Auf dem Weg zurueck

Ich packte es dann, obwohl die beiden offenbar sehr traurig waren, dass ich ging. Wie ueberhaupt ueberall wo ich war mich die Leute gar nicht gehen lassen wollten.

Die zweite Frau, die mich mitnahm, fragte mich nach meinem Leben .

„Sie sind frei! Wir sind ja Sklaven, mit den Kindern, der Arbeit und allem. Das, was Sie leben ist die Freiheit. Ich freue mich, dass ich Sie kennengelernt habe. Da weiss man, dass es auch weitergeht, wenn es mal nicht mehr geht…“

Der naechste war ein netter Herr, der sieben Jahre bei der Fremdenlegion war.

„Tahiti. Da traf ich auch einen Mann, der von der SS war. 1982. Er fragte mich, ob ich Deutscher bin. Ich verstand nicht, warum er zur SS gegangen ist.“

Zum Abschied drueckte er mir einen Fuenf-Euro-Schein in die Hand, um mir was Warmes zu trinken zu kaufen. Ich kam an dem Tag bis genau zur selben Stelle wie letztes Jahr am zweiten Tag. Hier hatte ich mich unterkuehlt, was mir dann eine Erkaeltung bescherte. Ich ging an demselben Platz vorbei und verknackste mir den Fuss, aber es war nicht weiter schlimm. Beim Spaziergang durch die Stadt fand ich ein paar leere Huetten fuer den Weihnachtsmarkt, die offen waren und Leckereien von einer Baeckerei. Dabei traf ich einen aelteren Herrn, der sich ebenfalls damit versorgte. Ich setzte mich in den Bahnhof, um zu schreiben. Draussen lag auf einigen Autos noch Schnee.

Am naechsten Tag kam ich mit einigen laengeren Wartezeiten bis zu einer dieser wirklichen Grosstaedte. In einem Einkaufszentrum fand ich zwar Internet fuer’s ipad, aber keine Toilette. Die waren schon geschlossen. Man schickte mich zum Fastfoodrestaurant. Dort sass eine Farbige vor den Toiletten.

„Konsumieren Sie erst etwas bevor Sie die Toiletten benutzen!“ fuhr sie mich an. Natuerlich weigerte ich mich und ging veraergert davon. Beim Surfen im Internet sprach mich ein Menschenbuerger an, der mir eine Schlafstelle zeigen wollte. Bloss: was er mir anbot war mir zu dreckig und ungemuetlich. Irgendwann verabschiedete ich mich von ihm. Den naechsten traf ich auf der Strasse sitzend an. Er hatte den letzten Zug verpasst und war gezwungen, irgendwo zu uebernachten. Wir schliefen ganz gut in einem Wohnhaus, dessen Tuer offenstand. Wir wachten frueh auf, doch nicht frueh genug, denn zwei Bewohner liefen an uns vorbei zum Parkplatz, fuenf Minuten bevor wir alles zusammengepackt hatten. Er lud mich zum Fruehstueck in ein Café ein, wo wir mehrere Stunden verbrachten.

„Ich wohne seit zehn Jahren in einem Mobil-Home auf einem Campingplatz. Bei uns kommen auch viel Deutsche vorbei.“

Ich bekam zwei riesige Croissants und ein Pain au chocolat. Dazu trank ich sage und schreibe drei koffeinfreie Kaffee. Er trank derweil Weisswein.

Schliesslich pachte ich es dann doch und machte mich weiter auf den Weg. Ich kam gerade an der Ampel an, an der ich letztes Mal losgetrampt war, da machte mir einer ein Zeichen, ich moege zu ihm kommen. Er fuhr ein gutes Stueck weit und liess mich an einer Raststaette raus. Es regnete mittlerweile in Stroemen, genau wie sie es angesagt hatten. Eine junge Frau versuchte ebenfalls, auf der Raststaette zu trampen.

„Ich stehe schon lange. Es geht hier schlecht.“

Ich stellte mich an den anderen Ausgang. Ein paar Marokkaner sprachen mich gleich an.

„Wir koennen dich mitnehmen.“

Sie fuhren in meine fruehere Wahlheimat. So ging ich gleich zu Mehdi, der allerdings nicht aufmachte. Ich wartete am Parkhaus in der Naehe, da es immer noch regnete. Eine Frau gab mir sogar zwei Euro, weil hier normalerweise immer Bettler stehen. Schliesslich kam auch Mehdi. Er freute sich, mich zu sehen. Es war jedoch gerade ein Freund aus Algerien bei ihm zu Besuch, der mich ein wenig nervte. Die Wohnung war fuer drei einfach zu klein. Mehdi war seit ein paar Monaten ohne Arbeit und verbrachte seine Zeit auf der Suche nach Frauen im Internet.

Als ich beim Selbstbedienungsrestaurant vorbeischaute, um zu sehen, ob jemand dort war, den ich kannte, sah ich den iranischen Fensterputzer und setzte mich zu ihm. Er laberte mich Stunden mit seinem ganzen Schmonz voll. Er hatte all sein Geld nach Australien gebracht, wo er gerne hin auswandern wollte.

„Aber jetzt muss ich noch zwei Jahren in Frankreich bleiben, sonst wuerde ich gecatcht wegen Steuerhinterziehung.“

Und das, weil er dort mehr Zinsen bekommt. Er war schon zwei mal fuer sechs Wochen in Australien gewesen; einmal davon, um eine Internetbekanntschaft zu heiraten, was er dann doch nicht tat.

„Gestern habe ich meine Wohnung verkauft. Ich will mir eine Wohnung mieten und Wohngeld beantragen.“

Ich rastete kurzerhand aus.

„Du willst Wohngeld beantragen, wo du dein Geld beiseite geschafft hast, damit du mehr Zinsen bekommst?“

Noch dazu meinte er, sein Ziel waere, eine Frau fuers Leben zu finden und das, wo er mich nicht einmal zu etwas zu trinken eingeladen hat. Er selbst sass ja auf dem Trockenen. Es war jedenfalls alles zu viel fuer mich und wenn ich anfing, ihn zu hinterfragen, nahm er es als Kritik auf.

„Ich habe dich nicht nach deinem Rat gefragt!“

„Warum erzaehlst du mir denn dann das alles?“

Er begann, mich zu beschimpfen, mit welchen Leuten ich verkehre, stand auf und ging. Besser fuer mich, denn ich war echt an meiner Grenze angelangt.

Ich trampte am naechsten Tag weiter, allerdings so spaet, dass ich nicht so weit kam, um Leute zu besuchen, die ich kannte. Mein Fahrer setzte mich in der Naehe des Bahnhofs einer mir kaum bekannten Stadt ab und ich spazierte durchs Stadtzentrum. Irgendwann stiess ich auf eine Gruppe von Strassenmusikern, die gerade vor einem Restaurant spielten. Sie kamen zu mir und spielten ein Lied fuer mich, bevor sie mich einluden, mit ihnen zu kommen. Sie hoerten allerdings bald auf zu spielen und fragten mich, ob ich schon wisse, wo ich schlafe. Ein spanischstaemmiger Typ lud mich zu sich ein.

„Da hast du ein Zimmer fuer dich. Ich lebe in einem Haus. Mein Cousin holt uns ab.“

Wir gingen noch zur Wohnung, in der drei der Musiker wohnten, bis uns der Cousin abholte. Danach holten wir gemeinsam meinen Rucksack, den ich unterwegs hinter einem Gebaeude abgestellt hatte.

„Witzig“, meinte Pablo, „ein Cousin von mir wohnt keine fuenfzig Meter von hier entfernt. Ich habe zwei Cousins hier. Einer ist gerade bei mir und der andere wohnt hier.“

Diego, der auf Arbeitsuche hier war, weil es gerade in Spanien keine Arbeit gibt, erzaehlte mir am naechsten Morgen mehr aus Spanien.

„Viele Menschen verlieren derzeit ihre Haeuser und Wohnungen, weil sie die Hypotheken nicht bezahlen koennen. Ich bin auch dabei, mein Haus zu verlieren. Jetzt wuerde ich auch kein Haus mehr kaufen, sondern lieber eines mieten. Da kann man gehen, wenn man nicht mehr bleiben will. Aber dass man zulaesst, dass die Menschen auf die Strasse gesetzt werden, ist fuer mich unverstaendlich. Der Staat ist fuer die Banken und nicht fuer die Leute. Fuer mich sollten die Menschen an erster Stelle stehen und nicht das Geld. Europa ist fuer mich etwas ganz Schlechtes.“

Pablo kam mit Cowboystiefeln und im Bademantel ins Wohnzimmer. In bezug auf seine Cowboystiefel meinte er:

„Cowboystiefel habe ich schon als Jugendlicher entdeckt und keine anderen Schuhe mehr getragen.“

Ich machte mich derweil in Haus und Garten nuetzlich, wo es Unmengen zu tun gab.

Einmal ging ich mit den Musikern zusammen auf Tour durch die Stadt und sammelte Geld fuer sie ein, aber es machte mir nicht sehr grossen Spass. Sie hielten auch staendig an, um Bier zu besorgen, zu rauchen oder zu trinken. Wie ich erfuhr, waren alle ausser Pablo fuer kuerzer oder laenger im Knast gewesen, aber sie waren trotzdem nett, wenn sie nicht zu viel getrunken hatten. Alle ausser einem Ungarn, der sich grundsaetzlich nichts von Frauen sagen lassen wollte und deshalb in staendigem Konflikt mit mir stand.

Pablo stellte mich jedem als seine Verlobte vor.

„Du kannst bleiben solange du willst. Wenn du willst, dein ganzes Leben“, pflegte er zu sagen. Und: “Ich freue mich, dass du hier bist.“ Ich fuehlte mich auf jeden Fall gleich bei ihm wie zu Hause und mit seinem Cousin verstand ich mich auch so gut, dass er meinte:

„Michelle, ich moechte, dass du bleibst.“

Also blieb ich. Ich verschte einmal, zurueck zu Mehdi zu trampen, da ich meine Regenklamotten bei ihm vergessen hatte, aber weil es regnete, kam ich nicht entsprechend voran und kehrte auf halbem Weg um. Inzwischen hatte ich auch einen gelben Micky Mouse Regenponcho fuer Kinder als Ersatz gefunden.

„Findest du mich lustig?“ fragte Pablo mehrmals.

„Ich finde dich sehr lustig, aber deine Haare wuerden gerne einmal gebuerstet werden, sonst siehst du bald aus wie ein Rasta.“

„Ich bin gerne ungebuerstet. So meinen die Leute, ich waere ein Zigeuner. Es gefaellt mir, wie ein Zigeuner auszusehen. Ich buerste meine Haare nie.“

Als ich einmal mit Pablo kurz zu seinen Musikerfreunden gegangen war, traf ich einen Bekannten von ihnen auf der Strasse, den ich gerade in ihrer Wohnung begruesst hatte.

Er fragte:

„Du bist nicht dageblieben?“

„Nein, sie trinken. Aber du auch nicht?“

„Ich habe eine Freundin. Und man kommt irgendwann an den Punkt, an dem man sich zwischen Bier und seiner Freundin entscheiden muss.“

Am naechsten Tag erzaehlte mir Pablo, dass seine letzte Freundin nicht wollte, dass er mit dem Ungarn spielt.

„Sie wollte nicht, dass ich auf der Strasse spiele. In Bars schon. Und das ist immerhin sechs Monate her. Ich war 32 Jahre mit der Mutter meiner Kinder zusammen.Und ich haette nie gedacht, dass ich eines Tages alleine dastehe.“

Als wir eine Freundin von ihm besuchten, fragte sie nach der Begruessung:

„Was haelst du davon, wenn homosexuelle Paare Kinder haben; das heisst, sie adoptieren duerfen?“

„Darueber habe ich gerade heute nachgedacht. Ich finde es gut. Das waere sehr heilsam fuer alle.“

Spaeter erzaehlte mir Pablo, dass er mit ihr zusammen in der Klinik war.

„Auch sie hatte eine Depression und kam oft in mein Zimmer. Sie hatte einen Wasserkocher, den man nicht benutzen durfte, aber ich hatte meinen Schrank abgeschlossen und so machte ich dort Kaffee fuer alle. Es hielten sich immer viele Leute bei mir auf. Ihr Freund will allerdings nicht, dass sie trinkt, aber wenn er nicht da ist, trinkt sie ein wenig.“

Zu mir gewandt sagte sie:

„Pablo ist mein einziger Freund. Ich rede sonst mit niemandem. Kommt doch nochmal vorbei.“

Als ich ihr erzaehlte, dass ich zur Zeit weder rauche noch trinke, meinte sie:

„In fuenf Jahren bin ich auch so weit wie du.“

Im Internet entdeckte ich die Seiten von Christoph Fasching und begann, sein 40-seitiges Zukunftsszenario zu studieren. Ich war damit vollkommen einverstanden. Es war unglaublich postiv.

Pablo sagte, ich haette ihn geheilt und auch sein Cousin bestaetigte mir, dass es ihm nun viel besser gehe, seit ich da waere. Erstaunlich fuer mich war, dass er auf mich hoerte und Dinge tat, die ich vorgeschlagen hatte, wie zum Beispiel das Auto zu saugen, in dem noch die Fenstersplitter vom letzten Einbruch lagen oder eine Milch fuer uns zu kaufen statt mich zum Kaffee einzuladen… Er fand es gerade toll, dass ich ihm Auftraege gab, was er tun soll.

Eines Abends spielte er mit zwei Magnetkugeln. Sie naeherten sich einander an, um dann zusammenzukleben.

„Wenn beide positiv sind, stossen sie sich ab, aber wenn einer positiv ist und der andere negativ, ziehen sie sich an.“

Einmal besuchten wir zu dritt eine Lehrerkollegin. Sie tranken zusammen eine Flasche Wein und waehrend Diego mit unserer Gastgeberin draussen eine rauchte, ueberredete Pablo ihre Tochter auf charmante Art, dazubleiben.

„Komm, bleibe bei uns. Hoere dir nur ein Lied an, dann lasse ich dich in Ruhe.“

Genauso wie er mich zu allem Moeglichen ueberredete und genau wie viele Eltern ihre Kinder zu Dingen bewegen, die gar nicht deren eigenem Willen entsprechen. Ich sprach spaeter mit ihm ueber die Sache und er verstand mich auch, zumindest zeitweise.

Einen Tag unternahmen wir eine Tour in ein kleines Staedtchen in der Umgebung, wo wir eine seiner Ex-Freundinnen von vor langer Zeit besuchten. Sie war gerade knapp dem Tod entgangen, da sie wohl so etwas wie einen Darmverschluss hatte, der von ihrem Arzt nicht richtig diagnostiziert worden war.

Ich spazierte kurz vor Sonnenuntergang auf den Huegel hinter dem Haus, auf dem mich eine Madonnastatue aus Lourdes erwartete und lief anschliessend noch durch das Dorf. Nachher kam mir Pablo mit dem Auto entgegengefahren.

„Wir haben dich schon mit Taschenlampen gesucht!“

Sie waren mir jedoch nicht boese deswegen.

Fuer mich war es nach fast zwei Wochen bei Pablo an der Zeit, zu gehen. Ich wollte noch in einer Gemeinschaft vorbeischauen, in der es eine Wagenburg geben sollte, wie man mir in Deutschland erzaehlt hatte…

Von der Wahlmama zur Grossmama

Meine Wahlmama freute sich sehr, mich zu sehen.

„Du kannst ruhig drei Monate bleiben. Dann habe ich etwas mehr Ordnung hier in meiner Wohnung“, empfing sie mich und erzaehlte mir erstmal von ihrem Aufenthalt in Griechenland und auf Gran Canaria.

Ich ging noch dumpstern in stroemendem Regen und brachte eine schwere Tasche voll mit leckerem Essen, von Salat ueber Yoghurts bis zu verschiedenen Sorten Kaese mit, die Chips nicht zu vergessen.

Ihr Sohn Leonardo war umgezogen und wohnte nun neben ihr in einer groesseren Wohnung, war jedoch nicht da. Erst als ich das letzte Mal schaute, bevor ich meine Lagerstaett aufschlagen wollte, war bei ihm Licht. Und dabei war er schon im Bett, als wir bei ihm klingelten.

„Du kannst in meiner alten Wohnung schlafen. Die steht leer. Oder bei mir, aber ich habe keine zweite Matraze.

„Macht nichts, ich habe eine Unterlegmatte.“

Und so kam ich zu einer kleinen Studiowohnung ganz fuer mich allein. Mit Wasser, Strom und Heizung inklusive.

„Du kannst die Wohnung auch mieten. Fuer 320 Euro im Monat. Dann hast du wieder einen festen Wohnsitz. Wir gehen morgen aufs Amt“, sagten die Beiden.

„Moment Mal, ich will doch nur eine Nacht hier schlafen. Reden wir morgen weiter.“

Leonardo half mir noch, die Sachen fuer die Nacht herzubringen und schon nahm ich die neue Wohnung in Beschlag.

„Eine Wohnung ganz fuer mich allein. Diesen Luxus habe ich auch schon lange nicht mehr gehabt.“

„Morgen bin ich hier“, liess mich Leonardo wissen. „Ich muss die Sache mit meinem Telefonanschluss klaeren. Ich habe seit einem Monat kein Telefon und kein Internet. Ja, ich entwickle schon telepathische Faehigkeiten mit meinen Kunden.“

„Genau, so ist das. Mit jeder technischen Neuerung verlieren wir einen Teil unserer natuerlichen Faehigkeiten.“

Am naechsten Tag zeigte mir Geneviève Bilder von Griechenland und Fotos aus dem Konzentrationslager, in dem sie als Kind mit ihrer Mutter nach dem Krieg (!) war und von dem sie mir schon frueher erzaehlt hatte.

„Ich weiss nicht, warum wir da waren. Meine Mutter hat den falschen Zug genommen. Sie wusste nicht wohin. Wir waren Vertriebene. Aber das war kein Ort fuer ein Kind! Und was das Schlimmste dort war, war der Geruch der Desinfektionsmittel.“

Am naechsten Tag machte ich einen Ausflug zu jemandem, den ich bisher nur aus dem Internet kannte und der mir sehr sympathisch war. Der erste, der mich beim Trampen mitnahm, war ein Taxifahrer aus dem Osten.

„Steigen Sie schnell ein. Ich fahre jemanden abholen.“

Er fand den Osten viel besser und lebendiger, vor allem, weil es keine Sperrstunde gibt.

„Bei uns haben die Lokale bis morgens um vier, fuenf Uhr geoeffnet. Sie sollten mal sehen, was da nachts noch los ist. Und hier schliessen sie um zwoelf Uhr nachts. Da soll man nach Hause und ins Bett gehen. Wenn es drueben wieder Arbeit gibt, dann geh ich sofort zurueck. Ich bin frueher auch viel getrampt – bis zum Plattensee. Deshalb nehme ich sie gerne mit.“

„Meistens nehmen mich Leute mit, die selbst frueher getrampt sind.“

Ich kam danach nur schleppend voran, da das Wetter nicht gut war und ich die Landstrasse nahm. Fuenf Stunden brauchte ich fuer hundertfuenfzig Kilometer, allerdings war ich zwischendurch auch viel gelaufen. Ich klingelte bei dem netten Herrn aus dem Internet und stellte mich vor:

„Hallo. Ich bin Michelle vom Vagabundenblog.“

„Du hast doch in Deutschland noch einen anderen Namen, Silvia, oder nicht?“

„Genau.“

„Willst du was essen? Ich habe Wok-Gemuese gekocht.“

„Oh ja, ich habe noch nichts gegessen.“

Es war aeusserst lecker. Bloss danach forderte er mich gleich auf, abzuspuelen und Tee zu kochen. Dies bei anderen zu tun war ich gewohnt, aber nicht, dass mich jemand dazu aufforderte. Dann machte es gar keinen Spass mehr. Auch erzaehlte er fast nur, was ich eh schon wusste.  Nach dem Essen drueckte er mir ein Buch von Michael A. Singer mit dem Titel „Die unbaendige Seele. Ein Weg der Befreiung“ in die Hand.

„Das steht gerade auf meiner Buecherliste auf Platz eins. Es hat das Buch ‚Die neue Erde’ von Eckhart Tolle abgeloest.“

Er hatte naemlich noch was zu tun, lud mich dennoch ein, bei ihm im Gaestezimmer zu uebernachten. Er fuhr indessen zu seiner Mutter, die im Sterben lag.

Bei meinem Spaziergang durch die Stadt ging ich ausnahmsweise mal in einen Laden mit Computern rein und sah das ipad im Angebot. Ich hatte so etwas vorher noch nie in der Hand. Am naechsten Morgen erfuhr ich von meinem Gastgeber, dass seine Mutter in der Nacht verstorben war.

„Ich war der letzte, der sie gesehen hat. Ich bin froh, dass sie erloest wurde. Sie hat sehr gelitten die letzte Zeit.“

Ich merkte, dass ich mich nach dem Lesen hier und da in seinem Buch ganz anders fuehlte als vorher, staerker und mehr bei mir. Ich bekam noch eine Reihe von interessanten Zeitschriften mit auf den Weg, die er nicht mehr brauchte. Beim Zuruecktrampen landete ich diesmal auf der Autobahn auf einem Parkplatz, auf dem ein Mann mittleren Alters in einem blauen Mercedes-Cabriolet anhielt. Er wollte Absinth kaufen fahren und fuhr mich noch bis zurueck zu Geneviève. Dabei erklaerte er mir viel ueber Computer und ich erfuhr,  dass das ipad keinen USB-Stick hat, weil Apple will, dass man seine Daten zentral abspeichert. Fand ich weniger interessant.

Doch kurz bevor ich weiter auf Deutschlandtour gehen wollte und mich von Leonardo und seiner Mutter verabschiedete, liess ich das Angebot des ipads verlauten.

„Ich habe noch ein altes ipad, das mir mal runtergefallen ist“, meinte Leonardo. „Es geht noch. Ich kann es dir geben. Ich habe naemlich fuer wenig Geld ein Neues bekommen und das alte wollten sie wegwerfen. Da nahm ich es mit. Komm.“

Er zeigte mir ein paar Funktionen, loeschte seine Daten und ich war ab da stolze Besitzerin eines ipad. Ich blieb noch zum Mittagessen, dann machte ich mich auf den Weg Richtung Norden. Erst mit der S-Bahn bis zur Autobahnraststaette, wo mich nach etwas Warten jemand mitnahm. Es begann bald zu regnen und wurde bald dunkel, aber ausnahmsweise trampte ich trotzdem weiter bis mich drei Brasilianerinnen mit zu einem Flughafen nahmen. Sehr praktisch, denn hier konnte ich ganz in Ruhe im Warmen schlafen neben den vielen anderen, die hier uebernachteten. Beim Herumstoebern in einem Zeitschriftenladen gewahrte ich, dass ganzheitliche Zeitschriften wie Pilze aus dem Boden geschossen waren. Auch in der Kirche war ich kurz, ein angenehmer Raum.

„Was Christen auszeichnet ist, dass sie immer wieder neu anfangen koennen“, nahm ich als Botschaft mit auf den Weg. Klingt doch gut.

Nach einer nicht sehr langen Nacht versuchte ich zu Trampen – nichts. So fuhr ich mit der S-Bahn weiter und lief ein ganzes Stueck bis zum Friedhof mit den Graebern meiner Grosseltern. Sie sahen beide ziemlich verwaist aus und ich investierte direkt ein paar Euro, um sie etwas freundlicher zu gestalten, setzte aber auch ein paar gefundene, also freegane  Plastikblumen dazu. Ich versuchte weiter zu trampen, aber ohne Erfolg. Ueberhaupt war mir nicht ganz wohl dabei in meiner Heimatstadt. So fuhr ich lieber mit der S-Bahn ein Stueck und trampte spaeter weiter. Ein Typ in einem VW-Bus nahm mich mit. Er machte staendig Anspielungen.

„Ich bin noch zu haben… Ich wuerde gerne mit dir einen Tee trinken… Hier ist meine Telefonnummer, wenn du mal Zeit hast…“

Am Abend wusste ich nicht wo schlafen und druckste auf dem Bahnhof herum. Natuerlich hatte ich auf dem Flughafen nicht unglaublich lange und auch nicht sehr gut geschlafen. Weshalb die Aussicht auf eine harte und kalte Nacht weniger brickelnd war. Ich schaute schon auf dem Gleis, um eventuell zu Freunden zu fahren, als mich ein Behinderter ansprach.

„Das ist aber toll, dass ich dich treffe, wo du so mit dem Rucksack herumreist. Wo willst du denn hin?“

„Weiss ich auch nicht so genau. Ich wollte sehen, ob ich jemand mit einem Gruppenticket finde, um mitzufahren. Ich weiss nicht, wo ich uebernachten soll.“

„Du kannst bei uns uebernachten. Bei mir und meiner Freundin. Ich wohne drei Doerfer weiter. Der Zug kommt gleich.“

Ich nahm die Einladung dankend an und wir fuhren zusammen zu ihm.

„Ich war frueher viel beim Rainbow, bestimmt zehn, zwoelf Mal. Du erinnerst mich daran, wie schoen. Auch, dass ich jemand, der so unterwegs ist helfen kann, freut mich total.“

„Und deine Freundin ist auch nicht eifersuechtig?“

„Glaube ich kaum.“

Sie war wirklich nicht eifersuechtig und lud mich sogar ein, noch eine Nacht zu bleiben, nachdem wir den restlichen Abend zusammen verbracht hatten. Ich schlief lange und gut bis kurz nach zehn. Beim Fruehstueck unterhielten wir uns ueber unser Leben. Er hatte ein Jahr lang in Suedfrankreich Sozialarbeit studiert und war auch sonst gerne in Frankreich.

„Vielleicht koennen wir uns ja naechstes Jahr in Frankreich treffen…“

Ich fuhr indessen erstmal zu meiner Oma ins Altersheim. Sie war unglaublich klein geworden die letzten zwei Jahre, in denen ich sie nicht gesehen hatte. Wir tauschten Neuigkeiten aus und ich erfuhr weniger angenehme Geschichten. Sie lud mich ein, bei ihr auf der Couch zu uebernachten. Sie ging naemlich schon um sieben Uhr ins Bett. Ich ging noch spazieren und sie meinte, ich solle nicht zu lange bleiben, aber was sollte ich so frueh in einem Altersheim, ging ich gewoehnlich erst recht spaet ins Bett. So flog ich schliesslich aus dem Heim raus, weil ich meine Schuhe ausgezogen hatte, bevor ich nach dem Spaziergang zu meiner Grossmutter reinging und mich eine Schwester gesehen hatte. Das war ihr suspekt. Sie kam ins Zimmer und wollte meinen Ausweis sehen. Aber das reichte nicht. Sie wollte jemand von meinen Verwandten anrufen, wenn nicht solle ich gehen. Dass sie abends um die Zeit bei einem meiner Verwandten anruft, die ich Jahre nicht mehr gesehen hatte, wollte ich nicht. Es reichte auch nicht, dass ich die Vornamen all meiner Tanten nannte. Ich ging, um meine Sachen zu holen. Sie kam mit.

„Da brauchen sie aber nicht mehr wieder zu kommen.“

„Was?“ fragte ich.

„Tagsueber ja, aber nicht nachts.“

Sie fragte meine Grossmutter, die erwachte, ob ich ihre Enkelin sei.

„Ja, das ist meine Enkelin.“

„Und wie heisst sie?“

Meine Grossmutter verwechselte alle Namen die letzte Zeit und so auch meinen. Immerhin war sie 98.

Als die Schwester mich zum Ausgang begleitete, erklaerte sie mir:

„Uebernachten geht nur nach Voranmeldung, damit wir vom Nachtdienst bescheid wissen.“

So zeltete ich ganz in der Naehe. Das war viel schoener als im Altersheim. Es war mir dort drinnen eh zu warm und meine Grossmutter steht um sechs Uhr auf. Ausserdem hatte ich so mein Zelt nicht umsonst mitgebracht. Und warm war es noch dazu. Und Sterne am Himmel. Wunderbar.

back in good old germany

Ich bin also wieder zum Oekomuseum gefahren, habe den Bus abgestellt und bin zum See  getrampt. Ich kam zwei Stunden vor Abfahrt an und konnte so noch etwas spazieren gehen. Bernd hatte kein Geld mehr aus dem Automaten bekommen. Er war deswegen ganz aufgeregt.

„Ich habe noch Geld“, sagte ich, „kein Problem.“

„Was haette ich jetzt gemacht, wenn du nicht gewesen waerst? Ich haette nicht einmal genug Geld zum Tanken gehabt. So etwas darf einfach nicht passieren.“

„Du siehst, fuer dich ist schon gesorgt noch bevor du fuer dich selbst sorgen brauchst. Bei anderen Leuten ziehen sie manchmal die ganze Geldkarte ein. Gut, dass du die noch hast.“

„Ich habe schon meine Schwester angerufen und wollte auch mit der Bank telefonieren und mich beschweren, was das soll. Ich habe vollgetankt und damit kommen wir 800 bis 900 Kilometer weit. Und an Mautgebuehren brauchen wir auch einiges. Fuenfzig Euro habe ich noch.“

„Ich habe 200 und ein paar Gequetschte. Das reicht schon.“

Bernd fuhr und fuhr bis gegen zwei Uhr nachts. Da ich die Nacht zuvor vor lauter Aufregung wegen der Fahrt mit Traeumen ueber das, was ich mitnehme, nicht allzu lange geschlafen hatte, schmerzten mir schon die Beine vor Muedigkeit. So hielt Bernd an einer Raststaette an und baute die Angler-Feldbetten auf: eines fuer mich und eines fuer ihn. Wir schliefen bis gegen sechs Uhr in der Frueh und es ging weiter. Bernd haette mich noch viel weiter  mitnehmen koennen, aber ich musste erstmal den Schock, wieder in Deutschland zu sein verdauen und liess mich bald in einer mir bekannten Stadt absetzen. Wir suchten noch nach einer Bank, damit er mir das geliehene Geld zurueckgeben konnte. Er lieh sich 75 Euro und gab mir 90 zurueck. Ich freute mich sehr. Auch zu Essen bot er mir an, was ich gar nicht annahm, denn ich hatte noch Brot, aber sein Mineralwasser nahm ich gerne. Er fuhr weiter und ich lief erstmal durch die Stadt, um eine Toilette zu finden. Am Ende ging ich in die Universitaet. Dann lief ich zu meiner Freundin Giselle, die da war, allerdings ging es ihr nicht gut.

„Ich habe dich schon erwartet. Ich habe die letzte Zeit oefters an dich gedacht. Aber jetzt setze dich erstmal. Ich dachte, du kommst doch in der Regel einmal im Jahr und muesstest nun langsam auftauchen. Und dann hatte ich zwischendurch das Gefuehl, du kommst doch nicht. Und gestern Nacht klingelte das Telefon und da dachte ich am Ende, vielleicht warst du es, aber das konnte ich mir wiederum nicht recht vorstellen.“

„Nein, das war ich nicht. Und ich waere wirklich fast nicht gekommen. Ich habe schon bei Leuten abgesagt, weil ich die Sache aufgegeben habe und ploetzlich lernte ich jemand kennen, der mich mitgenommen hat und fand auch einen Platz fuer meinen Bus. Und lustig ist: letztes Mal warst du die Letzte, die ich besuchte und dieses Mal bist du die Erste!“

Sie war krank, hatte Kopfschmerzen, ihrer Meinung nach infolge einer Nebenhoehlenentzuendung.

„Ich habe gerade jemanden gebeten, zur Apotheke zu gehen, um mir Medikamente zu kaufen. Ich habe naemlich die Nacht nicht geschlafen.“

„Das kann ich fuer dich machen. Da kannst du dem anderen absagen.“

Gesagt, getan.

Danach erzaehlte sie besorgniserregende Dinge ueber Deutschland.

„Die Drei-Klassengesellschaft ist zu einer Zwei-Klassengesellschaft geworden. Die Armen werden immer aermer und die Reichen immer reicher. Und die Mittelschicht gibt es bis auf wenige, die sich gehalten haben, gar nicht mehr. Und Hartz IV ist so angelegt, dass man dort gar nicht mehr rauskommt. In Hartz IV ist jetzt der, der gerade seine Arbeit verloren hat, wie der, der schon lange keine mehr hat. Und sobald jemand fuenfzig Euro von irgendjemand geschenkt bekommt oder sich ein paar Euro dazuverdient, muss er das angeben und es wird von seinem Hartz IV abgezogen. Wenn er das nicht tut, gilt das als kriminell. So werden die Leute kriminalisiert.

Und vom Geld, das fuer die Arbeitslosen da war, haben sie Verwaltungsgebaeude gebaut, um die Leute zu verwalten. Aber die Arbeitsagenturen und Job-Center sind gar nicht dazu da, Leuten Arbeit zu vermitteln. Sie sind dazu da, Leute zu kontrollieren. Und es wird mittlerweile alles kontrolliert. So ging das Geld nicht an die Arbeitslosen, sondern wurde verbaut. Und jetzt duerfen die Leute fuer ein bis zwei Euro die Stunde arbeiten und auf der anderen Seite gehen Milliardensummen an die Banken, um sie zu retten. Obwohl die Banker eine gute Ausbildung genossen haben und genau wussten, was sie tun. Unsere Bundeskanzlerin hat das deutsche Volk verraten.“

„Verraten und verkauft. Aber sie tut genau das, was die Kraefte hinter den Kulissen wollen. Demokratie ist die Macht der Konzerne. Die Konzerne diktieren die Gesetze und die Politiker sind nur dazu da, diese abzusegnen.“

„Und dafuer verdient unsere Bundeskanzlerin gerade ‚nur’ einmal 220 000 Euro im Jahr – dabei sind die Dienstwagen und –zulagen nicht gerechnet.“

„Also nach all den Erfahrungen, die ich gemacht habe, auch ohne Geld zu leben, halte ich es fuer das Beste, wenn das bedinungslose Grundeinkommen eingefuehrt wird.“

„Aber da sind die Politiker dagegen. Und die Leute tun einfach nichts. Und guck dir mich an: ich habe Schulden abzubezahlen, weil ich meinen Vater selbst gepflegt habe und keinerlei Unterstuetzung bekam. Ich habe damals alles versucht. Aber er war offiziell nicht pflegebeduerftig, weil nur dement. Er konnte noch vieles selbst machen, aber musste eben irgendwann ins Heim und ein Heim kostet 6000 Euro im Monat. Seine Rente reichte dazu nicht aus. So habe ich all mein Geld da reininvestiert, auch meine Altersvorsorge.

Und die Kanzlerin hat den totalitaeren Ueberwachungsstaat kennengelernt, um ihn hier nun langsam einzufuehren. Und die Leute sagen nichts dagegen. Weißt du, dass es einen Sonnendaemon gibt? Hast du davon schon gehoert?“

„Nein.“

„Das ist wichtig zu wissen. Es gibt naemlich drei Teufel. Der rote, der weisse und der schwarze Teufel. Es sind die Gegenspieler zu dem Dreieck Vater, Sohn und heiliger Geist.  Luzifer ist der nahste Engel bei Gott, der alles kennengelernt hat und alles weiss. Der ist alles, was Ekstase und schnelle tolle Gefuehle ausloest. Auch alle Drogen und Rauschmittel. Dann gibt es den, mit dem alles ist, was mit Macht, Verstand und Geld zu tun hat. Der alles kontrollieren will. Der heisst Ahriman. Der war das, was in Nazideutschland war. Luzifer und Ahriman haben beide nicht die Liebe. Der Mensch hat ihnen die Liebe voraus und mittels der Liebe kann der Mensch die beiden besiegen.

Und dann gibt es noch den Sonnendaemon. Er ist der Gegenpart Gottes und will grundsaetzlich die Ausloeschung allen Lebens. Das erklaere ich immer den Leuten, die bei mir in Therapie sind. Und Jesus ist die Sonne. So ist es gut, sich mit der Sonne zu verbinden.“

Es war alles sehr interessant. Das Problem war aber: ich bekam heftige und sehr unangenehme Kopfschmerzen, denn ich nehme nicht selten die Krankheiten der Menschen auf, die mich umgeben. Ich musste raus. So ging ich Brot fuer Giselle einkaufen. Auf dem Weg stand auf einem Aufkleber „escape Gegenwind“. Das Gefuehl, dass es besser ist, abzuhauen, hatte ich auch. Giselle bot mir ihre Monatskarte bis Montag an und so ass ich nur noch bei ihr Kartoffeln mit Moehren, nahm schnell ein paar Sachen aus meinem Rucksack, die ich nicht brauchen wuerde waehrend ich einen heftigen Migraeneanfall mit Uebelkeit und Schweissausbruechen bekam und stob davon.

Am Bahnhof angekommen, wollte ich eventuell zu einer anderen Freundin etwas weiter  entfernt fahren. Es fuhr auch gerade ein Zug in die Richtung, also stieg ich ein. Doch er war zu voll und es gab keinen Sitzplatz. So schlecht wie es mir ging, wollte ich dann doch nicht fahren, um spaet anzukommen und auch nicht gleich schlafen zu koennen… So stieg ich eine der naechsten Haltestellen aus und legte mich neben den Bahnsteig auf meine Isomatte ins Gras. Zwei Minuten spaeter kam die Polizei. Zwei Beamten, die zwar nett waren und um mich besorgt, aber trotzdem meine Papiere verlangten, die sie ueber Funk ueberprueften. Ich fuhr mit dem naechsten Zug zurueck, um bei einer anderen Bekannten vorbeizuschauen. Sie war da.

„Du kommst mir etwas ungelegen“, sagte sie. „Ich mache gerade sauber.“

„Ich wuerde mich nur gerne hinlegen. Mir geht es so schlecht.“

„Da, diesen Teppich habe ich schon gesaugt. Du kannst auch die Kissen benutzen.“

Ich machte es mir bequem und begann ihr die Geschichte mit Giselle und der Polizei zu erzaehlen.

„Du, es wird mir zu viel. Ich fuehle mich ueberfallen. Ich brauche meinen Raum zum Saubermachen fuer mich. Ueberhaupt mache ich jetzt die naechste Zeit nichts. Ich habe zu vielen Leuten geholfen.“

„Mach dir keine Sorgen um mich. Ich finde es gut, dass du das merkst und nicht ueber deine Grenzen gehst. Mir hat heute jemand Geld gegeben, da gehe ich vielleicht ins Hostel.“

„Ich kann dir noch fuenf Euro dazugeben.“

„Nein, lass mal.“

Ich ging einen Stock hoeher und setzte mich in den Sessel, der dort stand bevor ich mich auf den Weg Richtung Hostel machte. Doch der erste VW-Transporter, der auf der Strasse stand, war offen.

So hatte ich eine trockene Unterkunft fuer die Nacht, denn es regnete staendig.

Den naechsten Tag verbrachte ich damit, von einer Ecke der Stadt zur anderen zu fahren. In einem etwas entlegenen Stadtteil schaute ich, ob eine fruehere Bekannte noch dort wohnte, die aber wie ich erfuhr, schon seit Jahren umgezogen war. Dann schaute ich mir eine verschlossene alte Wagenburg an und traf dort einen Typ, der ganz komisch drauf war. Er meinte dumpstern waere Diebstahl und er wolle sein Geld lieber ehrlich verdienen, sucht aber seit einem Jahr eine Wohnung und hat Schulden! Aber er wollte einen Verein gruenden, um erstmal sich selbst zu helfen…

Dann fuhr ich in den naechsten Stadtteil und fand gleich ganz viele Bau- und andere Waegen ueberall rumstehen. Noch dazu war da ein offener Gemeinschaftsbereich, in dem ich Feuer und ein paar Leute sah. Vier Frauen sassen um den Tisch und luden mich zum Essen ein, zu leckeren Nudeln mit Tomatensosse.

„Du hast Glueck. Hier ist nicht jeden Abend was los. Ich habe heute was gekocht fuer meine drei Freundinnen, die zu Besuch kamen. Sie wohnen auch in Waegen, aber nicht hier. Wir traeumen davon, irgendwann einmal zusammen zu wohnen.“

Wir waren den ganzen Abend zusammen und es war sehr schoen. Gegen ein Uhr nachts fragte mich die Bewohnerin:

„Hast du was zum Schlafen?“

„Nein.“

„Du kannst in dem Bauwagen hier uebernachten. Er ist von einem Jungen, der sowieso fast nie da ist. Es gibt nur keine Heizung.“

„Kein Problem.“

Ich wachte frueh auf – es regnete wieder. Ich stuerzte mich gleich an die Arbeit, um den Gemeinschaftsbereich etwas sauber zu machen. Mein Nachbar trank einen Kaffee und freute sich ueber meinen Einsatz.

„Ja toll, wir vermieten dir gleich was.“

„Ja, gerne.“

„Du kannst auch alles nehmen, was zu Essen da ist.“

„Ja, danke.“

Dann lernte ich einen Jungen kennen, der sich ebenfalls bewegt und nicht fix irgendwo steht.

„Letztes Jahr war ich in Portugal, aber dieses Jahr weiss ich noch nicht. Ich wuerde gerne in die Tuerkei, aber ich habe einen Sohn und der ist zum Teil auch bei der Mutter.“

Er gab mir die Wegbeschreibung fuer eine Wagenburg in Frankreich.

„Hier ist es nett. Die Leute sind locker“, schloss er.

Als ich Giselle die Monatskarte zurueckbrachte, kamen wir irgendwie auf das englische Koenigshaus zu sprechen.

„Maria Stuart war die letzte rechtmaessige Koenigin, bis sie sie umgebracht haben. Und Kaspar Hauser war auch so ein Fall. Es war das Haus Baden, das den eigentlichen Nachfolger ausgesetzt hat. Er wurde in einem Schloss in Dunkelheit gefangen gehalten. Spaeter wurde er von einem englischen Gentleman aufgenommen und in gute Kleider gesteckt. Als er erwachsen war, fragte sich Kaspar Hauser irgendwann, wer seine Eltern waren. Er sah seine Mutter eines Tages in einer Kutsche vorbeifahren und spuerte, dass sie es war und sie war wohl auch wie elektrisiert. Sie wollten ihn schon frueher umbringen, aber dann haben sie es doch erst spaeter getan. Das war das Haus Baden.

Wie auch die deutsche Revolution. Die haben naemlich ganz schoen rebelliert. Und es sah fast so aus, als wuerden sie gewinnen. Der preussische Koenig wollte schon abdanken. Doch dann holte sich Baden die Unterstuetzung vom Heer des russischen Zaren und von Oesterreich. Nur dadurch haben sie die Revolution besiegt.

Deutschland haette nach der Wiedervereinigung die Chance gehabt, das Positive von beiden Staaten zu uebernehmen und als Vorreiter fuer die Welt etwas voellig Neues aufzubauen. Aber sie haben ihre Chance verpasst. Der Kapitalismus hat gesiegt. So wurden ganze Firmen, Haeuser und Grundstuecke fuer einen Euro verkauft.“

Nach ausgiebigem Fruehstueck mit gedumpstertem Biozeug packte ich am naechsten Tag meine Sachen, um weiterzufahren. Trampen ging nicht, da es staendig regnete. Also ging ich zum Bahnhof. Bloss war mir die Fahrkarte zu teuer und die guenstigere Verbindung hatte ich verpasst. Ich wusste nicht, was tun. Ein aelterer Herr kam vorbei und fragte nach einer Zugverbindung. Ich machte seinen Zug ausfindig. Er setzte sich auf eine Bank.

„Was hatte ich fuer einen Tag!“ stoehnte er. „Ich habe meine Lebensgefaehrtin im Krankenhaus besucht. Sie hatte eine Hueftoperation und mit der Narkose ging es nicht gut aus. Nun ist sie in der Psychiatrie.“ Er weinte. Ich legte meinen Arm um seine Schulter.

„Vielleicht wird das ja wieder.“

„Das hoffe ich auch.“

Er beruhigte sich wieder.

„Ich nahm den Bus zum Krankenhaus. Es gibt zwei Busse; bei dem, den ich nahm, musste ich noch 300 Meter laufen. Und das im Regen. Dann waeren es nochmal 700 Meter bis zur Pforte gewesen. Zum Glueck haben sie mich dann hingefahren, als ich sagte, ich koenne nicht weiter laufen. Ich muesste mich naemlich auch operieren lassen. Aber ich wollte warten bis meine Lebensgefaehrtin sich von ihrer Operation erholt hat. Und jetzt das. Ich bin naemlich 79 und sie ist ebenso alt. Das ist Schicksal.“

Er hob den Kopf.

„Schauen Sie dort drueben die Leute. Alle starren sie auf ihr Handy.“

„Das ist mir gestern auch schon aufgefallen. Die Leute stehen nebeneinander und jeder spricht mit jemand anderem am Telefon, statt dass sie sich miteinander unterhalten. “

Als ich ihm erzaehlte, dass ich nicht wisse, was tun, weil mir die Fahrkarte zu teuer war und ich die guenstige Verbindung verpasst hatte, gab er mir Geld fuer die Fahrt. Ich musste nur zwei Euro fuenfzig zuschiessen. Gluecklich fuhr ich zu meiner Wahlmama.

Unverhofft kommt oft

Zum Duschen ging ins ins Vagabundencafe, blieb jedoch nicht lange, da mir die Leute zu unangenehm waren. Ich schaute bei der Kleiderkammer fuer die Armen vorbei und erstand einen kunterbunten Poncho. Als ich zurueck zum Parkplatz fuhr, traf ich Jay.

„Ich habe seit einer Woche aufgehoert zu Rauchen, doch mir geht es so schlecht. Die Sinusitis ist so stark; ich kann langsam nicht mehr.“

„Ich hatte letzt auch drei Tage aufgehoert zu rauchen und dann ging es mir so schlecht, dass ich dachte, da rauche ich lieber. Ich hatte grosse Attacken von Langeweile. Das Rauchen hat auch grossen Einfluss auf die Gefuehle. Jedes Mal, wenn ich aufhoere zu Rauchen, weine ich erstmal zwei, drei Stunden. Und ob es jetzt fuer laenger ist, dass ich aufhoere, weiss ich noch nicht. Ich sprach letzt mit einer Frau, die fuer drei Wochen aufgehoert hat. Ich bin noch nicht bei drei Wochen. Kann gut sein, dass ich dann wieder anfange. Es kommt auch darauf an, wie man aufhoert. Wenn man mit Gewalt aufhoert, funktioniert das nur fuer einen kurzen Zeitraum, aber nicht auf lange Sicht.“

„Aber ich muss aufhoeren!“

Ich versuchte ihn zu ueberreden, mit mir zum Bus zu kommen, um ihm ein wunderschoenes Kissen fuer seine neue Wohnung zu geben, das ich gefunden und repariert hatte, aber er wollte nicht.

„Ich bin heute keine gute Begleitung“, gab er mir zur Antwort.

„Du redest wie ich.“

„Nein, ich komme heute abend oder morgen vorbei. Du bist doch sicher morgen noch da.“

„Morgen gibt es fuer mich nicht. Es gibt nur heute.“

Nichts zu machen. Es kam dann einer dazwischen, der uns um einen Euro anbettelte, um sich einen Kaese zu kaufen.

„Ich habe Kaese gefunden. Ich kann dir welchen geben. Ich gehe ihn holen.“

Ich packte ihm noch zwei Tomaten mit ein und er bedankte sich vielmals.

„Ich bin seit 32 Jahren am Reisen. Eigentlich bin ich Italiener. Ich habe fuenf Kinder. Eines davon habe ich heute gesehen. Der Aelteste ist sechsundzwanzig, der Juengste sieben. Ich habe mein Leben gelebt. Jetzt mache ich Strassentheater mit Feuer. Heute Abend, wenn es dunkel wird, mache ich eine Auffuehrung auf dem Boulevard, falls du kommen willst…“

Er quatschte dann andere Leute an und verschwand.

Ich begann in jeder freien Minute Dan Millmanns „Way of the peaceful warrior“ zu lesen. Als ich auf der Wiese vor der Bibliothek in der Sonne sass, kam ein Mann vorbei und fragte, ob die Wiese nicht nass waere. Ich zeigte ihm, dass die Unterseite meiner Decke aus Plastik war und wir kamen ins Gespraech.

„Ich bin gerade angekommen nach zweieinhalbstuendiger Fahrt. Mein Sohn ist hier im Gefaengnis und ich gehe ihn nachher besuchen. Wenigstens habe ich es schon gefunden. Er hat zehn Monate bekommen, weil er mit einem Gewehr auf Zigeuner geschossen hat. Obwohl er niemand verletzt hat. Und in seiner Wohnung haben sie das Wasser und den Strom abgestellt.“

„Wenn Sie etwas brauchen oder ich Ihnen irgendwie helfen kann…“

„Ich werde erstmal was Essen und Tabak fuer ihn holen. Dann komme ich wieder. Falls Sie dann noch da sind…“

Als er weg war, dachte ich staendig daran, dass er vielleicht jemanden zum Haushueten braeuchte. Als er zurueckkam, bot ich ihm dies an.

„Ja, das koennte interessant sein, denn er hat niemand im Moment, der sich um seine Sachen kuemmern kann. Mit seiner Freundin ging es auseinander, die kann er auch um nichts mehr bitten. Ich gehe auf jeden Fall jetzt mal zu ihm. Wo kann ich dich nachher treffen?“

„Ich bin wahrscheinlich hier nebenan im Internet und wenn nicht in meinem Bus, der auf dem Parkplatz dort hinten steht.“

In der Sonne war es direkt noch zu warm. Ausserdem gab es Laermquellen von zwei Seiten: einer Baustelle und den Laubsaugern. So ging ich ins Internet bis er vorbeikam.

„Ich habe den Wohnungsschluessel nicht bekommen, weil der Zustaendige nicht da war. Ich muss morgen frueh wiederkommen. Das heisst, ich muss hier etwas zum Uebernachten suchen. Man hat mir eine Herberge empfohlen.“

Ich bot ihm sogar an, im Bus zu uebernachten und ich im Zelt, aber das wollte er nicht so recht annehmen.

„Ich bin behindert. Ich wurde zweiunddreissig Mal am Ruecken operiert und nehme Morphium jede Stunde; acht bis zehn Stueck pro Tag. Eine Packung kostet ueber dreissig Euro. Ich nehme fuenf am Tag mit je drei Stueck. Ich hatte einen Unfall mit vierundzwanzig Jahren. Seitdem bin ich behindert. Und ich habe nicht gerade viel Geld. Wenn dann mit meinen Kindern etwas ist, kann ich ihnen nicht mal helfen. Wenn es regnet, kann ich gar nichts machen. Die letzten zwei Tage hat es bei mir geregnet, da lag ich nur im Bett.

Normal bin ich sehr schuechtern. Ich rede mit kaum jemandem. Erstaunlich, dass ich dich angesprochen habe. Und ich bin immer zuhause. Heute habe ich viel gemacht.“

Ich begleitete ihn zur Herberge. Sie hatten jedoch nur noch ein Zimmer ohne Fernseher.

„Ohne Fernseher will ich es nicht. Ohne Fernseher kann ich nicht sein. Ich schlafe nachts nicht lange, vielleicht eine dreiviertel Stunde, dann wache ich auf.“

Am Ende nahm er ein teureres Studio mit Fernseher. Wir gingen noch etwas trinken, aber am naechsten Tag merkte ich, dass das zu viel des Guten gewesen war.

Ich wollte von all dem nichts mehr wissen und nachdem ich meine Flaschen mit Wasser gefuellt hatte, fuhr ich weg. In den Ort, in dem am Wochenende das Fest der Medizinalpflanzensammler stattfinden sollte.

Ich stellte mich auf einen der vorgesehenen Parkplaetze, auf dem noch andere Wohnmobile standen. An dem ganzen naechsten Tag lernte ich nur einen Menschen kennen, der mich nicht sonderlich interessierte und traf nur einen, den ich kannte: den schwarzen Eisverkaeufer. Er erzaehlte mir genauer wie es sich mit dem Nachbar von Dominique verhielt.

„Er war sauer, weil ich ueber sein Grundstueck gefahren bin.“

Am naechsten Tag traf ich immerhin noch den pendelnden Automechaniker und eine Spanierin, die mir Dominique einmal vorgestellt hatte. Pierre erklaerte mir genau wie viel Azeton ich in den Tank fuellen soll, um etas weniger Sprit zu verbrauchen und abgasfreundlicher zu fahren: zwei Zentiliter auf 10 Liter Diesel. Die Spanierin unternahm mit mir einen kleinen Spaziergang. Nachher schenkte sie mir Gemuese, das ihr Ex-Freund ihr gegeben hatte.

„Er arbeitet im Oekomuseum hier in der Naehe in einer Reintegrationsmassnahme. Sie lernen dort wie man auf einem Bauernhof arbeitet, um spaeter in der Landwirtschaft Arbeit finden zu koennen. Es ist sympathisch dort. Da koenntest du auch mal hinfahren. Es ist allerdings schon bergig. Es geht ziemlich bergauf von hier aus.“

Mir hatte letztes Jahr schon jemand von diesem Oekomuseum erzaehlt. Und eine Frau auf einem der Staende liess verlauten, dass letztes Jahr ein Campingbus fuer zwei Wochen dort auf dem Parkplatz stand. Ich konnte naemlich einen Abstellplatz gebrauchen, um meine Post holen zu gehen, die immerhin etwa 125 Kilometer weit entfernt war, zu weit, um mit meinem Bus hin-und wieder zurueckfahren.

Am Ende der Veranstaltung bekam ich von einem Autor noch ein Maengelexemplar ueber essbare Wildpflanzen geschenkt, worueber ich mich sehr freute. Und danach fuhr ich zum Oekomuseum. Ich fragte am Morgen, ob ich meinen Bus dort alleine stehen lassen duerfe.

„Gar kein Problem“, gab mir die Frau am Empfang freundlich zurueck.

So packte ich meine Sachen zusammen und machte mich auf den Weg, um meine Post zu holen. Ich lief die ganze Strecke bis zur naechsten Ortschaft zu Fuss, etwa sechs Kilometer weit. Es kamen drei Wagen an mir vorbei, die mich jedoch nicht mitnahmen. Alle anderen fuhren in die Gegenrichtung. Ueber Umwege landete ich an einem See, an dem ich noch nie zuvor gewesen war. Ich spazierte mit meinem Rucksack bepackt ein Stueck am Ufer entlang bis mich ein Hund ansprang und anklaeffte. Sein Herrchen kam gleich hinterher.

Es handelte sich um einen deutschen Angler aus Bayern, der mich einlud, bei ihm Platz zu nehmen und einen Tee zu trinken. Ich erfuhr, dass er am Ende der Woche zurueck nach Deutschland fuhr und bereit war, mich mitzunehmen. Ich wollte naemlich eigentlich schon den ganzen Sommer ueber nach Deutschland, aber mangels eines gescheiten Abstellplatzes fuer den Bus war ich dann doch nicht gefahren. Es war recht spaet geworden und so trampte ich zurueck, um am naechsten Tag einen erneuten Anlauf zu unternehmen. Diesmal gelangte ich ohne Probleme, aber auf groesseren Umwegen an den Ort, an dem ich schliess- und endlich die viel zu teure Autoversicherung meines Ex-Freundes kuendigte, was seit einem Jahr auf dem Plan stand, aber in Frankreich nur einmal pro Jahr, zum Stichtag eben, moeglich ist. Es war eine Unterschrift im Wert von fast tausend Euro, die ich leistete. Tausend Euro, die nun nicht mehr bezahlt zu werden brauchten.

In der Stadt meiner Postadresse traf ich einen entfernten Bekannten mit einer Dose Bier in der Hand. Ich dachte, er sei unter die Menschen ohne Zuhause gegangen, doch nein.

„Ich wohne jetzt hier in der Stadt. Das Haus, indem ich wohnte ist letztes Jahr durch den Schnee kaputtgegangen. Da war ich gezwungen, hierher zu gehen. Aber es gefaellt mir nicht. Ich wuerde lieber auf dem Land wohnen.“

Ein Typ mit ziemlichem Bauch, um nicht zu sagen Wanst gesellte sich zu uns.

„Und du bist auf der Reise?“ sprach er mich an.

Ich erfuhr, dass er im gleichen Dorf wie Raphael wohnte, bei einer Frau mit einer 26-jaehrigen und einer 18-jaehrigenTochter und das in einer Sozialwohnung.

„Im Dezember gehe ich weg. Vielleicht kannst du dann bei ihr wohnen. Du kannst heute bei mir schlafen, dann lernst du sie kennen. Ich uebernachte im Wohnzimmer auf einer Couch.“

Nachdem ich ein wenig aus meinem Leben erzaehlte, meinte er:

„Ich bin auch Nomade, aber mit fixen Orten. Ich habe zwei feste Orte in der Stadt, beides Squats und hier bin ich wegen meiner Tochter. Sie ist sechzehn und lebt in einer Gastfamilie bei einer Ballettaenzerin mit deren 18-jaehrigen Tochter. Mit der Mutter meiner Tochter bin ich noch locker befreundet. Uebrigens, wir koennen mit dem Zug fuer einen Euro zurueckfahren. Er faehrt um halb acht.“

Wir hatten noch eineinhalb Stunden Zeit und ich zeigte ihm den Park am Flussufer, der ihn jedoch nicht sonderlich interessierte. Im Zug trafen wir seine Mitbewohnerin, die, wie wir erst nach einiger Zeit feststellten, direkt neben uns sass. Es wurde ein netter Abend, bloss am naechsten Morgen rastete er aus. Erstens weckte er mich um viertel nach acht. Dann fragte er mich schon im Bett tausend Fragen, wie wann ich gehen wuerde und so. Was weiterging, nachdem er mit dem Hund zurueckkam. Als ich ihn bat, mit seinen bloeden Fragen aufzuhoeren, bekam er einen Totalausraster. Er hoerte gar nicht mehr auf zu reden: dass er in Brasilien zu fuenfzehn Jahren verurteilt waere, in Mexiko zu zehn und ich weiss nicht wo noch alles zu wie vielen Jahren, dass er ein famoeser Hausbesetzer sei, schon riesige Feuersaeulen gegen die Polizei errichtet hatte, wenn ich was mit ihm machen wuerde, dann auch Probleme mit der Polizei kriegen wuerde und und und. Er war aggressiv bis zum Anschlag, respektlos uns Frauen gegenueber, grenzueberschreitend und fast schon verletzend. Und er machte einem angst.

So machte ich mich lieber auf, um meine Post zu holen und trampte zurueck zu meinem Bus. Ich stellte mich auf den Wohnmobilparkplatz in die Stadt. Eine Frau in einem Kleinbus stand ebenfalls dort und ich kam mit ihr ins Gespraech. Sie brachte mich allerdings schon innerhalb von fuenf Minuten auf die Palme, indem sie ebenfalls lauter bloede Fragen stellte. Wie zum Beispiel, ob der Bus meine Zweitwohnung waere… Sie habe jetzt eine Wohnung hier gemietet.

„Ich finde alle Leute in unserem Alter sollten eine Wohnung haben.“

Ja, das fand ich auch.

„Ach, das soll man gar nicht sagen, oder doch? Gerade erst recht, um etwas zu veraendern,“ schob sie hinterher.

Dann ging es um Spanien, das im Winter waermer ist. Aber sie sah nicht einmal ein, dass Spanien wesentlich gefaehrlicher als Frankreich ist. Sie hatte einfach ueberhaupt keine Ahnung. Zum Glueck kam ein Auto angefahren und blieb mit laufendem Motor stehen. Der  Laerm stoerte sie derart, dass sie Tuer zumachte. Ich nutzte die Gelegenheit, abzuhauen, obwohl sie mich eingeladen hatte, in ihren Wagen zu kommen.

Dann sah sie mich, als ich mit dem Fahrrad wegfuhr.

„Faehrst du spazieren?“ fragte sie in einem dermassen bloeden Tonfall, dass es mir schon wieder reichte. Und als ich wiederkam und ihr ein Brot anbot:

„Brot, nein danke, ich esse nur bio, aber das ist nett. Klapperst du die ganzen Geschaefte ab und schaust in die Muelltonnen?“

Ich hatte keine Lust, auch nur noch einen weiteren Satz mit ihr zu wechseln und dampfte ab, um mir etwas zu Essen zu machen.

Am naechsten Tag begann ich zu packen bevor ich ins Internet ging und die Fotos von indischen Goettern ausdruckte, die mir Jay zugemailt hatte. Das Bild von Krishna und seiner Frau Radha hatte eine Groesse von exakt 66,6 Kilobyte, was mir nicht gerade Vertrauen einfloesste.

Am Abend schaute ich noch bei Tom vorbei, der sich offenbar ueber meinen Besuch freute.

„Ich habe seit gestern einen neuen Fernseher, schau.“

„Der ist aber interessant; ein Flachbildschirm. Er stoert mich gar nicht. Alle anderen Fernseher stoeren mich ungemein, wenn sie angeschaltet sind wegen der enorm negativen Energien, die sie ausstrahlen. Dieser jedoch ueberhaupt nicht.“

Ich fand die Bedienungsanleitung.

„Es ist ein LCD-Bildschirm, deshalb.“

„LCD? Genau. Mein Nachbar hat ihn gestern eingestellt.“

Tom schaute viel besser aus als zuvor.

„Wie geht’s dir?“

„Besser. Ich habe eine Siesta gemacht und sogar gegessen.“ Er laechelte.

Dann schaute ich mir wieder ein Buch ueber Drachen an. Auch hier stand die Geschichte von Tristan und Isolde und auch, dass in der westlichen Welt Drachen durchweg als boese angesehen werden, waehrend sie in China als Gluecksbringer gelten.

„Ich finde bloss ein Buch nicht,“ sagte er, „‘Der Pfad des friedvollen Kriegers‘.“

„Von Dan Millmann. Das habe ich. Das hast du mir gegeben. Ich habe es schon zu zwei Dritteln gelesen. Wenn ich es fertig habe, gebe ich es dir zurueck.“

Er gab mir Schokolade und ich ass fast die ganze Tafel.

„Ich selbst habe aufgehoert, Schokolade zu essen,“ berichtete er. „Meine fruehere Freundin hat mir ganz viele Tafeln gekauft. Sie sind alle noch da. Das ist sie, da auf dem Foto. Neben dem Tipi aus Plastik. In dem hat sie ihr letztes Kind zur Welt gebracht. Es ist auf einer Insel im Fluss, wo man nur durch ein Seil hinkommt. Kein Arzt wollte zu ihr kommen, als sie entbunden hat. Dann habe ich sie die naechsten Tage nach der Geburt jeden Tag ins Krankenhaus gefahren. Jetzt hat sie ein Haus gemietet, aber sie lebt kaum darin. Sie hasst es. Sie schlaeft mit ihren beiden Kindern in ihrem Bus. Der Grosse ist jetzt fuenf, die Kleine ein Jahr alt. Und sie kuemmert sich um die Beiden ganz allein. Sie hat sich vom Vater, einem Freund von mir, getrennt.“

„Sie sieht symphatisch aus. Ich wuerde sie gerne kennenlernen. Ja, mir scheint fast, ich wuerde sie kennen.“

Von ehemaligen Gefaengnisinsassen und Rainbow warriors

Mir gingen noch die Gespaeche mit meinen Strassenkuenstlernachbarn im Kopf herum.

« Wir duerfen unsere Autos jetzt nur noch 24 Stunden auf einem Parkplatz parken. Und es ist nicht mehr erlaubt, mit einem Menschen ohne Zuhause zu sprechen. Das ist ein Gesetz gegen wohnungslose Menschen, damit sie nicht mehr miteinander sprechen. Eine Frau bekam eine Strafe ueber 35 Euro, waehrend sie mit ihnen sprach.  Sie dachten , sie sei wohnungslos, doch sie war eine Studentin fuer Recht. »

« Und jemand erzaehlte mir letzt, es sei verboten als eine Gruppe von Leuten draussen zusammen zu sitzen, ausser im Sommer. »

« Gruppen von mehr als drei Personen sind verboten. Ich habe die ganze Zeit Probleme mit der Polizei. Wir sind in ganz Frankreich mit dem Bus unterwegs gewesen. Doch die schlimmste Region, wo wir die meisten Probleme mit der Polizei hatten, die gewalttaetiger als sontwo war, war im Suedosten. Und im Elsass checken sie alle Leute, ob sie Cannabis rauchen. So haben alle Leute dort, die wir kannten ihren Fuehrerschein deswegen verloren. Und dort ist so viel Polizei, dass sie einen frueher oder spaeter erwischen.

A propos Cannabis. Cannabis ist eine Pflanze, die umso besser THC produziert, je schlechter man sie behandelt. Wenn du sie in guten Boden setzt, wird sie nichts ; wenn du hingegen Sand in die Erde mischst, waechst sie gut. Erstaunlich nicht ? Es ist ein Unkraut.

Und wusstest du, dass die meisten Dinge in Frankreich einen von drei Firmen gehoert ? Kanalisation, Telekommunikation usw. Wenn du ein Haus baust, kommen sie und machen dir die Kanalisation. Du hast kein recht, dir dein eigenes System zu kreieren.

Aber in China stecken sie die Leute, die eine bestimmte Religion (Falun Gong – Anm. d. Verf.) verfolgen in Konzentrationslager und verkaufen all ihre Organe, wenn sie tot sind. Und eine beruehmte franzoesische Kosmetikfirma, die mit O. anfaengt, benuetzt Kollagen von Kadavern in ihren Cremes. «

Alles starker Tobak.

Auf dem Weg hielt ich kurz an einem Wohnmobilstellplatz und sprach mit den Besitzern eines Wohnmobils.

« Wir waren im Sommer am Strand auf einem Parkplatz mit vielleicht hundert Wohnmobilen  und in der Nacht raubten sie vier Wohnmobile aus. Unser Nachbar hatte keine Papiere und kein Geld mehr, einfach nichts. Nicht mal einen Fuehrerschein. Und wir anderen hoerten nichts. Sie spruehten Gas in die Fenster und so schliefen die Leute. Am Morgen wachten sie benommen auf und sahen, was los war. »

Danach besuchte ich meine Bekannte Dominique. Sie oeffnete die Terrassentuer.

« Ich bin krank. Ich habe Fieber und Angina. Aber wenn du mit deinem Bus hier bleiben willst, bist du willkommenn. »

« Ich bin eher vorbeigekommen, um dich zu besuchen und zu schauen, wie es dir geht. Brauchst du irgendwas ? »

« Nein, ich habe alles, was ich brauche, danke. Willst du einen Tee trinken ? »

« Ja, gerne. »

Sie schaute fern.

« Ich habe immer Probleme mit meinem Nachbarn. Er mag keine Hippies. Jetzt will er einige von meinen Freunden hier nicht mehr sehen. Einer davon ist der Schwarze, der das Eis auf dem Markt macht. Er wollte hier Haushueten, wenn ich unterwegs bin. Ich bin sogar auf die Polizei deswegen gegangen. Aber ich sprach nicht mit dem richtigen Polizeibeamten. Er wollte nicht, dass ich irgendetwas unternehme. Naechste Woche gibt es eine interessante Veranstaltung ueber Medizinalpflanzen in der Naehe. Dort moechte ich hingehen. Jetzt gibt es einen interessanten Dokumentarfilm ueber die Alpen. Den moechte ich gerne sehen. »

« Ich ziehe es vor, zu gehen und ein andermal wiederzukommen. »

« Du kannst auch deinen Bus hier lassen, wenn du ohne ihn reisen willst. Ueberlege es dir. »

Ich uebernachtete im naechsten Dorf bevor ich in die Stadt weiterfuhr. Als ich am Abend Wasser von einem Brunnen holte sprach mich ein junger Mann an.

« Du holst aber viel Wasser. »

« Ja, ich brauche viel Wasser. »

« Ich bin neu hier in der Stadt. Ich komme gerade aus dem Gefaengnis. Der Richter sagte, ich soll fuer fuenf Jahre hierbleiben. Aber es scheint eine sehr kleine Stadt zu sein. »

« Das stimmt. Aber es ist nicht der schlechteste Ort. Ich komme hin und wieder vorbei. «

« Jetzt bin ich seit drei Wochen auf der Strasse. Aber ich bin ein luxurioeses Leben gewoehnt.  Ich komme gerade aus der Grosstadt. Gestern war ich am Vagabundenrestaurant und dort wurde ein Freund von mir mit einer Axt geschlagen. Ich bin abgehauen und hierher gekommen. Ich glaube, sie suchen mich.

Und ein Freund von mir ist, als er von der Arbeit kam in eine Demonstration geraten und wurde mit dem Gummiknueppel auf die Nase geschlagen. Er sieht kaum noch was und wenn, dann nur ganz unscharf. Seine Augen sind rundherum blau fuer immer. Die Venen sind kaputt gegangen. Und es war sogar auf dem Video zu sehen, dass er nichts mit der Demonstration zu tun hatte und abseits war, aber das interessiert sie wenig. »

« Einer erzaehlte mir letzt, er war mit Freunden in einer Bar und da kam die Polizei mit Hunden vorbei und griffen sie an. Es war ganz klar provoziert. »

Ich nahm ihn mit auf Dumpstertour, fand an dem ueblichen kleinen Supermarkt aber nichts. Dann zeigte ich ihm, wo er fruehstuecken kann.

« Ich habe Autos geklaut und Benzin. Sie haben 12 Behaelter mit 500 Litern bei mir gefunden. Mein Vater war immer im Gefaengnis. Als ich fuenf Monate alt war, kam er in den Knast. Er hat jemanden todgefahren. Mit Absicht. Er war verrueckt. Ich sah ihn immer nur im Gefaengnis. Vierzehn Jahre war er dort, dann starb er. »

Er telefonierte immer wieder.

« Ein Freund hat mich eingeladen, zu ihm zu kommen. Er hat eine Wohnung. Ich habe nein gesagt. Ich bleibe lieber hier und schlafe draussen. Er meint, ich waere verrueckt. Aber er wohnt in einer anderen Stadt und kommt auch gerade aus dem Gefaengnis. Und ich habe aufgehoert zu rauchen und zu trinken. Ich moechte ein anderes Leben beginnen. «

Ich zeigte ihm noch, wo er im Trockenen schlafen kann, falls es regnet und er witzelte immer wieder, dass er sich frage wie er an eine Gefaengniszelle kommen kann fuer eine Nacht. Zwischendurch sprach er eine Wahrheit aus : « Die, die wenig haben teilen das, was sie haben und die, die viel haben geben nichts. »

Ich fuhr dann auf den Wohnmobilparkplatz und machte mir dummerweise beim Einparken ein Ruecklicht kaputt, genauer gesagt den Blinker. Ich reparierte ihn am naechsten Tag notduerftig mittels einem Fahrradreflektor, was ziemlich gut funktionierte.

Am Abend sprach ich einen Alt-Hippie an, der mir schon am Mittag aufgefallen war wie er in einer Jacke aus Regenbogenfarben auf der Terrasse einer Bar sass. Er hatte graue lange Haare und ein kleines Kopftuch auf. Er war Englaender und sprach nur rudimentaer franzoesisch. Doch er verstand mehr, als er sprach. Er lud mich gleich zu einem Tonic Water ein und ich erfuhr, dass er viel gereist war, vor allem auch in einem Bus.

« Ich hatte eine Freundin und wir sind zusammen gereist, aber dann habe ich den Bus verkauft. Dann hat sie mich verlassen und war mit meinem besten Freund zusammen. Ich habe sie einander vorgestellt. Ich habe auch zwei Jahre in Deutschland gelebt – in einem Bauwagen in einer Wagenburg. Ich habe in einer Bar gearbeitet. Jetzt bin ich schon dreizehn Jahre in Frankreich. Ich war Rainbow Warrior und habe auf Baeumen gelebt. Wir haben Tunnels gebaut und Fallen gestellt. Eigentlich wollten wir alle nach Spanien und einen Tunnel bauen, aber dann kamen wir hierher… Drei Jahre habe ich hier auf der Strasse gelebt. Jetzt habe ich eine kleine Wohnung. Ich komme gerade aus dem Krankenhaus. Mich hat man drei Monate wegen Depressionen behandelt. Ich nehme vier Tabletten am Tag. Jede Woche muss ich einmal meine Medikamente holen und einmal im Monat zum Arzt.

Meine Ex-Freundin kommt mich immer wieder besuchen. Sie reist auch viel mit ihrem Bus umher. »

Es schaute dann ein Bekannter von ihm vorbei, der jemanden suchte, um ihn in ein nicht sehr weit entferntes Dorf zu fahren.

« Ein paar Pferde eines Freundes sind ausgerueckt und wir muessen sie wieder einsammeln. »

Ich bot ihm an, ihn zu fahren, aber als ich von der Toilette zurueckkam, war er schon nicht mehr da. Es hatte sich jemand anderes seiner erbarmt.

Ich nahm Tom mit zum Bus, um etwas zu essen. Er wollte jedoch nichts essen und redete auch gar nicht mehr. Er sagte ja, er wuerde trinken, um zu reden und jetzt trank er nicht mehr…

Am Wochenende fuhr ich raus aus der Stadt und hielt an einem See. Ich trampte in den naechstgroesseren Ort, um zu dumpstern, wo mir ein Typ ueber den Weg lief, der ebenfalls gerade auf Dumpstertour war.

« Wir finden hier immer Sachen, dass es fuer zwei Wochen fuer die ganze Familie reicht. Und wo kommst du her ? »

« Aus Deutschland. Und du ?»

« Ich habe schon in ganz Frankreich gelebt, in Italien und Griechenland. »

Wir fanden eine ganze Menge Trauben, die er mir aus der Tonne fischte.

« Kommst du noch mit zu meiner Freundin etwas trinken ? »

« Fuer einen Moment. Ich muss noch zurueck zu meinem Bus bevor es dunkel wird. »

Seine Freundin war unglaublich nett und lud mich zu einem leckeren Essen ein : Lachsquiche und ueberbackenem Blumenkohl. Und Brot, Hokkaidokuerbis und Pains au chocolats gaben sie mir auch noch mit.

Mit « komm wieder jeder Zeit », verabschiedeten sie sich.

Zurueck in der Stadt traf ich Tom zusammen mit dem Freund, der jemanden zum Fahren gesucht hatte. Sie assen in einem neuen Restaurant zu Abend.

« Sie haben am Freitag aufgemacht. Es ist das internationalste Restaurant am Platz. Eine kommt aus Venezuela, die andere aus Katalonien. Komm, iss. Das Omelette ist phantastisch. »

« Ah, ich mag lieber die wilden Kartoffeln. »

« Bedien dich. Wir teilen alles. Das Omelette habe ich heute mittag schon gegessen. Ich bin naemlich eigentlich Spanier, aber ich lebe hier. Und gut, dass du mich letzt nicht gefahren hast, denn wir wurden mit einem Gewehr empfangen. »

« Einem Gewehr ? »

« Ach, ganz normale Geschichte. Fuer mich jedenfalls. Mir passieren immer solche Geschichten. Na ja, die Pferde sind ausgerueckt, weil der Nachbar eine wunderschoene Stute hat und seine Pferde nicht kastriert sind. Sie haben den Zaun kaputt gemacht und sind abgehauen. Und ich wusste wo sie sind. Der Nachbar ist eben ein Faschist und hat uns mit einem Gewehr empfangen. Aber der mich gefahren hat, ist ein Araber und ein Schrank von Mann. Da haben sie dann schnell abgelassen. Und wir haben alles wieder in Ordnung gebracht. Ich habe ein paar Sachen geerntet, bio, die wuerde ich Euch gerne vorbeibringen. Super Cherrytomaten. Tom, koennen wir zu dir nach Hause kommen ? Bei mir ist nicht aufgeraeumt. »

Tom war einverstanden. Jetzt kam er zu Wort :

« Ich kam am naechsten Morgen mit Kaffee und Croissants zu dir an den Bus und du warst weg. Da dachte ich, ich werde dich nie wiedersehen und habe die Croissants weggeschmissen. » Er erzaehlte die Geschichte zwei mal und ich war echt betroffen deswegen.

« Ich habe einige Buecher, die ich dir zeigen wollte, aber ich kann sie nicht holen. Zwei meiner Finger sind gebrochen. »

Ich zog Dan Millmanns « Way of the peaceful warrior » und « Srimad Bhagavatam » hervor.

« Du kannst sie beide mitnehmen. »

« Oh, danke. »

Spaeter drueckte er mir noch eine Reihe von Buechern ueber Drachen, Feen und die Ritter der Tafelrunde in die Hand. Letzteres lieh er mir ebenfalls aus, um es zu lesen. Zwei Nachbarn kamen noch vorbei und es wurde eng in dem kleinen Zimmer. Doch bald ging ich mit den Buechern bepackt zum Bus.

Strassenkuenstlerfestival

Ich schaute mir zwei wirklich faszinierende Strassenkuenstler an. Einer jonglierte mit Plexiglaskugeln, der andere vollfuehrte einen wahren Tanz mit einem Stab mit zwei brennenden Enden. Auch die Beiden, die mich hergefuehrt hatten, traf ich beim Getraenke verkaufen. Am spaeten Abend sassen ein paar Strassenkuenstler, die mit ihren Bussen da waren noch beisammen und ich gesellte mich zu ihnen.

« Wo kommst du her ? » wollten sie wissen .

« Aus Deutschland. »

« Wir waren vor ein paar Jahren in Deutschland fuer ein paar Monate. Es hat uns sehr gut gefallen. Vor allem finanziell war es viel besser als hier. In Deutschland haben schon die Kinder eigenes Geld im Portemonnaie. In Frankreich nicht. Wir machten mal 80 Euro in fuenf Minuten. Wir waren mit dem Bus dort, einem anderen, aehnlich wie deiner. Es war alles o.k. bis es kalt wurde und wir heizen mussten. Wir hatten einen Holzofen mit einem kleinen Schornstein und sobald Rauch herauskam, kam die Polizei und schickte uns fort. Wir konnten an keinem Ort mehr bleiben und waren gezwungen, zurueckzufahren. Wir waren echt traurig deswegen.

Aber manchmal bekamen wir auch Aerger mit der Polizei. Zum Beispiel wenn sie wollten, dass wir die Reinigung der Strasse bezahlten…

Und hier auf dem Festival gibt es drei Kategorien : die IN-Leute, die eingeladen wurden und viel Geld bekommen ; die OFF-Leute, die eingeladen wurden und wenig Geld bekommen und die OFF-Out-Leute, die nicht eingeladen wurden und gar nichts bekommen. Wir sind die OFF-Out-Leute. »

Ich fuhr zum Flohmarkt, den ich per Touristoffice ausfindig gemacht hatte, aber es war keine gute Idee. Ich tat mir auf dem Weg weh und hatte dann mit einer Nachbarin zwei Staende weiter die groessten Probleme. Sie fragte naemlich ziemlich bald mit meinem Nachbarn zusammen : « Haben sie die Standgebuehr bezahlt ? » Damit war es in der Regel aus.

Und schon kam der Aufseher vorbei und bat mich, als ich nicht zahlen wollte, weil ich die Sachen kostenlos anbiete, zu gehen. Ich packte also ein, waehrend ich mit einem schwulen Paerchen sprach, die an meinen Sachen interessiert waren, weil sie offensichtlich kein Geld hatten. Bis ein anderer Nachbar mich einlud, mich zu ihm zu stellen.

« Mein Stand ist bezahlt. »

Einer der beiden Jungs war jedoch im Tabakladen gewesen, in dem der Aufseher arbeitete und hatte mitbekommen wie die Frau ihn aufforderte die Polizei zu rufen ; sie koenne mich nicht mehr sehen. Dann kam sie vorbei und fragte noch einmal :

« Haben Sie den Stand bezahlt ? »

« Der Stand ist bezahlt », gab ich zurueck, woraufhin sie behauptete, ich sei unehrlich. Der Langhaarige der beiden Schwulen meinte : « Du hast kein Glueck, aber du wirst sehen : diese Frau ist dermassen neidisch, dass sie heute nachmittag nichts mehr verkaufen wird. Denn sie hat kein Herz. Und sie ist es, die unehrlich ist, denn ihre Familie holt ihr die Sachen aus dem Muell und sie verkauft sie zu einem stolzen Preis. Viel zu teuer. »

Auf jeden Fall packte ich mein Zeug zusammen ; ich hatte genug. Eine Frau hatte sich eine meiner Tueten genommen und war so freundlich mir dies mitzuteilen, doch als ich ihr sagte, ich braeuchte die Tuete, um die Sachen zurueckzubringen, wollte sie mir die Tuete nicht zurueckgeben. Gluecklicherweise gab mir eine andere Dame vom Stand gegenueber dann eine ihrer Tueten !

Ich lief noch mit den beiden Jungs zum Bahnhof. Dort kamen Bekannte von ihnen vorbei.

« Ich habe zwanzig Jahre in einem Bus gelebt », erzaehlte einer davon. « Doch jetzt habe ich keinen mehr und bin seit einem Monat auf der Strasse. Das Leben halt. Ich schlafe bei der Bibliothek . Doch ein Bus ist schon etwas Gutes. Ein eigenes Zuhause zu haben. Ohne hat man die ganze Zeit seinen schweren Rucksack bei sich. Aber ich will dieser Tage zu meinem Sohn. Er hat ein Auto geklaut und damit einen Unfall gehabt. Er liegt im Krankenhaus in kuenstlichem Koma. Weil die Schmerzen sonst zu stark waeren. »

Ich fuhr dann vorsichtig zurueck, denn das hintere Bremskabel war inzwischen gerissen. Ich kaufte jedoch gleich ein neues und reparierte es, nachdem ich zurueckkam.

Das einzige, was ich vom offiziellen  Programm sehen sollte war eine Inszenierung, in der es laut Ankuendigung um Nomaden gehen sollte. Sie liessen die Leute erstmal ewig warten. Dann kamen ein paar Schauspieler, die sich als Indigné, Sans papiers und aehnliches ausgaben. Dann hiess es wieder lange warten bis sie mit Helmen aus dem Camp kamen. Es war die Anspielung auf ein Konzentrationslager, in dem sie gelandet waren. Mir wurde schlecht. Genau das war es : erst Indigné, dann Konzentrationslager.

Ich hatte erstmal genug vom Festival und ging dumpstern. Ich fand einiges an Obst und Gemuese. Erst spaeter schaute ich mir nochmal den « Magier » an, wie ihn jemand nannte, der auf phaszinierenden Weise verschiedene Kristallkugeln und sogar ein Zwei-Euro-Stueck in der Luft kreisen liess und meinen Nachbarn, den phantastischen Feuerkuenstler.

Am Abend und zum Mittagessen sassen wir Nachbarn zusammen.

Der Feuerschlucker erzaehlte : « Wir lebten das letzte Jahr hier in der Stadt, nachdem wir drei Jahre mit dem Bus in ganz Frankreich unterwegs waren. Es tat uns gut, uns fuer eine Weile hier zu installieren. Erst waren wir im Squat. Es ist eine Squatstadt. Es gibt vielleicht dreihundert Stueck. Einige nur mit ein bis zwei Personen, aber andere mit vielen Leuten. Du koenntest dir mal welche anschauen. Einer ist ganz bekannt. Wir fahren dort vorbei, wenn du mitkommen willst… Aber wir wollen jetzt auch wieder raus auf’s Land. Die Stadt ist Babylon.

Und mit den Squats hier ist es so : wenn sie einen schliessen, oeffnen wir drei neue. Und das mit System. So werden es immer mehr. Und das, seitdem das Gesetz Lobsy II rauskam, in dem sie den Leuten verbieten wollten, in alternativen Habitaten zu wohnen. Da bildete sich eine Gruppe, die Haeuser besetzt hat und sie haben vor Gericht gewonnen. Das machte den Weg frei, Hausbesetzungen zu legalisieren.

Du hast sicher von der Occupy-Bewegung gehoert. Damit ist es jetzt vorbei. Sie haben ein Gesetz erlassen, das es erlaubt, auf die Demonstranten zu schiessen. Sowieso haben sie alle polizeilich aufgenommen. In Frankreich ist es genauso. Deshalb gibt es jetzt fast keine Demonstrationen mehr hier. Wir leben mitlerweile in einer Diktatur.

Jetzt haben sie eine kostenlose Telefonnummer eingerichtet, wo man Leute denunzieren kann. Dort kann jeder anrufen und sagen : ‘Der und der steht schon seit einer Woche auf dem Parkplatz.’ Und das ist verboten. Und wusstest du das ? Die Franzosen haben die Leute waehrend der deutschen Besetzung denunziert bevor die Deutschen danach gefragt haben !»

Zwischendurch berichtete seine Freundin: « Ab und zu holt er sich eine Benzinvergiftung. Einmal schlief er vier Tage und ich brachte ihn ins Krankenhaus. Am fuenften Tag ist er aufgewacht. Er hatte zu wenig Sauerstoff im Blut. Damals machte ich mir wirklich ernsthaft Sorgen. Die Tage hier verbraucht er zwanzig Liter Benzin. Normal machen wir bei sieben Litern am Tag Schluss, damit er der Gefahr der Vergiftung entgeht. »

Nachdem die anderen zum Reifen reparieren fuhren und wir uns verabschiedeten fuhr ich mit dem dritten im Bunde zum Kuenstlersquat. Er war allerdings wenig interessiert.

« Ich lass die lieber ihr Ding machen und fahre mit dem Fahrrad in die Stadt. Mich interessiert das wenig. Ich wohne selbst in einem Squat. »

Er kam trotzdem mit mir auf eine Rundtour durch die alte Fabrik, in der verschiedene Kuenstler ihre Werkstaetten hatten, fuhr dann jedoch weg ohne sich explizit zu verabschieden. Ich nutzte derweil einen der Computer fuer’s Internet.

« Entweder ich drueck mich aus oder ich deprimiere » stand als Slogan auf der Website der Fabrik…

Nach langer Pause war ich ziemlich lange im Internet und fuhr dann noch mit meinem Fahrrad umher, allerdings ohne etwas Essbares zu finden. Stattdessen fand ich Buecher.

Am naechsten Morgen fragte ich den Typ, der immer wortlos neben mir am Computer sass nach einer Dusche.

« Oh, die Dusche geht mal und mal geht sie nicht. «

Er stand auf und zeigte sie mir. Es lag eine Zange auf den kaputten Armaturen, um die Wasserhaehne aufzudrehen. Aber sie funktionierte.

Zum Dank befreite ich die Toilette und den Gemeinschaftsraum von einigen dutzend Spinnweben. Nach dem Fruehstueck machte ich mich startklar zur Abreise, wusste jedoch nicht wohin genau ich fahren sollte. Doch just in dem Moment, in dem ich losfahren wollte, kam der Schauspieler mit seinem Auto vorbei.

« Ich fahre mit den anderen zu Freunden nach Wunderland. »

« Oh, ich wollte eventuell auch dorthin zurueck fahren, denn ich war dort bevor ich herkam. Vielleicht kann ich mit Euch fahren – im Konvoi. »

« Ja, komm. »

« Ich muesste nur tanken bevor wir losfahren. »

« Alles klar. »

Er lieh mir seine Geldkarte, so dass ich direkt tanken konnte ohne in der Schlange zu warten. Er schaute nicht einmal nach wie viel es gekostet hatte und nahm mein Geld dankend an. Pures Vertrauen.

Die anderen schienen jedoch weniger begeistert, dass ich mitgekommen war.

« Wir besuchen einen Freund, bei dem wir eine Person mitbringen koennen, aber keine zwei… »

« Kein Problem. »

« Aber komm bei uns zu Hause vorbei, wenn du willst… »

Ein Malheur nach dem andern

Es war herrliches Wetter und so fuhr ich mit dem Fahrrad zur Quelle, von der mir Chris  erzaehlt hatte.

« Es gibt eine Madonna-Statue dort und eine Kapelle. Das Wasser kann Wunder wirken. Mir ist, als ich dort Wasser geholt habe, Jesus erschienen. »

Da ich mit dem Fahrrad nicht viel Wasser mitnehmen konnte, aber eine grossen Bedarf an Quellwasser hatte, fuhr ich am naechsten Tag gleich mit meinem Bus hin, um eventuell dort zu uebernachten, aber als ich fast all meine Flaschen gefuellt hatte und die Nacht hereinbrach, wurde es mir unheimlich. Ich fuhr lieber auf einen anderen Parkplatz nicht weit davon entfernt.

Beim naechsten Markt schaute ich am Stand von den Hare Krishna vorbei.

« Es hat mich sehr beeindruckt, als ich letzte Woche bei Euch war. Ich habe die Woche sogar aufgehoert zu Rauchen. »

« Ich habe damals zu Trinken aufgehoert, als ich Krishna kennengelernt habe. Ich habe vorher viel getrunken. »

« Aber du rauchst noch… »

« Wir wollen ja keine Gurus werden. Wir leben auch noch mit der Materie. Aber es gibt Krishna-Anhaenger, die von einem auf den anderen Tag ihre Frau und ihre Familie verlassen und ohne alles losziehen. Ich habe auch mehrmals auf der Strasse gelebt.»

« Ich war letzte Woche nicht so sehr offen, aber es hat mir so gut gefallen, dass ich gerne mehr lesen wuerde. »

« Es gibt hier zum Einstieg diese Buecher von Swami Prabhupada : eines mit Vortraegen zu allen moeglichen Themen unserer Zeit, eines ueber Inkarnation… »

« Ach ja, das mit den Vortraegen interessiert mich. Das ueber Reinkarnation weniger.»

Ich nahm es mit, gluecklich, was Neues zum Lesen zu haben.

Mit ein paar Leuten sprach ich ueber den Englaender, der ich letzt kennengelernt hatte. Er war eine zu aussergewoehnliche Figur, als dass man seine Bekanntschaft verschweigen konnte.

« Sein Nachbar meinte, er selbst sei verrueckt, aber als er Jack kennenlernte, merkte er, der ist ja zehn Mal schlimmer ! » hoerte ich von einem und Isolde brachte zum Thema : « Ich rede schon gar nicht mehr mit ihm. Er redet viel zu viel ! »

Sie kam nach dem Markt noch mit mir zu dem kleinen See, an dem ich stand. Wir setzten uns auf die Wiese. Ich zeigte ihr meinen Ausdruck vom Vagabundenblog, aber wie ich richtig vermutet hatte, war es fuer sie zum derzeitigen Zeitpunkt nicht die adaequate Lektuere.

« Hier habe ich noch ein Buch von Marko Pogacnik: ueber die dreifaeltige Goettin. Ich habe letzt darin gelesen. Es ist aeusserst interessant.“

Ich drueckte es ihr in die Hand.

„Ja, ich habe auch eins ueber Landschaftsgeomantie. Das gefaellt mir sehr.“

„Er hat ziemlich viel geschrieben. Ich habe ihn mal bei einem Festival erlebt. Er ist hervorragend.»

 Ich traf Manuel noch kurz vor seiner Abreise.

« Es wird Zeit, dass ich nach Hause fahre. Doch dort werde ich nicht so viele nette Leute um mich haben wie hier. »

« Du wirst hier fehlen. Du bist doch schon Teil von dem Ganzen.»

« Das sagen die anderen Leute auch. Viele meinen, ich soll doch hierherziehen. Es war echt schoen, dich immer wieder zu treffen. »

« Fuer mich auch. »

Wir verabschiedeten uns.

 Ich fuhr in die naechste Stadt, die einen Schrotthaendler fuer Autoteile hatte, denn mein Fahrerrueckspiegel war vor geraumer Zeit kaputtgegangen. Aber es gab keinen Ersatz.

« Fuer Busse habe ich gar nichts », sagte er lapidar.

Den schoensten Platz der Stadt am Fluss fand ich mit einem Eisengitter versperrt. Letztes Jahr war ich an dieser paradiesischen Idylle Baden gegangen. Ich fand zwar einen schmalen Pfad, der zum Fluss herunter fuehrte, aber hier war es laengst nicht so schoen wie ein Stueck weiter. Die Toiletten am Parkplatz waren geschlossen und das Vereinscafé ebenso, das mir ein Freund empfohlen hatte. Dafuer prangte folgender Spruch an der Wand:

Es sind nicht die Leute, die Boeses tun, die die Welt zerstoeren,

sondern diejenigen, die zuschauen und nichts tun

Ich wollte in die Bibliothek gehen, um wie letztes Jahr kostenlos im Internet zu surfen.

„Sie muessen eingeschriebener Leser sein“, erfuhr ich vom Bibliothekspersonal. „Wir haben ein neues Softwareprogramm. Laut neuestem Gesetz duerfen in Frankreich in oeffentlichen Einrichtungen nur noch Menschen zum Internet Zugang haben, die eindeutig identifiziert wurden. Tut mir leid. Gehen Sie doch ins kommunale Cybercafé.“

Da kam ich her. Man konnte kostenlos im Internet surfen, wenn man sich mit seinem Ausweis anmeldete. Hatte ich irgendwie keine Lust drauf. War mir viel zu uncool.

Mitten in der Nacht wurde ich von elendlauter Musik geweckt. Im Wohnmobil neben mir schien ein Verrueckter zu sein. Ich fuehlte mich terrorisiert, wusste erstmal nicht was tun. Ob ich ihm was sagen sollte? Ich entschied mich, Ohrstoepsel zu benutzen und das Problem war geloest. Mitten in der Nacht mit Verrueckten zu Reden, schien mir dann doch keine so gute Idee.

Zum Duschen und Haare waschen ging ich zu einem an ein Heim angeschlossenes Vagabundencafé. Draussen fragte ich jemand, der aus einem Wohnwagen kam nach der Dusche.

„Hier gibt es keine Dusche“, antwortete der Mann missmutig.

Eine Schwarze, die mich von sich aus fragte, was ich suche war so freundlich mir den richtigen Weg zu weisen. Als mir am Empfang ein Handtuch und Shampoo ausgehaendigt wurde, kam ein farbiger Mann weinend in Begleitung zweier Damen die Treppe herunter. Ich duschte und verschwand so schnell ich konnte. Irgendwie stand mein Aufenthalt in dieser Stadt unter keinem guten Stern.

 So trampte ich kurzerhand in Richtung der Stadt, in der ich letzt den netten Jay kennen gelernt hatte. Ich wollte ihn gerne wiedersehen. Erst schaute ich in dem Dorf vorbei, wo er in einem Garten gezeltet hatte und erfuhr von der Nachbarin, dass er nun in der Stadt wohnte, aber keiner wusste wo.

„Er hat uns verlassen ohne uns seine Adresse zu hinterlassen. Aber geh doch zum Fluss wo du ihn kennen gelernt hast, vielleicht triffst du ihn dort“, ermunterte sie mich.

Nach zweiwoechiger Internetpause war ich zwei Stunden im Internet. Als ich aus dem Café herauskam und ein paar Schritte gegangen war, stellte ich fest, dass ich meine Tasche mit gedumpstertem Zeug vergessen hatte. Als ich zurueck zum Eingang ging, sah ich an einem Tisch auf der Terrasse das gelbe Hemd von Jay, den ich zuvor gar nicht gesehen hatte. Die Freude war gross.

„Ich habe mich entschieden, jetzt doch nicht nach Indien zu gehen, weil ich zu viele gesundheitliche Probleme habe zur Zeit. Und zwei Tage nachdem ich die Entscheidung getroffen hatte, hatte ich eine Wohnung. Erst war sie total leer, aber ich habe sie schon ein wenig eingerichtet. Und in ein paar Tagen habe ich einen Computer, dann schicke ich dir eine Mail. Bis zur Tag- und Nachtgleiche bin ich beschaeftigt, aber danach lade ich Euch alle ein.“

Er hatte nicht viel Zeit, denn er musste noch seine Brille holen, wegen der er ueberhaupt in der Bar sass, denn sie wurde gerade repariert.

„Ohne Brille sehe ich ueberhaupt nichts.“

Danach hatte er einen Zahnarzttermin, aber ich musste sowieso langsam zurueck, wollte ich trampen und nicht mit dem Bus oder Zug fahren.

Die erste Frau, die mich mitnahm, war eine aeltere Dame.

„Ihr Wagen ist aber alt!“ rief ich erstaunt, als ich einstieg.

„Fuenfzig Jahre! Ein Citroen. Mein Mann schimpft mich, wenn ich jemanden mitnehme, aber ich tue es trotzdem. Ich setze Sie am Ortsausgang ab.“

So konnte ich mich beim Supermarkt noch mit entsorgten Yoghurts und Pfirsichen versorgen.

 Am naechsten Tag wachte ich sehr frueh auf, was mir recht war, denn ich gedachte in die naechste Metropole zu fahren. Ich ueberlegte erst, zu trampen, aber da es nach Regen aussah, fuhr ich doch mit meinem Bus. Um dann doch zu spaet zu den Aerzten der Armen zu kommen. Ich solle am Freitag frueh wiederkommen. Ich fuhr auch noch bei meinem frueheren Zahnarzt vorbei, aber die Assistentinnen empfingen mich mit einem dermassen bescheuerten Blick, dass ich keine Lust hatte, sie noch einmal zu sehen.

Ein Stueck weiter fand ich an einem Supermarkt Brot, Guacamole, Trauben und Tomaten, was ich erstmal zum Picknicken im Park hernahm.

In der Nacht wurde ich mit mehreren Schlaegen geweckt, woraufhin ich aus vier Reifen die Luft herausstroemen hoerte. Es war halb vier und ich hatte das Gefuehl, die Leute waren noch eine ganze Zeitlang in der Naehe, denn ich sah ein Auto mit angeschaltetem Licht unweit stehen. Aus Angst ging ich nicht heraus, um nach den kaputten Reifen zu schauen, sondern wartete bis sie wegfuhren und es hell wurde.

 Am Morgen klapperte ein Algerier, der direkt im Haus neben mir wohnte mit mir alle moeglichen Werkstaetten ab, ohne jedoch auf Anhieb eine geeignete Loesung zu finden. Die erste Werkstatt fand nicht die geeigneten Reifen, da sie zu alt waren; eine auf Reifen spezialisierte Werkstatt war zu weit weg, um mit platten Reifen dorthin zu fahren; die Versicherung wollte, dass ich zur Polizei gehe, um mich kostenlos abzuschleppen…

„Wenn du die Rechnung nicht bezahlst, musst du hierbleiben“, informierte mich mein Begleiter. Schliesslich kehrte ich zur ersten Werkstatt ganz in der Naehe zurueck, nachdem er zur Arbeit gegangen war.

„Wir haben nicht genug Daten, um die richtigen Reifen ausfindig zu machen. Wir schauen nach dem Mittagessen mal, ob wir nicht noch andere Informationen auf dem Reifen finden. Kommen sie um zwei Uhr wieder vorbei“, sagte die Dame, die sich der Sache angenommen hatte.

Als ich um die gewuenschte Zeit wieder zu ihr kam, war sie keinen Schritt weiter und auch nicht sehr grossen Willens, sich mit dem schwierigen Fall zu beschaeftigen. Doch irgendwie kamen wir naeher ins Gespraech, bei dem ich ihr mehrmals sagte, sie soll es ruhig lassen, aber dann fand sie doch eine Loesung. Bloss war diese exorbitant teuer und ich haette zwei Wochen warten duerfen. Erst als sie meine Notlage sah und dass ich Angst hatte, noch eine Nacht an der Stelle zu uebernachten, kam sie auf die Idee, den Autohersteller anzurufen und zu fragen, mit welchen Reifen ich noch fahren koennte. Ich solle spaeter noch mal vorbeischauen.

Inzwischen war ich im Internet und fand den Schrotthaendler, wegen dem ich unter anderem  hierher gefahren war, aber auch bei ihnen fand ich weder meine Reifen noch einen Rueckspiegel, um meinen kaputten zu ersetzen.

Als ich wieder bei der Werkstatt vorbeischaute, ging ploetzlich alles ganz schnell. Sie hatte zwei Reifen gefunden, die sofort zu haben waren. Die Mechaniker holten die Vorderreifen und meinen Bus, montierten sie in Windeseile kurz vor Dienstschluss, so dass ich wenigstens auf einen anderen Parkplatz fahren konnte, auf dem ich weitere Wohnmobile und Campingbusse gesehen hatte. Denn hinten hatte ich vier Reifen und konnte gut auch nur mit Zweien fahren.

 Ich schlief direkt nach dem Abendessen ein, so muede war ich von der Nacht zuvor. Dafuer wachte ich fruehzeitig auf und kam noch vor Oeffnung bei den Aerzten der Armen an, um mir ein Stueck Baumwolle aus dem Ohr holen zu lassen, das mir von einem Wattestaebchen abgefallen war. Mein Ohr hatte sich naemlich oefter so angefuehlt, als waere ich im Schwimmbad.

Aus einem Fahrradladen nahm ich ein Bremskabel mit und zwei neue Lenkergriffe. Einer der beiden Alten war am kaputtgehen. Was fuer eine Erloesung, denn bei den alten hatte ich staendig schwarze klebrige Finger, weil sich wegen Altersschwaeche permanent der Gummi abloeste!

 Schliesslich fuhr ich zur Reifenwerkstatt, von der ich in einer der vielen Werkstaetten vom Vortag gehoert hatte, wo mich ein grosser Bodybuilder ganz in schwarz empfing.

„Ihre Reifen habe ich nicht“, meinte er nur und als ich mich erinnerte, dass man doch irgendwie auch nur die Luftkammer erneuern kann, schob er: „das ist kompliziert“ hinterher.

„Wo fahren sie denn nachher hin?“

„Erstmal will ich die Sache mit dem Reifen erledigen bevor ich irgendwohin fahre“.

„Ich verstehe. Warten sie!“

Er verschwand. Um wieder aufzutauchen mit:

„Fahren sie Ihren Bus in die Werkstatt. Ich werde Ihnen die Kammern erneuern, um Ihnen auszuhelfen.“

Ich wartete eine Stunde und schaute mir die herumliegenden Zeitschriften an. So sah ich, mit wem Brad Pitt nun zusammen ist und anderen mehr oder weniger interessanten Klatsch. Danach bekam ich die Rechnung: 78 Euro und das fuer zwei Reifen, die noch dazu aussahen, als waeren sie neu, denn sie waren in viel besserem Zustand als zuvor.

 Eigentlich gedachte ich, die Stadt so schnell wie moeglich zu verlassen nach dem ganzen Malheur. Doch als ich den naechsten ausgeschilderten Supermarkt ansteuerte, bei dem ich nach etwas Essbarem schauen wollte, kamen zwei junge Typen in einem alten Bus angefahren.

„Wir wollen auf’s Strassenkuenstlerfestival hier in der Naehe und wo willst du hin?“

„Keine Ahnung. Ich komme gerade dorther wo das Festival stattfinden soll; ich habe ein Hinweisschild gesehen. Es ist nicht weit, gerade zwei Doerfer weiter.“

„Wir verkaufen dort Getraenke, um ein bisschen Geld zu machen. Wir wollen nach Spanien und Marokko fahren.“

„Ich glaube, ich folge Euch.“

Wir fuhren im Konvoi. So kam es, dass ich vollkommen unverhofft auf einem Strassenkuensterfestival landete.

The power of now

Ich spazierte zum See und kam von der anderen Seite her, eigentlich um André aus dem Weg zu gehen, aber er sass ausgerechnet heute an dieser Uferseite. Er redete wieder ohne Unterlass.

Mir geht es heute nicht besonders. Ich soll am 18. September nochmal ins Krankenhaus. Ich habe mit der Aerztin telefoniert. Meine Blutwerte sind nicht in Ordnung. Da war ich zur Operation schon im Krankenhaus und es war alles andere als angenehm. Und jetzt soll ich nochmal hin. Keine rosigen Aussichten…

Ich habe nie Zeit gehabt, um mich zu amuesieren oder auf Feste zu gehen wie die anderen Leute. Ich habe immer gearbeitet. Ich habe mein Haus gebaut und meine Tochter grossgezogen, habe gemalt und geschrieben. Ich habe bestimmt 2000 Zeichnungen.

Erst jetzt habe ich Zeit, jetzt. Eigentlich wollte ich schon ganz woanders sein, in einer anderen Region, aber die Erkrankung kam mir dazwischen. Und dabei war ich vorher nie bei einem Arzt, war nie krank.”

Dann fing er an, von seinen Nachbarn zu erzaehlen.

Die Frau hat sich noch gar nicht richtig von ihrem Freund getrennt; sie leben noch zusammen und schon hat sie den naechsten, mit dem sie ausgeht und der sie zuhause abholt. Das kann man doch nicht machen. Ihr alter Freund leidet doch darunter.”

Ich kann mir kein Urteil ueber andere erlauben. Vielleicht braucht sie den Neuen, um ueber die Trennung hinwegzukommen. Klar, dass es nicht ideal ist…”

Die Frauen sind fuer mich auf dem falschen Weg. Sie folgen den Maennern nach, die den falschen Weg gegangen sind.”

Dann wurde es wieder allgemeiner:

Der Mensch ist die Summe der Entscheidungen, die er getroffen hat. Denn durch die Entscheidungen entscheidet sich, wie es weitergeht. Es gibt so viele Loser, Trinker und Schizophrene ueberall hier. Zum Glueck bin ich keiner von denen…”

Ich dachte spaeter darueber nach und mir wurde klar, dass mir die Loser und Schizophrenen fast lieber sind als er, denn sie sind da mit ihrem Herz und Schmerz. Er hingegen scheint gar nicht wirklich da zu sein. Es ist, als haette er gar kein Herz. Aber er analysiert jede menschliche Regung anderer bis ins kleinste Detail. Ist perfekter Beobachter und tut alles sowieso viel besser als alle anderen.

 Am nachmittag fuhr ich zum mir empfohlenen Automechaniker. Er war gerade am Reparieren eines Autos. Ich machte fuer ihn und seinen Klienten einen Getreidekaffee. Dann kochte ich eine Ratatouille, um sie ihm zu geben dafuer, dass er nachschaut, ob ich mit Oel fahren kann oder nicht. Entgegen vielen Stimmen, die behaupteten, ich koenne direkt ohne Probleme mit Oel fahren mit meinem Dieselmotor, meinten andere kuerzlich, ich solle Pierre fragen. Er wisse ganz genau bescheid.

Er schaute sich die Einspritzpumpe an und meinte enttaeuscht:

Tut mir leid. Du kannst nicht mit Oel fahren. Keine Chance. Dir geht sonst der Motor kaputt. Ich habe schon andere Leute erlebt, die einfach mit Oel gefahren sind und nach einem Monat hatten sie Probleme und kamen zu mir. Du braeuchtest eine andere Einspritzpumpe, aber das lohnt sich fuer dich nicht. Nachdem, was du erzaehlt hast, faehrst du auf der einen Seite nicht genug und auf der anderen bist du zu viel unterwegs, da wird es mit dem Auffinden von Altoel zu schwierig. Uebrigens: Ich bin kein normaler Automechaniker”, sagte er und holte ein Pendel aus der Tasche. “Nicht viele Mechaniker arbeiten mit einem Pendel. Bei der Frau, die vorhin vorbeikam sagte das Pendel, ich solle ihr nicht helfen. Bei dir sagte es ‘ja’.”

 Ich reichte ihm die Ratatouille und einen Tomatensalat.

Willst du nicht mit mir zusammen essen heute abend?”

« O.k., ich mache nur noch einen kleinen Spaziergang. « 

Ich lief bis ins naechste Dorf und kam mit zwei schweren Taschen gedumpstertem Zeug wieder.

Komm doch rein”.

Es war sehr sauber in seinem Holzhaus und aufgeraeumt. Ganz anders als in anderen Junggesellenhaushalten.

Was fuer eine Freude, dass sich so unverhofft dieser Abend mit dir ergibt.”

Ja, erstaunlich. Das haette ich auch nicht gedacht. Ein Freund aus meinem Dorf hat mir zuerst von dir erzaehlt. Hat mir gezeigt wo sein Automechaniker ist.”

Ich begann, Daniel zu beschreiben.

Ich kenne ihn. Er ist einer von drei Leuten, die mir bekannt sind, die aus Indien zurueckkamen und nicht mehr waren wie vorher. Einer drei Jahre, einer 15 Jahre und einer 18 Jahre.”

Bei ihm sind es 18 Jahre. »

Ich halte es gar nicht fuer so gut, in die Ferne zu reisen. Kennst du die Geschichte?

Da kam ein Globetrotter in ein Dorf und fragte:

‚Und wie sind die Leute hier?‘

Da fragten die Leute zurueck:

‚Wie sind die Leute da wo du herkommst?‘

‚Sehr nett‘, antwortete er.

‚Siehst du, hier auch‘, sagten die Leute.

Da kam am naechsten Tag ein neuer Globetrotter und fragte:

‚Wie sind die Leute hier?‘

‚Da fragte man ihn zurueck:

‚Wie sind die Leute, da wo du herkommst?‘

‚Schrecklich.‘

‚Siehst du, hier sind sie genauso wie da wo du herkommst‘.”

Ich schaute auf ein Foto an der Wand.

Das ist ein indischer Meister. Er hat sich in sechs Monaten verwirklicht.”

Er stand ploetzlich auf, ging hinter mich und massierte mir das Genick.

Wo du so schwer bepackt warst…”

Dann blies er mir mit einem heftigen Atemzug an verschiedene Stellen auf dem Ruecken und auf mein Herzchakra. Danach war ich erstmal platt. Mir war, als waere ich in einen vollkommen anderen Bewusstseinszustand eingetaucht. Ich musste mich erstmal hinlegen. In diesem Zustand hatte ich gar keine Lust zu Rauchen und als ich nach dem Essen aus Gewohnheit doch eine Zigarette ansteckte, hatte ich ein dermassen starkes Stechen in der Brust, dass ich das Rauchen lieber sein liess.

Manche benutzen die Sachen auch gegen sich”, war sein Kommentar.

Man tut gut daran, Mitgefuehl mit diesen Leuten zu haben, denn es gibt von ihnen eine ganze Menge,” entgegnete ich.

Wir assen Ratatouille mit Kartoffeln und zum Schluss bot ich ihm noch Yoghurts zum Dessert an.

Nein, danke. Ich esse kaum noch Milchprodukte.”

Nach einer Pause sagte er:

Du kannst die Nacht hier stehenbleiben, kein Problem.”

Oh, fein.”

 So blieb ich die Nacht bei ihm auf dem Parkplatz.

Am naechsten Tag schien die Sonne und um die Mittagszeit wurde es im Bus ziemlich warm. Ich waere gerne zu ihm ins Haus gegangen, aber er wollte sich ausruhen und aus Respekt fuhr ich lieber mit dem Fahrrad ins naechste Dorf.

Als ich zurueckkam, erzaehlte er mir eine Geschichte:

Ich habe von den Tieren viel gelernt. Einmal war ich Hirte und Hunde hatten zwei kleine Laemmer angefallen und die Beine aufgefressen. Da holte ich ein Messer und sprach mit dem Lamm, dass ich es nicht gerne toeten wuerde, aber dass es sehr leiden wuerde, wenn es am Leben blieb. Ich legte das Messer neben das Lamm und – es legte seine Kopf selbst darauf. Erstaunlich, nicht? Ich weiss nicht, ob wir Menschen dazu faehig waeren. “

Es wird gerade ausgesondert bei den Menschen”, sagte er zum Abschied, “die meisten Menschen tun, als waeren sie froehlich, doch innerlich haben sie Angst.”

 Am Abend kam ich am See vorbei, wo ein paar Leute zusammen sassen. Sie lebten auch in einem Campingbus. Der Aelteste von ihnen sagte zu mir:

Vergiss die Vergangenheit. Lebe den Moment. Vergiss alles, was passiert ist. Es ist nicht zufaellig, dass wir hier sind. Und hoer einfach auf zu Denken. Wenn du denkst, kreierst du dir deine Zukunft.”

Er stand auf und holte ein Buch aus seinem Bus: Eckhart Tolles ‚The power of now‘, zu deutsch ‘Jetzt – Die Kraft der Gegenwart’.

Das ist, was ich gerade lese.”

Ich kenne es vom Titel her, habe es aber noch nicht gelesen.”

Es ist echt gut. Geh in den Bus und lies, was dort steht. Schreibe es auf und haenge es dir ueberall in deinen Bus.”

Ich schaute nach. Es stand dort:

Liebe & Dankbarkeit

Dankbarkeit & Anerkennung in unserem Herzen

das ist unser Terrain

 

Hare Krishna

Liebe Freunde,

nach ewiglanger kreativer Pause habe ich mich dazu entschlossen, mal wieder nicht nur fuer mich allein oder die Schublade zu schreiben, sondern fuer Euch… So ganz wie frueher

Den gestrigen Tag verbrachte ich am See und wie immer dort tat ich nichts ausser Reden. Erst mit André, der wie so oft von der Alchemie erzaehlte, dann mit Leuten, mit denen ich schliesslich zu abend ass. Eine Frau war Deutsche.

“Ich bin in Frankreich aufgewachsen, habe dann 15 Jahre in Deutschland gelebt und bin jetzt wieder zurueckgekommen.”

“Dann leben Deine Eltern noch hier…”

“Nein, meine Mutter wohnt in Deutschland und mein Vater blieb hier, ist jedoch gestorben und so leben wir in dem Haus, das wir geerbt haben.”

Ihr Freund kam aus Nicaragua.

“In Nicaragua gibt es total verschiedene Welten.: die Welt der Indios, die ohne Geld leben und bei denen man mit Geld nichts machen kann; die Welt der spanischen Eroberer auf der einen Seite des Landes und die der englischen gewalttaetigen Eroberer auf der anderen Seite. Bei beiden stirbt man Hungers, wenn man kein Geld hat.

Ich war ein Strassenkind bis mich eine reiche spanische Familie adoptiert hat. Nicaragua blickt auf 500 Jahre Revolution und Buergerkrieg zurueck. Ich bin die letzte Generation der Rebellen. Die gefaehrlichsten Menschen in Nicaragua sind derzeit die Intellektuellen. Sie haben alles Wissen studiert und jeder hat sich jetzt eine eigene Welt zurechtgelegt.”

Er ging noch naeher darauf ein, aber sein Franzoesisch war nicht so gut, dass ich alles verstand, was er sagte.

Heute auf dem Markt schaute ich in ein Buch ueber die Wicca-Religion. Es war dort klar gesagt, dass sich die Anhaenger des Wicca-Kultes vom Teufel distanzieren, da dieser eine Erfindung der Christen sei, die ihren gehoernten Fruchtbarkeitsgott Pan zu ihrem Teufel gemacht haben.

Ich probierte an einem Stand mit Second-hand-Klamotten eine lilane Nepalihose mit tuerkisgruenem Rock darueber an, die mir die Besitzerin schenkte, weil der Reissverschluss kaputt war. Meine Freude war gross.

Dann traf ich Isolde, die mir einen gruenen Stein gab. Ein Typ mit sonnegebleichten Rastaloeckchen kam vorbei und lud uns zu einer Feier am naechsten Mittwochabend ein. Er gab Isolde einen Flyer mit dem Angebot eines Workshops in Teppichweben.

“Letztes Jahr habe ich zwei Tage an seinem Workshop teilgenommen und an jedem Tag einen Teppich gemacht. Er hat alle Farben an Stoffen. Er bekommt sie von einer Recyclingfabrik. Sie suchen ihm schon die entsprechenden Stoffe raus, die fuer ihn interessant sind. Er zeigt auch, wie man aus einem Fensterrahmen einen Webrahmen herstellen kann.”

Schliesslich lief mir François ueber den Weg, der mich nun zum zweiten Mal zum Bhajan-Singen zu sich einlud. Diesmal ging ich mit. Es waren noch ein paar Maenner und Frauen bei ihm versammelt, die mich freudig begruessten. Es tat gut, bei ihnen zu sein, auch wenn ich erstmal nicht mitsang. Ich dekorierte lieber die Kommode mit Krishnabildern mit dem Schmuck, der auf ihr rumlag bevor ich den Garten mit seinen Bananenstauden und sonstigen tropischen Pflanzen bestaunte.

Doch dann hoerte ich doch ein wenig den Teachings zu.

“Selbst der zutiefst Gefallene kann wieder zum Herrn zurueckkehren”, hiess es da. Klang gut.

Nachher fasste ich meinen Eindruck zusammen: “Alles, was du vorgelesen hast, scheint wahr zu sein. Ich glaube, Christus war auch eine Inkarnation von Krishna. Chris-tus, Krish-na…”

“ Christus und Krishna waren zusammen in einer Inkarnation.”

“Wie Jesus sagte: ‘Der Vater und ich sind eins’. Aber ich dachte immer, Brahma sei der Schoepfer und Krishna sei von ihm geschaffen worden.”

“Nein. Krishna ist der hoechste Gott. Brahma ist der Schoepfer unseres Universums, aber er wurde selbst erschaffen.”

“Und wir sind wie die Funken eines Feuers, die sich vom Feuer entfernen. Doch das Ziel unseres Daseins ist, wieder zurueck zum Feuer zu finden, zu unserem Ursprung – zu Gott,” warf ein anderer Devotee ein. “Und Krishna ist vor etwa 500 Jahren in Indien wieder auf die Erde gekommen und hat uns einen spirituellen Weg gezeigt, wie wir wieder zurueckfinden koennen: indem wir die tausend Namen Gottes rezitieren durch das singen des Mantras Hare Krishna, Hare Krishna, Krishna Krishna Hare Hare, Hare Rama, Hare Rama, Rama Rama, Hare Hare. Hast du schon die BhagavadGītā gelesen?“

„Ja, vor ein paar Jahren. Ich habe alles gelesen, aber nichts verstanden. Nur, dass man kaempfen muss.“

„Nein, das ist nicht richtig. Beim Bakhti-Yoga geht es darum, sich hinzugeben, um devotion. Bei anderen Wegen wie dem Hatha-Yoga geht es darum, sich selbst zu finden. Und du brauchst einen Meister. Swami Prabhupada ist einer. Er hat die vedischen Schriften fuer uns Westler ins Englische uebersetzt und die Bewegung des Krishna Bewusstseins gegruendet.“

Er zeigte mir dessen Foto aus dem Buch. Als wir assen erklaerte mir mein Nachbar:

“Wir haben fuenf Regeln: Wir essen kein Fleisch und keinen Fisch; wir nehmen keine berauschenden Drogen zu uns, auch keinen Tee oder Kaffee, wir praktizieren Sexualitaet nur innerhalb der Ehe, wir spielen keine Gluecksspiele und wir treiben keinen Wettkampfsport, weil es nicht unser Ziel ist, miteinander zu konkurrieren. Cannabis konsumieren wir nicht, weil es uns in einer noch groesseren Illusion leben laesst, in der wir eh schon sind.”

“Und wir kochen ohne Zwiebeln und Knoblauch”, schob François hinterher, “weil sie zu sehr anregen.”

Ich erwachte am naechsten Morgen mit einem unglaublich starken, nicht enden wollenden Juckreiz rund um den Bauch und an den Beinen. Zum Glueck sah ich Manuel in der Naehe und ging zu ihm, um ihm mein Leid zu klagen.

“Du, wir gehen gleich mal mit den Leuten reden, die hier wohnen. Ich raeume nur noch meine Sachen zurueck ins Auto.”

Die erste Person, die wir trafen und die er kannte meinte gleich: “Das habe ich auch und ganz viele Leute hier haben das. Das kommt, wenn man in derNatur ist. Es ist ein uebles Tier und heisst Augusta. Wenn man sich kratzt, dann geht es noch tiefer unter die Haut und breitet sich weiter aus. Es ist an allen Stellen, die warm sind: an den Ellenbogen, am Bauch, unter den Achseln… Aber es ist nicht schlimm. Nach ein paar Tagen hoert es auf. Man kann nur eine juckreizstillende Salbe benutzen und sich zur Vorbeugung mit Lavendeloel einreiben. Ich tue auch ein paar Tropfen davon ins Bett.”

Manuel ging mit mir zusammen in die Apotheke, um uns zu versichern und wir wurden besteatigt. Am Ende lud ich ihn zur Ratatouille ein, die ich noch vom Vortag uebrig hatte und er schenkte mir zwei Flaschen Olivenoel!

“Ich hoere, was die Leute mir sagen. Und du sagtest letzt, fast das einzige, was du zum Essen kaufst ist Oel…”

Ich nahm es gleich fuer den Salat, denn mein altes Oel war fast alle.

Am Abend entdeckte ich in der Gîte (eine franzoesische Art von Pension) die Dusche, von der mir jemand erzaehlt hatte und nutzte die Gelegenheit, da gerade keiner da war, meine Haare zu waschen. Bloss hatten sich drei alte Campingbusse auf das Grundstueck der Gîte gestellt und genau in dem Augenblick, in dem ich ging, kam einer mit einer Taschenlampe angelaufen. Mir sackte das Herz in die Hose und raschen Schrittes verliess ich das Terrain.

Suelo

Suelo

Suelo und andere Kameraden ohne Geld

 

Als ich zu Raphael kam, empfing er mich mit : « Ich habe etwas fuer dich gefunden. Gerade eben, genau im Augenblick, als du kamst. Wir sind sowieso synchron die letzte Zeit.“

„Du hast etwas gefunden fuer mich?“

„Ja, im Internet. Aber lass uns erstmal essen. Ich habe gekocht. Ich zeige es dir spaeter.“

„Und ich habe frisches Gemuese gefunden. Und ganz viele Erdbeeren.“

Waehrend des Essens fragte er dann: „Kennst du Suelo?“

„Suelo? Nein.“

„Er ist ein Mann in den USA, der seit zwoelf Jahren ohne Geld lebt. Ich kam ganz zufaellig auf ihn. Ein Artikel ueber ihn ist heute bei yahoo auf der Startseite. Ich weiss nicht, ob er auch dumpstert. Er nimmt jedenfalls keine Lebensmittel von staatlichen Einrichtungen an.“

„Das hoert sich interessant an.“

Nach dem Essen stuerzte ich mich auf den Compter.

„Oh, er lebt in einer Hoehle! Und er dumpstert auch.“

 

Der Artikel war nur kurz, aber er lieferte den Link zu Suelos Homepage  https://sites.google.com/site/living-without-money, die aeusserst interessant ist. Vor allem, weil er viele Fragen beantwortet, die Leute bezueglich des Lebens ohne Geld oft an ihn stellen. Und weil Links zu anderen Menschen da sind, die ohne Geld leben.

 

Darunter Raphael Fellmer, ein Deutscher, der mit seiner Freundin geldlos um die Welt reiste und mitlerweile zwei Jahre kostenfrei lebt. Seine Website http://de.forwardtherevolution.net ist sehr informativ und gibt viel Hintergrundwissen und Philosophisches ueber die Entscheidung ohne Geld zu leben weiter.

Im Sommer hat er eine Vortragsreihe zum Thema „Postoekonomie – eine Welt ohne Geld in Harmonie mit der Erde“ in Deutschland, Italien und Spanien geplant und er hat sogar bei www.dialog-ueber-deutschland.de eine Eingabe an die Bundeskanzlerin gemacht, alle Supermarktabfaelle der Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen. Diese ist leider abgelaufen, so dass man keine Kommentare mehr senden kann, aber vielleicht wird ja was daraus. Dass alle Supermaerkte dahin zu gehen haben, generell alle unverkaeuflichen Waren der Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen (anstatt sie ab- und wegzuschliessen bis zu ihrer endgueltigen Vernichtung wie oft geschehen) ist ein dringendes Muss. Das waere erstmal der erste Schritt.

Raphael Fellmer fordert allerdings, dass alle diese Waren auf einer Website angeboten werden sollen, was mir persoenlich etwas zu weit geht. Der Aufwand fuer die Supermaerkte ist dafuer sicher zu gross. Zum anderen will er erreichen, dass die Sachen an Verteilstellen abgegeben werden und ich bin ueberhaupt kein Freund von solchen Verteilstellen, zumindest in der Form, in der sie derzeit existieren wie die Tafel beispielsweise oder von andere humanitaeren Hilfsorganisationen.

Wenn ein Berechtigungsschein benoetigt wird, dann ist der Spass schon vorbei. Dann werden die Menschen zu Bittstellern, zu Beduerftigen, zu Bettlern. Einzig, wenn die Verteilstellen vollkommen unbuerokratisch sind und jedem freien Zugang gewaehren und wie in Umsonstlaeden beispielsweise alles kostenlos zur Verfuegung stellen – ohne nach Namen oder sonstwas zu fragen – , ist es o.k.

Natuerlich muss klar sein, dass die Produkte nur fuer den persoenlichen Gebrauch und nicht zur Weitergabe an andere (Verkauf etc.) gedacht sind, was einen Missbrauch darstellen wuerde…

Auch bei Raphael sind Links zu geldlos Lebenden zu finden neben seinen naehrenden Texten und netten Bildern – eine echte Entdeckung!

Als ich zu Raphael kam, empfing er mich mit : « Ich habe etwas fuer dich gefunden. Gerade eben, genau im Augenblick, als du kamst. Wir sind sowieso synchron die letzte Zeit.“

„Du hast etwas gefunden fuer mich?“

„Ja, im Internet. Aber lass uns erstmal essen. Ich habe gekocht. Ich zeige es dir spaeter.“

„Und ich habe frisches Gemuese gefunden. Und ganz viele Erdbeeren.“

Waehrend des Essens fragte er dann: „Kennst du Suelo?“

„Suelo? Nein.“

„Er ist ein Mann in den USA, der seit zwoelf Jahren ohne Geld lebt. Ich kam ganz zufaellig auf ihn. Ein Artikel ueber ihn ist heute bei yahoo auf der Startseite. Ich weiss nicht, ob er auch dumpstert. Er nimmt jedenfalls keine Lebensmittel von staatlichen Einrichtungen an.“

„Das hoert sich interessant an.“

Nach dem Essen stuerzte ich mich auf den Compter.

„Oh, er lebt in einer Hoehle! Und er dumpstert auch.“

Der Artikel war nur kurz, aber er lieferte den Link zu Suelos Homepage  (s. Blogroll), die aeusserst interessant ist. Vor allem, weil er viele Fragen beantwortet, die Leute bezueglich des Lebens ohne Geld oft an ihn stellen. Und weil Links zu anderen Menschen da sind, die ohne Geld leben.

Darunter Raphael Fellmer, ein Deutscher, der mit seiner Freundin geldlos um die Welt reiste und mitlerweile zwei Jahre kostenfrei lebt. Seine Website (s. Blogroll)  ist sehr informativ und gibt viel Hintergrundwissen und Philosophisches ueber die Entscheidung ohne Geld zu leben weiter.

Im Sommer hat er eine Vortragsreihe zum Thema „Postoekonomie – eine Welt ohne Geld in Harmonie mit der Erde“ in Deutschland, Italien und Spanien geplant und er hat sogar bei www.dialog-ueber-deutschland.de eine Eingabe an die Bundeskanzlerin gemacht, alle Supermarktabfaelle der Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen. Diese ist leider abgelaufen, so dass man keine Kommentare mehr senden kann, aber vielleicht wird ja was daraus. Dass alle Supermaerkte dahin zu gehen haben, generell alle unverkaeuflichen Waren der Allgemeinheit zur Verfuegung zu stellen (anstatt sie ab- und wegzuschliessen bis zu ihrer endgueltigen Vernichtung wie oft geschehen) ist ein dringendes Muss. Das waere erstmal der erste Schritt.

Raphael Fellmer fordert allerdings, dass alle diese Waren auf einer Website angeboten werden sollen, was mir persoenlich etwas zu weit geht. Der Aufwand fuer die Supermaerkte ist dafuer sicher zu gross. Zum anderen will er erreichen, dass die Sachen an Verteilstellen abgegeben werden und ich bin ueberhaupt kein Freund von solchen Verteilstellen, zumindest in der Form, in der sie derzeit existieren wie die Tafel beispielsweise oder von andere humanitaeren Hilfsorganisationen.

Wenn ein Berechtigungsschein benoetigt wird, dann ist der Spass schon vorbei. Dann werden die Menschen zu Bittstellern, zu Beduerftigen, zu Bettlern. Einzig, wenn die Verteilstellen vollkommen unbuerokratisch sind und jedem freien Zugang gewaehren und wie in Umsonstlaeden beispielsweise alles kostenlos zur Verfuegung stellen – ohne nach Namen oder sonstwas zu fragen – , ist es o.k.

Natuerlich muss klar sein, dass die Produkte nur fuer den persoenlichen Gebrauch und nicht zur Weitergabe an andere (Verkauf etc.) gedacht sind, was einen Missbrauch darstellen wuerde…

Auch bei Raphael sind Links zu geldlos Lebenden zu finden neben seinen naehrenden Texten und netten Bildern – eine echte Entdeckung!

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