Wie in einem Film.” Und:

“Es geht immer wieder um Vergebung – das ist alles. Wenn man sie ausuebt, kommt man am Ende heim zu Gott.”

Kirschkuchen mit Vanillepudding

Am naechsten Morgen wollte ich zuruecktrampen, da hielt ein Mann mit einem unausgebauten Campingbus an, der eine ziemlich weite Strecke fahren wollte.

„Eigentlich wollte ich nur in ein Dorf zwanzig Kilometer entfernt, aber vielleicht fahre ich noch laenger mit.“

„Ich arbeite am Montag in der Naehe der Metropole, deshalb fahre ich zurueck. Hier habe ich in den Weinbergen gearbeitet. Den Bus hier habe ich neu. Erst seit drei Monaten. Aber manchmal habe ich schon die Schnauze voll.“

„So ging es mir auch mit meinem Campingbus. Ich hatte oft die Nase voll. Deswegen habe ich ihn abgegeben, aber danach ging es mir sehr schlecht. Ich fuehlte mich furchtbar. Und das ist noch gar nicht so lange her.“

„Ich war vorher mit dem Fahrrad unterwegs. Die letzten Jahre habe ich mir eine Wohnung mit jemandem geteilt, aber er sitzt die ganze Zeit vor dem Fernseher und raucht und trinkt. Das war nicht angenehm fuer mich. Und jetzt suche ich ein Grundstueck wo ich meinen Bus abstellen kann; zu kaufen oder zu mieten. Viel Geld habe ich jedoch nicht.“

„Heute ist ein Markt auf der Strecke. Da findest du vielleicht Leute, die dir weiterhelfen. Es ist eine schoene Gegend. Ich war einmal fuenf Wochen dort mir meinem Bus.“

„Das ist vielleicht eine Idee. Das ist weniger weit weg wie hier. Ja, ich glaube, ich fahre dort vorbei.“

„O.k., dann komme ich mit.“

Auf dem Markt traf ich gleich eine Spanierin, die ich kannte. Dann kam eine der Frauen aus der Gemeinschaft vorbei.

„Und was ist mit deinem Bus?“

Als ich ihr sagte, nichts waere mit dem Bus, verschwand sie eilends. Eine andere Frau aus der Gemeinschaft, die ich eigentlich sehr mochte, lud mich an ihrem Stand zu einer Tasse Eistee ein und sprach ein paar Worte mit mir.

„Fuehle dich nicht schuldig. Du warst eben nicht bereit.“

„Stimmt. Ich war nicht bereit.“

Dann verschwand sie hinter den Tresen und ich sass ploetzlich ganz alleine am Tisch. Ein anderer der Gruppe fragte: „Und, wo wohnst du?“

„Ich reise“, antwortete ich, woraufhin er sich umdrehte und kein weiteres Wort mehr mit mir wechselte.

Dafuer kam mir mein Fahrer ganz freudig entgegen:

„Ich habe jemanden wiedergetroffen, den ich schon kannte und er hat mir zwei Adressen gegeben, wo ich vielleicht arbeiten kann. Die einen haben einen Bauernhof und suchen jemanden, der auf die Tiere aufpasst, waehrend sie weg sind.“

Beim Gang ueber den Markt fiel mein Blick auf eine Frau mit einem kleinen Turban, die mich dermassen intensiv anschaute, als ob sie mich kannte. Ich sprach sie an. Ab dem Moment blieben wir zusammen. Wir hatten Gespraechsstoff ohne Ende. Eigentlich hatte sie an diesem nachmittag zur Gemeinschaft gehen wollen .

„Mir ging es vor ein paar Tagen so schlecht. Ich bat meine Freunde um Hilfe, aber alle sagten nur, ich solle zum Arzt gehen. Und der hat die Dosis meiner Antidepressiva verdoppelt. Ich wollte naemlich absolut nichts mehr tun. Nicht mehr Aufstehen. Nicht mehr Kochen. Mich nicht mehr Anziehen.“

„Depressionen bekommen wir meistens dann, wenn wir etwas nicht getan haben, was wir tun wollten.“

„Das ist wahr. Auf jeden Fall habe ich schon eine Erkrankung: Fibromyalgie. Ich habe auch alle meine Haare verloren.“

Sie nahm ihren Turban ab und zeigte mir ihre Glatze.

„Gegen die Schmerzen nehme ich Morphin.“

„Fuer mich entstehen Krankheiten, weil wir etwas anders nicht lernen konnten und sie sind dazu da, uns zu helfen, auch wenn es noch so schmerzhaft ist. Aber ich kenne eine Supertherapie, mit der man fast alle Krankheiten heilen kann, man darf jedoch keine oder kaum Medikamente nehmen. Das ist Amaroli. Urintherapie.“

„Ich habe schon davon gehoert. Aber im Moment nehme ich mehrere Medikamente. Da geht das nicht. Letztens auf jeden Fall, als es mir so schlecht ging, habe ich die Gemeinschaft angerufen und mit ihnen geredet. Sie waren fuer mich wie ein Rettungsanker. Im Gegensatz zu meinen Freunden waren sie fuer mich da, hoerten mir zu und hatten etwas dazu zu sagen. Alleine, dass es sie gibt, gab mir Hoffnung. Und heute nachmittag wollte ich zu ihnen gehen wie gestern schon und habe es nicht getan. Gestern kam mir etwas anderes dazwischen und heute habe ich mit dir geredet, aber ich sollte sie vielleicht anrufen, um mich bei ihnen zu entschuldigen.“

Sie telefonierte mit ihnen und anschliessend fuhr sie doch noch dorthin. Ich lief dann zu dem aussergewoehnlichen Automechaniker, den ich von meinem laengeren Aufenthalt in der Region her kannte. Aussergewoehnlich deshalb, weil er das Pendel befragte, bevor er jemandem half. Er freute sich ueber mein Kommen und erzaehlte mir die Neuigkeiten.

„Ich hatte zwei Schlaganfaelle im letzten Jahr, aber es ging gut aus. Und statt den Medikamenten, die sie mir verschrieben haben, nehme ich eine sibirische Heilpflanze. Denn die Schulmedizin ist klasse darin, chronisch Kranke zu produzieren, die den Rest ihres Lebens Medikamente brauchen. Und hier auf meinem Grundstueck wohnen jetzt zwei Leute, die vorher drei Jahre lang in einem Tipidorf gelebt haben, einer in einem Tipi, der andere in einer Jurte.“

„Einer davon hat mich heute begruesst. Ich kenne ihn aus Hippieland. Er hat mich animiert, zu dir zu kommen.“

„Vor Kurzem hat mir jemand einen Wohnwagen geschenkt. Komm, ich zeige ihn dir. Er muss erstmal gereinigt werden, aber dann kann er jemandem dienen, der vorbeikommt. Du kannst heute erstmal in der Jurte schlafen. Der Bewohner ist zur Zeit nicht da.“

Wir assen zusammen zu abend und ich naechtigte wunderbar in der Jurte. Was fuer ein schoenes Gefuehl, mit der Natur verbunden zu sein! Am naechsten Tag machte ich mich daran, den Wohnwagen zu saeubern. Mir wurde sogar angeboten, darin zu wohnen, aber irgendwie schien es nicht das richtige fuer mich zu sein. Trotzdem richtete ich ihn so her, dass jemand darin schlafen konnte. Es fehlten naemlich mehrere Matrazen, um ein Bett zu bereiten, aber ich fand frisch ausrangierte Wohnwagenmatrazen im naechsten Dorf neben dem Muellcontainer und brachte sie mit dem Fahrrad in zwei Schueben herbei. Auch eine ganze Tuete voll mit Tellern, Glaesern und Toepfen nahm ich mit, um den Wohnwagen fuer wen auch immer einzurichten. Am fruehen abend fuhr ich taeglich ins naechste Dorf, weil ich dort Internet empfing. Gleich beim ersten Mal sprach mich ein netter aelterer Herr an.

„Wollen Sie etwas essen? Ich habe noch eine indische Spezialitaet uebrig von gestern vom Markt. Ich habe nicht alles verkauft. Ich mache ihnen eines warm.“

„Ja, gerne.“

Kurze Zeit spaeter kam er mit einem leckeren frittierten Teilchen und einem eiskalten Tchaitee zurueck.

„Ich habe vierzig Jahre in Indien gelebt. Ich war mit drei indischen Frauen verheiratet und habe insgesamt sieben Kinder. Aber jetzt gerade habe ich mich von der dritten Inderin scheiden lassen. Sie wohnt genau neben mir und manchmal macht sie mir Stress. Gestern abend zum Beispiel. Und es ist immer wegen Geld. In Indien habe ich auch eine zeitlang in einer Gemeinschaft gelebt, aber ich habe denen zu oft die Wahrheit gesagt und die wollten sie nicht hoeren. Ich habe Geld verdient und sie wuenschten, dass ich es mit allen teile, aber das wollte ich nicht. Sie konnten doch selbst arbeiten. Sie meinten auch, ich sei zu indisch geworden. Drei Monate nachdem ich eine Inderin geheiratet habe, haben sie mich rausgeschmissen.“

Dann kamen die Nachbarn direkt gegenueber der Bank, auf der ich sass vorbei und brachten uns zwei Stueck Kirschkuchen. Mit Vanillepudding. Was fuer eine Freude!

„Ich glaube, sie nutzt Euren Internetanschluss,“ liess der Nachbar sie wissen. Sie hatten absolut nichts dagegen.

„Sie koennen aber auch gerne meinen Anschluss benutzen, falls dieser hier mal nicht geht.“

Er verschwand in seinem Haus und kam mit einem Zettel und einer fast endloslangen Zahlen-Buchstabenkombination zurueck, die ich gleich eingab, als wir vor seinem schnuggeligen Haus mit unendlich vielen Pflanzen vor der Tuer standen.

„Es hat geklappt!“

Im Anschluss fuhr ich noch mit dem Fahrrad in der Gegend herum und entdeckte am Ortsausgang einige Kirschbaeume voller wunderbarer Fruechte, fuer die sich bisher keiner zu interessieren scheinte. Ich pflueckte gleich eine halbe Tuete voll und so hatten wir die naechsten Tage Kirschen zum Essen.

An einem Abend kam eine Frau zu Besuch, die ihr Wohnmobil auf Oel umruesten wollte und die in einer weiter entfernten Grosstadt wohnte. Zwei Leute hatten mir unabhaengig voneinander von einer Gegend in der Naehe dieser Grosstadt erzaehlt, so dass ich vage den Eindruck hatte, ich sollte mich dort vielleicht mal umschauen. Sie wollte am naechsten Morgen vor neun Uhr losfahren und ich ueberlegte, dass ich vielleicht mitfahren wollte, sagte aber nichts, da ich sowieso alles immer erst am Tag selber entscheiden konnte. Doch als ich ihren Motor frueh morgens hoerte, als sie im Begriff war wegzufahren, hatte ich es doch bereut, nichts gesagt zu haben. Es war noch nicht einmal acht Uhr. Und ich war sicher, aufzuwachen, wenn es denn sein sollte, dass ich mitfahre. Aber weil sie beide sehr leise gewesen waren, war ich nicht vorher aufgewacht. Ab dem Zeitpunkt ging mir staendig im Kopf herum, dass ich vielleicht haette weg sein sollen und gar nicht mehr da wo ich war. Es war ein komisches Gefuehl.

Am nachmittag kam ein Bekannter von Pierre vorbei und blieb auch noch zum Abendessen.

„Die letzten fuenf Jahre bin ich immer mehr abgerutscht, aber jetzt moechte ich mein Leben neu ausrichten. Ich habe vor, mit liegenden Fahrraedern zu handeln. Die Liebe zu ihnen habe ich vor einiger Zeit entdeckt und es ist viel einfacher mit ihnen zu fahren wie mit einem normalen Fahrrad. Man verliert naemlich nur 30% der Energie, um gegen den Wind anzustrampeln statt 80% wie mit dem normalen Fahrrad. Als ich das erste Mal einen Tag mit dem liegenden Fahrrad gefahren bin, kam ich 120 Kilometer weit. Und das, wo ich gemuetlich mittag gegessen habe.“

Irgendwann wechselten wir dann das Thema.

„Es gibt einen buddhistischen Lama in Sibirien, der ist 162 Jahre alt.“

Ein paar Tage spaeter fand ich die Bestaetigung im Internet.

„Und wisst Ihr, wer die groesste Biomarktkette Frankreichs gekauft hat?“ fragte uns Pierre.

„Die groesste und bekannteste Gentechnik- und Saatgutfirma Amerikas.“

Der Bekannte wusste schon bescheid.

„Und eine grosse Biofirma, die Brotaufstriche wie Mandel oder Erdnusscremes und so was macht, kauften sie auch.“

„Wie war das moeglich, dass es an sie verkauft wurde?“ fragte ich perplex.

„Es gab Zwischenhaendler. Und Bio ist gar nicht mehr bio. Die Biofelder in Spanien werden mit Kuehlwasser von Atomkraftwerken versorgt.“

„Dass bio nicht mehr bio ist, das hat mir schon vor langer Zeit jemand gesagt. Alles an Bioprodukten aus dem Supermarkt wird naemlich bestrahlt.“

 

 

 

Schmetterlingsgruesse

Eines schoenen Tages trampte ich zu Raphael. Er freute sich ueber mein Kommen. Mir gefiel seine neue Wohnung unterm Dach. Es war sehr gemuetlich. Die Frau, mit der er vor Kurzem ein Verhaeltnis hatte, war zu ihm fuer zwei Tage zurueckgekehrt und dann verschwunden.

„Wir verstehen uns so gut auf allen Ebenen. Aber als sie weg war, wollte ich sterben. Drei Mal im Ganzen. Die Musik, die du gerade hoerst, hat mich gerettet. Ansonsten hatte ich Probleme mit einem Nachbarn, aber das hat sich jetzt gelegt. Und jetzt moechte ich aufhoeren zu rauchen. Und wegziehen moechte ich auch.“

„Das hast du mir schon ein paar Mal erzaehlt, dass du aufhoeren willst zu rauchen. Und von hier wegziehen willst du, seit ich dich kenne. Aber wenn du aufhoerst zu rauchen, mache dich darauf gefasst, dass dich erstmal eine Menge Gefuehle ueberschwemmen, die normalerweise durch das Rauchen abgeschwaecht werden. Ich habe jedes Mal, wenn ich aufgehoert habe zu rauchen, erstmal zwei bis drei Stunden geheult. Das naechste, was passiert ist, dass die Zeit unendlich lange wird. Ein Tag erscheint wie die Unendlichkeit. Das Schlimmste fuer mich war jedoch das Gefuehl der Langeweile. Obwohl ich Sachen zu tun hatte. Das Gefuehl der Langeweile in Momenten, in denen ich irgendwo warten musste war so schrecklich und gross, dass ich lieber geraucht habe, als dieses Gefuehl zu empfinden.“

„Ich werde Pflanzen einnehmen, die mir helfen. Auch die Bachblueten koennen mich dabei unterstuetzen.“

„Das ist wahr und eine gute Idee.“

Die Zeit verging wie im Flug. Am fruehen abend dumpsterten wir zusammen und danach wollte ich gehen. Es war nur noch wenig Verkehr auf der Strasse. So lief ich zurueck zu Raphael. Da er jedoch auf mein Klopfen hin nicht reagierte und seine Nachbarin im Erdgeschoss weniger freundliche Worte ins Treppenhaus rief, die in mir  Angst ausloesten, schlich ich mich davon. Ich ging zu der Englaenderin, die mehrere Zimmer zu vermieten hatte. Oben war Licht und so ging ich hinauf und traf sie mit drei Maennern, von denen ich einen kannte. Er begruesste mich freudig und umarmte mich. Die Englaenderin fragte mich, was ich wollte. Ich erklaerte ihr kurz meine Situation und sie bot mir ein Zimmer an fuer fuenfzehn Euro. Ich nahm es kurzerhand an. Der Mann, den ich kannte war verschwunden, obwohl er mich informiert hatte, dass er ebenfalls hier im Erdgeschoss wohnte. Doch am naechsten Morgen lud er mich zum Fruehstueck ein und erzaehlte mir von dem Projekt einer Gemeinschaft, das er hier gerne verwirklichen wuerde, nachdem ich ihm von meinen  Gemeinschaftserfahrungen berichtet hatte.

„Ich schreibe alles dazu auf. Im Moment jedoch mache ich eine Ausbildung, damit ich eine Struktur habe. Ich lerne auch sehr viele interessante Sachen ueber die Geschichte der Region. Deshalb muss ich leider bald aufbrechen. Aber ich habe letztes Mal schon gedacht, dass ich mich gerne mit dir unterhalten wuerde und dann warst du auf einmal nicht mehr da. Deshalb wollte ich jetzt die Gelegenheit nutzen…“

„Du warst letztes Jahr an Neujahr bei der Sylvesterfeier der erste Mensch, den ich umarmt habe. Das habe ich nicht vergessen.“

„Stimmt. Ich erinnere mich.“

Wir verabschiedeten uns. Ich kam am Markt vorbei und trampte irgendwann hoch zu Jocelyne. Wer mich mitnahm, war ihre ehemalige Nachbarin. So hoerte ich die Geschichte von der anderen Seite.

„Ich ging zur selben Frau in den Kindergarten, bei der auch Jocelynes Tochter ist. Sie ist die beste Kindergaertnerin, die man sich ueberhaupt vorstellen kann. Und Jocelyne behauptet, diese Frau wuerde ihre Tochter misshandeln. Ich kann versichern, dass dies nicht wahr ist. Das ist vollkommen ausgeschlossen. Ich kenne diese Frau seit zwoelf Jahren und es ist niemals etwas Negatives aufgefallen. Jocelyne hingegen kreiert Geschichten.“

Genau dasselbe hatte Raphael im Zusammenhang mit Jocelyne erwaehnt und gesagt, ich solle aufpassen. So kam ich zurueck. Am Anfang war Jocelyne erfreut, mich zu sehen.

„Du lebst dein Leben“, empfing sie mich, als ich ihr sagte, dass ich woanders uebernachtet hatte. Doch schon bald gab es Probleme. Ich sass am Computer, als sie mich attackierte, weil ich Kontakt mit Raphael gehabt hatte, der sich wiederum hin und wieder mit dem „Erzeuger“ ihrer letzten beiden Kinder traf, wie sie ihn bezeichnete. Und grundsaetzlich kann sie es nicht verkraften und will mit niemandem etwas zu tun haben, der mit ihm auch nur entfernt Kontakt hat. Anschliessend ging sie zu einem Termin, den sie hatte. Ich packte meine Sachen, um zu gehen.

Ich stellte mich auf die Strasse, wusste jedoch nicht einmal, in welche Richtung ich fahren wollte. Vorwaerts oder wieder zurueck. Niemand nahm mich mit. Nach einer Stunde in der Sonne gab ich auf. Genau wegen demselben Problem war ich damals ausgezogen, als ich bei ihr wohnte. Wenn ich jetzt ging, wuerde ich fluechten, wie immer. Doch ich hatte keine Lust mehr darauf. Ich wollte den Konflikt irgendwie anders loesen, als davon zu laufen. Das hatte ich lange genug praktiziert. Also stellte ich meine Sachen ab und ging zum See.

Ich legte mich in den Schatten und ruhte mich aus. Ein kleiner blauer Schmetterling setzte sich auf meine Hand und krabbelte auf und ab. Ich erinnerte mich an Said, der mir in einer der letzten mails geschrieben hatte, er sende mir einen Schmetterling. Und es war fast der gleiche Platz, an dem wir im Gras gelegen hatten. Ich war entzueckt von dem Schmetterling, der sich auf meine Schuhe setzte und auf meinen Rucksack, bevor er wieder auf meine Hand kam. Auf einmal sprach mich ein Mann mit einem Strohhut an, der gerade vorbeikam.

„Gehst du spazieren?“ fragte ich ihn. „Wenn ja, wuerde ich gerne mitkommen, wenn du nichts dagegen hast.“

„Klar, komm mit. Ich bin Jacques und du?“

„Michelle.“

Er wohnte in einem der Weiler zwei Kilometer entfernt und hatte noch nie ein Auto besessen. Es hielt gleich ein Wagen an, um uns mitzunehmen. Er lud mich ein, bei ihm zu uebernachten.

„Du hast ein eigenes Zimmer.“

Wir assen im Garten zu abend. Ich wollte nicht einmal mehr zu Jocelyne zurueckgehen, um meine Sachen zu holen. Es ging auch so. Er hatte kein Internet, dafuer jedoch Fernseher und Radio. Er trank keinen Alkohol und rauchte lediglich Zigaretten.

Bevor ich ins Bett ging, schaute ich interessehalber noch, ob ich ins Internet gehen koenne mit meinem ipad und siehe da, ich hatte Glueck: ich empfing genau den Anbieter, zu dem ich das Passwort hatte – Huchuu. So konnte ich eine Mail von dem Hollaender empfangen, die sehr positiv war und in der er mich einlud, zu der Permakulturfarm zum wwoofen zu gehen, bei der er fuer ein paar Tage untergekommen war. Vier Stunden taegliche Mithilfe gegen freie Kost und Logis. Sie wuerden Leute brauchen. Und ich erfuhr, dass er vorhatte, erst am Freitag zurueck zu kommen. Ich teilte ihm die Schwierigkeiten mit, die ich mit Jocelyne hatte. Er sah vor, zwischen eins und sechs Uhr nachmittags da zu sein. Ich war nicht sehr erfreut darueber, einen weiteren Tag auf ihn warten zu duerfen, aber ich beruhigte mich damit, mir zu sagen, dass es wohl fuer irgendetwas gut ist. Und mein Gastgeber hatte mich ja fuer zwei Tage eingeladen.

Da ich entgegen meiner urspruenglichen Absicht kein Schreibheft gekauft hatte und mein altes Heft nahezu voll war, ueberlegte ich, was ich stattdessen tun koennte. Vielleicht meine Aufzeichnungen statt in ein Heft direkt aufs ipad schreiben. Und so legte ich erstmals los. Denn sonst hatte ich erstmal alles in ein Heft geschrieben und dann muehsam abgetippt an irgendeinem Computer, den ich irgendwo benutzen konnte. Noch dazu musste ich die Hefte dann irgendwo zuruecklassen und oft waren auch andere Informationen sowie Adressen darin, auf die ich dann nicht mehr zugreifen konnte.

So setzte ich mich in den Garten und schrieb drauflos. Und erstaunlicherweise ging es gar nicht so schlecht. Nach einer Runde, die ich drehte und dem Abendessen, wollte ich weiter meine Adressen aufschreiben, die ich mir auf Zetteln notiert hatte und war nicht so ganz bei der Sache, als mich mein Gastgeber fragte, ob ich nicht einmal vorhatte, eine Familie zu gruenden. Noch dazu war es mein wunder Punkt.

„Reden wir nicht darueber“, fing ich an.

„Wieso?“

„Weil mein Versuch, eine Familie zu gruenden klaeglich gescheitert ist. Weil…“

Er bekam eine Krise, weil ich nicht nett genug geantwortet hatte. Ich glaube, der eigentliche Grund seines Missmutes war jedoch, dass ich mich mit meinem ipad beschaeftigt hatte, waehrend er mit mir redete. Er sagte glatt:

„Das ist hier kein Hotel.“

Genau das hatten mir meine Elten auch immer gesagt. Ich war dann sehr freundlich zu ihm und entschuldigte mich fuer meine etwas brueske Antwort, woraufhin er sich bruhigte..

Ich schlief zwei Naechte bei ihm und als ich sicher war, dass der Hollaender zurueckgekommen war, ging ich wieder zu Jocelyne. Ich wusste, er wuerde unseren Konflikt loesen koennen und dem war auch so. Er war einfach genial. Erst wollte ich mit ihm weiterreisen, aber es fuehlte sich nicht richtig an. So trampte ich nur bis zum naechsten Ort und dann wieder zurueck. Schon als ich in das Auto einstieg, das anhielt, bedeutete mir die Fahrerin, dass ihr Beifahrer nur deutsch und kein Franzoesisch oder Englisch spreche.

„Wir haben keine gemeinsame Sprache. Wir nehmen ein Uebersetzungsprogramm zu Hilfe.“

Sie zeigte mir einen kleinen Apparat.

„Aber die beiden Sprachen sind so verschieden, auch in der Satzstellung und die Uebersetzung ist manchmal so schlecht, dass der andere es nicht versteht.“

„Wenn Sie wollen, kann ich uebersetzen. Was moechten Sie ihm denn gerne sagen?“

„Dass ich muede bin! Mit dem ganzen Uebersetzen und allem.“

Sie wollten genau zu dem Ort, an den ich auch wollte, um die Burg zu besuchen. Sie luden mich dazu ein und ich uebersetzte, was sie sich sagen wollten, obwohl sie fast alles schon voneinander wussten.

„Wir haben uns in Tunesien bei einer archaeologischen Ausgrabung kennengelernt,“ erzaehlte sie mir.

„Und uns dann in Frankreich wieder getroffen. Dann bin ich nach Deutschland zu ihm gefahren, aber es hat mir bei ihm ueberhaupt nicht gefallen. Es war mir viel zu sauber und ordentlich. Und ueberall hingen Fotos von verstorbenen Familienmitgliedern. Damals habe ich mir schon gesagt, dass es nicht geht mit uns, aber ich wollte es trotzdem nochmal probieren. Schauen Sie ihn sich an. Er ist ein schoener Mann. Aber ich habe Jahre lang fuenf Maenner versorgt, denn ich habe vier Soehne und jetzt habe ich keine Lust mehr, einen Mann zu versorgen. Ich kann auch ohne leben und moechte mein Leben nun geniessen. Ich bin 69 Jahre alt und er ist siebzig.“

Ihm gefiel es umgekehrt nicht an dem Ort in den Bergen, an dem sie wohnte. Sie meinte, er haette keine Interessen, er jedoch, sie haetten viele Dinge gemein. Sie liebten sich offenbar, aber viele Dinge waren zu schwierig. Wir redeten und redeten und setzten uns am Ende noch in ein Cafe, bevor sie sich bedankend bei mir verabschiedeten.

Ich ging dann noch spazieren und fand beim Blick in eine Muelltonne zwei Tueten voll mit Essen: verschiedene Sorten Kaese, mehrere Brote und diverse andere Lebensmittel. Schwer beladen ging ich zurueck zu Jocelyne. Sie erwartete jedoch Besuch von einem Bekannten, der eigentlich schon am nachmittag kommen wollte, aber noch nicht da war. Und sie hatte schon vorher angekuendigt, dass sie mit ihm alleine sein wollte, weswegen ich auch weggegangen war. So zog ich wieder von dannen ohne mich auf weitere Diskussionen einzulassen. Ich versteckte all meine Sachen und ging zu einem Fest am Dorfplatz. Ich stand erst eine Weile am Rande bis ich mich an einen der Tische setzte. Nach einer Weile gesellten sich andere Menschen zu mir, darunter auch eine Frau, die ich kannte. Wir tanzten. Eine Weile spaeter setzte sich ein Mann zu mir, der in dem Ort wohnte, in dem ich eineinhalb Jahre gelebt hatte.

„Heute gibt es dort Techno und Wave-Musik bis vier Uhr morgens. Da ist es unmoeglich zu schlafen. Deshalb kam ich hierher. Ich werde in meinem Auto schlafen.“

„Da koennen wir vielleicht zusammen uebernachten. Ich habe naemlich heute auch keinen Ort zum Schlafen.“

„Echt?“

Mir war es zwar nicht moeglich, im Auto einzuschlafen, aber um vier Uhr fuhr er dann zu sich nach Hause und nahm mich mit. Er wohnte erst seit drei Monaten in meinem ehemaligen Heimatort und ich hatte sogar ein eigenes Zimmer zur Verfuegung.

In alten Gefilden

Ich wollte mit meinem Gepaeck zu Claude, aber er war nicht da. So stellte ich meine Sachen bei dem Verein mit dem Umsonstladen ab, in dem ich ab und an mal vorbeigeschaut hatte. Ein sehr freundlicher Marokkaner, der gerade einen Computerkurs hielt empfing mich und nahm mir sogar meine Sachen aus der Hand, um sie zu verstauen.

„Du kannst sie gerne hierlassen. Wir sind mindestens bis sechs Uhr da.“

Er war mir sofort sympathisch. Ich ging eine Stunde spazieren und kam zurueck. Sie redeten immer noch mit den Leuten vom Linuxkurs, waehrend ich die Kueche ein wenig saubermachte. Draussen regnete es heftig. Spaeter kam Said, bot mir an, mir einen Tee zu kochen und fragte, ob ich wisse, wo ich uebernachte. Ich druckste ein wenig herum.

„Nicht wirklich. Die Person, bei der ich uebernachten wollte, war vorhin nicht da.“

„Wenn du willst, kannst du bei mir uebernachten. Ich lasse dich doch nicht in dieser Situation stehen.“

„Ja, super.“

Ich freute mich sehr. Er wohnte im selben Haus wie der Kabyle, nur einen Stock hoeher. Und das seit ein paar Monaten. Wir assen zusammen und redeten und redeten. Er hatte eine Freundin, die im siebten Monat schwanger war, aber woanders wohnte. Nach einiger Zeit erzaehlte er, dass er vor kurzem massive Probleme mit seinem Nachbarn von unten hatte, bei dem ich vorher zwei Mal untergekommen war.

„Er respektierte mich nicht und behandelte mich schlecht. Am Ende artete es in einen Kampf aus. Wir gingen echt aufeinander los. Aber jetzt weiss er, dass er nicht alles mit mir machen kann und die Situation hat sich beruhigt.“

Er wollte seine Freundin die naechsten Tage besuchen. Da sie nicht weit von Jocelyne entfernt wohnte, beschloss ich, mit ihm mit dem Bus mitzufahren. Es regnete in Stroemen. Seine Freundin holte uns von der Haltestelle ab und brachte mich zu Jocelyne. Sie war sehr nett und ganz locker. Als ich bei Jocelyne ankam, sass dort ein Mann mit grauem Bart und mittellangen Haaren auf dem Sofa.

„Er kam, um hier Haus zu hueten, weil ich vielleicht fuer ein paar Tage in eine andere Stadt fahre, um dort nach einer Wohnung zu suchen“, klaerte sie mich auf.

„Ich muss hier weg. Die Behoerden sind schon hinter mir her wegen meiner Tochter, die sie mir am liebsten weg nehmen moechten. Ich habe Probleme mit der Kindergaertnerin. Sie hat mir meine Tochter schon zwei mal eine viertel Stunde verspaetet wieder gegeben. Es waren schon zwei Leute hier vom Amt. Ich konnte mich nur retten, in dem ich zum Buergermeister gegangen bin.“

Es stellte sich heraus, dass ich Manu von frueher kannte, aber ich hatte ernsthaft Probleme, ihn wiederzuerkennen. Er schien fuer mich ein komplett anderer Mensch zu sein. Als wir alleine waren, erzaehlte sie mir, dass sie jetzt vermehrt Kontakt zu Hare Krishna Anhaengern hatte.

„Doch es macht mir irgendwie Angst. Ich habe das Gefuehl, sie wollen mich schwach machen, um mich dann einweihen zu koennen. Ich habe eine andere Auffassung von Gott und das sage ich ihnen auch. Ich war letzt schon einmal ein paar Tage bei Amar, aber er war nicht sehr nett zu mir. Erst dachte ich, wir werden vielleicht ein Paar, aber dann wollte er nicht  und hat mir Manu vorbeigeschickt, um Hauszuhueten, waehrend ich bei ihm bin. Aber ich weiss nicht einmal, ob ich wirklich zu ihm gehen will.“

„Wenn ja, dann kann ich ebenfalls fuer dich haushueten. Das ist kein Problem.“

Als ich ihr von der Gemeinschaft erzaehlte, meinte sie:

„Ich habe auch einen kennengelernt, der bei ihnen war. Den haben sie rausgeschmissen.“

Ich hatte am Anfang etwas Schwierigkeiten mit Manu, was sich aber nach einiger Zeit legte. Es kam dann Amar vorbei, der Manu eingeladen hatte, herzukommen. Er selbst war sechs Jahre Moench in verschiedenen Kloestern gewesen, aber heute trank und rauchte er, wie jeder andere auch.Wir unterhielten uns auch ueber die Geschichte mit meinem Bus. Beide kannten den Mann, der mir sein Terrain zur Verfuegung gestellt hatte. Sie glaubten, dass er schwarze Magie bei der ganzen Sache eingesetzt haette. Jetzt war mir klar, warum es mir nicht gelang, dorthin zurueckzufahren.

Am Ende fuhr Jocelyne dann doch nicht mit zu Amar. Jedoch hatte sie aeusserst grosse Probleme mit Manu und mir war bald klar, dass ich hier war, um sie zu beschuetzen. Manu ruhte sich bei Jocelyne aus und tat fast nichts. Wie ich spaeter erfuhr, hatte er zuvor relativ viel gearbeitet.

Eines Tages sassen Jocelyne und ich am See, als ein mit zwei Rucksaecken bepackter Hollaender auftauchte. Ich winkte ihn herbei. Er war noch am selben Tag aus Holland per Flugzeug angekommen und wollte in drei Wochen die interessantesten Plaetze in der Gegend zu besuchen. Ich spazierte mit ihm Richtung Burg. Er arbeitete mit Energie und sah alles aus einer anderen Perspektive. Auf einmal hiess er mich stehenbleiben und verankerte in mir kristalline Energie. Ich wusste gar nicht, wie mir geschah, aber ich kam mir vor wie in einer anderen Welt. Dann bat er mich, auf meinem Weg einen Schritt beiseite zu treten:

„Jetzt gehst du einen neuen Weg.“

Auch Jocelyne half er ad hoc bei den verschiedensten Problemen. Manu indessen reiste am naechsten Tag ab. Wir blieben noch, um auf die Kleine aufzupassen, bis Jocelyne von einer Therapiesitzung zurueckkehrte. Dann fuhr ich mit ihm zu einem heiligen Berg, den er besuchen wollte. Wir kamen trampend erst recht gut voran, aber bevor wir hochfahren wollten, kamen wir ins Stocken. Eine Frau sprach uns an:

„Bei dem schlechten Wetter ist es keine gute Idee, dort hochzufahren. Sie werden nichts sehen und es ist kalt. Bleiben Sie lieber hier und gehen auf den Campingplatz.“

Wir nahmen ihren Vorschlag an und Piet lud mich ein. Es kostete eh fuer eine und fuer zwei Personen das gleiche. Auf dem Campingplatz waren supernette Leute, die mir eine aufblasbare Matratze, eine Supermegaluftpumpe und eine warme Decke gratis zur Verfuegung stellten. So war ich fuer die Nacht wunderbar ausgestattet, auch wenn ich wegen des rauschenden Baches direkt neben uns und der hohen Energie seitens des Heiligen Berges und meines Zeltnachbarn gar nicht richtig schlafen konnte. Sie hatten den Campingplatz gerade erst uebernommen und vor einem Monat aufgemacht. Am naechsten Tag trampten wir den Berg hinauf bis zum Pass, versteckten unsere Sachen an einem Huegel, den wir auch als Schlafplatz auserkoren hatten und liefen die letzten Meter bis zum Gipfel. Dort oben sprach ich kurz mit einer Australierin, die wir am naechsten Tag wiedertrafen, als wir kurz im Geschaeft des Dorfes halt machten.

„Ich schreibe an einem Buch ueber eine indische Dichterin, die im 8. Jahrhundert lebte und deren Gedichte Gott geweiht sind. Sie lebte im Sueden Indiens und so fahre ich oft dorthin. Aber jetzt brauche ich mal eine Pause und ich kenne jemanden, der hier wohnt.“

Wir hatten ein interessantes Gespraech und Piet war von ihr ganz angetan. Am Abend schlief er auf dem Campingplatz, aber da ich mal eine ruhige Nacht ohne hochschwingenden Nachbarn und Bach neben mir verbringen wollte, suchte ich mir im Dorf einen Platz zum Schlafen. Ich fand ein paar aeusserst dicke Stuhlkissen an einer Pension, die ich zu einer Matratze zusammenlegte, um in der ersten warmen Nacht des Jahres ohne Zelt im Freien zu uebernachten. Am naechsten Tag trampten wir wieder runter und er wollte weiter, ich jedoch war mir nicht sicher, ob ich mitfahren sollte. So klappte es auch mit dem Trampen nicht. Keiner nahm uns mit.

„Wir muessen mit unserer Frequenz runtergehen. Sonst sehen sie uns nicht“, meinte Piet und forderte mich auf, es ihm gleichzutun. Aber uns nahm trozdem keiner mit. Stattdessen erwartete ich nur den Bus, den ich vor einer Woche mit Said genommen hatte, um zu sehen, ob er nicht vielleicht drin war. Er hatte mir am Abend vorher eine mail geschickt, er koenne an dem nachmittag bei Jocelyne vorbeischauen, denn ich hatte nicht nur ihn, sondern auch seine Freundin zu Jocelyne eingeladen. Ich hatte ihm jedoch zurueckgemailt, dass ich nicht da sei. Ich wollte auch keine Geschichten. Aber trotzdem. Nachdem ich mich dann umentschieden hatte und doch zu Jocelyne zurueckfahren wollte, hielt sofort eine sehr sympathische Frau mit ihrem Wohnmobil an.

„Ich fahre an die heissen Quellen in den Bergen und Du?“

Ich erklaerte ihr wo ich hinwollte und gelangte so ohne Umschweife wieder zurueck. Wir gingen zusammen zum See, da sie von weit her angereist kam und eine Pause gebrauchen konnte und ich gab ihr eine Liste mit interessanten Plaetzen in der Region. Said kam nicht vorbei, da ich ihm ja quasi abgesagt hatte. Am naechsten Tag fuhr ich mit Jocelyne zum Markt in unserem frueheren Dorf. Wie gewoehnlich hielt ich die vielen Menschen jedoch nicht aus und wollte schon wieder zuruecktrampen, als ich einen englischen Bekannten wiedertraf. Wir setzten uns zusammen an das Ufer des Flusses an einen kleinen, aber feinen Strand.

„Letzte Nacht habe ich das Weisse Haus angeschrieben, sie sollen das Bespruehen mit Chemtrails endlich lassen.“

Er war wie immer in der Offensive. Und mutig.

„Ich habe die Steuern fuer mein Haus nicht bezahlt. Ich sehe nicht ein, dass ich Kriege mitfinanzieren soll. Ich habe ihnen die Unterlagen wieder zurueckgeschickt!“

Und als ich ihm das Malheur mit meinem Bus erzaehlte, den ich quasi verloren hatte, meinte er:

„Du kannst immer zu mir kommen. Ich habe jetzt ein wenig renoviert. Das Haus ist nicht mehr ganz so dunkel wie zuvor. Ich moechte ein Bed & Breakfast daraus machen.“

Als ich wieder zuruecktrampen wollte, traf ich einen meiner ersten Bekannten der Region: Michel. Er ging mit mir ueber den Flohmarkt im naechsten Dorf, der sich gerade zu Ende neigte und in ein Konzert muendete. Wir hoerten noch eine ganze Weile zu bevor er mich bis in die Naehe von Jocelyne brachte, denn ich wollte noch ein Stueck laufen und er seine Pferde fuettern. Er wohnte jetzt in einer Jurte in einem der Doerfer in der Gegend und hatte einen Wagen mit Vierradantrieb.

„Ich war gezwungen, mir einen Wagen mit Vierradantrieb anzuschaffen. Sonst komme ich nicht zu mir hoch. Wenn es geregnet hat, ausgeschlossen. Aber mit dem Auto geht’s.“

Als ich zu Jocelyne kam, war dort ein Mann zu Besuch, den sie vor einiger Zeit kennengelernt hatte.

„Said war heute hier. Drei Mal hat er vorbeigeschaut, aber du warst nicht da.“

„Ich habe Leute getroffen und war mit ihnen unterwegs. Wie schade. So habe ich ihn verpasst.“

Tatsaechlich kam er am naechsten Tag nochmal mit seinem Moped vorbeigefahren. Wir gingen zusammen zum See.

„Eigentlich war heute Frauenwochenende bei meiner Freundin. Das macht sie ab und zu, dass sie ihre Freundinnen einlaed und sie dann unter sich sind. Aber ich hatte es vergessen und war gekommen, weil einer der Nachbarn aus dem Dorf verstorben war. Am Morgen war die Beerdigung, bei der ich dabei war. Aber es war ein trauriges Ereignis, obwohl er alt war. Deshalb wollte ich auch am Samstag nicht mehr vorbeikommen. Und dass du gestern nicht da warst, war nicht weiter schlimm. Ich hatte eine schoene Zeit hier am See.“

Bei der nachfolgenden Unterhaltung meinte er:

„Ich bin wie ich lebe immer in einem Rahmen, aber der Rahmen gefaellt mir nicht mehr.“

„Es ist gar nicht so schlecht, in einem Rahmen zu leben. Schaue dir mich an: ich bin vollkommen aus dem Rahmen gefallen. Das ist auch nicht das Richtige.“

 

 

 

Zimmer zu vermieten

Bei meinem Weg durch die Innenstadt sah ich zwei Maenner neben ihren abgestellten Rucksaecken auf der Strasse stehen.

„Kommt Ihr aus Polen?“ sprach ich sie an.

„Ich bin halb Pole – halb Russe.“

„Und ich bin halb Amerikaner, halb Deutscher.“

Sie hatten sich am Meer kennengelernt und waren ueber die Berge hierher gelaufen. Der Pole hatte verschiedentlich in Frankreich gearbeitet, aber jetzt waere es schlecht mit Arbeit.

„Die Spanier und Portugiesen sind jetzt ueberall, wo es frueher Arbeit gab, weil es dort so schlecht geht. Dann kommen noch die Rumaenen dazu. Da ist gerade nichts zu machen. Dann habe ich mal in Belgien gearbeitet und dadurch meinen Anspruch auf Arbeitslosengeld ueber 2.200 Euro pro Monat verloren. Ich haette nicht ausser Landes gehen sollen, aber das wusste ich nicht. Man hat schon nach drei Jahren im Land das Recht auf das Minimum. Aber du musst immer an einem Ort bleiben. Alle zwei Wochen wird das ueberprueft.“

„Ich habe gehoert, man kann drei Monate wegbleiben.“

„Nein. Sie pruefen alle zwei Wochen, ob du wirklich da bist.“

Wir gingen dann zu einer der Hilfsorganisationen und sammelten unterwegs die uebrig gebliebenen Fruechte des Marktes auf, die wir anschliessend gemeinsam verzehrten: Honigmelonen, Orangen und Birnen. Die beiden gingen dann, weil es nicht gab, was sie brauchten (ein Paar neue Schuhe), waehrend ich in einem Pulk von Frauen auf die Oeffnung wartete. Ich fragte nach einem Schlafsack und bekam auch einen, den ich von drei Euro auf zwei Euro runterhandelte, denn sie duerften nichts mehr umsonst abgeben.

Frueher hatte ich hier in der Stadt immer tonnenweise Lebensmittel gedumpstert, aber das war nun vorbei. Die Muelltonnen der Supermaerkte waren fast alle verschwunden und ins Unterirdische verlagert worden. Es gab nur noch Behaelter zum Einwerfen. Das unter anderem auch, weil die Leute, die gedumpstert hatten, zu viel Dreck herumliegen liessen. Aber ich fand dann doch noch andernorts eine Menge an Lebensmitteln, vor allem Kekse und Joghurts, die ich  mitnahm. Zum Glueck lief mir mein erster Gastgeber Claude ueber den Weg, der mir nicht nur beim Tragen der schweren Last half, sondern mich auch zum Abendessen und Uebernachten zu sich einlud. Nach dem Essen meinte er:

„Ich gehe dann mal Zigaretten suchen.“

In der Tat suchte er Zigarettenstummel.

„Ich habe kein Geld. Vielleicht kriege ich in ein paar Tagen etwas zurueck von jemandem, dem ich Geld geliehen habe, sonst habe ich nichts bis zum sechsten des naechsten Monats (das waren noch zwei Wochen). Mein Neffe hatte Geburtstag; da musste ich was schenken und nun habe ich nichts mehr.“

Ich schenkte ihm ein Paeckchen Tabak. Am naechsten Tag sah ich auf der Strasse eine aeltere Dame, deren Haaransatz regelrecht orange leuchtete. Wir sprachen uns gleichzeitig an. Sie war zwar Franzoesin, hatte aber vierzig Jahre lang in Brasilien gelebt. Und sie war achzig Jahre alt, obwohl sie aussah, wie fuenfundsechzig. Ich begleitete sie ein Stueck des Weges und ging auch wieder mit ihr zurueck, weil sie ihr Handy bei ihrer Freundin vergessen hatte.

„Ich vergesse immer etwas. Das ist das Alter, wissen Sie?“

Sie lud mich zu ihr in eine sehr schoene Sozialwohnung ein.

„Normalerweise lade ich niemanden ein, aber bei Ihnen mache ich mal eine Ausnahme.“

Sie empfahl mir dann, mir eine Sozialarbeiterin zu nehmen. Ich waere dumm, wenn ich das soziale Netz nicht nutzen wuerde.

„Mir hat gerade jemand erzaehlt, sie wuerden zwei mal im Monat kontrollieren, ob man auch da ist.“

„Das kann ich mir nicht vorstellen. Ich wurde nie kontrolliert und ich bin manchmal fuer Monate im Ausland.“

„Vielleicht, weil Sie schon im Rentenalter sind.“

„Ich jedenfalls habe nie davon gehoert. Ich mag die Stadt hier zwar auch nicht, aber hier gibt es Wohnungen. Ich kam hierher, weil ich in Brasilien ueberfallen wurde. Ich lag sechs Monate im Bett und danach entschied ich, hierher zu ziehen, weil meine Schwester hier wohnt.“

Ich erinnerte mich dann an einen Mann, der mich einen Tag zuvor um fuenfzig Cent gebeten hatte.

„Ich habe einen Betreuer und nur zwanzig Euro pro Woche zur Verfuegung. Dann bekomme ich immer mal Fuenfzig Euro zum Einkaufen und das war’s dann. Ich lebe schon sechs Jahre so.“

Claude erzaehlte anschliessend:

„Ich hatte frueher auch kein Telefon. Aber meine Sozialarbeiterin hat mich gezwungen, mir eines anzuschaffen. Sie wollen die Kontrolle haben, wo man ist.“

Ich las immer noch fast taeglich die neuesten Channelings. Es war wiederholt vom Loslassen die Rede.  Alte Dinge, die nicht mehr zu einem gehoeren solle man loslassen. Ich bezog es auf meinen Bus. Der Bus, um den sich fast taeglich meine Gedanken kreisten, aber fuer den ich keine Loesung fand. Also liess ich los. Irgendwie schaffte ich es eh nicht, ihn zurueckzuholen. Ich schrieb eine entsprechende Mail an den Mann, auf dessen Grundstueck der Bus stand, er moege die Papiere der Frau uebergeben, an den ich den Bus urspruenglich abgeben wollte.

Beim Spazierengehen las ich dann ploetzlich das Schild an einem Haus: „Zimmer zu vermieten“. Ohne zu zoegern klopfte ich an die Tuer. Eine Frau mit langen schwarz gefaerbten Haaren und ganz in schwarz gekleidet oeffnete mir die Tuer. Ich dachte im ersten Augenblick: „Das ist eine Hexe.“ Sie zeigte mir das Zimmer. Es war angenehm gross, die Einrichtung war nicht super, aber o.k., doch das Problem war die Durchgangsstrasse direkt nebenan. Wobei die Doppelglasfenster ganz schoen abdaemmten. Sie drueckte mir einen Zettel in die Hand, was es kostet und was es alles beinhaltet. Es war etwas teuer, aber dafuer alles inklusive. Sie spielte in einer Mittelaltertheatergruppe und es gab noch einen weiteren Mitbewohner, den ich aber nur kurz auf der Treppe sah, als ich mir den Garten anschaute. Vorher haette fuer fuenf Tage eine Frau dort gewohnt, aber sie hatte die Miete nicht gezahlt. „Ausserdem waren an einem Tag sieben Leute da und sie war dreckig. Ihnen leihe ich gerne auch Laken, weil Sie sauber sind. Die andere hatte dreckige Fingernaegel. Wir rauchen allerdings beide in der ganzen Wohnung, schauen aber dafuer kein Fernsehen und ich gehe erst um sechs Uhr morgens schlafen.“

Ich gedachte das Zimmer trotz aller Nachteile zu nehmen, gerade weil die Achtzigjaehrige gemeint hat, wir braeuchten ein Zuhause. Aber ich konnte vor Aufregung die halbe Nacht nicht schlafen. Ich ging dann am fruehen nachmittag mit meinen Sachen zu ihr. Wir wickelten die Formalitaeten ab und ich zahlte fuer elf Tage bis zu Beginn der eigentlichen Miete. Diesmal sah ich den Mitbewohner von nahem. Er war ebenfalls ganz in schwarz gekleidet und hatte auf seinem Ruecken ein grosses rosametallicfarbenes Kreuz: ein Gothic. Am Vortag hatte ich noch gedacht, er sei normal, aber die Praesenz zweier dunkler Wesen war fuer mich dann doch zu viel. Ich ging kurz zu Claude, um Ihm Bericht zu erstatten, da ich noch Sachen bei ihm gelassen hatte. Danach ging ich zurueck, um meine Sachen zu holen. Derweil arbeitete die Vermieterin mit zwei Klientinnen in ihrer Kostuemschneiderei. Ich machte in der Kueche ein wenig klar Schiff, weil der Mitbewohner den Zucker umgestossen und auf der Erde verteilt hatte. Beim Geschirrspuelen fand ich zwei Tassen mit Hexenfotos. Schliesslich ging ich zu ihr, als ich meinen Rucksack fertig gepackt hatte:

„Kann ich sie mal zwei Minuten sprechen?“

„Ja, klar.“

„Ich glaube, es ist doch nicht der Zeitpunkt, mich niederzulassen.“

Ich bekam anstandslos und vollkommen korrekt mein Geld zurueck, uebergab ihr den Schluessel und schon war ich weg, in Freiheit!

 

 

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